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„Agententhriller bei uns vor der Haustür“

Der Skandal um Spitzel in deutschen Finanzverwaltungen weitet sich aus. Die Schweizer verteidigen sich. Deutsche Politiker sind konsterniert und fragen sich: Wieso gibt es kein No-Spy-Abkommen mit der Schweiz?

Die Spionagevorwürfe gegen die Schweiz haben sowohl in Berlin wie auch in Bern Verunsicherung hervorgerufen. Am deutlichsten äußerte sich NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). „Man kann sich schwer vorstellen, dass ein solcher Agententhriller nicht auf der Leinwand, sondern bei uns vor der Haustür abläuft“, sagte er dem Handelsblatt. Walter-Borjans beschuldigte den schweizerischen Geheimdienst NDB indirekt der Beihilfe zur Steuerhinterziehung: Der Fall zeige, „wie stark die Verteidiger des Geschäftsmodells Steuerhinterziehung und Beihilfe dazu noch sind. Ich bin gespannt, wie der Schweizer Nachrichtendienst als angeblicher Auftraggeber ein solches Verhalten erklärt.“

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zeigte sich ebenfalls alarmiert: „Ich halte das für einen weitreichenden Vorgang“, sagte er am Donnerstag. Der Fall zeige, dass der Kampf gegen Steuerhinterziehung fortgesetzt werden müsse.

Der Schweizer Nachrichtendienst NDB soll nach Informationen von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR einen Informanten in der Finanzverwaltung von Nordrhein-Westfalen platziert haben. Das gehe aus dem Haftbefehl gegen den am vergangenen Freitag in Frankfurt verhafteten Schweizer Agenten Daniel M. hervor. Demnach sollte die Quelle im Behördenapparat „unmittelbare Informationen“ darüber beschaffen, wie deutsche Behörden beim Ankauf sogenannter Steuer-CDs aus der Schweiz vorgehen. Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) sagte dem Handelsblatt: „Wenn das so stimmt, wäre das nicht tragbar. Steuerfahnder sind ja einiges gewohnt, aber das wäre eine neue Qualität.“

Das sei ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, heißt es auch aus der SPD-Fraktion. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Carsten Schneider sagte dem Handelsblatt, er werde in den entsprechenden Gremien auf Aufklärung dringen. „Wenn die Schweiz ihr Schwarzgeldgeschäftsmodell mit nachrichtendienstlichen Mitteln verteidigen will, wäre das ein unakzeptabler Vorgang und würde das bilaterale Verhältnis belasten.“ Offenbar habe die Schweiz nicht verwunden, dass kein Amnestieabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz zustande gekommen sei. „Mit diesem Abkommen hätte Deutschland mehrere Milliarden unterschlagener Steuerzahlungen verloren und zahlreiche Betrugsfälle wären ungestraft geblieben. Die Blockade der SPD angeführt von NRW zum damaligen Zeitpunkt im Bundesrat hat sich damit erneut als richtig herausgestellt.“

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Auch das Bundesfinanzministerium ist an einer Aufklärung interessiert. Das Ministerium will sich aber nicht zu den neuen Vorkommnissen äußern. Die Bundesregierung hatte am Mittwoch erklärt, die schweizerische Botschafterin zu einem Gespräch zu dem Thema gebeten hat. Außerdem gehe die Bundesregierung davon aus, „dass das gemeinsame Ziel weiter verfolgt wird, diese Form von Steuerhinterziehung zu bekämpfen“.

Innenausschuss-Mitglied Armin Schuster von der CDU äußerte Unverständnis: „Ich glaube, dass das eine Agentenposse ist, die jetzt die Zeit überholt“, sagt er dem Handelsblatt. Denn Deutschland und die Schweiz hätten sich ja ohnehin auf einen umfassenden Datenaustausch ab 2018 verständigt. Deshalb gebe es derzeit auch so viele Fälle von Personen, die sich steuerehrlich machen wollten. Schuster ist auch Mitglied des parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Arbeit der Nachrichtendienste in Deutschland kontrolliert. Er bedaure, dass es kein „No-Spy-Abkommen“ zwischen Deutschland und der Schweiz gibt: „Dass wir nachrichtendienstlich gegeneinander arbeiten, halte ich für völlig verfehlt.“

Laut „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR soll Daniel M. den Auftrag erhalten haben, eine Liste mit den Namen und persönlichen Daten deutscher Steuerfahnder zu vervollständigen. Damit sei es den Schweizer Behörden möglich gewesen, die deutschen Steuerfahnder zu identifizieren, die am Ankauf der Bankdaten beteiligt gewesen waren. Dies soll die Grundlage für mehrere Haftbefehle der Schweizer Justiz gegen deutsche Steuerfahnder gewesen sein, in denen den deutschen Beamten unter anderem „nachrichtliche Wirtschaftsspionage“ und „Verletzung des Bankgeheimnisses“ vorgeworfen werde. Die Operation werde von höchster Stelle im Schweizer Geheimdienst NDB gesteuert.


„Die nachrichtendienstliche Arbeit ist kein Streichelzoo“

Geheimdienst-Chef Markus Seiler sagte am Dienstag, es gelte zu verhindern, dass „jemand mit illegalen Mitteln Geheimnisse stiehlt“. Wenn jemand in der Schweiz zu illegalen Methoden greife, um an staatliche oder geschäftliche Geheimnisse zu kommen, dann sei das Spionage, sagte Seiler. „Und zu unseren Aufgaben gehört die Abwehr von Spionage.“ Auf den aktuellen Fall nahm Seiler dabei keinen Bezug. „Die nachrichtendienstliche Arbeit ist kein Streichelzoo“, fügte er hinzu.

Seit Januar 2006 hatten mehrere deutsche Bundesländer, darunter Nordrhein-Westfalen, CDs mit Bankdaten von Steuersündern aus der Schweiz und Liechtenstein gekauft. Besonders Nordrhein-Westfalen kauft regelmäßig Bankdaten – insgesamt auf elf Datenträgern, teilweise für Millionenbeträge. Dadurch kamen nach Angaben des Finanzministeriums zusätzliche Steuereinnahmen von schätzungsweise sechs bis sieben Milliarden Euro bundesweit zusammen – allein 2,4 Milliarden Euro in NRW seit dem Jahr 2010. Etwa die Hälfte der Mehreinnahmen resultiert aus Selbstanzeigen von Steuerpflichten. Die andere Hälfte setzt sich nach einer Übersicht der NRW-Finanzverwaltung aus Bußgeldern gegen Banken, Mehrsteuern sowie Geldstrafen und Geldauflagen zusammen.

Das Vorgehen sorgt seit mehreren Jahren für Verstimmungen in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz, war von höchsten deutschen und europäischen Gerichten allerdings als juristisch zulässig anerkannt worden.

Den vorläufigen Höhepunkt erreichte die deutsch-schweizerische Beziehungskrise im März 2009. Der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatte die Debatte um den Kampf gegen das Schweizer Bankgeheimnis mit dem Einmarsch einer Kavallerie im Wilden Westen verglichen. Am 13. März 2009 gaben Schweizer Behörden bekannt, ihr Bankgeheimnis bei Steuerhinterziehung zu lockern und künftig die Standards der Staatengemeinschaft OECD zu befolgen. Bern hatte eingelenkt, weil eine „schwarze Liste“ aufgetaucht war, auf der die Schweiz als Steueroase bezeichnet worden war.

Gegen den in Deutschland festgenommenen Schweizer wird nach Informationen des Schweizer Radios übrigens auch in der Schweiz ermittelt. Daniel M. werde vorgeworfen, vermeintliche Schweizer Bankdaten an Deutsche verkauft zu haben, wie sein Schweizer Anwalt Valentin Landmann am Montag dem Schweizer Fernsehen SRF sagte. „Daniel M. wurde damals in einer Agent-Provocateur-Aktion von Deutschen angesprochen und ist bis zu einem gewissen Grad auf diese Angebote eingegangen“, sagte er. Sein Mandant habe aber keinerlei gültige Bankdaten aus der Schweiz geliefert. Als „Agent Provocateur“ wird jemand bezeichnet, der Dritte zu rechtswidrigen Handlungen animieren soll.

KONTEXT

So begann der Steuerstreit mit der Schweiz

Der Fall Zumwinkel

14. 2. 2008: Ermittler der Bochumer Staatsanwaltschaft durchsuchen das Büro und die Privaträume von Post-Chef Klaus Zumwinkel. Vor Zumwinkels Villa warteten bereits zahlreiche TV-Kamerateams. Dem Spitzenmanager wurde vorgeworfen, rund eine Million an Steuergeld hinterzogen zu haben. Die Ermittlungen gegen Zumwinkel standen in Zusammenhang mit der Liechtensteiner Steueraffäre und mit Geldanlagen in einer speziellen Stiftung nach liechtensteinischem Recht über die LGT Bank. In dieser Zeit fliegen zahlreiche deutsche Steuerhinterzieher mit Stiftungen und Konten in Liechtenstein auf. Der Bundesnachrichtendienst hatte einem Ex-Mitarbeiter der Liechtensteiner LGT-Bank gestohlene Daten-CDs für etwa fünf Millionen Euro abgekauft. Es folgen Razzien und viele Verfahren. Mehr als 200 Millionen Euro Straf- und Nachzahlungen fließen an den Staat. Da sich Zumwinkel kooperativ zeigte und vier Millionen Euro als Sicherheitsleistung hinterlegte, wurde ein gegen ihn bestehender Haftbefehl außer Vollzug gesetzt.

Mit der "Peitsche" gegen die Schweiz

27. 10. 2008: Bundesfinanzminister Peer Steinbrück richtet in einer TV-Sendung massive Vorwürfe gegen die Schweiz. Um an die geschätzten 80 Milliarden Euro Schwarzgeld heranzukommen, die Deutsche auf Schweizer Bankkonten gebunkert haben sollen, werde Deutschland nun "die Peitsche einsetzen", kündigte er an. Schon zuvor hatte Außenministerin Micheline Calmy-Rey den deutschen Botschafter einbestellt und ihm gesagt, sie sei "befremdet und vor allem enttäuscht über Steinbrücks Tonfall". Die rechtskonservative SVP erklärte: "Heute will Herr Steinbrück wie 1934 den Geschäftsverkehr zur Schweiz belasten, was wird dieser Mann wohl in fünf Jahren tun?"

Steinbrück und die Kavallerie

14. 3. 2009: Finanzminister Steinbrück fordert erneut die Alpenrepublik heraus. Er vergleicht die Schweizer mit Indianern und eine geplante schwarze Liste der OECD, die Steueroasen an den Pranger stellen soll, mit der Kavallerie : "Die kann man ausreiten lassen. Aber die muss man nicht unbedingt ausreiten lassen. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt." Daraufhin wurde der deutsche Botschafter mehrmals ins Schweizer Außenministerium einbestellt.

NRW kauft Steuer-CD

26. 2. 2010: Das nordrhein-westfälische Finanzministerium kauft für 2,5 Millionen Euro eine CD mit Datensätzen von 1400 mutmaßlichen Steuersündern. Die Auswertung der Daten führt auch zu Schweizer Banken. Im März leitet die Staatsanwaltschaft Düsseldorf nach dem Kauf der Daten von Kunden und Mitarbeitern der Schweizer Bank Credit Suisse etwa 1.100 Ermittlungsverfahren ein. Es geht um 1,2 Milliarden Euro Anlagevermögen. Für die Daten sollen die Finanzbehörden in Nordrhein-Westfalen mehr als 2,5 Millionen Euro gezahlt haben.

Niedersachsen und Bund verbrüdern sich

Juni 2010: Es wird bekannt, dass der Bund und Niedersachsen gemeinsam Daten mutmaßlicher deutscher Steuerbetrüger in der Schweiz gekauft haben. Für 185.000 Euro erhalten sie rund 20.000 Datensätze. Die Steuergewerkschaft rechnet mit 500 Millionen Euro Mehreinnahmen für den Fiskus.

NRW kauft Julius Bär Daten

Oktober 2010: Nordrhein-westfälische Finanzbehörden kaufen für 1,4 Millionen Euro Daten der Schweizer Bank Julius Bär mit Angaben über Deutsche, die ihre Steuerpflicht umgehen. Es folgen Ermittlungen und Selbstanzeigen.

Julius Bär kauft sich frei

14. 4. 2011: Das Bankhaus Julius Bär zahlt 50 Millionen Euro an das Land Nordrhein-Westfalen, um sich aus einem Steuerverfahren freizukaufen. Es wurde gegen rund 100 Kunden ermittelt.

Erster Versuch eines Abkommens

10. 8. 2011: Deutschland und die Schweiz paraphieren ein Abkommen über die Besteuerung der Gelder deutscher Kapitalflüchtlinge auf Schweizer Bankkonten. Das Abkommen muss noch von den Parlamenten beider Länder gebilligt werden. Es geht den von SPD und Grünen geführten Bundesländern aber nicht weit genug.

Credit Suisse kauft sich frei

19. 9. 2011: Die Schweizer Großbank Credit Suisse einigt sich mit der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Gegen eine Zahlung von 150 Millionen Euro stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen die Mitarbeiter der Bank wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ein. Der deutsche Fiskus nahm durch die CD-Daten geschätzte 400 Millionen Euro ein.

NRW kauft noch eine CD

14. 10. 2011: Mit einem Millionenbetrag kauft NRW noch eine CD. Auf ihr enthalten sind die Daten von 3000 mutmaßlichen Steuerhinterziehern. Der Kauf ist mit dem Bund abgestimmt.

Die Schweiz schlägt zurück

31. 3. 2012: Es wird bekannt, dass die Schweizer Justiz Haftbefehle gegen drei nordrhein-westfälische Steuerfahnder wegen deren Ermittlungen gegen Steuerflüchtlinge erlassen hat. Die Finanzbeamten sollen 2010 am Ankauf einer CD mit Daten deutscher Bankkunden in der Schweiz beteiligt gewesen sein. Die Schweiz wirft ihnen "nachrichtliche Wirtschaftsspionage" vor. Sie sollen über einen Mittelsmann Anfang 2010 einen Mitarbeiter der Credit Suisse zum Datendiebstahl angestiftet haben. Das belegten SMS auf dem Handy des Datendiebs. "Die Daten wurden den Fahndern angeboten", sagte dagegen ein Kenner des Falls dem Handelsblatt.

Credit Suisse warnt Mitarbeiter

April 2012: Credit Suisse gibt für Mitarbeiter eine Reisewarnung für Deutschland aus, weil ihnen eine Verhaftung drohen könnte.

NRW kauft wieder Schweizer Steuer-CD

Juli 2012: Einem Medienbericht zufolge kauft das Land Nordrhein-Westfalen für 3,5 Millionen Euro eine Schweizer Steuer-CD mit 1.000 Namen. Betroffen sind dieses Mal vor allem Kunden der Privatbank Coutts in Zürich, eine Tochter der britischen Royal Bank of Scotland. Der Kauf ist nicht mit dem Bundesfinanzministerium abgestimmt.

Rheinland-Pfalz zieht nach

Februar 2013: Rheinland-Pfalz kauft eine CD mit rund 40.000 Datensätzen für 4,4 Millionen Euro. Bei einer bundesweiten Razzia werden im April Häuser von mutmaßlichen Steuersündern durchsucht. Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung gegen Mitarbeiter von Schweizer Banken.