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Lieber zu Hause als im Heim

Immer mehr Menschen sind pflegebedürftig. 73 Prozent aller Pflegebedürftigen – mehr als zwei Millionen Menschen– werden allerdings mittlerweile zu Hause gepflegt. Ein Erfolg der bisherigen Pflegepolitik?

Im alternden Deutschland sind immer mehr Menschen pflegebedürftig. 2,9 Millionen waren es Ende 2015, so die aktuellsten amtlichen Daten vom Statistischen Bundesamt, 8,9 Prozent mehr als beim letzten Pflegebericht von 2013. Überraschend ist, dass immer mehr von ihnen ambulant betreut werden. Fast drei Viertel der fast drei Millionen Pflegebedürftigen wurden zu Hause betreut. Zwei Ursachen sind denkbar: Die Angst der Menschen vor dem Gang ins Heim. Oder die Pflegereformen der vergangenen Jahre zeigen endlich Wirkung: Sie sorgten dafür, dass die Pflegeversicherung heute die Betreuung im häuslichen Umfeld finanziell stärker fördert als in der Vergangenheit.

„Im Netz der Pflege-Mafia, wie mit menschenunwürdiger Pflege Geschäfte gemacht wird.“ So heißt der bereits im Jahr 2008 erschienene Report von Claus Fussek und Gottlieb Schöber über die traurige Wirklichkeit in deutschen Pflegeheimen. „Goldener Seniorenherbst? Nicht, wenn man im Alter pflegebedürftig ist und ins Heim muss“, schrieb seinerzeit der Stern in einer Besprechung des Buches. In Wirklichkeit sei die Prospektwelt der „Seniorenresidenzen“ pure Phantasie: „Es gibt es keine majestätischen Alleen, keine duftenden Blumen und kein Dinner im Kerzenschein. Dafür gibt es Insulin-Rallye, Windeln mit einem Fassungsvermögen von drei Litern und Essen für zwei Euro am Tag. In Wirklichkeit geht es um Geld, Macht, Korruption und mafiöse Geschäfte.“ Fussek und Schober forderten damals strenge Prüfkriterien für Deutschlands Heime einzuführen.

Jedes Heim solle eine Note erhalten, damit die Bürger auf einen Blick erkennen können, was sie ihren Angehörigen zumuten, wenn sie sich entscheiden Vater oder Mutter dort einzuliefern. Das Prüfverfahren gibt es inzwischen. Auch einen Versuch Pflegenoten einzuführen hat es seither gegeben. Doch wurde er so dilettantisch umgesetzt, dass nahezu alle Heime die Pflegenote eins erhielten. Denn bewertet wurde nicht der Gesundheitszustand der Heiminsassen, sondern die schriftliche Pflegedokumentation. Außerdem wurden weiche Daten wie eine hübsche Lobby oder das Essen mitbewertet. Schlechte Noten für die eigentliche Pflege konnten so aufgewertet werden.

Von Beginn an wurden die Pflegenoten daher stark kritisiert. Gleichwohl ist es bislang nicht gelungen, das System zu reformieren. Der Patientenbeauftragte des Bundes, Karl-Josef Laumann, hat im Früher 2015 ein solche Reform angekündigt. Entgegen seiner Forderung wurden die Pflegenoten jedoch nicht sofort abgeschafft. Aber es wird eine Neugestaltung geben, die allerdings frühestens 2018 zum Tragen kommt.

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Das sollte im Hinterkopf haben, wer sich mit den aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts zur Entwicklung des deutschen Pflegemarkts auseinandersetzt. Weil es immer mehr ältere Menschen gibt, ist seit der letzten Datenerhebung für das Jahr 2013 die Zahl der Pflegebedürftigen weiter gestiegen, um 8,9 Prozent auf 2,86 Millionen. Das ist keine Überraschung. Die Zahl der Menschen, die sich in einem Heim vollstationär pflegen lassen, stieg jedoch nur um 2,5 Prozent. Die übergroße Mehrzahl der Menschen, die pflegebedürftig wurden, zieht es vor sich zu Hause betreuen zu lassen. Hier lag die Zunahme bei 11,6 Prozent.

Das ist umso erstaunlicher, da in der gleichen Zeit die Zahl der Menschen gestiegen ist, die alleine leben, also nicht auf Partner oder Partnerin zurückgreifen können, wenn sie gebrechlich werden. Dazu passt, dass es immer mehr Pflegebedürftige gibt, die sich durch einen ambulanten Pflegedienst betreuen lassen. Ihre Zahl stieg um 12,4 Prozent auf 76 000. Dagegen nahm die Zahl der Personen, die von der Pflegeversicherung nur Geldleistungen erhalten, weil sie von ihren Angehörigen betreut werden, lediglich um 11,1 Prozent.

Diese Entwicklung weg von der Heimpflege wäre nicht möglich gewesen, hätte die Pflegepolitik in den vergangenen 15 Jahren nicht umgesteuert. Heute gibt es weit bessere finanzielle Unterstützung für die Betreuung zu Hause oder teilstationäre Pflege, als bei Einführung der Pflegversicherung im Jahr 1995. Gleichzeitig wurden die Leistungssätze der Pflegekasse für die unteren Pflegestufen bei der Pflege im Heim gesenkt oder weniger stark an die Inflation angepasst. Seit 2001 stieg zwar auch die Zahl der in Heimen versorgten Pflegebedürftigen deutlich um 32,4 Prozent. Doch die Zahl der durch ambulante Pflegedienste Betreute wuchs um 59,3 Prozent und die der von Angehörigen Betreuten, die dafür Pflegegeld erhalten, um 38,4 Prozent.


Wer wird pflegebedürftig?

61 Prozent der zu Hause versorgten waren im Dezember 2015 Frauen. In den Heimen stellen sie 72 Prozent der Bewohner. Das könnte damit zusammenhängen, dass Männer, wenn sie pflegebedürftig werden, oft von ihren Partnerinnen betreut werden. Die meisten Pflegebedürftigen sind sehr alt. Während bei den 70- bis unter 75-Jährigen nur jeder Zwanzigste pflegebedürftig war, liegt der Anteil der Pflegebedürftigen unter den über 90-Jährigen bei 66 Prozent. Männer sterben in der Regel „jünger“ als Frauen.

Das bedeutet aber nicht, dass sie generell auch häufiger pflegebedürftig im Sinne des deutschen Pflegerechts sind. Vor allem jenseits des achtzigsten Lebensjahrs sind Frauen eher als pflegebedürftig registriert, als Männer des gleichen Alters. So liegt die Pflegequote unter den 85- bis 90-jährigen Frauen bei 44 Prozent, bei den Männern gleichen Alters dagegen nur bei 31 Prozent. Es wäre aber ein Fehlschluss daraus zu folgern, dass über 80-jährige Männer in der Regel fitter sind als ihre gleich alten Frauen. Nein als Grund vermutet das statistische Bundesamt vielmehr, dass ältere Frauen häufig alleine leben. Bei Pflegebedarf besteht damit eher die Notwendigkeit, einen Leistungsantrag bei der Pflegekasse zu stellen. Dagegen werden Männer häufig noch eine ganze Zeit lang von ihren Frauen betreut und der Leistungsantrag verschoben. Ihre Gebrechlichkeit wir also schlicht nicht aktenkundig.

Die stärker steigende Nachfrage nach ambulanten Pflegeleistungen hat auch zu zahlreichen Unternehmensneugründungen geführt: Im Vergleich zu 2013 stieg die Zahl der ambulanten Dienste um 4,5 Prozent oder 600, die Zahl der Beschäftigten in ambulanten Einrichtungen um 36.000. Nach wie vor wird die Szene der ambulanten Pflege von mittelständischen Unternehmen dominiert. Im Schnitt betreut ein Pflegedienst 52 Pflegebedürftige.

Pflege wird in Deutschland immer noch überwiegend in Teilzeit erbracht: 69 Prozent der 356 000 Mitarbeiter in ambulanten Pflegeunternehmen arbeiten Teilzeit, 27 Prozent Vollzeit. Drei Prozent sind noch in der Ausbildung. Unter den 730.000 Beschäftigten in den Pflegeheimen arbeiten 63 Prozent Teilzeit. Und Pflege, ob zu Hause oder im Heim, ist immer noch weiblich: 82 Prozent der Beschäftigten in ambulanten Pflegediensten sind Frauen, in den Heimen liegt die Quote bei 84 Prozent. Und es sind vor allem ältere Frauen, die das deutsche Pflegesystem tragen: Zwei Fünftel der Mitarbeiter in Pflegeinrichtungen sind über 50.

Die Zahl der Pflegeheime ist trotz regional bereits teilweise festgestellter Überkapazitäten auch seit 2013 weiter gewachsen. Die Zahl der Heime stieg um 4,3 Prozent oder 600 Einrichtungen, die der Heime mit vollstationärer Dauerpflege um 2,2 Prozent. In der stationären Pflege geht der Trend eindeutig weg vom Zweibettzimmer: Ihre Zahl ging überproportional in die Höhe, um 5,6 Prozent bei der Dauerpflege. Immer mehr Menschen entscheiden sich dafür, nicht dauerhaft ins Heim zu wechseln. Die Zahl der teilstationär Versorgten wuchs um fast 30 Prozent. Bei der teilstationären Pflege werden hilfebedürftige Menschen in Pflegeeinrichtungen tagsüber oder auch nachts betreut. 30 Prozent mehr als 2013 nahmen dieses Angebot in Anspruch, um den Wechsel ins Heim zu vermeiden.

Der Trend dürfte sich noch verstärken. Denn auch bei der zum 1. Januar in Kraft getretenen großen Pflegereform liegt der Schwerpunkt auf besseren Angeboten für die Pflege zu Hause. Vor allem für die unteren Pflegegrade wird der Gang ins Heim dagegen teurer. Denn künftig müssen sie den gleichen Eigenanteil zahlen, wie schwer Pflegebedürftige. Auch hier zeigt sich der Erfolg der Pflegepolitik der vergangenen Jahre. Bis zu 1.500 Euro gab es 2015 von der Pflegekasse für Pflegebedürftige, die statt der Vollpflege im Heim die teilstationäre Betreuung wählten. Ein vollstationärer Heimplatz kostete übrigens 2015 fast 3.200 Euro im Monat.

KONTEXT

Was sich für Pflegebedürftige 2017 ändert

Begutachtung und Leistungen für Pflegebedürftige

Zum Jahreswechsel ändern sich Begutachtung und Leistungen für Pflegebedürftige. Für Menschen, die jetzt pflegebedürftig werden, kann sich ein Antrag nach dem alten System auszahlen. Die Bundesregierung steht im Wort: Bei der Umstellung auf ein neues Leistungssystem nach Pflegegraden wird niemand schlechter gestellt. Das gilt für die heute rund 2,8 Millionen Pflegebedürftigen. Doch Menschen, die in diesen Tagen und Wochen einen Erstantrag auf Pflegeleistungen stellen wollen, sollten sich gut überlegen, ob sie das in den letzten Wochen dieses Jahres noch nach dem alten System tun, oder erst 2017 nach dem neuen. Es könnte sich auszahlen.

Was ändert sich für Pflegebedürftige zum 1. Januar?

Die bisherigen drei Pflegestufen werden automatisch - ohne neuen Antrag der heute schon Pflegebedürftigen - übergeleitet in fünf Pflegegrade. So soll die Bedürftigkeit künftig genauer bestimmt werden können. Für heute schon Pflegebedürftige gilt Bestandsschutz.

Was heißt das für die Überleitung in Pflegegrade?

Pflegebedürftige mit körperlichen Einschränkungen erhalten anstelle der bisherigen Pflegestufe den nächst höheren Pflegegrad. Pflegebedürftige mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz wie Demenzerkrankte werden zwei Pflegegrade höher eingestuft. Also: Pflegestufe 1 mit körperlichen Behinderungen kommt automatisch in den Pflegegrad 2. Pflegestufe 1 mit erheblich eingeschränkten Alltagskompetenzen kommt automatisch in den Pflegegrad 3. Pflegestufe 2 bekommt entsprechend automatisch Pflegegrad 3 oder mit eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 4. Und Pflegestufe 3 wird übergeleitet in den Pflegegrad 4 oder mit eingeschränkter Alltagskompetenz in den höchsten Pflegegrad 5.

Wann sollte man nun einen Neuantrag auf Pflegeleistungen stellen - noch 2016 oder erst 2017?

Stichtag ist der Tag der Antragstellung: Wer vor dem 1. Januar 2017 einen Antrag stellt, wird nach der alten Regel begutachtet und eingestuft und dann übergeleitet - auch wenn die Bearbeitung bis ins neue Jahr hineinreichen sollte. Erst im neuen Jahr wird nach dem neuen System begutachtet.

Wenn in diesen Tagen oder Wochen also erstmals ein Antrag auf Pflegebedürftigkeit gestellt werden soll, kann es günstiger sein, dies noch 2016 nach dem alten Stufensystem zu tun, um dann 2017 automatisch in den entsprechend höheren Pflegegrad zu kommen. Das gilt etwa für Menschen, die unter körperlichen Einschränkungen leiden und Pflegestufe 1 mit einem Pflegegeld von monatlich 244 Euro beantragen wollen. Wenn sie diese Pflegestufe erhalten, wechseln sie im kommenden Jahr automatisch in den Pflegegrad 2 und erhalten damit monatlich 316 Euro. Stellen sie ihren Antrag erst 2017, werden sie aller Voraussicht nach nicht den Pflegegrad 2, sondern nur den Pflegegrad 1 erreichen. Dafür gibt es dann nur 125 Euro von der Pflegekasse. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Patientenschutz sind davon schätzungsweise 125.000 Menschen betroffen.

Für wen sind solche Überlegungen noch wichtig?

Eine ähnliche Problematik ergibt sich für Menschen, die einen ambulanten Pflegedienst in Anspruch nehmen könnten. Nach altem System zahlen die Kassen in Pflegestufe 1 für solche Sachleistungen 468 Euro. Beim Wechsel in den Pflegegrad 2 im neuen Jahr werden es dann 689 Euro. Stellen die Betroffenen aber erst 2017 einen Antrag bei der Pflegekasse, erhalten sie aller Voraussicht nach wieder nur den Pflegegrad 1 mit 125 Euro. Das betrifft diesen Angaben zufolge schätzungsweise rund 50.000 Menschen.

Wie sieht es bei der Pflege in Heimen aus?

Heute zahlt die Pflegekasse für einen Pflegebedürftigen der Stufe 1 mit körperlichen Einschränkungen im Heim monatlich 1064 Euro. Ab 2017 sind das nur noch 770 Euro. Zusätzlich tragen Heimbewohner einen Eigenanteil an den Pflegekosten. Für die Menschen, die schon nach dem alten System Leistungen erhalten, wird im neuen Jahr die Differenz zum neuen Eigenanteil von der Pflegekasse getragen. Der Eigenanteil des Pflegebedürftigen bleibt also gleich. Für Neuanträge im neuen Jahr erhöht sich dagegen entsprechend der Eigenanteil.

Die Leistungen der Pflegekasse sinken bei dieser sogenannten vollstationären Pflege auch in Stufe 2 bei körperlichen Einschränkungen. Bisher zahlt sie hier 1330 Euro. Von 2017 an sind es 1262 Euro.