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Deutsche Unternehmen verlieren den Anschluss: Nur zwei Konzerne unter den Top 100 weltweit

Die Top-100-Konzerne der Welt sind so viel wert wie nie. US-Konzerne dominieren dabei mit 56 Vertretern das Ranking. Doch der genauere Blick alarmiert die Analysten.

Der Informatiker gründete Amazon im Jahr 1994 und bestimmt den Takt in der Branche. Foto: dpa
Der Informatiker gründete Amazon im Jahr 1994 und bestimmt den Takt in der Branche. Foto: dpa

Welches Unternehmen ist das wertvollste der Welt? Um diesen Titel rangelten dieses Jahr zunächst drei IT-Giganten: Apple, Amazon und Microsoft. Kurz vor Jahresschluss liegt der iPhone-Riese Apple mit einer Marktkapitalisierung von 1,12 Billionen Euro knapp vor Microsoft. Der Konzern aus Seattle kommt auf 1,07 Billionen. Doch der Börsengang von Saudi Aramco hat im Dezember auch die Champions League der Weltbörsen neu gemischt.

Der saudische Staat brachte zwar nur 1,5 Prozent der Aktien des weltweit größten Ölförderers an die Finanzmärkte. Aber damit ist der Gesamtkonzern nunmehr 1,7 Billionen Euro wert – und schoss quasi von null auf Platz eins. So kostbar war noch nie zuvor ein einzelnes Unternehmen. Der Ölriese ist nach Handelsblatt-Berechnungen fast so viel wert wie alle 759 börsennotierten deutschen Konzerne zusammen, die auf insgesamt 1,9 Billionen Euro kommen.

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In der Breite dominieren aber weiter US-Unternehmen das Ranking: 56 von 100 Unternehmen kommen von dort. „Mit digitalen Geschäftsmodellen haben vor allem US-Unternehmen den Nerv der Zeit getroffen“, urteilt Hubert Barth, Deutschlandchef der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY: „Mit ihren Dienstleistungen und Produkten revolutionieren sie ganze Branchen und erzielen enorme Gewinne.“

Deutschlands Unternehmen verlieren generell an Gewicht in der Welt: Nur noch SAP auf Rang 49 und Siemens auf 98 schaffen es im Jahr 2019 in die Top 100. Vor einem Jahr waren es immerhin noch drei, weil auch der Versicherer Allianz dazugehörte. Ganz anders sah die Welt vor rund zwei Jahrzehnten aus, als Konzerne wie Daimler nach der Fusion mit Chrysler („Hochzeit im Himmel“) und die Deutsche Bank, Bayer, BASF und sogar die Deutsche Telekom zur Weltspitze zählten.

Doch viele Spitzenkonzerne bewiesen in den vergangenen Jahren ein falsches Gespür für die richtigen Investitionen. Daimler kaufte einen maroden amerikanischen Autobauer und verwässerte so seine Premiummarke mit dem Stern. Bayer handelte sich mit Monsanto einen Saatguthersteller ein, bei dem sich schon vor dem 50-Milliarden-Euro-Kauf Schadensersatzklagen abgezeichnet hatten. Die Deutsche Bank griff mit Bankers Trust in den USA komplett daneben und hätte in den vergangenen zehn Jahren besser mehr Geld dafür ausgeben sollen, ihre veralteten IT-Strukturen zu modernisieren.

Dass es auch besser geht, zumindest aus Sicht der Aktionäre, zeigen die Amerikaner eindrucksvoll. Linde-Praxair schafft als ehemals deutsches Unternehmen den Sprung in die Top 100. Seit dem Vollzug der Fusion mit dem amerikanischen Wettbewerber vor etwas mehr als einem Jahr ist der Kurs um 35 Prozent gestiegen – nachdem er bereits in den Monaten nach Ankündigung des Zusammenschlusses kräftig in die Höhe geschossen war. Ohne das hohe Börsengewicht der Amerikaner hätte es Linde nie auf die Liste der 100 wertvollsten Unternehmen geschafft.

Zwei Besonderheiten treiben den Linde-Praxair-Kurs nach oben: Der Hersteller von Industriegasen hat seit der Fusion nur noch drei große Wettbewerber: neben Air Liquide in Frankreich Air Gas und Air Products in den USA. Solch komfortable oligarchische Strukturen ermöglichen es, hohe Preise im Weltmarkt durchzusetzen. Das beschert verlässliche, stetig steigende Gewinne und Renditen – was Anleger mit steigenden Kursen honorieren.

Darüber hinaus verknappt Linde drastisch das Aktienangebot, seitdem die Amerikaner das Sagen haben. Das Unternehmen kauft innerhalb von nur zwei Jahren für umgerechnet über fünf Milliarden Euro eigene Aktien, das sind 15 Prozent – und vernichtet sie. Noch nie hat ein deutscher Konzern dafür so viel Geld ausgegeben.

Große Konzerne treiben die Kurse

In Deutschland wäre das unzulässig, hier liegt die Höchstgrenze bei zehn Prozent innerhalb von fünf Jahren. Möglich ist ein so großes Anlegerprogramm nur durch die Verlegung des Konzernsitzes ins irische Dublin. Vom deutschen Traditionskonzern Linde, dessen Emblem und Schriftzug mit dem markanten L immer noch in fast jeder Stadt leuchten, ist wenig geblieben – doch den Aktionären dürfte es egal sein.

So wie der Linde-Praxair-Kurs immer weiter steigt, seitdem die Amerikaner Einfluss ausüben, so ergeht es auch den meisten Unternehmen an der Wall Street. Hier erklimmen der Dow Jones, der weltweit wichtigste Börsenindex S & P 500 und die Technologiebörse Nasdaq einen Rekord nach dem nächsten.

Vor allem die Aktien großer Konzerne treiben die Kurse. Der Telekommunikationsriese AT & T und der Windelhersteller Procter & Gamble legten in nur einem Jahr mehr als 30 Prozent zu, Microsoft schaffte über 50 Prozent.

Insgesamt steigerten die Top 100 ihren Börsenwert binnen eines Jahres um fast 25 Prozent auf den Rekordwert von 22,7 Billionen Euro. Dazu tragen die 56 US-Konzerne zwei Drittel bei. Mit dem aktuellen Börsenwert der 100 wertvollsten Unternehmen ließen sich die Schulden aller europäischen Staaten gleich zweimal bezahlen.

So starke Kurssteigerungen wie 2019 gab es weltweit zuletzt vor knapp einem Jahrzehnt, als sich die Realwirtschaft und Aktienkurse nach der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise zu erholen begannen.

Doch anders als damals hält das Wachstum der Unternehmensgewinne, also der Realwirtschaft, mit dem der Aktienkurse, also dem Unternehmenswert an der Börse, diesmal nicht Schritt: 2019 steigern die 100 größten Unternehmen ihre Nettogewinne im Schnitt voraussichtlich nur um 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr – also fast dreimal weniger als ihre Aktienkurse im selben Zeitraum.

Die Firmengewinne der US-Konzerne stagnierten im Schnitt sogar nur. So hat Apple in seinem bereits Ende September zu Ende gegangenen Geschäftsjahr 49 Milliarden Euro Reingewinn bilanziert. Das sind zwei Prozent weniger als im Jahr davor. Doch der Kurs ist 2019 um 63 Prozent gestiegen. Die Firma steigerte damit ihren Börsenwert um rund 400 Milliarden Euro auf 1,1 Billionen Euro – ohne den realen Gewinn zu erhöhen.

Doch nicht nur bei Apple sind die Aktienkurse den Unternehmensgewinnen weit davongeeilt. Anleger, die mit einem Fonds oder Zertifikat auf die 100 wertvollsten Unternehmen setzen, bezahlen diese, und heruntergerechnet ihre Aktien, im Schnitt mit dem knapp 25-fachen Jahresnettogewinn. Solch eine hohe Bewertung gab es zuletzt auf dem Börsenhöhepunkt 2007, kurz vor Ausbruch der Finanzkrise, und davor Ende der 90er-Jahre auf dem Höhepunkt der Technologieblase. IT-Größen wie Apple und Microsoft sind – gemessen am Aktienkurs und Unternehmensgewinn – heute doppelt so teuer wie noch vor zwei Jahren.

Analysten sind deshalb alarmiert. „Die Bewertungen an den Aktienmärkten sind bereits sehr hoch und beruhen noch dazu auf optimistischen Annahmen der Investoren“, mahnt Seema Shah, Chefstrategin des amerikanischen Vermögensverwalters Principal Global Investors. Der bekannte Anleihe-Investor Bill Gross mahnte Anleger bereits, sie sollten sich auf ein Ende der hohen Kursgewinne einstellen.

Zentraler Treiber der weltweiten Börsenrally sind die niedrigen Zinsen und das viele billige Geld. Es fließt vor allem in den amerikanischen Technologiesektor. Allein die vier Giganten Apple, Microsoft, Alphabet (Google) und Facebook trugen 2019 gut 20 Prozent zum Kursanstieg des S & P bei, in dem die Aktien der 500 größten amerikanischen Unternehmen enthalten sind. „Die Investoren trauen ihnen offenbar zu, weitere Innovationen hervorzubringen und auch Strukturen in noch mehr Branchen aufzubrechen“, urteilt Hubert Barth, Deutschlandchef des Wirtschaftsprüfers EY.

Die IT-Größten mutieren zu Trendsettern für Unternehmen in allen Branchen. So verspricht der ursprünglich in der IT beheimatete Handelsriese Amazon seinen Kunden, seine Waren am selben Tag nach Hause zu liefern. Damit bestimmt das 1994 vom Informatiker Jeff Bezos gegründete und bis heute geführte Unternehmen den Takt in der Branche. Ob die großen Wettbewerber wie Alibaba in China oder kleinere wie Thalia im Buchhandel und Galeria Kaufhof im Konsummarkt – alle orientieren sich an Amazon und seinem Kundenservice.

Über Microsoft hieß es lange Zeit, das von Bill Gates vor 44 Jahren gegründete Unternehmen habe gegenüber Google, Facebook und Co. den Anschluss verloren, weil sich der Konzern zu sehr an seine Erfolgsprodukte Windows und Office klammere – und so neue Trends und Wachstumsmärkte verpasse. Ähnlich wie der einstige Handyriese Nokia in Europa galt Microsoft als Auslaufmodell. Doch unter Vorstandschef Satya Nadella hat sich Microsoft in Zukunftsbranchen wie der Cloud und der Künstlichen Intelligenz wieder weit nach vorn gearbeitet.

Hingegen suchen viele europäische Konzerne noch nach einem überzeugenden Zukunftsmodell. Klassische Industriekonzerne, wie etwa die deutschen Autobauer, stecken mitten im Umbruch und sehen sich ganz neuen Konkurrenten gegenüber. Dass sie sich neu erfinden müssen kostet viel Geld – und das Vertrauen vieler Anleger. In der Folge findet sich abgesehen von Toyota kein Autohersteller mehr unter den Top 100.

Dem japanischen Hersteller trauen Investoren noch am ehesten zu, auch im benzin- und diesellosen Zeitalter zur Weltspitze zu gehören. Auch deshalb ist Toyota mit 210 Milliarden Euro heute fast dreimal so viel wert wie VW – obwohl die Japaner weniger Autos verkaufen. Doch an der Börse zählt nicht Masse, sondern die Spekulation auf eine gute Zukunft. Volkswagen zählte lange Zeit zu den Top 100, ehe der Abgasskandal die Wolfsburger aus dem Ranking herauskatapultierte.

Profiteure des Börsenbooms sind aber nicht nur amerikanische Digitalfirmen. Die Kurse stiegen 2019 auf breiter Front – und auch nicht nur die der Top 100. Setzt man den Börsenwert von Ferrari – die Aktie stieg in diesem Jahr um über 60 Prozent und in den vergangenen drei Jahren um mehr als 180 Prozent – in Relation zu den weltweit verkauften Fahrzeugen, dann bewerten die Finanzmärkte inzwischen jedes Auto der Luxusmarke mit über drei Millionen Euro. Für den Fondsmanager Igor de Maack vom französischen Vermögensverwalter DNCA zeigt dieser Vergleich, dass die Börsen inzwischen jedes Maß verloren haben.

Aktienkurse können sehr lange stark steigen

Die Schweizer Privatbank Pictet warnt denn auch die Anleger vor Sorglosigkeit. Eigentlich sei jetzt der richtige Zeitpunkt, um aus dem Aktienmarkt auszusteigen, sagt ihr Chefstratege Luca Paolini. Viele Aktienkurse notieren auf Rekordhochs, der Konjunkturzyklus in den Vereinigten Staaten neigt sich dagegen dem Ende entgegen, und die Gewinne der Unternehmen stagnieren oder steigen allenfalls nur noch langsam. Solch eine Gemengelage gilt eigentlich als der ideale Anlass für den Abschied von den Aktienmärkten.

Doch die lange Börsenvergangenheit zeigt, dass Aktienkurse sehr lange stark steigen können. „Was teuer ist, kann nämlich noch teurer werden“, sagt der Chefstratege der Hamburger Privatbank M.M. Warburg, Carsten Klude. Für eine Korrektur bedarf es seiner Meinung nach immer eines Auslösers, der die Aktienkurse nachhaltig fallen lässt, wodurch sich die hohen Unternehmensbewertungen dann wieder abbauen.

In der Vergangenheit waren dies meist höhere Leitzinsen der Notenbanken, die dann zu steigenden Anleiherenditen und damit einer echten Alternative zur Aktie geführt haben. Steigende Zinsen verschlechtern zugleich die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen, mindern ihre Investitionen – und haben deshalb häufig zu Rezessionen geführt. All das ist schlecht für die Aktie.

Doch dieser Auslöser in Form höherer Zinsen ist nicht in Sicht – weder in Europa, wo die Europäische Zentralbank auch über 2020 hinaus an ihrer Nullzinspolitik festhalten dürfte, noch in den USA.

„Drinbleiben“ rät deshalb DZ-Bank-Chefanlagestratege Christian Kahler mit Blick auf die Aktienmärkte. Der Aufschwung wird sich seiner Meinung nach bis ins Jahr 2020 hinein fortsetzen, weil unverändert ein Anlagenotstand vorherrscht. Insofern ist es gut möglich, dass die Top 100 im nächsten Jahr noch mehr wert sind als heute.