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„Winterkorn sollte betrogene Kunden entschädigen“

Am Tag vor dem Verhör im Abgas-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages wird der Druck auf Ex-VW-Chef Winterkorn größer. Verbraucherschützer fordern, dass Winterkorn seine Rente abtreten soll.

Am Donnerstagvormittag, um zehn Uhr, wird im Ausschusssaal E 700 des Deutschen Bundestages sitzen und sich unangenehme Fragen anhören müssen. Zur Sicherheit werden ihn seine Anwälte begleiten, schließlich vernimmt der Ausschuss Zeugen und Sachverständige und kann auch Ermittlungen durch Gerichte und Verwaltungsbehörden vornehmen lassen. Die Abgeordneten wollen den größten Skandal aufdecken, den Volkswagen je erlebt und hat.

Sie wollen wissen, was der Chef seinerzeit wusste, ob er womöglich die Abgas-Manipulationen gebilligt hat. „Vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse aus den USA wollen wir von Herrn Winterkorn wissen, ob der Vorstand tatsächlich darüber informiert war, dass illegale Abschalteinrichtungen in -Fahrzeugen verwendet wurden“, fordert bereits der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens (Linke). „Wir erwarten da ein klares Ja oder Nein.“ Sollte Winterkorn nichts sagen, so käme dies „einem Schuldeingeständnis gleich“.

Für viele steht fest: Winterkorn ist verantwortlich, so oder so. Nach Ansicht des Chefs des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), Klaus Müller, sollte der langjährige Volkswagen-Konzernchef individuell Verantwortung für die weltweite Abgasmanipulation übernehmen. „Für die Kundinnen und Kunden, die von Volkswagen getäuscht wurden und in Deutschland leer ausgehen, sind die Meldungen über Winterkorns Vergünstigungen ein Schlag ins Gesicht“, sagte Müller dem Handelsblatt. „Mit den über 3.000 Euro Rente pro Tag sollte Herr Winterkorn besser betrogene Kunden entschädigen und ein Zeichen der Demut setzen.“

Von der Bundesregierung forderte Müller, künftig „mutiger“ gegen Unternehmen vorzugehen, die betrügen und vertuschen. „Verbraucherbelange im Automobilsektor müssen stärker berücksichtigt werden“, sagte der VZBV-Chef. „Die Zulassung neuer Kfz-Modelle muss unabhängig erfolgen und die Marktüberwachung durch das Kraftfahrtbundesamt muss neu aufgestellt werden.“

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Das fordern auch der Ausschussvorsitzende Behrens wie auch die Grünen. Deren Fraktionsvize Oliver Krischer geht hart ins Gericht mit der Regierung, speziell mit Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Der Ausschuss habe bereits jetzt mit seiner Arbeit die Strukturen des Skandals offengelegt. „Das ist eine Einflussnahme der Autoindustrie auf die Entscheidungen, die das Maß gewöhnlicher Lobbyarbeit weit übersteigt“, sagte Krischer dem Handelsblatt. „Die Bundesregierung hat die Kontrolle der Autoindustrie im Abgasbereich fast komplett abgeschafft.“

Die Industrie habe dies gewusst und sich in Sicherheit gewähnt. „Dieses organisierte Staatsversagen hat den Abgasskandal erst möglich gemacht“, sagte Krischer. Die Bundesregierung habe die zuständigen Behörden zu „zahnlosen Tigern“ gemacht. Minister Dobrindt habe bislang „nichts unternommen diese Strukturen zu ändern – im Gegenteil er hält seine schützende Hand darüber. Jenseits der Sonntagsreden läuft alles so weiter wie bisher. Dobrindts Aufklärung ist Show, Konsequenzen Fehlanzeige.“

Neben Winterkorn werden auch die Manager Gerwin Postel (VW), Axel Eiser (Audi) und Andreas Dindorf (Opel) verhört sowie Eckart von Klaeden (CDU), einst Staatssekretär im Kanzleramt und seit drei Jahren Cheflobbyist bei Daimler. Bei ihm wie bei dem Verhör von Automobilverbandschef Mathias Wissmann (VDA) dürfte es vor allem um deren Einfluss auf die Abgasgesetzgebung gehen. Wissmann war früher selbst Bundesverkehrsminister.

In den vergangenen Sitzungen hatte der Ausschuss bereits Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) befragt. Sie gaben an, im Vorfeld nichts von den Manipulationen gewusst zu haben.

KONTEXT

Die Kosten des Dieselskandals für Volkswagen

Teure Folgen

Für die jüngste Einigung mit den US-Behörden in Sachen Dieselskandal muss Volkswagen eine weitere milliardenschwere Last schultern. 4,3 Milliarden Dollar (etwa 4,1 Milliarden Euro) muss der Konzern für Strafen und Bußen in den USA hinblättern. Das übersteige die bisherigen Rückstellungen und könne die Ergebnisse 2016 belasten, warnte Volkswagen. 18,2 Milliarden Euro hat der Konzern insgesamt für den Skandal um weltweit millionenfach manipulierte Abgaswerte bei Dieselautos zurückgestellt. Doch abschließend sind die Kosten noch nicht zu beurteilen. Die größte Unsicherheit geht von den vielen Anlegern aus, die VW vorwerfen, sie zu spät über Dieselgate informiert zu haben, und deshalb Schadenersatz fordern.

Strafzahlung in den USA

Mit dem US-Justizministerium hat sich Volkswagen nach monatelangen Verhandlungen auf eine Strafzahlung von umgerechnet rund 4,1 Milliarden Euro geeinigt. Das ist deutlich mehr, als andere Autobauer für Verfehlungen in den USA hinlegen mussten und auch mehr als Analysten erwartet hatten. Sie hatten mit einer Summe zwischen einer und drei Milliarden Euro gerechnet.

Vergleich mit US-Kunden zu kleineren Motoren

Im Oktober einigte sich VW mit Hunderten Sammelklägern, Behörden und US-Bundesstaaten über die Höhe der Entschädigung für Käufer von Autos mit den kleineren 2,0-Liter-Dieselmotoren. Das kostet den Konzern bis zu 15,3 Milliarden Dollar (14,5 Milliarden Euro). Der größte Teil entfällt auf den Rückkauf der bis zu 475.000 Fahrzeuge, für den gut zehn Milliarden Dollar reserviert sind. Die tatsächlichen Kosten hängen aber davon ab, wie viele Dieselbesitzer ihre Wagen zurückgeben. Bis vor Weihnachten hatten 104.000 Besitzer in den Rückkauf eingewilligt. Eine Alternative ist die Reparatur der Fahrzeuge. Bisher hat VW die Genehmigung für die Umrüstung von rund 70.000 Autos mit 2,0-Liter-Motor.

Zahlreiche US-Bundesstaaten wollen zudem zivilrechtlich versuchen, einen höheren Schadensersatz durchzusetzen, weil sie mit dem Vergleich nicht zufrieden sind. Dabei geht es um Hunderte Millionen Dollar.

Vergleich mit US-Kunden zu größeren Motoren

Kurz vor Weihnachten klopfte VW mit den US-Umweltbehörden einen Kompromiss über die Schadenersatzansprüche für etwa 83.000 Diesel-Wagen mit 3,0-Liter-Motoren fest. Ein Viertel der Geländewagen von Audi, VW und Porsche soll zurückgekauft und weitere 63.000 umgerüstet werden, sobald die Behörden die Freigabe für die technische Lösung erteilen. Wieviel das den Konzern kostet, ist offiziell noch nicht bekannt. Die US-Umweltbehörde EPA schätzt die Kosten für VW auf insgesamt eine Milliarde Dollar. Der nächste Gerichtstermin zur vorläufigen Genehmigung ist für den 31. Januar angesetzt.

Entschädigung für US-Händler

Seinen rund 650 US-Händlern zahlt VW insgesamt 1,2 Milliarden Dollar Entschädigung, weil sie seit fast einem Jahr keine Dieselautos mehr verkaufen durften. Der Vereinbarung zufolge kauft VW unverkäufliche Diesel-Autos von den Händlern zurück, hält an Bonuszahlungen fest und verzichtet für zwei Jahre auf geforderte Umbauten. Bei einem Gerichtstermin am 18. Januar soll entschieden werden, ob die Einigung genehmigt wird.

Rückrufe in Europa

Ein großer Brocken ist auch die Umrüstung der rund 8,5 Millionen Dieselautos in Europa. Kostenschätzungen reichen von gut einer bis drei Milliarden Euro.

Entschädigung auch in Europa?

Bundesweit klagen Autobesitzer vor mehreren Gerichten wegen überhöhter Stickoxidwerte auf Rückabwicklung des Kaufs oder Schadensersatz. Allein vor dem Landgericht Braunschweig sind knapp 226 solcher Klagen anhängig. Die auf Verbraucherschutzverfahren spezialisierte Onlineplattform MyRight, die mit der US-Kanzlei Hausfeld zusammenarbeitet, reichte zu Jahresbeginn die erste Musterklage ein. Eine finanzielle Entschädigung der Kunden in Europa lehnt VW ab, obwohl sich Forderungen nach einem ähnlichen Vergleich wie in den USA mehren. Sollten diese dennoch fällig werden, könnte das Volkswagen wegen der viel größeren Zahl betroffener Kunden im Vergleich zu den USA finanziell ruinieren, fürchten Experten. Der Autoanalyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler geht von einem Wertverlust in einer Größenordnung von 500 Euro je Fahrzeug aus.

Vergleich in Kanada

Kanadischen Kunden zahlt VW 2,1 Milliarden kanadische Dollar an Schadenersatz für Dieselautos mit manipulierter Abgasreinigung

Aktionärsklagen

Weltweit sieht sich Volkswagen zudem mit milliardenschweren Schadensersatzklagen von Investoren und Kleinaktionären konfrontiert. Die Inhaber von Aktien und Anleihen werfen Volkswagen vor, zu spät über das Ausmaß des Abgasskandals informiert zu haben und wollen einen Ausgleich für Kursverluste durchsetzen. Zu den Klägern gehören große US-Pensionsfonds, der Norwegische Staatsfonds, aber auch der Versicherungskonzern Allianz und die Dekabank. Auch die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen klagen wegen Kursverlusten von Pensionsfonds. Beim Landgericht Braunschweig liegen mehr als 1500 Klagen über insgesamt 8,8 Milliarden Euro vor. Dazu soll es ein Musterverfahren vor dem OLG Braunschweig geben. Anlegerklagen muss sich VW auch in den USA stellen.

Teure Anwälte

Die Scharen an Anwälten, die Volkswagen weltweit wegen des Dieselskandals beschäftigt, kosten ebenfalls viel Geld. Der Autoexperte Pieper geht von bis zu einer Milliarde Euro aus, sein Kollege Ellinghorst schätzt die Anwaltskosten auf mehrere hundert Millionen. Auch gegnerische Anwälte muss VW bezahlen - zum Beispiel 175 Millionen Dollar an Juristen, die in den USA die 475.000 Auto-Besitzer mit manipulierten 2,0-Liter-Motoren vertreten hatten.

Quelle: Reuters