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Deutschlands Top-Sanierer gewährt Einblick in seine Arbeit

Sanierer Hans-Joachim Ziems will beim traditionsreichen Antennenhersteller Kathrein in wenigen Monaten mit dem Verkauf fast des gesamten Geschäfts seine Arbeit beenden. Nach der Veräußerung der Mobilfunksparte an Ericsson und der Automotive-Einheit an Continental wolle er auch die Rundfunk- und die Satellitengeschäfte verkaufen, sagte Ziems dem Handelsblatt.

Anton Kathrein III wolle lediglich die kleine Einheit Internet der Dinge behalten und damit durchstarten. Ziems will Kathrein bis Ende August verlassen: „Bis dahin werden wir alles verkauft haben.“

Die Probleme bei dem Rosenheimer Konzern mit zeitweise mehr als einer Milliarde Euro Umsatz hätten schon unter dem 2012 gestorbenen Anton Kathrein II begonnen, sagte Ziems. „Er wollte, dass das Unternehmen schnell wächst, hatte aber nicht das Management und das Knowhow dafür.“ Kathrein sei der klassische Patriarch gewesen, „der alles an sich zog“.

Der Sohn sei dann mit 28 Jahren praktisch unvorbereitet an die Spitze gekommen. Der bisher vom Vater unterdrückte Manager hätten die Situation genutzt, „um das Wachstum noch zu beschleunigen“.

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Die Organisation habe da nicht Schritt halten können. „So entstand eine Konfusion, wie ich sie in den vergangenen 20 Jahren noch nicht erlebt hatte“, sagte Ziems.

Er ist seit vielen Jahren als Sanierer tätig. In seinem Job übernimmt er in Krisensituationen Mandate in der Geschäftsführung und leitet eine Restrukturierung ein. Zu seinen bekanntesten Fällen gehören unter anderem Kirch Media, Merckle, Pfleiderer und die Werkstattkette ATU. Vor der Handelsblatt-Jahrestagung Restrukturierung gab er erstmals in einem ausführlichen Interview Einblick in seine Arbeit.

Lesen Sie hier das gesamte Interview

Herr Ziems, Sie haben als Sanierer viele Krisenfälle in der Wirtschaft begleitet. Aktuell räumen Sie als interimistischer Geschäftsführer beim angeschlagenen Rosenheimer Antennenhersteller Kathrein auf. Ist das ein typischer Fall?
Ja, und zwar in vielerlei Hinsicht. Manche haben vielleicht vorschnell und auch ungerecht geurteilt: „Da hat der Sohn zerstört, was der Vater aufgebaut hat.“ Aber so einfach ist es nicht.

Was hat das Unternehmen, das ja lange als Vorzeigeunternehmen des deutschen Mittelstands galt, nach dem frühen und plötzlichen Tod des Inhabers 2012 in Schieflage gebracht?
Die Ursachen der Probleme hat Anton Kathrein senior selbst gelegt. Er wollte, dass das Unternehmen schnell wächst, hatte aber nicht das Management und das Know-how dafür. Der Patriarch war der klassische Unternehmer, der alles an sich zog, der jeden kannte, zu jedem in der Firma eine persönliche Beziehung hatte.

Das ist erst einmal noch nichts Negatives.
Stimmt. Es kann aber zum Problem werden, wenn er der Einzige ist, der alle kennt. Und wenn so eine zentrale Figur dann plötzlich fehlt, ist eine Unternehmenssteuerung nicht mehr gegeben. Es kommen dann auch viele im Unternehmen und behaupten, sie hätten irgendeine persönliche Vereinbarung mit dem Chef gehabt. Wir haben viele ungewöhnliche Zahlungen gefunden für Prämien, Boni und Ähnliches.

Was war Ihre erste Maßnahme?
Sie werden lachen – aber wir haben erst einmal das eigene Restaurant in Rosenheim geschlossen, die „Weinlände“. Diese Gastronomie wurde jedes Jahr mit einem sechsstelligen Betrag aus der Firmenkasse bezuschusst. Die Belegschaft musste denken: „Wir bekommen kein Weihnachtsgeld mehr, aber in dieses Projekt, das mit dem Kerngeschäft nichts zu tun hat, wird so viel Geld reingesteckt.“

Warum haben erst Sie als Sanierer diese Maßnahmen ergriffen – und nicht der Sohn, der das Unternehmen nach dem Tod seines Vaters geerbt hatte?
Der Sohn stand mit 28 Jahren praktisch unvorbereitet an der Spitze. Die Dominanz des Vaters war ja auch nach dessen Tod noch spürbar. In so einer Lage ist es wahnsinnig schwierig umzusteuern, auch emotional. Und die bisher vom Vater unterdrückten Manager nutzten die Situation, um das Wachstum noch zu beschleunigen.

Zu welchen Problemen führte das?
Beispielsweise zum Aufbau von Produktionsstätten an den unterschiedlichsten Orten in der ganzen Welt: die nicht miteinander vernetzt waren. Am Ende gab es keine Produktion mehr in Deutschland, aber dafür in China, Rumänien, Tschechien, Österreich und Mexiko ... Auch die Aktivitäten in den USA wurden erweitert. Das alles, ohne eine einheitliche Koordination und Organisation aufzubauen. Die Organisation hatte schon zuvor nicht mit dem Wachstum Schritt gehalten. So entstand eine Konfusion, wie ich sie in den vergangenen 20 Jahren noch nicht erlebt hatte.

Was haben Sie noch vorgefunden?
Dass die Immobilienfinanzierung zum Beispiel aus dem Kontokorrent erfolgte. Man lebte nach dem Motto: „Geld ist immer da.“ Kathrein senior hat jede kleinste Spesenrechnung seiner Prokuristen selbst kontrolliert – gleichzeitig lief Großes aus dem Ruder.

Ist diese fehlende Governance demnach typisch für große Krisenfälle in der deutschen Wirtschaft?
Zumindest ist es für viele Krisenfälle im Mittelstand typisch. Die Firma Kathrein als Unternehmen hat ja eine Riesensubstanz. Das Entwicklungs-Know-how ist immens. Aber das Management wollte immer weiter expandieren. Als Kathrein senior tot war, lautete offenbar das Motto: „Jetzt geben wir erst richtig Gas.“ Das ging dann auch nicht mehr mit Eigenmitteln; Kredite wurden aufgenommen, um die Expansion zu finanzieren.

Auf Wachstum zu setzen, ist ja nicht falsch.
Nein, aber es war ohne Maß und Strategie. Allein am Stammsitz in Rosenheim war ein Immobilienprojekt für einen neuen Kathrein-Campus in einer Größenordnung von 300 Millionen Euro vorgesehen. Man wollte einen Konzern aufbauen, ohne zu prüfen, ob es dafür im Markt eine nachhaltige Perspektive gibt.

Was hat Sie an dem Mandat gereizt?
Als die erste Anfrage kam, hatte ich mir zunächst den Umsatz angeschaut. Eine Milliarde, das könnte von der Größenordnung etwas für uns sein. Zudem war ich ja als Gründer der Elektronikhandelskette Komet, die später zu ProMarkt fusionierte, selbst einmal unternehmerisch in der Unterhaltungselektronik tätig gewesen. Damals verkauften wir Satellitenantennen und Receiver von Kathrein. Und Kathrein ist eben eine der letzten großen Marken in der deutschen Unterhaltungselektronik. Das hat mich schon gereizt.

Warum hat es Anton Kathrein junior nicht geschafft?
Er musste gegen viele, zu viele Schwierigkeiten ankämpfen. Er ist Diplom-Ingenieur und besitzt große fachliche Expertise. Doch zunächst hätte er lernen müssen, ein Unternehmen operativ zu führen. Er war aber gerade erst drei Monate im Unternehmen, als der Vater starb.

Man weiß ja auch nicht, ob er es unter diesem Vater gelernt hätte.
Ja, die Art, wie der Senior das Unternehmen geführt hat, war Teil des Problems. Alles war zentral auf ihn ausgerichtet. Bei Leo Kirch, einem anderen großen Fall, den ich begleitet habe, war das zum Beispiel anders. Der hatte es geschafft, Topleute unter sich an das Geschäft heranzuführen, die auch eigenständig Entscheidungen treffen konnten.

Hätte Kathrein denn das technische Potenzial gehabt, im 5G-Zeitalter eine führende Rolle zu spielen, wenn es besser geführt worden wäre?
5G ist hauptsächlich Elektronik. Nur fünf bis acht Prozent der Wertschöpfung entfallen auf Zulieferer wie Kathrein. Allerdings – und das hat Ericsson genial erkannt – geht es ohne die Technologie von Kathrein auch nicht. Über die sogenannten passiven Teile besitzen die großen Mobilfunkausrüster wie Ericsson und Nokia kein eigenes Know-how. Sie müssen sie zukaufen. Das hat Ericsson erkannt und die günstige Gelegenheit genutzt, sich unabhängiger von anderen Zulieferern zu machen und damit die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Firmen wie Huawei und Commscope sicherzustellen.

Sie haben das Kerngeschäft demnach an Ericsson verkauft. In wessen Interesse handeln Sie als Sanierer eigentlich? Geht es um die Gläubiger oder um die Eigentümer oder um die Mitarbeiter? Sie hätten Kathrein ja auch selbst sanieren können.
Wir wollen immer zuerst das Unternehmen retten.

Aber bei Kathrein verkaufen Sie die Einzelteile.
Es war absehbar, dass das Unternehmen im Kerngeschäft wohl auf Dauer zu klein sein würde, um das notwendige Wachstum auch langfristig und profitabel zu sichern. Daher wollten wir einen Teil des Unternehmens verkaufen, um das Kerngeschäft sanieren zu können. Da bot sich der Partner Continental als Käufer für die Automotive-Sparte an. Im zweiten Schritt hätten wir nun das Kerngeschäft selbst sanieren können, um vielleicht später einen Käufer oder Partner zu finden.

Das haben Sie nicht gemacht.
Nein, wir haben parallel Gespräche mit Ericsson geführt. Es war eine interessante Option, gleich an einen Strategen zu verkaufen. Damit vermeiden wir Unsicherheit – auch bei der Belegschaft. Denn Ericsson ist ein Unternehmen mit einer sehr sozialen und familiären Einstellung. Es ist auch eher selten, dass ein Unternehmen mitten in der Sanierungsphase einsteigt. Doch Ericsson hatte wohl Sorge, dass ihnen jemand Kathrein später vor der Nase wegschnappen könnte.

Hätten Sie nach der Sanierung nicht teurer verkaufen können?
Wenn wir zwei Jahre durchgestanden hätten: vielleicht. Allerdings befindet sich der Antennenmarkt zurzeit in einer massiven Konsolidierungsphase mit hohem Preisdruck. Huawei ist ja gerade sehr preisaggressiv unterwegs. In einer solchen Situation ist die Restrukturierung eines Unternehmens besonders schwierig.

Wie beurteilen Sie den Fall Huawei? Es ist ja sehr umstritten, ob die Chinesen beim Aufbau des 5G-Netzes dabei sein sollen.
Ich glaube nicht, dass die chinesische Regierung Einfluss in Deutschland gewinnt, wenn Huawei am Aufbau der Netze beteilig wird. Das ist Hysterie. Technologisch ist Huawei sehr gut. Wird die Firma außen vor gehalten, verzögert sich der Aufbau von 5G hierzulande weiter, und das kommt uns deutlich teurer zu stehen. Man muss sich diesem Wettbewerb stellen. Er muss nur unter fairen Bedingungen stattfinden. Ich finde es nicht akzeptabel, wenn Unternehmen staatlich subventioniert werden und dann Konkurrenten aus dem Markt drängen.

Sie wurden einmal als Chirurg bezeichnet, der Notoperationen vornimmt, auch amputiert, wenn es sein muss. Sie seien aber nicht der Therapeut, der den Patienten über Jahre begleitet.
Das war vielleicht früher einmal so. Da haben wir wie ein Notarzt die Dinge schnell gerichtet und sind dann wieder raus. Das hat sich aber schon mit unserem Engagement bei der Kirch-Gruppe geändert.

Wie sind Sie da vorgegangen?
Kirch war die Blaupause für Insolvenz in Eigenverwaltung. Diese neue Möglichkeit hat uns fasziniert. Die Steuerung der Sanierung in Eigenverwaltung in großen Krisenfällen ist zu unserem Geschäftsmodell geworden.

Wie gehen Sie konkret vor?
Wir machen immer nur ein Projekt und sind in der Regel ein bis zwei Jahre im Unternehmen Wir sind vier Partner und zwei Berater, unser Team kann je nach Größe und Komplexität des Falles auf bis zu zehn Berater aufgestockt werden, und gehen immer selbst ins Management, um ein komplettes Sanierungskonzept zu entwickeln und die Umsetzung zu steuern. Wir sind der CEO in der Krise.

Wie sieht Ihre Entlohnung konkret aus?
Wir verlangen ein Honorar, und das ist immer zu 60 Prozent erfolgsabhängig. In den ersten drei Monaten arbeiten wir für Tagessätze. Dann entscheiden wir gemeinsam mit dem Auftraggeber, ob wir weitermachen.

Bei welcher Sanierung sind Sie gescheitert?
Bis heute zum Glück noch gar nicht.

Einer Ihrer spektakulärsten Fälle war das Mandat bei der Merckle-Gruppe. War der Fall ähnlich wie bei Kathrein? Ein Unternehmer, der auf Wachstum setzte und den Überblick verlor?
Beiden gemeinsam ist die Unübersichtlichkeit. Es gab bei Merckle sage und schreibe 1.530 Gesellschaften, die vor allem unter dem Gesichtspunkt der Steueroptimierung existierten. Da konnte niemand durchblicken.

Und die Unterschiede?
Vor allem das Management: Adolf Merckle hatte eine gute Geschäftsführung und mit Bernd Scheifele, dem Chef von Heidelberg Cement, eine graue Eminenz im Hintergrund, die ein Korrektiv zum Eigentümer darstellte. Aus wirtschaftlicher Sicht war viel Substanz vorhanden. Der Suizid des Patriarchen ist und bleibt für mich ein Rätsel und erfolgte wohl nicht aus geschäftlichen, sondern aus anderen Gründen. Die Unternehmen waren gesund.

Warum dann überhaupt die Schieflage?
Herr Merckle hatte sich persönlich an hochriskanten Kapitalmarktgeschäften beteiligt. In der Folge bekamen die Kreditgeber kalte Füße. Der Druck zu Notverkäufen war groß. Doch dagegen haben wir uns gewehrt – und Ratiopharm dann ja auch zu einem sehr guten Preis nach Israel verkauft.

Viel zu sanieren gab es bei Merckle im eigentlichen Sinne also nicht?
Man kann ja auch rein auf der Finanzseite sanieren und die Schulden verringern.

Wie lange werden Sie noch bei Kathrein aktiv sein?
Ende August gehen wir raus. Bis dahin werden wir alles verkauft haben.

Das Kerngeschäft ist bereits an Ericsson verkauft. Nun bleiben noch die Antennen für Rundfunk, das SAT-Geschäft und die Aktivitäten für das Internet der Dinge. Was passiert damit?
Die Rundfunk- und SAT-Sparte werden wir ebenfalls veräußern. Und Anton Kathrein junior plant mit dem Bereich Internet of Things neu durchzustarten.

Und dann? Suchen Sie sich den nächsten Fall?
Im September und Oktober mache ich Pause.

Herr Ziems, herzlichen Dank für das Interview.