SPD-Linke trommeln für Linksbündnis
Für die Koalitionsparteien CDU/CSU und läuft derzeit wenig rund. Vor allem die Sozialdemokraten scheinen in der Großen Koalition kein Bein mehr auf den Boden zu kriegen. Glaubt man Umfragen, gelingt es der Partei von immer weniger, mit ihrer Politik bei den Wählern durchzudringen.
Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die nach der Erhebung des Instituts Insa für die „Bild“-Zeitung auf nur noch 19 Prozent. Die Unionsparteien erreichten demnach 30 Prozent. Damit würden die Koalitionsparteien erstmals unter die 50-Prozent-Marke fallen. Laut „Bild“-Zeitung haben Union und SPD damit so wenig Zustimmung wie nie zuvor. Bitter für Gabriel: Die rechtspopulistische käme mit 15 Prozent bis auf vier Punkte an die SPD heran.
Und wie reagiert der Parteivorsitzende? Am Wochenende skizzierte Gabriel eine mögliche Strategie gegen den Untergang: Mit dem Schwerpunktthema soziale Gerechtigkeit, so die Ansage, sollen die Wähler von der zurückgeholt werden. In der SPD wird die Themensetzung zwar als richtig empfunden, Parteilinke haben jedoch Zweifel, ob das am Ende reichen wird, um die Bundestagswahl im Herbst kommenden Jahres zu gewinnen.
Nach Ansicht der Juso-Vorsitzenden, Johanna Uekermann, wird die SPD nur dann bei den Wählern wieder punkten können, wenn sie glaubhaft darlegt, wie sie ihr Versprechen nach sozialer Gerechtigkeit einlösen will. „Wir müssen einen Weg aufzeigen, wie wir dieses Ziel nach 2017 erreichen wollen“, sagte Uekermann dem Handelsblatt. „Deshalb brauchen wir eine rot-rot-grüne Koalition. Mit der Union kann man keine soziale Politik machen.“
Das sieht der SPD-Bundesvize Ralf Stegner genauso. „Mit der Union gibt es weder eine Bürgerversicherung, noch eine gerechte Steuerpolitik oder eine moderne Familienpolitik und Integrationspolitik, die diesen Namen verdient, ist mit den tief zerstrittenen Unionsparteien CDU/CSU auch nicht zu machen. Wir wollen diese große Koalition deshalb nicht fortsetzen“, sagte der Parteilinke dem Handelsblatt. Was sich daraus an politischen Optionen ergebe, entschieden aber die Wähler im kommenden Jahr. „Die Grünen sind uns politisch am nächsten, die muss sich endlich entscheiden, ob sie Opposition bleiben und die SPD zum Hauptgegner erklären, oder sich zu einer ernsthaften und kompromissbereiten potentiellen Regierungspartei weiterentwickeln will.“
Das ist derzeit aber nicht absehbar, obwohl die Linke mit ähnlichen Problemen wie die SPD zu kämpfen hat. Der Erfolg der AfD trifft auch die Linken ins Mark. Das liegt vor allem daran, dass beide um dieselben Wählergruppen konkurrieren. Es sei nicht gelungen, diejenigen anzusprechen, „die auf der Strecke geblieben sind“, sagte Parteichef Bernd Riexinger am Wochenende auf dem Parteitag in Magdeburg.
Was Linke und AfD eint
Spiegelbildlich spricht etwa der -Vize Alexander Gauland davon, die sei die „Partei der kleinen Leute“. Aus Sicht von Wahlforschern ist dieser Prozess in Ostdeutschland besonders deutlich. Waren bislang die sogenannten Wendeverlierer, für die die deutsche Einheit einem sozialem Abstieg gleichkam, treue Anhänger der Linken, scheinen sie nun unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise scharenweise zur AfD zu wechseln.
In beiden Parteien finden sie Gemeinsamkeiten. Linke und AfD eint die Absage an die bestehenden Verhältnisse. Sie lehnen die etablierten Parteien entschieden ab und wollen die Gesellschaft radikal umbauen. Außenpolitisch wollen AfD und Linke die Bindungen an den Westen lockern und auf Russland zugehen. Beide Parteien verfolgen einen Kurs der Fundamentalopposition, denn eine erfolgversprechende Strategie für eine Gestaltungsmehrheit nach der Bundestagswahl 2017 haben sie nicht. Und wenn die Linke sich nicht, wie Stegner fordert, zu Kompromissen bereit zeigt, dürfte ein Linksbündnis ohnehin passé sein.
Um das Verhältnis der Linken zur ist es sowieso nicht zum Besten bestellt. Linkfraktionschefin Sahra Wagenknecht etwa warf der beim Parteitag in Magdeburg vor, Angebote für gemeinsame Projekte wie eine Millionärssteuer auszuschlagen. Co-Parteichefin Katja Kipping läutete einmal mehr das Totenglöcklein für die SPD: „Die Epoche der Sozialdemokratie ist beendet.“ sind für viele Linke ohnehin nur eine ökologisch angehauchte .
Vor allem in der K-Frage scheiden sich die Geister. Den Vorstoß ihres Vorgängers an der Bundestagsfraktionsspitze Gregor Gysi für einen rot-rot-grünen Kanzlerkandidaten fegte Wagenknecht in Magdeburg als „absurd“ vom Tisch. Andere Linke, wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jan Korte halten dagegen Gysis Vorschlag für eine „schlaue Überlegung, zu gucken, wie man aus einem rot-rot-grünen Bündnis reale Politik machen kann, um etwas zu verändern“. Schließlich sei eine andere Machtperspektive kaum realistisch.
Die Jusos definieren die Leitfrage für SPD, Grüne und Linke
Juso-Chefin Uekermann hält solche Gedankenspiele für verfrüht. „Viel wichtiger, als sich auf eine Person zu einigen, ist, dass die Parteien – sowohl als auch Grüne und Linke – damit anfangen, sich um ein gemeinsames Gesellschaftsprojekt zu kümmern“, sagte sie. „Welche Gesellschaft wollen wir und was müssen wir tun, damit wir dort hinkommen – das muss die Leitfrage für , Grüne und Linke sein.“ Danach könne man auch über Personal reden.
Gleichwohl plädiert Uekermann dafür, einen eigenen SPD-Kanzlerkandidaten aufzustellen. Auf die Frage, ob ein SPD-Kanzlerkandidat noch vor der NRW-Wahl im kommenden Jahr gekürt werden solle, antworte sie: „Programm und Inhalte sind für mich wesentlich entscheidender, als die ganze Zeit über Personal zu reden.“ Die SPD müsse sich erst auf Themen verständigen, auf die man setzen wolle. „Ich halte es deshalb für Quatsch schon vor 2017 über Personal zu sprechen.“
In der Parteispitze dürfte sie damit auf offene Ohren stoßen, zumal die SPD derzeit ganz andere Probleme zu bewältigen hat. Sie habe schon den Eindruck, dass der Parteispitze klar ist, wie ernst die Lage für die Sozialdemokraten sei. „Wir müssen jetzt alle mit anpacken, um die SPD aus dem 20-Prozent-Turm herauszuholen“, sagte Uekermann. Daher sei es richtig, das Thema Gerechtigkeit stärker in den Fokus zu nehmen. Die SPD müsse in diesem Bereich wieder ihr Profil schärfen.
Der Juso-Chefin reicht das aber nicht. Sie fordert, „noch konsequenter“ zu sein. „Mir fehlt das Thema Vermögensungleichheit“, sagte Uekermann. Sie verwies auf eine Umfrage, wonach 82 Prozent der Bevölkerung dächten, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland zu groß sei. „Da ist die SPD gefragt, Lösungen aufzuzeigen“, betonte die Juso-Chefin. „Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine höhere Besteuerung von Erbschaften sorgen für mehr Gerechtigkeit.“
Stegner hält es indes zunächst für dringlich, dass seine Partei zu alter Stärke zurückfindet. „Fakt ist, dass die SPD selbst wieder stärker werden und sich in Richtung 30 Prozent steigern muss, bevor es lohnenswert ist, sich über Koalitionsoptionen ernsthafte Gedanken zu machen“, sagte er. „Dazu ist eine konsequente Ausrichtung an unserem sozialdemokratischen Markenkern der Gerechtigkeit als Maßstab und Kompass für unsere Politik erforderlich.“ Das reiche von Alltagsfragen wie Arbeit, Bildung, Familie, Gesundheit oder Rente bis zu Fragen globaler Gerechtigkeit und einem „beherzten“ Eintreten für ein soziales und friedliches Europa.
KONTEXT
Chronik einer gescheiterten Volkspartei
März 2015
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) zweifelt offen an den Erfolgsaussichten der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 2017. "Vielleicht müssen wir noch eine Weile warten, bis wir wieder Autogrammkarten eines sozialdemokratischen Kanzlers verteilen können", sagt er in einem Interview. Im Juli stellt der Kieler Regierungschef zur Empörung der Genossen in Frage, ob die SPD überhaupt noch einen Kanzlerkandidaten aufstellen soll.
Juni 2015
Auch inhaltlich gerät Gabriel unter Druck. Insbesondere der linke Flügel nimmt ihm die Zustimmung zur Vorratsdatenspeicherung übel, für die er nach langen Debatten auf einem Parteikonvent im Juni eine Mehrheit bekommt. Zudem werfen viele Genossen dem Vorsitzenden Alleingänge in Sachen Pegida-Bewegung oder Griechenland-Krise vor. Umstritten bleibt auch Gabriels grundsätzliche Zustimmung zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP.
Dezember 2015
Auf dem Berliner Parteitag der SPD bekommt Gabriel den Unmut der Genossen ganz direkt zu spüren: Bei seiner Wiederwahl zum Vorsitzenden strafen ihn die Delegierten mit 74,3 Prozent ab - fast zehn Punkten weniger als bei der Wahl zwei Jahre zuvor. Der Parteichef ruft den Delegierten trotzig zu: "Jetzt ist mit Drei-Viertel-Mehrheit in dieser Partei entschieden, wo es langgeht - und so machen wir das auch."
März 2016
Während die SPD aus den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz als Siegerin hervorgeht, bricht sie in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt ein und fällt hinter die rechtspopulistische AfD zurück. Demonstrativ versuchen führende Genossen am Tag nach der Wahl, etwaige Personaldebatten im Keim zu ersticken. Gabriel gibt sich kämpferisch und verkündet trotzig, der SPD-Status einer Volkspartei hänge nicht an Wahlergebnissen.
April 2016
Obwohl er kurz nach der Wahl bekundet, er sehe keinen Grund zum "Nachjustieren", wartet Gabriel vier Wochen später mit einem neuen Vorschlag auf: Er stellt die geplante Absenkung des Rentenniveaus auf bis zu 43 Prozent bis 2030 infrage - und überrascht damit auch die eigenen Parteifreunde. Zugleich sieht das Meinungsforschungsinstitut Insa die SPD mit 19,5 Prozent erstmals unter der 20-Prozent-Marke. Auch andere Institute sehen die SPD im 20-Prozent-Bereich.
Mai 2016
Angesichts des anhaltenden Tiefs in den Meinungsumfragen und einer Erkrankung Gabriels machen erneut Rücktrittsgerüchte die Runde - die der Vorsitzende schnell dementiert: "Dass man in Deutschland nicht mal mehr krank werden darf als Politiker, ohne dass einer dummes Zeug erzählt, hat mich auch ein bisschen überrascht", sagt der Vizekanzler. Er reagiert damit auf den "Focus"-Herausgeber Helmut Markwort, der gesagt hatte, Gabriel wolle zurücktreten.
KONTEXT
Die SPD-Vorsitzenden seit 1968
11.05.1946 - 20.08.1952
Kurt Schumacher
27.09.1952 - 14.12.1963
Erich Ollenhauer
16.02.1964 - 14.06.1987
Willy Brandt
14.06.1987 - 29.05.1991
Hans-Jochen Vogel
29.05.1991 - 03.05.1993
Björn Engholm
03.05.1993 - 25.06.1993
Johannes Rau (kommissarisch)
25.06.1993 - 16.11.1995
Rudolf Scharping
16.11.1995 - 12.03.1999
Oskar Lafontaine
12.03.1999 - 21.03.2004
Gerhard Schröder
21.03.2004 - 15.11.2005
Franz Müntefering
15.11.2005 - 10.04.2006
Matthias Platzeck
14.05.2006 - 07.09.2008
Kurt Beck
07.09.2008 - 18.10.2008
Frank-Walter Steinmeier (kommissarisch)
18.10.2008 - 13.11.2009
Franz Müntefering
Seit 13.11.2009
Sigmar Gabriel