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Pekings Griff nach Hongkong bekommen zunehmend auch europäische Firmen zu spüren

Die Zentralregierung übt zunehmend Druck auf die Sonderverwaltungszone aus. Das System „Ein Land, zwei Systeme“ erodiert zusehends.

Dicht an dicht schoben sich vor einem Jahr die Menschen durch die engen Gassen der Finanzmetropole Hongkong. Damals prostieren erstmals rund eine Million Menschen gegen ein Gesetz, das die Auslieferung von Verdächtigen nach Festland-China ermöglicht hätte. Die Massendemonstrationen zeigten sehr deutlich, dass die Protestbewegung nicht nur von einzelnen, sondern von einem großen Teil der Bevölkerung getragen wird. Sie alle haben Angst um ihre Freiheit.

Das Auslieferungsgesetz, an dem sich die Proteste vor einem Jahr entzündet hatten, wurde noch abgewehrt. Doch das neue nationale Sicherheitsgesetz, das die Zentralregierung in Peking für Hongkong jetzt erlassen will, geht laut Kritikern weit über das hinaus, was die Protestierenden damals befürchteten. Es wird erwartet, dass das Gesetz Anfang nächster Woche von Chinas Legislative endgültig abgenickt wird und dann schnell in Kraft treten wird.

Die Hongkonger Anwaltskammer befürchtet, dass damit ein paralleles Strafverfolgungssystem in der Finanzmetropole eingerichtet wird. Das Gesetz ist damit ein weiterer, großer Schritt dahin, dass Hongkong seine Sonderrechte verliert, die es jetzt noch von anderen chinesischen Städten unterscheidet – und es so attraktiv für internationale Firmen macht.

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Die Länder der sieben größten Industrienationen (G7) hatten zuletzt in einem gemeinsamen Statement ihren Unmut über die Pläne Pekings zum Ausdruck gebracht. Anfang der Woche warnte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass China „sehr negative Konsequenzen“ riskiert, wenn es mit der Einführung dieses Gesetzes fortfahren sollte.

Die Warnung von der Leyens

Hongkong war lange Zeit ein Paradies für die internationale Wirtschaft – und das nicht nur wegen der hohen Lebensqualität und der geringen Steuern. Einer der wichtigsten Punkte ist, dass die Metropole zwar formell zu China gehört, im Gegensatz zum chinesischen Festland aber ein funktionierendes Rechtssystem hat.

Richter entscheiden über Fälle unabhängig und sind nur dem Gesetz verpflichtet, Sicherheitsbehörden müssen sich für ihr Vorgehen verantworten. Recht kann eingeklagt werden. Es herrscht Presse- und Meinungsfreiheit. Kritiker sehen all dies nun durch das Sicherheitsgesetz gefährdet.

Vor allem zwei Punkte machen Rechtsexperten mit Blick auf das nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong Sorgen. Laut einer Zusammenfassung des Gesetzes von der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua sieht es unter anderem vor, dass China in Hongkong ein nationales Sicherheitsbüro errichtet, das Geheimdienstinformationen sammeln und sich mit Verbrechen gegen die nationale Sicherheit befassen soll. Was genau darunter fällt, ist nicht näher benannt.

Die Hongkonger Anwaltskammer warnt davor, dass dieser Schritt ein paralleles Strafverfolgungssystem schaffen würde, bei dem ein Teil - das Büro der Sicherheitsbehörde des Festlandes - möglicherweise nicht der üblichen rechtlichen Kontrolle und Rechenschaftspflicht unterliegt, die für die Strafverfolgungsbehörden in Hongkong gelten.

Das Gesetz sieht zudem vor, dass alle anderen Gesetze – darunter würde unter anderem auch das Recht auf Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit fallen – dem nationalen Sicherheitsgesetz untergeordnet wären. Was also, wenn ein Unternehmen eine kritische Analyse verfasst, gilt das dann schon als Verstoß gegen das Sicherheitsgesetz?

Wirtschaftsvertreter beobachten, dass sich die Situation in Hongkong bereits in den vergangenen Jahren immer weiter verschlechtert hat. „Die Angleichung an das chinesische Festland ist seit dem Amtsantritt des heutigen Präsidenten Xi Jinping erkennbar und erfolgt in unterschiedlich großen Schritten“, sagt Wolfgang Niedermark, Chef der deutschen Auslandshandelskammer in Hongkong, im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Wir nehmen alle diesen Erosionsprozess wahr. Wir machen uns Sorgen über die langfristige Stabilität von ,Ein Land, Zwei Systeme'“, so Niedermark.

Die Formel „Ein Land, zwei Systeme“ ist in Gefahr

Zu dem Prinzip hatte sich Peking bei der Rückgabe Hongkongs durch Großbritannien 1997 verpflichtet. Es sollte garantieren, dass Hongkong zwar formell zu China gehört, aber seine eigenen Gesetze hat.

Die Erosion dieses Versprechens beobachten auch andere. Seit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping die Macht übernommen habe, so Chris Patten, der letzte britische Gouverneur Hongkongs, „sind die Schrauben in Hongkong allmählich angezogen worden“. Das äußert sich auf verschiedenen Ebenen, die auch immer häufiger Unternehmen direkt betreffen.

So gab es in den vergangenen Jahren und Wochen mehrere Vorfälle, bei denen Unternehmen in Hongkong politisch unter Druck gesetzt wurden, Positionen im Sinne der Zentralregierung einzunehmen. Meist bedrängt Peking über seine Staatsmedien Firmen und ruft etwa zum Boykott auf, wenn sich die Firma nicht so verhält, wie es gewünscht ist.

Mit den Protesten im vergangenen Jahr erhöhten sich laut Beobachtern die Vorfälle. „Es ist definitiv viel intensiver und expliziter seit dem vergangenen Jahr“, sagt Antony Dapiran, in Hongkong lebender Anwalt und Autor eines Buches über die Proteste. Die Unternehmen müssten sich daran gewöhnen, glaubt er. „Das ist nichts, was sie aufhalten können“, so Dapiran

Das jüngste Beispiel ist das britische Bankhaus HSBC. Nachdem das Unternehmen öffentlich unter Druck gesetzt wurde, sich positiv zum Sicherheitsgesetz zu äußern, ließ sich HSBC-Asienchef Peter Wong dabei fotografieren, wie er eine Petition für das umstrittene Sicherheitsgesetz unterzeichnete. Das Foto wurde anschließend in chinesischen sozialen Netzwerken veröffentlicht. Einflussnahme hat es auch bei anderen Firmen gegeben.

Der Druck aus Peking wird größer

Laut Medienberichten forderten chinesische Banken ihre Hongkonger Mitarbeiter dazu auf, die Petition für das Sicherheitsgesetz zu unterschreiben. Im vergangenen Jahr feuerte die Hongkonger Fluggesellschaft Cathay Pacific Mitarbeiter, die sich positiv zu den Protesten gegen den zunehmenden Einfluss Pekings geäußert hatten. Die vier großen europäischen Wirtschaftsprüfer Deloitte, EY, PwC und KPMG distanzierten sich öffentlich von Mitarbeitern, nachdem diese mit einer Zeitungsanzeige die Proteste in Hongkong unterstützt hatten.

Laut Diplomatenkreisen wurden auch europäische Unternehmen in den vergangenen Wochen unter Druck gesetzt, sich öffentlich positiv zum nationalen Sicherheitsgesetz zu äußern. Die deutsche Auslandshandelskammer in Hongkong will von entsprechenden Versuchen der Einflussnahme nichts erfahren haben. „Deutsche Unternehmen wurden nicht unter Druck gesetzt, Stellung zu beziehen in Bezug auf das Sicherheitsgesetz“, sagt AHK-Chef Niedermark.

Sie seien auch nicht gefragt worden, die Petition zu unterschreiben. Kein deutsches Unternehmen habe die Petition unterschrieben. Man habe derzeit auch keine Anzeichen dafür, dass andere europäische Unternehmen so unter Druck gesetzt worden sind wie im Fall von HSBC. Das sei eine Schwelle, über die bislang noch niemand gegangen sei. „Das heißt nicht, dass das nicht kommen wird, aber bislang ist es nicht so“, so Niedermark.

Dass Unternehmen überhaupt Sorge davor haben, ist neu. Einflussversuche auf Unternehmen waren in Hongkong lange Zeit unbekannt. Versuche, Firmen etwa mit Hilfe der staatlich gesteuerten Medien unter Druck zu setzen, waren bislang vor allem im chinesischen Festland erfolgreich.

Im Gespräch mit Journalisten forderte Chris Patten, dass es für den zunehmenden Druck auf internationale Firmen Konsequenzen geben müsse. „Wir haben China die ganze Zeit davonkommen lassen“, sagte der Brite. Die Regierung in Peking werde mit ihren Methoden weitermachen, wenn es keine schweren Sanktionen gebe.

Auch der prominente Hongkonger Verleger Jimmy Lai, der zu den schärfsten Kritikern Pekings gehört, ist alarmiert. Er sieht in dem neuen Sicherheitsgesetz eine Abschaffung des Grundgesetzes (Basic Law) der Finanzmetropole. „Ohne Gesetzesschutz hat die Geschäftswelt keinen Schutz, außer man besticht die Beamten, die die Macht über einen haben“, warnt er.

Die Angst der Unternehmen

Pekinger und Hongkonger Regierungsvertreter beteuern immer wieder, dass Unternehmen sich keine Sorgen wegen des nationalen Sicherheitsgesetzes machen sollten. Doch Diplomaten und ausländische Wirtschaftsvertreter überzeugt das nicht.

„Es kommt darauf an, wie das Gesetz umgesetzt wird“, sagt AHK-Chef Niedermark. Peking argumentiere zwar, dass es nur „Extremisten“ betreffe. „Aber die Unternehmen sind verunsichert, ob es nicht in ein paar Jahren auch Mitarbeiter internationaler Firmen betrifft“, so Niedermark. Sowohl Diplomaten als auch Wirtschaftsvertreter bringen diese Sorgen auch immer wieder gegenüber Regierungsvertretern zum Ausdruck.

Das Sicherheitsgesetz ist einer der weitreichendsten Eingriff Pekings in den vergangenen Monaten und Jahren. Zuvor gab es viele kleine und größere Veränderungen, die auch deutsche Unternehmen spürten.

So sehen sich die Firmen nicht mehr in der Weise von den Hongkonger Behörden unterstützt, wie es lange Zeit der Fall war. Und auch in anderen Bereichen wie der Bildung, Presse- und Meinungsfreiheit waren elementare Elemente der Demokratie in Hongkong schon lange vor dem nun geplanten Sicherheitsgesetz bedroht.

Erst Anfang Juni verabschiedete das Hongkonger Parlament ein Gesetz, das Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren für Personen vorsieht, die die chinesische Nationalhymne beleidigen oder „verzerrend oder herabwürdigend“ wiedergeben.

Schon seit Längerem ist zudem eine zunehmende Dominanz chinesischer Firmen in Hongkong zu beobachten. In den vergangenen Jahren stieg ihr Anteil immer weiter. „Hongkong wird sich wahrscheinlich zu einem chinesischen Offshore-Zentrum entwickeln“, sagte Alicia Garcia Herrero, Chefökonomin für den asiatisch-pazifischen Raum bei der Analysefirma Natixis.

Als nationales Offshore-Zentrum könne es einige Steuervorteile genießen und Spielraum für auf Dollar lautende Investitionen haben. Aber Hongkong werde kein globales Finanzzentrum wie heute mehr sein, in dem die meisten Akteure Global Player seien, so Garcia Herrero.