Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • Nikkei 225

    40.168,07
    -594,66 (-1,46%)
     
  • Dow Jones 30

    39.807,37
    +47,29 (+0,12%)
     
  • Bitcoin EUR

    65.536,45
    +1.698,19 (+2,66%)
     
  • CMC Crypto 200

    885,54
    0,00 (0,00%)
     
  • Nasdaq Compositive

    16.379,46
    -20,06 (-0,12%)
     
  • S&P 500

    5.254,35
    +5,86 (+0,11%)
     

In China stehen mindestens 65 Millionen Wohnungen leer - Genug, um die gesamte Bevölkerung Frankreichs unterzubringen

Mindestens ein Fünftel der Wohnungen in China sind nicht bewohnt. In ihnen könnte die halbe Bevölkerung Frankreichs beherbergt werden.

In China stehen Millionen von Wohnungen leer.
In China stehen Millionen von Wohnungen leer.

Wenn ihr ein oder zwei Stunden aus Shanghai oder Peking rausfahrt, werdet ihr etwas Seltsames entdecken. Die Städte sind immer noch groß und modern. Außerdem sind sie allgemein in einem guten Zustand. Aber im Gegensatz zu ihren überfüllten Pendants in den sogenannten Tier-1-Städten sind sie praktisch leer. Das sind die Geisterstädte Chinas.

Ihre Existenz wurde bereits ausführlich dokumentiert. Ein bekanntes Beispiel dafür ist ein Beitrag des Nachrichtenmagazins "CBS" "60 Minutes" aus dem Jahr 2013 über Chinas Geisterstädte, der mit der Korrespondentin Lesley Stahl auf einer Hauptstraße zur Hauptverkehrszeit begann, auf der kaum ein Auto zu sehen war.

Evergrande hat für mehr Aufmerksamkeit gesorgt

Doch seit der chinesische Immobilienmarkt angesichts der 300-Milliarden-Dollar-Schulden von Evergrande wieder in den Mittelpunkt des weltweiten Interesses geraten ist, sind auch die Geisterstädte wieder in den Vordergrund gerückt. Sie sind ein Beweis für Chinas Abhängigkeit von Immobilien als Motor des Wirtschaftswachstums und für den Glauben an den Sektor als sichere Investition. Ihre genaue Anzahl ist jedoch schwer zu definieren.

WERBUNG

Li Gan ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der "Texas A&M University" und Direktor des Umfrage- und Forschungszentrums für die Finanzwirtschaft der chinesischen Haushalte an der "Southwestern University of Finance and Economics" in Chengdu. Zudem gilt er als einer der führenden Experten für den chinesischen Wohnungsmarkt. Als ich ihn fragte, wie viele Geisterstädte es in China gibt, hatte er keine Antwort parat. "Ich weiß nicht, ob es eine Definition von 'Geisterstadt' gibt", sagte er. "Also weiß ich nicht, ob es eine Zahl gibt."

Was sind Chinas Geisterstädte?

Die bekannteste Geisterstadt Chinas ist wohl Ordos New Town. Sie ist auch bekannt als Kangbashi, in der Region der inneren Mongolei. Anfang der 2000er Jahre sollte die Stadt eine Million Menschen beherbergen. Diese Zahl wurde später auf 300.000 reduziert. Im Jahr 2016 lebten jedoch nur 100.000 Menschen in der Stadt. Kangbashi gelang es schließlich, Einwohner anzulocken, nachdem China einige seiner Spitzenschulen in die Stadt verlegt hatte, wie das Nachrichtenmagazin "Nikkei" Anfang dieses Jahres berichtete.

Im Jahr 2015 reiste der Fotograf Kai Caemmerer nach China, um die Geisterstädte zu erkunden. Seine Fotos zeigen endlose Reihen von Hochhäusern. In diesen gibt es kaum Anzeichen für menschliches Leben. Es sind Fotos, die die Menschen daran erinnern könnten, wie abgesperrte Städte auf der ganzen Welt während der Coronavirus-Pandemie aussahen.

Diese unbewohnten Einheiten machen einen erheblichen Teil des riesigen chinesischen Wohnungsmarktes aus, der doppelt so groß ist wie der der USA und 2019 einen Wert von 52 Billionen Dollar erreicht hat. Daten aus der zuletzt veröffentlichten China Household Finance Survey, die von Gan durchgeführt wird, zeigen, dass 2017 21 Prozent der Wohnungen - etwa 65 Millionen - leer standen, wie das Wall Street Journal berichtete. In so vielen leeren Wohnungen könnte die Bevölkerung Frankreichs wohnen. Doch anders als in Teilen der USA und Japans, wo Städte und Regionen aufgrund von verlassenen und verfallenen Häusern als Geisterstädte bezeichnet werden, ist es in China anders. Sie sind nicht verkommen, sie sind nur unbewohnt. Wie Gan es ausdrückt, sind diese Geisterstädte "ein einzigartiges chinesisches Phänomen".


Wieso stehen in China so viele Immobilien leer?


Das erste, was man über Chinas Geisterstädte wissen muss, ist, dass es sich bei ihnen um keine verwahrlosten Orte handelt. Stattdessen sind sie voll von Neubauten, die als Investitionen gekauft wurden. Sie sind auch ein Zeichen für ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage.

"Dass diese Wohnungen leer stehen, bedeutet, dass sie an Investoren und Käufer verkauft, aber weder von den Eigentümern noch von den Mietern bewohnt werden", so Xin Sun, Dozent für chinesische und ostasiatische Wirtschaft am "King's College London", gegenüber Insider.

Auf der Angebotsseite, erhalte die Regierung hohe Verkaufserlöse aus der Verpachtung von Grundstücken an Bauträger, berichtet die "Sun". "Dies gibt der Regierung einen starken Anreiz, die Entwicklung zu fördern, anstatt sie zu begrenzen", sagte er.

Immer mehr Chinesen leben in Städten

Jedes Jahr werden in China 15 Millionen neue Wohnungen gebaut - fünfmal so viele wie in den USA und Europa zusammen, berichtete The Economist im Januar. Neben der Förderung der Entwicklung durch die Regierung und der Erhöhung des Angebots ist auch die Urbanisierung Chinas ein Thema. Nach Angaben der Weltbank lebten im vergangenen Jahr 61 % der chinesischen Bevölkerung in Städten, während es zwei Jahrzehnte zuvor nur 35,8 % waren.

Gan sagte jedoch, dass Chinas Urbanisierungsrate mit Mängeln behaftet sei, von denen einer mit der Neuklassifizierung von Gebieten zusammenhängt. Wenn ländliche Gebiete als städtisch eingestuft werden, haben die Menschen in diesen Gebieten bereits Häuser. Obwohl sie also nie umgezogen sind und keinen neuen Wohnort benötigen, tragen sie dennoch zur Urbanisierungsrate bei, sagte er.

"Ein Teil des Problems besteht darin, dass China seine Verstädterungsrate überschätzt hat - wie viele Menschen würden vom Land in die Stadt ziehen wollen", sagte Gan.

Eine Kultur der Immobilieninvestitionen


Auf der Nachfrageseite hat der allgemeine Aufwärtstrend bei den Hauspreisen eine enorme Nachfrage nach Zweit- und Drittimmobilien ausgelöst, so Sun. "Innerhalb von zwei Jahrzehnten sind die Hauspreise vielerorts, auch in Großstädten, um ein Vielfaches gestiegen", berichtete Sun. "Die meisten Menschen in China haben, im Gegensatz zu den USA im Jahr 2008 oder Japan in den Neunzigerjahren, nicht miterlebt wie eine große Immobilienblase platzt."

"Dies führt zu der Überzeugung, dass Immobilien der beste Weg sind, um Wohlstand zu erhalten und zu generieren", sagte Sun. "Das stimuliert die Nachfrage nach dem Kauf weiterer Immobilien."

Die Wohneigentumsquote in China ist hoch. Mehr als 90 Prozent der Haushalte sind Eigenheimbesitzer, so ein Forschungsbericht des National Center for Biotechnology Information vom Januar über Eigenheimbesitz in China. Mehr als 20 Prozent der Hausbesitzer in China besitzen mehr als ein Haus. Zum Vergleich: In den USA liegt die Wohneigentumsquote bei 65 Prozent. Auch der Anteil des Immobilienbesitzes am Vermögen der Haushalte ist in China überdurchschnittlich hoch. 70 Prozent des Haushaltsvermögens sind in Immobilien angelegt. Das ist weit mehr als in westlichen Volkswirtschaften.

Die Nachfrage nach Immobilien wurde jedoch durch eine Reihe von Faktoren beeinträchtigt, sagte Bernard Aw, ein Wirtschaftsexperte für den asiatisch-pazifischen Raum bei Coface. Zu diesen Faktoren gehören die zunehmende Unerschwinglichkeit von Wohnungen, eine älter werdende Bevölkerung und ein verlangsamtes Bevölkerungswachstum. Aw verwies auf die Volkszählung 2020 in China, bei der das langsamste Bevölkerungswachstum seit den Siebzigerjahren verzeichnet wurde.

"Sie haben ein Überangebot gebaut und es dann verkauft", sagte Gan. "Und deshalb sieht man die Leerstände."


Während die Evergrande-Krise droht, gibt es in China Möglichkeiten zur Risikominderung


Evergrande hat mehr als 1.300 Bauprojekte in 280 Städten in China. Laut seiner Website leben dort insgesamt mehr als 12 Millionen Menschen. Aber Evergrande ist auch mit 300 Milliarden Dollar verschuldet. Damit ist es das am höchsten verschuldete Unternehmen der Welt. 1,6 Millionen nicht ausgelieferte Wohnungen hängen in der Schwebe und die Zahlungen für Anleihen bleiben aus.

Trotz des Ausmaßes von Evergrande und seiner Verschuldung ist das Bauunternehmen nur für einen Bruchteil der chinesischen Wohnungsprobleme verantwortlich. "Evergrande hat mit dem Leerstandsproblem zu tun. Aber man kann ihm nicht die Schuld dafür geben", sagte Gan. " Der Marktanteil des Unternehmens in China ist immer noch gering. "Sie sind beide Teil eines großen Problems", fügte Gan hinzu. Er verwies auf Evergrande und die Leerstandsrate.

Im Jahr 2017 beschrieb Bloomberg Pekings Alptraumszenario als eines, in dem die Menschen ihre Zweitimmobilien überstürzt verkaufen, sobald Risse im Markt auftreten, was die Preise in eine Abwärtsspirale schickt. Als ich Gan fragte, ob dies das Szenario sei, das sich derzeit in China abspiele, sagte er, dass dies nicht der Fall sei. Aber nicht, weil es keine Risse im Markt gäbe. Die Regierung erschwert den Abschluss eines Verkaufs so sehr, dass sie die Hausbesitzer vom Verkauf abhalte, sagte Gan.

"China kann eine Transaktion stoppen. Die Anzahl der Jahre in denen man ein Haus besitzen darf, kann die Regierung aufheben. Oder wenn die Preise zu niedrig sind, gibt die Regierung kein Verkaufszertifikat aus", so Gan. " Dies passiert zurzeit in China.

"Der Preis wird nicht wesentlich geringer werden. Aber das Transaktionsvolumen wird massiv zurückgehen", fügte er hinzu. "Sie werden den Verkauf stoppen. Auf diese Weise können sie den Anschein eines massiven Preisverfalls verhindern. Sie können den Absturz abwenden.

Genau dieser Schritt - die Unterdrückung von Hausverkäufen - schadet denjenigen, die ihre Häuser verkaufen müssen, um an Bargeld zu kommen, sagte Gan. "Immobilien sind ein großer Teil des Vermögens der Menschen", sagte er. "Wenn sie dieses Vermögen für ihre Ausbildung, ihre Gesundheit oder ihren Ruhestand benötigen, werden die Liquiditätsverkäufer leiden. Gan wies darauf hin, dass das Verkaufsverbot nicht ausschließlich oder direkt mit der Schuldenkrise von Evergrande zusammenhängt: "Es geschah vor dem Erscheinen von Evergrande", sagte er.

Erhöhte Ansteckungsangst


Neben Liquiditätsverkäufern sind vor allem Familien mit nur einem Eigenheim gefährdet. „Menschen, die nur ein Haus besitzen, sind von hohen Preisen und niedrigen Einkommen bedroht“, sagte Gan. "Viele von ihnen leihen sich die Einlagen ihrer Freunde oder Verwandten. Nicht von den Banken."

Anders sei die Situation bei wohlhabenden Familien, die ihr Geld in Zweit- und Drittimmobilien investiert haben, sagt Sun: "Das Ausfallrisiko für diese Familien ist relativ gering, es sei denn, eine riesige und beispiellose Wirtschaftskrise führt zu einer Massenarbeitslosigkeit". „Aber abgesehen von diesem Worst-Case-Szenario ist das Ausfallrisiko relativ gering“, fährt Sun fort.

Mehrere chinesische Immobilienfirmen sind verschuldet

Auf breiterer Ebene stellt Evergrande ein Risiko für die chinesische Wirtschaft insgesamt dar. Experten zufolge könnten die Schuldenprobleme von Evergrande auch andere Immobilienunternehmen in China treffen und eine neue Welle von Zahlungsausfällen auslösen. Noch in der vergangenen Woche hatte das chinesische Immobilienunternehmen Fantasia eine Rückzahlungsfrist von 206 Millionen US-Dollar. Ein durchgesickertes Schreiben vom September 2020 zeigt, dass das Unternehmen bei mindestens 128 Banken verschuldet ist, berichtete Reuters.

Eine weitere Gefahr besteht darin, dass die Evergrande-Krise die Wahrnehmung der chinesischen Immobilienbranche als sichere Investition verändern könnte, sagte Sun, und das ist ein Problem, wenn Immobilien seit 29 Jahren einen großen Teil des Bruttoinlandsproduktes ausmachen.

„Die Regierung verlässt sich stark auf die Haushalte, um weiterhin in Immobilien zu investieren“, sagte Sun. „Wenn die Blase platzt, wird dies unweigerlich das Vertrauen der Menschen in Immobilien beeinträchtigen und ihre Wahrnehmung von Immobilien als der beste Weg zur Erhaltung und zum Aufbau von Vermögen untergraben."

"Dies bedeutet, dass eine Verlangsamung des Wohnungsmarktes zu einer Verschlechterung des Wirtschaftswachstums und der öffentlichen Finanzen führen wird."

Dieser Text wurde von Lisa Ramos-Doce aus dem Englischen übersetzt. Das Original findet ihr hier

VIDEO: Die mongolische Geisterstadt

.