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Zeitenwende für Lebensversicherte: Was der Generali-Deal für die Branche bedeutet

Frank Grund warb wortreich um Verständnis. „Ein externer Run-off darf nicht verteufelt werden“, verwahrte sich der oberste Versicherungsaufseher der Finanzaufsicht Bafin vor wenigen Tagen in Berlin gegen eine pauschale Kritik an der Veräußerung von alten Lebenspolicen an Drittfirmen – in der Branche als externer Run-off bekannt.

Was wie eine grundsätzliche Bemerkung daherkam, war auch eine Verteidigungslinie in eigener Sache. Erst vor wenigen Wochen winkte die Bafin einen Verkauf der Generali Leben samt vier Millionen Verträgen an den Abwickler Viridium ohne großes Getöse durch – den größten Deal dieser Art bisher in Deutschland.

Es ist ein Abschluss, der den Markt verändern könnte. „Wir sind überzeugt, in den nächsten Jahren noch weitere Transaktionen zu sehen, und das nicht nur im Bereich der Bestandsübertragung“, sagte Christian Thimann, Vorstandschef des Viridium-Konkurrenten Athora.

Der Generali-Deal ist damit nicht nur ein Befreiungsschlag für die deutsche Tochter des drittgrößten europäischen Versicherers. Er markiert auch eine Zäsur für die Branche in Deutschland. Denn die Transaktion umfasst garantierte Kapitalanlagen in Höhe von 37,1 Milliarden Euro und ist der mit Abstand größte Verkauf eines Lebensversicherungsportfolios an einen Abwickler in Deutschland.

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Rund vier Millionen Kunden haben künftig eine Spezialfirma als Geschäftspartner für ihre Altersvorsorge, ihre Berufsunfähigkeits- oder Risikolebensversicherungen, hinter der ein britisches Private-Equity-Unternehmen steht – und nicht mehr wie bislang den italienischen Versicherer.

Viridium ist nun zu 80 Prozent im Besitz des Finanzinvestors Cinven, rund 20 Prozent der Anteile liegen beim deutschen Rückversicherer Hannover Rück. Dass dieser Megadeal ohne große öffentliche Erregung durchging, dürften viele Konkurrenten aufmerksam registrieren. Bisher galten größere Übertragungen als politisch heikel und in der Öffentlichkeit als kaum vertretbar.

Eine Lektion, die der Düsseldorfer Erstversicherer Ergo noch im Herbst des Jahres 2017 auf die harte Tour lernen musste. Nach einer monatelangen Prüfung stoppte das Versicherungsunternehmen den Verkauf zweier Portfolios mit insgesamt sechs Millionen Lebensversicherungen kurz vor der Zielgeraden.

Als Gründe nannten die Düsseldorfer intern nicht nur enttäuschende Preisangebote für den Bestand, sondern auch die öffentliche Resonanz. Zu heftig war damals die Kritik – von Kunden, aber auch aus der Politik, weshalb Ergo zurückzog. Politiker forderten damals, Lebensversicherern den Verkauf ihrer Bestände grundsätzlich zu verbieten.

Doch ein ähnlicher Aufschrei blieb beim Generali-Deal nun aus. „Was ich beobachte, ist, dass sich die Diskussion inzwischen versachlicht hat“, meint Achim Kassow, Vorstandschef der Ergo Deutschland.

Verbraucherschützer sind geteilter Meinung

Zwar werden bei Gewerkschaftern und Politikern die Deals weiterhin mit großer Skepsis verfolgt. „Die Generali lässt ihre Kunden im Regen stehen“, kritisierte beispielsweise Grünen-Politiker Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende. Es sei sehr fraglich, ob eine Abwicklungsplattform wie Viridium eine ebensolche Stabilität aufweisen kann wie der Generali-Konzern, sagte Schick.

Doch es gibt unter den Verbraucherschützern auch andere Stimmen. „Es muss für Verbraucher kein schlechter Deal sein, von jemandem wegzukommen, der ohnehin keinen Bock mehr auf ihn hat, und hin zu jemandem, der richtig Bock auf den Kunden hat“, sagte Lars Gatschke, Versicherungsexperte des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, schon beim Abschluss des Geschäfts. Grundsätzlich sollte sich durch den Weiterverkauf der Verträge nichts für die Kunden ändern.

So oder so laufen deren Verträge bis zum Ende weiter – inklusive der garantierten Leistungen. Auch Bewertungsreserven und weiteres Vermögen bleiben im Kollektiv erhalten. Dennoch fürchten Kritiker langfristig negative Folgen für die betroffenen Kunden. „Da die Gewinnung von Neukunden keine Rolle mehr spielt, dürfte sich auch das Interesse an den Bestandskunden verringern“, warnte der Chef des Bundes der Versicherten, Axel Kleinlein. Denn der Renditegedanke stehe bei den neuen Eigentümern im Vordergrund.

Verbraucher müssen sich bei einem Verkauf ihrer Lebensversicherung an Abwicklungsspezialisten nach Einschätzung von Versicherungsmathematikern nicht grundsätzlich Sorgen machen. „Eine schlecht gemachte hausinterne Abwicklung der Altbestände kann unter Umständen für Kunden schwieriger sein als ein Verkauf“, sagte vor einiger Zeit Guido Bader, neuer Vorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV).

Auch ein Festhalten der Assekuranzen an einem Bestand, der kein Neugeschäft mehr dazubekommt, kann also für die Kunden am Ende teuer werden. Das Problem hierbei ist: Die Bestände schrumpfen, die Kosten für die Verwaltung dieses Bestandes aber nicht.

Kundenbeschwerden in Großbritannien

Erfahrungen mit Abwicklern von Lebensversicherungspolicen in Deutschland gibt es über einen längeren Zeitraum noch nicht. In Deutschland sind in den vergangenen Jahren lediglich Bestände mit mehreren 100.000 Verträgen verkauft worden. Seither gab es nur wenige Beschwerden von Kunden. In Großbritannien ist das anders.

Dort wurden vor mehr als zehn Jahren Bestände verkauft. Kunden beschwerten sich dort über einen teils sehr ruppigen Umgang der Abwickler und einen Service, der immer schlechter wurde. Doch die Abwicklungsspezialisten betonen, dass sich die Erfahrungen auf der Insel nicht mit der Situation in Deutschland vergleichen ließen.

Zumal die Finanzaufsicht Bafin ein scharfes Auge auf die Übertragungen in Deutschland wirft. So pochte die Aufsichtsbehörde bisher stets darauf, dass die Kunden unter einem neuen Eigentümer nicht schlechtergestellt werden als vorher – ein Käufer der Policen müsste dementsprechend so kapitalstark sein wie sein Vorbesitzer. Die Bafin überwacht im Übrigen anschließend auch die Käufer, die den gleichen Regeln unterliegen wie vorher der Verkäufer.

Frank Grund, oberster Aufseher für das Versicherungswesen, definiert die Rolle seines Hauses dabei eindeutig aufseiten der Kunden. Die Aufsicht werde die Belange der Versicherten wahren – nicht nur in finanzieller Hinsicht. „Je größer der Bestand, desto strikter die Anforderungen an mögliche Käufer“, sagte Grund.

So hält der oberste deutsche Finanzaufseher Felix Hufeld nichts davon, den Verkauf von Lebensversicherungsbeständen an Abwickler zu verbieten. „Ein Verkauf ist kein Verrat am Kunden, sondern eine legitime unternehmerische Entscheidung“, betonte er vor einiger Zeit.

Pauschale Urteile fallen daher schwer. Verbraucher sollten unbedingt im Einzelfall prüfen, wie ertragsstark ihr Vertrag ist, riet jüngst Annabel Oelmann, Chefin der Verbraucherzentrale Bremen. Die Verbraucherzentrale bietet dazu ein schriftliches Gutachten an, das eine Entscheidungsgrundlage bietet.

„Weitere Transaktionen“ bei kleineren Versicherern erwartet

Viele Versicherungsunternehmen wittern angesichts des gelungenen Probelaufs der Generali vor diesem Hintergrund nun neue Spielräume. Branchengrößen wie die genossenschaftliche R+V Versicherung und Deutschlands Nummer eins, Allianz Leben in Stuttgart, schließen einen Run-off ihrer Lebensversicherungsbestände zwar seit Längerem kategorisch aus. „Wir fühlen uns unseren Kunden langfristig verbunden“, betonte die zuständige Leben-Vorstandsfrau der R+V Versicherung, Claudia Andersch, vor wenigen Tagen mit einem kleinen Seitenhieb auf die Konkurrenten, die ihre Bestände verkaufen.

Doch bei vielen kleineren Anbietern ist man intern längst ins Grübeln geraten. „Nach dem jüngsten weitreichenden Schritt werden wir sicher vermehrt weitere Transaktionen sehen, in denen sich einzelne Versicherer von Lebensversicherungsbeständen oder Teilen ihrer Bestände trennen werden“, prognostiziert Michael Klüttgens, Leiter der Versicherungsberatung von Willis Towers Watson Deutschland.

Viele Anbieter haben ihre klassischen Bestände bereits für das Neugeschäft dichtgemacht und verkaufen lieber nur noch neue Angebote mit weniger Garantien. Die Verwaltung der schrumpfenden Altbestände wird so Jahr für Jahr teurer, denn die Fixkosten sinken nicht – die Zahl der verwalteten Verträge aber schon.

So ist der Befund bei vielen Assekuranzen der gleiche: Das einstmalige Vorzeigegeschäft mit der klassischen Lebensversicherung mit hohen Garantien ist zum Ballast geworden. Die Dauerniedrigzinsen und hohen Garantieversprechen aus der Vergangenheit lasten wie Blei auf den Unternehmen. Die Abwickler versprechen dagegen, mit niedrigeren Kosten zu arbeiten und diesen Vorteil zumindest teilweise an die Kunden weiterzugeben.

Jeder dritte Versicherer soll überlegen, seine Altbestände abzugeben, hieß es vor einigen Monaten vonseiten der Spezialfirmen. Der deutsche Run-off-Markt für Lebensversicherungen wird in den kommenden Jahren weiter wachsen, erwartet die Ratingagentur S & P in einer aktuellen Analyse. Allerdings gehen die Experten nach dem Generali-Megadeal von einem schwächeren Wachstum als in den vergangenen Jahren aus.

Die Ratingagentur Fitch rechnet damit, dass die Lebensversicherer bis 2022 ein Fünftel ihres Bestandes auf Halde legen und ihr Neugeschäft einstellen werden. Wie viele Assekuranzen dabei die bestehenden Verträge im eigenen Unternehmen bis zum Ablauf halten und wie viele sie an eine Run-off-Firma verkaufen, ist ungewiss. Der Generali-Deal hat dem Weiterverkauf allerdings neue Aufmerksamkeit beschert.

Wer neben Viridium Bestände aufkauft

Nach dieser Transaktion liegt Viridium unter den Spezialabwicklern nun deutlich an die Spitze. Die Firma aus Neu-Isenburg bei Frankfurt hatte hierzulande bisher mit dem Portfolio von Heidelberger Leben, Skandia und Entis (einst Protektor) nur drei kleinere Bestände übernommen. Doch neben Viridium buhlen auch die Frankfurter Leben sowie Athora, die frühere Athene Leben, als Spezialplattformen um die Altbestände der Versicherer.

Hinter den Firmen stecken bekannte Namen. Bei Viridium sind es der Rückversicherer Hannover Rück aus dem MDax sowie der Finanzinvestor Cinven; bei Frankfurter Leben die BHF Bank und der chinesische Großinvestor Fosun. Athora gehört einer gleichnamigen Finanzholding, die mit dem Finanzinvestor Apollo verbunden ist.

Einigen Kunden bereitet die Aussicht, dass ihre private Altersvorsorge künftig in den Händen von Finanzinvestoren liegt, allerdings trotz aller Beschwichtigungen weiter Bauchschmerzen. Die Ergo baut deshalb, auch wegen der öffentlichen Empörung über den von ihr einst erwogenen Verkauf alter Policen, für ihren internen Run-off lieber auf ein anderes Modell.

Zusammen mit dem IT-Konzern IBM wollen die Düsseldorfer eine Plattform aufbauen, über die später auch Bestände anderer Versicherer verwaltet werden können – ohne sie zu übernehmen. Die Assekuranzen würden damit öffentliche Kritik vermeiden, denn die Bestände blieben in deren Hand. Allerdings bleiben auch die milliardenschweren Kapitalbelastungen in den Büchern der Versicherer.

Munich-Re-Boss Joachim Wenning hält das für eine interessante Lösung. Sein Argument: „Das ist in jedermanns Interesse, weil die Kosten auch im Interesse der Kunden geteilt werden.“ Wenning ist in dieser Frage allerdings nicht völlig neutral: Munich Re ist schließlich der Mutterkonzern der Ergo.