Lindner sieht sich als Koalitions-Steuermann - und AfD-Bremser

In diesem Artikel:

(Bloomberg) -- Wo er denn im Regierungsboot säße — in der Mitte, im Heck oder auf dem Unterdeck — wurde Bundesfinanzminister Christian Lindner Anfang des Jahres gefragt. Seine Antwort: “Am Ruder.”

Weitere Artikel von Bloomberg auf Deutsch:

In der Tat finden sich einige Beispiele dafür, wie der Chef der Freien Demokraten in den Auseinandersetzungen innerhalb der Ampel-Koalition im Sinne seiner liberalen Kernklientel Kurs hielt — und seinen grünen Koalitionspartner vor den Kopf stieß, etwa bei der Kürzung von Mitteln für deren Ressorts oder der Verwässerung ihrer Herzensprojekte.

Zum Kapitän hat es zwar nicht gereicht, aber der 44-Jährige sieht sich als Steuermann des zerstrittenen Bündnisses und als denjenigen, der am ehesten konservative Wähler überzeugen und den Drift zur Alternative für Deutschland stoppen kann. Und Bundeskanzler Olaf Scholz, dessen Sozialdemokraten in Umfragen im Kielwasser der Rechtsaußenpartei segeln, lässt seinem “freundlichen Falken” freie Hand.

“Wegen der Schwäche der großen Parteien konkurrieren Grüne und FDP um die Rolle des Königsmachers”, sagte Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung im bayerischen Tutzing. “Der Kanzler weiß, dass er beide Partner braucht, und meines Erachtens ist ihm die FDP näher, weil ihn und die SPD der Dogmatismus der Grünen unheimlich stören.”

Kritikern zufolge ist das erratische Verhalten der Regierung — das Ergebnis eines disparaten Bündnisses — zu einem Störfaktor geworden, dessen Auswirkungen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa zu spüren sind.

Beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung vor knapp einer Woche referierte Lindner im blütenweißen Hemd über den Zusammenhang von Migration und Kinderarmut in Deutschland. Er warf die Frage auf, ob es nicht besser sei, in die Sprachförderung und Integrationsfähigkeit der Eltern zu investieren, statt ihnen pauschal mehr Geld auf das Konto zu überweisen, wie es die Grünen fordern. Die folgende Kritik aus den Reihen der anderen Koalitionsparteien war fast ebenso heftig wie die der oppositionellen Linken.

Die Frage, wie weit man Lindners Vorliebe für das Rampenlicht nachgibt und ob man den Kurs ändert, wird für den Kanzler zu einer möglicherweise entscheidenden Frage. Doch während Scholz darum kämpft, die Deutschen davon zu überzeugen, dass er die Probleme des Landes — von der schwächelnden Industrie und den hohen Energiepreisen über die dringenden Investitionen in die Bundeswehr bis hin zum Aufstieg der AfD — lösen kann, weiß sein Finanzchef, dass er mit seinem rhetorischen Talent und seiner Positionierung innerhalb der Regierung bis zur Bundestagswahl im Herbst 2025 ein Pfund hat, mit dem er wuchern kann.