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Wem die Stunde schlägt: So gelang der Ost-Firma Nomos der Durchbruch

Nomos ist zur erfolgreichsten Uhrenmarke der Nachwende-Republik geworden. Das verdankt sie Glück, viel Gespür für den Zeitgeist und einem ganz besonderen Trio.

Als Unternehmer muss man nicht nur Kreativität, Weitsicht und einen Schuss Wahnsinn mitbringen. Man sollte auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, wenngleich man dort vielleicht erst mal Depressionen kriegt.

Roland Schwertner erinnert sich noch genau an die Kohlenhaufen vor den Haustüren von Glashütte, das Aschgrau von Menschen und Gebäuden und an „Heidi’s Imbiss“, mit dem er sich anfangs einen Telefonanschluss teilte, der wichtig war. Weil er keinen Außendienst hatte, akquirierte Schwertner die ersten 50 Händler für seine neue Uhrenmarke Nomos per Telefon. Das alles ist erst 30 Jahre her.

Am 9. November 1989 ging die Mauer auf. Am 10. Januar 1990 erreichte der Buchhalter, Fotograf und EDV-Experte mit seinem schon damals alten Ford 20 M Coupé das ostdeutsche Uhrmacher-Städtchen Glashütte, das von der westlichen Welt zu jenem Zeitpunkt noch ähnlich weit entfernt war wie Ouagadougou.

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Schwertner hatte die Düsseldorfer Uhrenfirma M & M beraten und irgendwie gehört, dass es in dem Nest viel Know-how und Tradition gebe. So richtig wusste es eigentlich niemand. Aber weil er nun mal der erste Gast aus dem Westen war und zudem eine M & M-Visitenkarte hatte (auf der er den Namen des Geschäftsführers einfach durch seinen ersetzt hatte), wurde Schwertner in Glashütte sofort vom Direktorium der VEB Glashütter Uhrenbetriebe (GUB) empfangen wie ein reicher Onkel aus Amerika.

Kurz darauf meldete Schwertner in Berlin mehrere Marken an, darunter „Nomos“. So begann das, aber damit allein ist natürlich nicht geklärt, wie er es schaffen konnte, in den darauffolgenden Jahren sich so erfolgreich im Uhrenmarkt zu etablieren, auch wenn er schon 1992 in Düsseldorf seine erste Kollektion in dem typisch puristischen Bauhaus-Design präsentierte. Finanziert habe er den Start „mit den drei großen F: Friends, Family and Fools“. Die ersten sieben Jahre lang sei er „permanent von der Pleite bedroht gewesen“.

Nomos war die erste Uhrenmarke, die in Glashütte neu startete

Trotzdem begann der Aufstieg der bis heute erfolgreichen Modelle Tangente, Ludwig, Orion und Tetra schnell, was noch zwei weitere Gründe haben dürfte: Einerseits war Nomos nun mal die erste Uhrenmarke, die in Glashütte neu startete.

Andererseits fiel das Manufactum auf, das die Uhren 1993 in den eigenen Katalog aufnahm und später für einige Jahre sogar in den Gesellschafterkreis einstieg. Der auf den Geschmack der bourgeoisen West-Intelligenzija spezialisierte Versandhändler für „die guten Dinge“ gewährte Vorkasse für die mechanischen Nomos-Uhren, was Schwertner in jener Zeit rettete.

Erst nach ihm ging dann A. Lange & Söhne an den Start – von dem Nürnberger Unternehmer Günter Blümlein und Walter Lange reanimiert, dem Urenkel jenes Ferdinand Adolph Lange, der einst 1845 im Müglitztal mit dem Bau hochwertiger Uhren begann. Und auch wenn die feine Marke nach einigen Jahren vom Schweizer Luxuskonzern Richemont übernommen wurde – auch mit dem Standort ging es doch immer weiter bergauf.

Die Swatch Group, mit zuletzt rund 8,2 Milliarden Schweizer Franken der globale Marktführer in der Haute Horlogerie, kaufte im Jahr 2000 die aus der alten GUB hervorgegangenen und zu neuem Glanz geführten Marken Glashütte Original und Union Glashütte. Auch das Juwelierhaus Wempe baut vor Ort Uhren unter eigenem Namen und hat ein altes Planetarium oben am Berg übernommen, wo nun auch die Deutsche Chronometer-Prüfstelle sitzt, die Ganggenauigkeiten misst und die Deutschen damit noch ein bisschen unabhängiger von der Schweiz macht.

Die alte Familienfirma Mühle Glashütte hat sich inzwischen aus einer Insolvenz berappelt. Und Dieter Delecate, der mit Billiguhren aus Asien reich geworden ist, investiert mittlerweile einen Teil seiner Gewinne in den Wiederaufbau der alten Marke Tutima, die in Glashütte hochwertige Uhren mit teils selbst entwickelten Werken produziert.

Aber auch das ist nur ein Teil der Story. Mitte der 1990er-Jahre wurde Uwe Ahrendt auf Nomos aufmerksam, ein echter Glashütter. Ahrendt hatte in der DDR kein Abitur machen dürfen, weil er nicht drei Jahre zum Wehrdienst bei der NVA wollte. Also lernte er erst mal Werkzeugmacher, studierte nach der Wende Wirtschaftswissenschaften und fing seine Karriere schließlich bei der Schweizer Uhrenfirma IWC an. Von dort ging es für Ahrendt dann weiter zu A. Lange & Söhne und so zurück in die Heimat.

Als Angestellter hatte er in Glashütte eigentlich alles. Aber weil dort schon sein Großvater einst eine eigene Firma für Feinmechanik gegründet hatte, fehlte ihm vielleicht ein bisschen die unternehmerische Freiheit, die er in der Nachbarschaft bei dieser jungen, frecheren Marke Nomos erlebte. „Ich fand das gut, wie Roland das dort machte – sein Umgang mit Mitarbeitern, die Personalführung, die Ausrichtung“, erinnert er sich. Im Jahr 2000 stieg Ahrendt bei Schwertners Nomos ein, 2002 wurde er Gesellschafter, ebenso wie die westdeutsche Journalistin Judith Borowski, die sich fortan auf die Themen Marketing und Design konzentrierte.

Hoher Wettbewerbsdruck und bisweilen Streit

Eine ganz besondere deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte begann: Schwertner war fortan fürs Strategische zuständig, Borowski brachte die metropolige Spontaneität mit, Ahrendt kümmerte sich vor Ort in Glashütte mit ruhiger Uhrmacherpräzision ums Produkt. Bisheriger technologischer Höhepunkt: Ahrendts Uhrmacher-Team entwickelte für Nomos die ersten eigenen Manufakturkaliber. Das ist nicht nur eine Sache des Prestiges in der Branche, sondern bedeutet weitere Unabhängigkeit von den auch hier dominierenden Schweizer Uhrwerken, etwa jenen der Swatch-Tochter Eta.

Überhaupt fällt auf, dass sich die meisten der heute wieder in Glashütte ansässigen Uhrenmarken wirklich Mühe geben, eine besondere, eine eigene Qualität zu liefern, die sicher auch mit der harten Konkurrenz in der direkten Nachbarschaft zu tun hat. Sticheleien bis hin zu Ideenklau und Klagen gehören ebenso zur Tagesordnung wie Innovationen.

Mindestens genauso wichtig wie der Wettbewerbsdruck dürfte die „Glashütter Regel“ sein, nach der mindestens 50 Prozent der Wertschöpfung auf das sächsische Örtchen zurückgehen müssen. Das wiederum erlaubt es nicht, komplette Kaliber billig aus dem Ausland einzukaufen. Bei den meisten Marken liegt die Fertigungstiefe mittlerweile entsprechend eher bei 80 oder 90 Prozent.

Es ist eine Regel, die allen hilft: Sie macht die Arbeitsplätze vor Ort sicherer und liefert den Kunden eine Art Qualitätssiegel. Und so zerstritten die Firmen bisweilen untereinander waren und sind, profitieren doch alle von dem gewachsenen Image des „Glashütte S/A“. Und was überdies hilft: Die Familien der Ortsansässigen sind letztlich in allen Firmen zu Hause. Da arbeitete der Großvater bei der einen Manufaktur, der Sohn bei der anderen und der Enkel bei der Dritten. Das war Wissenstransfer, als es den Begriff noch gar nicht gab.

Was für die Schweiz die Uhrenindustrie, sei in Deutschland – in weit größerem Umsatzmaßstab – die Autobranche, findet Ahrendt: ein engmaschiges Netzwerk aus Produzenten und Zulieferern, lange gewachsener Expertise samt Ausbildungsstätten. Insofern ist dann Glashütte wiederum eine kleine Schweiz geworden. Und jede Uhrenmarke hat hier ihre Nische gefunden.

Nomos dürfte heute die meisten Uhren produzieren (geschätzt rund 35.000 Stück), A. Lange & Söhne dagegen den höchsten Umsatz einfahren. Im Vor-Ort-Ensemble bleibt Nomos der immer noch recht junge Sponti und ein Uhr gewordenes Statement für den Gemeinschaftskundelehrer, Architekten oder Kinderarzt. Gutes Gewissen fürs Handgelenk. Das hat auch damit zu tun, dass das Trio Ahrendt/Borowski/Schwertner vor politischem Engagement nicht zurückschreckte.

Statement gegen Fremdenhass

Irgendetwas muss nämlich selbst in Glashütte schiefgelaufen sein, wenn die AfD als Partei der Unzufriedenen hier zuletzt von einem Drittel der Wähler favorisiert wurde. Nachdem 2015 die große Flüchtlingswelle über die Bundesrepublik hereingebrochen war und sich der Fremdenhass in steigenden AfD-Wahlergebnissen manifestierte, hisste Judith Borowski vor der Firmenzentrale am alten Bahnhof ein Plakat: „Wir ticken international“.

Nomos bot seinen Beschäftigten danach Workshops zur politischen Bildung an. Seit Jahren schon unterstützt man Ärzte ohne Grenzen. Und Uwe Ahrendt sitzt (ohne Parteibuch, aber dennoch für die Grünen) als Vizebürgermeister im Glashütter Stadtrat.

Was andere Firmen in den vergangenen Jahren mühsam zu suchen begannen, hat das Nomos-Team quasi in den Genen: Purpose. So viel Erfolg muss sogar die Schweizer Konkurrenz anerkennen: Mittlerweile wurde die junge deutsche Uhrenmarke Nomos sogar in die in Genf ansässige Fondation de la Haute Horlogerie aufgenommen, eine Art Artusrunde der Branche, in der man glanzvollste Marken wie Rolex, Audemars Piguet oder Patek Philippe als Nachbarn hat.

Ähnlich wie die wurden natürlich auch all die Luxusmarken in Glashütte nun von Corona getroffen, obwohl der Standort D gegenüber der Schweizer Konkurrenz weiterhin Vorteile hat: Die Löhne in Glashütte sind niedriger, das Geschäft nicht so extrem exportorientiert wie bei eidgenössischen Marken, die bis Corona teils über 50 Prozent ihrer Umsätze dem asiatischen Markt verdankten.

Herausforderung Coronakrise

„Wir können Krise“, glaubt Schwertner – von der Hochwasserkatastrophe im Jahr 2002 über das Weltfinanzdesaster 2008 bis zu Corona sei man eigentlich immer dann zu Hochform aufgelaufen, wenn es ernst wurde. Eigentlich wollte der 67-Jährige längst kürzertreten, aber jetzt seien seine Fähigkeiten als Controller und Buchhalter doch noch mal gefragt. „Wir als Nomos haben eigentlich keine Lust auf Kontrolle, aber jetzt muss es eben sein.“
Corona stellt auch und vor allem die Uhrenbranche vor gewaltige Herausforderungen. Aber sie werden das schon hinkriegen – in Glashütte generell wie bei Nomos. Purpose, Company Cluster, Diversity, Brand Management, First Mover Advantage, Knowledge-Transfer, Corporate Identity – all die hohlen Anglizismen aus den Management-Lehrbüchern haben sich in Glashütte auf magische Weise mit buntem, deutschem Leben gefüllt.

30 Jahre nach der Wende ist Nomos eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte – ein bisschen wie die Einheit selbst: Beide waren mit etlichen Problemen konfrontiert. Beide hatten’s nicht leicht. Und zu Ende ist so eine Reise eh nie. Aber bisher hat’s für beide ganz gut geklappt: für das wiedervereinigte Deutschland wie für Nomos. Eine fruchtbare Zeit-Reise.