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SPD warnt Union vor „Schlag ins Gesicht von geschädigten VW-Kunden“

Das Kabinett nimmt den Gesetzentwurf für neue Klagerechte im Dieselskandal kurzfristig von der Tagesordnung – die Union pocht auf Änderungen.

Eigentlich war die Sache zwischen Union und SPD klar. „Durch die Einführung einer Musterfeststellungsklage werden wir die Rechtsdurchsetzung für die Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Die SPD sprach von einem „zentralen Koalitionsprojekt“, die federführende Justizministerin Katarina Barley (SPD) pochte auf ein zügiges Gesetzgebungsverfahren und auch in der Union wurde die neue Klagemöglichkeit als ein „wichtiges und wirksames Instrument des Verbraucherschutzes“ gesehen.

Doch in der derzeit laufenden regierungsinternen Ressortabstimmung über den Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium hakt es, sodass zum jetzigen Zeitpunkt offen ist, wann das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren beginnen kann. Die SPD macht die CDU und die CSU für die Verzögerung verantwortlich.

„Bei der Frage der Klagebefugnis mauert die Union und bringt den Zeitplan in Gefahr“, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, dem Handelsblatt. „Für den überraschenden Diskussionsbedarf der Unions-Ressorts Kanzleramt sowie Innen- und Verkehrsministerium habe ich nach den detaillierten Vereinbarungen in den Koalitionsverhandlungen kein Verständnis.“

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Durch die Musterfeststellungsklage sollen in Deutschland erstmals Verbraucher mit gleichen Schadensfällen gemeinsam vor Gericht Ersatz einfordern können. Allerdings wollen Union und SPD nicht eine Sammelklage einführen, sondern Verbänden das Recht zu einer Musterfeststellungsklage einräumen.

Diese Verbände können dann im Namen der Verbraucher, die sich in ein Klageregister eintragen, einen Schaden feststellen lassen. Im Anschluss kann der im Register eingetragene Geschädigte vergleichsweise einfach Schadensersatz verlangen.

Bislang verzichten die meisten Verbraucher wegen Prozesskosten und Aufwand darauf, ihre Ansprüche vor Gericht durchzusetzen. Mit dem neuen Klageinstrument soll das anders werden. Kommt es rechtzeitig, dann könnten Geschädigte wie etwa im Dieselskandal um Volkswagen profitieren und Schadensersatzansprüche geltend machen. Die Betonung liegt auf „könnten“. Denn der Teufel steckt im Detail, wie sich jetzt zeigt.

Das, worin die Union jetzt ein Problem sieht, schien im Koalitionsvertrag eigentlich gelöst. Dort sei, wie Fechner betont, „glasklar vereinbart“ worden, „dass nur qualifizierte Einrichtungen wie die Verbraucherzentralen, der ADAC oder der Mieterbund klagebefugt sein sollen“. CDU und CSU ist das aber nun offenbar zu vage. Sie sehen die Gefahr, dass Kanzleien mit Sitz in europäischen Ländern über das EU-Recht eine lukrative Musterfeststellungsklage in Deutschland erzwingen könnten.

„Wir wollen weder großen Kanzleien noch Verbänden mit dem Geschäftsmodell Abmahnungen ein neues Feld auf dem Silbertablett präsentieren“, sagte die rechts- und verbraucherpolitische Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), dem Handelsblatt. „Unter anderem deshalb muss die Klagebefugnis für Musterfeststellungsklagen deutlich enger gefasst werden, als das Recht zu Abmahnungen nach dem Unterlassungsklagen-Gesetz.“

Die CDU-Politikerin warf dem Justizministerium vor, eine Einigung zu verhindern. Das Justizministerium „steht auf der Bremse“, wenn es nun im vierten Gesetzentwurf mit der im Wesentlichen unveränderten Liste nach dem Unterlassungsklagen-Gesetz daherkomme. In der Liste, die vom Bundesamt für Justiz geführt wird, sind derzeit 78 sogenannte „qualifizierte Einrichtungen“ aufgeführt, die damit als klageberechtigt anerkannt sind.

Im Koalitionsvertrag ist zwar zur Musterfeststellungsklage vereinbart, dass eben solche qualifizierten Eirichtungen mit der Klagebefugnis ausgestattet werden sollen. Die Union will dies nun aber, wie Winkelmeier-Becker erläuterte, durch eine „individuell erteilte Befugnis an seriöse Verbände auf einer Positivliste ermöglichen“. Auf den Verbraucherzentrale Bundesverband, den Mieterbund und den ADAC könne man sich sofort einigen, fügte die CDU-Politikerin hinzu. „Dann wäre die rechtzeitige Klagemöglichkeit zugunsten der Dieselkäufer garantiert; das ist auch unser erklärtes Ziel und so vereinbart.“

Der CSU-Rechtspolitiker Volker Ullrich sieht indes keinen Grund, die Ressortabstimmung weiter zu verzögern. „Für mich ist wichtig, dass die Ressortabstimmung sehr zügig zum Abschluss kommt und wir zur Vorlage an den Bundestag kommen“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt. „Die Details werden dann im Parlament beraten.“ Was nicht einfach werden dürfte.

Denn der SPD-Politiker Fechner erteilte der Forderung Winkelmeier-Beckers, die Klagebefugnis auf nur wenige Berechtigte zu verengen, eine klare Absage. Er hält das für überflüssig, weil die besagten Einrichtungen ohnehin nur dann klageberechtigt seien, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Zum Beispiel dürften sie nicht extra für den Zweck einer Musterfeststellungsklage gegründet worden sein, sondern müssten mehrere Jahre bestehen und eine Mindestzahl an Mitgliedern haben, erklärte Fechner.

Zudem würden die entsprechenden Institutionen vom Bundesamt für Justiz nur dann in die Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragen, wenn auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit gesichert erscheint, dass sie ihre satzungsmäßigen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen werden. „Die Union malt trotzdem weiter das Bild einer missbräuchlichen Klageindustrie“, kritisierte Fechner.

Risiken sieht indes auch die Wirtschaft. Der Chefjustiziar des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Stephan Wernicke, gab kürzlich im Handelsblatt zu bedenken, dass sich die Klageberechtigung schon aus europarechtlichen Gründen nicht auf wenige vertrauenswürdige Einrichtungen wie deutsche Verbraucherverbände beschränken lasse.

Um eine „internationale Klageindustrie“ zu verhindern, schlug Wernicke deshalb die Einrichtung einer öffentlich-rechtlichen Ombudsstelle mit Klageberechtigung vor. „Eine solche neutrale und effektive Konfliktlösung für alle Beteiligte streben auch die Unternehmen an“, sagte er.

Von einer Beschränkung der Klagebefugnis auf wenige ausgewählte Institutionen hält Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller wenig. „Die Musterfeststellungsklage ist viel mehr als nur eine Reaktion auf den VW-Skandal“, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), dem Handelsblatt.

Sie solle Verbrauchern in einer Vielzahl von Fällen helfen, beispielsweise wenn es um unwirksame Gas- und Strompreiserhöhungen geht oder auch um Fälle im Miet- oder Reiserecht. „Das wird aber nur funktionieren, wenn auch solche Verbände klagebefugt sind, die sich in den Spezialthemen auskennen.“

Auch für die SPD kommen die Vorschläge aus der Union und aus der Wirtschaft nicht in Frage. Die Einrichtung einer öffentlich-rechtlichen Ombudsstelle oder die Beauftragung einzelner Stellen mit Klageberechtigung sei in den Koalitionsverhandlungen zwar besprochen, aber abgelehnt worden. Ein Ausweg aus dem Dilemma ist damit nicht absehbar.

Das ist insofern pikant, als sich Union und SPD bei der Musterfeststellungsklage selbst unter Zeitdruck gesetzt haben. Laut Koalitionsvertrag soll sie am 1. November 2018 in Kraft treten. Hintergrund ist, dass damit eine Verjährung der Schadensersatzansprüche der Besitzer von VW-Diesel-Pkw verhindert werden soll. Die Ansprüche wegen manipulierter Abgaswerte laufen Ende 2018 aus.

Entsprechend deutlich mahnt Fechner, das Gesetzgebungsverfahren nun zügig fortzusetzen: „Die Zeit drängt jetzt, wenn das Gesetz rechtzeitig zum 1. November in Kraft treten soll“, sagte er. Denn für die SPD sei klar: „Für geschädigte VW-Kunden wäre es ein Schlag ins Gesicht, wenn wir es als Gesetzgeber nicht hinbekommen, dass die Verjährungshemmung rechtzeitig noch vor Jahresende greift.

Auch VZBV-Chef Müller warnte vor weiteren Verzögerungen. „Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie Wort hält“, sagte er. „Wenn die Ministerien sich nicht bald einigen, wird das Gesetz zu spät kommen und den VW-Geschädigten nicht mehr helfen.“