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Das Gerechtigkeitsproblem

Setzt der SPD-Kanzlerkandidat auf das richtige Wahlkampf-Thema? Große Zweifel sind angebracht.

Kein Zögern, kein Zaudern, dafür Kraft und Leidenschaft: Wer Martin Schulz' Auftritt am Montagabend in Bremen gesehen hat, der weiß, dass der SPD-Kanzlerkandidat jetzt im typischen Wahlkampfmodus für die letzten Wochen angekommen ist: dem Modus der Autosuggestion.

Ich! Werde! Kanzler! In den verbleibenden fünf Wochen bis zur Wahl wird Schulz diesen Satz immer wieder sagen, überall im Land, zu tausenden Zuschauern. Damit sie ihm glauben und ihn wählen, natürlich, vor allem aber, damit Schulz ihn selbst glaubt. Denn in dieser Schlussphase einer Kampagne sind Schwächen etwas, das man sich nicht mehr leisten darf. Alles am Herausforderer muss dieselbe dreifaltige Botschaft transportieren: Ich will. Ich kann. Und ich werde.

Anderweitige Probleme hat die SPD-Kampagne schließlich schon genügend. Gerade erst belastete Gerhard Schröder mit seiner russischen Altersversorgung namens Rosneft die Partei.

Umso besorgter muss Schulz und seine Strategen machen, dass selbst das Kernthema ihres Wahlkampfes nicht die Stärke, nicht die Ausstrahlung hat, dies es bräuchte. "Zeit für mehr Gerechtigkeit" ist der Slogan. Doch eine Umfrage des Instituts YouGov legt nun nahe, dass dies nur eine Minderheit mobilisiert: gerade einmal jeder vierte Wähler hält soziale Gerechtigkeit für das bestimmende Thema. Selbst unter Sozialdemokraten hat sie nur für 29 Prozent höchste Relevanz.

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Ein ziemlicher magerer Wert. Wenn selbst Genossen dem Status Quo nichts recht empörendes abtrotzen können, keinen Aufbruch in ein besseres Morgen herbeisehnen - wer dann? Wenn diese Erhebungen Bestand haben, dann führen sie die SPD nicht ins Kanzleramt. Sondern auf die Oppositionsbank.

Zwar befinden 80 Prozent der Befragten, in der Bundesrepublik mangele es an sozialer Gerechtigkeit - doch gleichzeitig finden 60 Prozent auch: es insgesamt eher gerecht zu. Was zunächst wie ein Widerspruch wirkt, lässt sich wahrscheinlich dadurch erklären, dass viele persönlich mit ihrer Lage zufrieden sind, aber dennoch die zahlreichen gesellschaftlichen Probleme anerkennen.

Das bedeutet: Martin Schulz' Plädoyer für Reform und Fortschritt adressiert durchaus ein diffuses Unbehagen mit den herrschenden Verhältnissen, geht aber gleichzeitig an der konkreten Lebenserfahrung vieler Wähler vorbei. Ob er unter diesen Voraussetzungen bis zum 24. September noch Luft unter die Flügel bekommen kann?

Tiefgreifende Zweifel an seinem Programm kann sich der Merkel-Herausforderer selbst nicht mehr leisten. Und doch erklärt diese aktuelle Umfrage eine Kampagne, die bisher nicht recht vom demoskopischen Fleck kommt. Man kann eben einiges richtig machen - und doch vieles falsch.

KONTEXT

Martin Schulz' Zukunftsplan für den deutschen Arbeitsmarkt

Wer kann ein Erwerbskonto bekommen?

Jeder Erwachsene über 18 mit festem Wohnsitz in Deutschland, schlägt die SPD vor. Aber auch Bürger ausländischer Herkunft sollen nicht leer ausgehen. Sind sie schon lange im Land und verfügen über ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht, sollen sie ebenfalls das Konto erhalten.

Wie viel Geld soll auf dem „Chancenkonto“ der SPD sein?

Den Sozialdemokraten schwebt zum Start ein Guthaben von 5000 Euro vor. Langfristig sollte es auf 15 000 bis 20 000 Euro anwachsen. Schwachpunkt des Vorschlags ist, dass die SPD nicht sagt, wie teuer das für die Steuerzahler wird und wer das finanziert. Es gibt Ideen, Geld, das der Staat aus einer höheren Erbschaftsteuer kassieren könnte, für die Erwerbskonten zu verwenden.

Konkurriert so ein Erwerbskonto mit anderen Sozialleistungen?

Nein. Das neue Instrument soll bestehende staatliche Leistungen nicht ersetzen oder zu Doppelstrukturen führen. Während des Bezugs von Arbeitslosengeld oder Hartz IV (Grundsicherung) würde das „Chancenkonto“ eingefroren. Auch soll darauf geachtet werden, dass Arbeitgeber ihre freiwilligen Weiterbildungsangebote nicht zurückschrauben, nur weil der Staat mit dem Konto für jedermann auf dem Markt ist.

Wer ein Erwerbskonto hat, kann auch noch Bafög bekommen?

Ja, so ist es geplant. Die Förderungen von Studenten und Auszubildenden über Bafög und Aufstiegs-Bafög soll durch das neue Instrument nicht berührt werden.

Wann könnte so etwas eingeführt werden?

Unklar. Zunächst müsste das nach der Wahl in den Koalitionsverhandlungen zwischen den beteiligten Parteien geklärt werden. Im Haus von Ministerin Nahles wird an Vorschlägen gearbeitet. Auch der Industrieländer-Club OECD treibt das Modell voran und wirbt dafür, jeden Arbeitnehmer zu ermutigen, seine Erwerbsbiografie persönlich zu gestalten.

Was spricht für ein persönliches Erwerbskonto?

Es soll jeden Arbeitnehmer motivieren, sich Zeit für Weiterbildung zu nehmen, den eigenen Lebenslauf zu stärken, um auf dem digitalen Arbeitsmarkt überleben zu können. Angesprochen werden sollen vor allem junge Leute, die ihre Startchancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern sollen.

Hat das Modell auch einen sozialen Aspekt?

Soziologen und Arbeitsmarktexperten hoffen, dass mit staatlich unterstützen Erwerbskonten die Chancengleichheit steigt. Berufseinsteiger aus ärmeren und bildungsfernen Haushalten haben schlechtere Bedingungen als Kinder aus wohlhabenden Familien, wo die Eltern auch mal „irgendwas mit Medien“ oder ein Alibi-Studium finanzieren, selbst wenn das am Ende nichts wird.

Was wollen die anderen Parteien?

Die Union will nach der Wahl Familienzeitkonten einführen. Mit angesparter Zeit sollen Familien die Chance auf Elternzeit, Weiterbildung oder Sabbaticals bekommen. „Das Familienzeitkonto hilft Familien in jeder Lebensphase“, sagte die Vorsitzende der Frauen Union, Annette Widmann-Mauz (CDU, dem „Focus“. Die Grünen wollen jedem, der eine gute Firmenidee hat, einmalig ein flexibles und zinsfreies Darlehen von bis zu 25 000 Euro zahlen.

Wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht sinnvoller?

Dieses Modell hat viele Fans, darunter Topmanager wie Siemens-Chef Joe Kaeser oder der Inhaber der dm-Drogeriemarkt-Kette, Götz Werner. Letzterer fordert, jedem Bürger bis zu 1200 Euro monatlich auszuzahlen. Arbeitsministerin Nahles hält davon nichts. Ein Grundeinkommen - unabhängig von Bedürftigkeit und Arbeit - sei keine adäquate Antwort, berge erhebliche ökonomische Risiken, heißt es aus dem Ministerium. Mehr Gerechtigkeit sei fraglich: „In der Konsequenz ist zu befürchten, dass das bedingungslose Grundeinkommen eher zur Spaltung der Gesellschaft führt und insbesondere benachteiligte Menschen zunehmend ausgegrenzt würden.“ Die OECD warnt nach einem 23-Länder-Vergleich, im Schnitt würde ein bedingungsloses Grundeinkommen knapp 50 Prozent unter der Armutsgrenze liegen.