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Wie die Schweizer Reederei MSC zur globalen Seemacht wurde

Aus einer kleinen Firma hat Gianluigi Aponte die zweitgrößte Reederei der Welt geformt. Doch das Familienunternehmen lässt sich kaum in die Karten schauen.

Die gesamte Flotte umfasst 520 Schiffe. Foto: dpa
Die gesamte Flotte umfasst 520 Schiffe. Foto: dpa

Im Aquarium in der Lobby ziehen Neonfische ihre Kreise. Das echte Meer ist meilenweit entfernt von dem unscheinbaren Glasbau im Chemin de Rieu in Genf. Und hier residiert die Mediterranean Shipping Company (MSC). Die zweitgrößte Containerreederei der Welt hat ihren Sitz in einem Land ohne Meereszugang.

Firmengründer Gianluigi Aponte begann seine Karriere als Reeder mit einem einzigen Schiff. Heute kontrolliert er mit seiner Familie ein weltumspannendes Imperium aus Containerfrachtern, Hafenterminals und Kreuzfahrtschiffen. Das Magazin „Bilanz“ schätzt das Vermögen der Familie Aponte auf 9,5 Milliarden Franken – und sieht sie damit auf Platz 15 der reichsten Schweizerinnen und Schweizer.

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Obwohl die Apontes weltweit Geschäfte machen, stehen sie nur selten im Licht der Öffentlichkeit. Ein Interview mit dem Chef? Nicht zu machen, heißt es in der Pressestelle. Neben flachen Hierarchien dürfte die Verschwiegenheit zum Erfolgsrezept des Familienunternehmens zählen. In einer Branche, in der sich alles um Frachtkapazitäten und Preise dreht, lässt man sich ungern in die Karten schauen.

Daran hat sich wenig geändert, seit Gianluigi das Unternehmen 1970 gegründet hat. Die operative Führung hat der Senior zwar 2014 an seinen Sohn Diego abgegeben, der die Gruppe als CEO führt. Und Schwiegersohn Pierfrancesco Vago ist fürs Kreuzfahrtgeschäft zuständig, Tochter Alexa für die Finanzen. Aber ganz loslassen kann Kapitän Aponte dann doch nicht. Der 79-jährige Verwaltungsratschef soll noch immer regelmäßig die Chefetage des Genfer Hauptquartiers ansteuern, um sich um die großen Linien zu kümmern.

Apontes Aufstieg erinnert an die maritime Version des Tellerwäscher-Mythos: Der gebürtige Italiener begann seine Karriere als Fährkapitän im Mittelmeer. Auf einer Schiffsreise verliebte er sich in die Schweizer Bankierstochter Rafaela Diamant. Beide heirateten, und Gianluigi arbeitete in der Bank seines Schwiegervaters. So erzählte es Aponte vor zwei Jahren zumindest, als er ausnahmsweise mal der französischen Tageszeitung „Le Monde“ ein Interview gab. In der Bank habe er einen wohlhabenden Kunden kennen gelernt. „Gemeinsam haben wir im April 1970 die Containergesellschaft mit zunächst einem einzigen Schiff gegründet.“

Die Firma startet damals mit einem Gebrauchtschiff aus Deutschland, der „Korbach“. Aponte tauft das Schiff auf den Namen „Patricia“ um. Ein Jahr später kommt ein weiteres Gebrauchtschiff dazu, das Apon‧te nach seiner Frau Rafaela benennt.

Die Frachter transportieren Stückgut. Das Ein- und Ausladen braucht Zeit. Doch Aponte erkennt frühzeitig das, was man heute „Disruption“ nennen würde. Anfang der 80er-Jahre verkauft er seine Flotte und setzt auf eine Erfindung, die die Logistik grundlegend verändert: den Container. „Sonst wäre ich sicher pleitegegangen“, erklärte er später.

In den Folgejahren eroberten nicht nur die Container die Welt, sondern auch MSC. Der jährliche Umsatz der Genfer liegt nach eigenen Angaben bei rund 25 Milliarden Franken (22,4 Milliarden Euro) – und damit ist MSC fast so groß wie der Dax-Konzern SAP. Anders als die börsennotierte Softwarefirma aus Walldorf verrät die Reederei aber nicht, welchen Gewinn sie erzielt hat. Auch, wer welchen Anteil an der Firma hält, ist nicht zu erfahren. „Die Firma gehört der Aponte-Familie und wird von ihr verwaltet“, sagt ein Sprecher.

Laut der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung sind die Schweizer hinter der dänischen Maersk die zweitgrößte Linienreederei der Welt. Die Flotte von MSC umfasste zuletzt 520 Schiffe. Ein fulminanter Aufstieg, sagen Experten anerkennend. „Aponte ist in den letzten Jahren mit der Investitionspolitik in moderne Neubauten in die Spitzengruppe der Containerreedereien vorgerückt, nachdem er sich zu Beginn mit dem geschickten Kauf von Gebrauchtschiffen einen Namen gemacht hatte“, sagt Burkhard Lemper, Professor an der Hochschule Bremen und Geschäftsführer des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik in Bremen.

Gerade wird das größte Containerschiff der Welt an die Schweizer ausgeliefert. Die „MSC Gulsun“ ist 400 Meter lang. Im Containergeschäft wird die Ladefähigkeit in Zwanzig-Fuß-Containern ausgedrückt. Die TEUs („Twenty-Foot-Equivalent-Unit“) sind die Leitwährung der Branche. Mehr als 23.000 Zwanzig-Fuß-Container passen auf den Megaliner. Die Rivalen ziehen den Kürzeren, darunter auch der dänische Marktführer Maersk, mit dem die Schweizer in der sogenannten 2M-Allianz kooperieren.

Mit immer größeren Schiffen wollen die Reeder wachsende Skaleneffekte erzielen. Das schont nicht nur den Geldbeutel, sondern auch die Klimabilanz, für die die Reeder in Zeiten von „Fridays for Future“ viel gescholten werden. Bei MSC rühmt man sich, den CO2-Ausstoß je transportierter Tonne zwischen 2015 und 2018 um mehr als 13 Prozent gesenkt zu haben – auch dank immer größerer Frachter.

Doch immer größere Schiffe zu betreiben ist nur die halbe Miete. „MSC hat es geschafft, Lieferketten bis ins Hinterland aufzubauen“, sagt Logistikexperte Lemper. „Nur so lassen sich die Größenvorteile der Containerriesen auch nutzen.“

Denn längst betreibt MSC nicht nur Schiffe auf dem Meer. Kapitän Aponte und seine Familie haben auch an Land investiert. Die Tochterfirma „Terminal Investment Limited“ (TIL) sieht sich selbst als einen der größten Investoren in Containerterminals weltweit. Die Firma ist laut eigenen Angaben an 54 Terminals beteiligt, darunter in sieben der 25 wichtigsten Häfen. So beteiligte sich TIL etwa in Rotterdam, Singapur und Bremerhaven. Doch das ist noch nicht das Ende der Wertschöpfungskette: Mit einem Netzwerk aus Lkws, Zügen, Binnenschiffen, Depots und Warenhäusern liefert MSC die Container auch von Tür zu Tür – und sorgt so dafür, dass sich immer größere Frachter befüllen lassen.


Das Kreuzfahrtgeschäft boomt

Auch dank der Diversifikation kam MSC vergleichsweise glimpflich durch die jüngste Schifffahrtskrise. Das Frachtgeschäft von MSC schrieb rote Zahlen, doch die Gruppe blieb profitabel. Mancher Konkurrent wurde dagegen gnadenlos vom Markt gefegt. Viele Reeder hatten reihenweise neue Schiffe gebaut, auf deren Kapazitäten sie sitzen blieben – finanziert auch von deutschen Banken. Während Konkurrenten in die Insolvenz gingen oder aufgekauft wurden, verzichtete MSC auf große Deals. Von spektakulären Übernahmen wollte Firmengründer Aponte nichts wissen. „Wir sind bereits die Nummer zwei weltweit und müssen niemanden zurückkaufen. Wir ziehen es vor, allein zu wachsen“, sagte er.

Koordiniert wird der globale Konzern in der Genfer Zentrale. Die Entscheidungswege sind kurz: Etwa 700 der insgesamt rund 70.000 Mitarbeiter arbeiten in dem Glasbau, darunter viele ehemalige Seeleute. Sie überwachen die Frachtrouten – und beobachten den Markt: Wo entstehen neue Lieferketten? Welche Warenströme verlagern sich?

Kein einfacher Job: Die Containerbranche wächst zwar wieder, aber längst nicht mehr so rasant wie einst. „Fast alles, was sich per Container transportieren lässt, wird bereits per Container transportiert“, sagt Logistikexperte Lemper. Dazu komme die Unsicherheit durch den Handelsstreit zwischen den USA und China oder auch Europa: „Zusätzliche Zölle würden die Branche sofort treffen und damit auch MSC“, sagt Lemper. Für das laufende Jahr erwartet man bei MSC angesichts externer Konjunkturprognosen, dass das Frachtvolumen im niedrigen einstelligen Prozentbereich wächst.

Doch längst haben die Apontes ein neues Wachstumsfeld entdeckt. Im Jahr 1988 stieg Gianluigi Aponte ins Kreuzfahrtgeschäft ein. Er kaufte dem italienischen Schiffsmagnaten Achille Lauro dessen Kreuzfahrtreederei ab. Und auch hier gelingt es ihm, zu den Großen der Branche aufzusteigen. Im vergangenen Jahr betrieb MSC Cruises bereits 15 Kreuzfahrtschiffe, die insgesamt 2,4 Millionen Gäste transportierten. Die Kreuzfahrt-sparte trägt schon rund ein Zehntel zum Gesamtumsatz des Konglomerats bei.

Das Kreuzfahrtgeschäft boomt: Der Branchenverband CLIA erwartet für das Jahr 2019 rund 30 Millionen Passagiere, das sind fast 70 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Doch wer die vergnügungshungrigen Gäste für sich begeistern möchte, muss sich etwas einfallen lassen.

Im Februar übernahm Gianluigi Aponte mit seinem Schwiegersohn Pierfrancesco Vago das neueste Flaggschiff, die „Bellissima“. Die Taufe, bei der die Schauspielerin Sophia Loren Pate stand, musste wegen eines aufziehenden Sturms ins Innere verlegt werden. Doch das war für die Gäste zu verkraften: Der Neuzugang ist mehr als 300 Meter lang und wartet mit 20 Bars, zehn Restaurants, und einer eigenen Zirkusshow auf. Im November soll das nächste Schiff in Hamburg getauft werden. Weitere Neuzugänge folgen.

Der neueste Coup der Kreuzfahrtsparte: eine eigene Insel auf den Bahamas. Das „Ocean Cay Marine Reserve“ des Konzerns soll im November starten. Die Reederei verspricht „klassisches Karibik-Feeling“ auf 38 Hektar – und das exklusiv für Gäste, die mit dem Kreuzfahrtschiff direkt an dem Eiland festmachen. Es lockt mit „feinen Sandstränden“, einem exklusiven Spa- und Wellnesszentrum, einem Pavillon für Hochzeiten und einer Seilrutsche quer über die Insel.

Was dagegen aus dem Hause MSC an den Stränden von Indien und Bangladesch landet, ist weniger paradiesisch. Nicola Mulinaris von der Nichtregierungsorganisation „Shipbreaking Plattform“ spürt Containerschiffen nach, die nicht mehr gebraucht werden. Dabei begegnen ihm immer wieder drei Buchstaben, sagt er: MSC.

Ausrangierte Frachter gelten als Sondermüll, denn sie enthalten Asbest und Schwermetalle, die Tanks sind mit Öl und anderen Gefahrstoffen gefüllt. Trotzdem werden die Schiffe auf Stränden in Indien und Bangladesch zersägt, statt sie in Trockendocks abzuwracken. Eine Gefahr für die Umwelt, aber auch für die Arbeiter, die von gewaltigen Metallteilen getroffen werden können oder mit Explosionen rechnen müssen, warnt die NGO. Sie zählte in den vergangenen Jahren insgesamt 81 Schiffe, die einst zu MSC gehörten und an Stränden in Südasien zerlegt wurden. „Die menschlichen Kosten und der Einfluss auf die Natur durch das Abwracken sind enorm“, warnt Mulinaris. Firmen wie MSC würden selten für die negativen Auswirkungen zur Verantwortung gezogen.

MSC weist die Darstellung durch die NGO zurück und macht auf die hauseigenen Regeln für das Recycling von Schiffen aufmerksam. „Unsere Recyclingpolitik spiegelt die Entschlossenheit dazu wider, Geschäfte auf eine sichere und umweltverträgliche Art zu führen“, sagt ein Sprecher. Auch unterstützte man die Prinzipien der Hongkonger Konvention für die sichere und umweltverträgliche Entsorgung von Schiffen.

Dem Siegeszug von MSC tat die Kritik der Nichtregierungsorganisation bislang keinen Abbruch. Zehn weitere Superfrachter sind bereits bestellt. Die Seemacht aus dem Genfer Chemin de Rieu wächst weiter – was an einen alten Werbeslogan der Firma erinnert. Der ging so: „Land deckt ein Drittel der Erde ab. Wir den Rest.“

Mehr aus der Serie „Die größten Familienunternehmen der Welt“:

Teil 1: Was Familienunternehmen so erfolgreich macht – und vor welchen Gefahren sie stehen
Teil 2: Wie die erzkonservativen Koch-Brüder ihr Industrie-Imperium führen
Teil 3: Cargill: Dieser stille Riese prägt das globale Lebensmittelgeschäft
Teil 4: Schwarz-Gruppe: Der Eigentümer von Lidl und Kaufland steht vor einem schwierigen Umbau
Teil 5: Schleichende Revolution: Warum Aldi Nord und Süd zusammenrücken
Teil 6: Groupe Auchan: Der Clan hinter Décathlon steckt in Schwierigkeiten
Teil 7: Ikea: Wie die Söhne aus dem Schatten des Gründervaters treten müssen
Teil 8: Mehr als Schokoriegel: Vorsichtig öffnet sich die Schokodynastie Mars
Teil 9: Dalian Wanda: Der zweifelhafte Aufstieg des chinesischen Immobilienkonzerns
Alle Teile der Serie „Die größten Familienunternehmen der Welt“ finden Sie in unserem 23-seitigen PDF-Dossier zum Download.