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Zweiter Lockdown spaltet die Wirtschaft

Deutschland ist am Montag in den Teil-Lockdown gegangen. Industrieverbände bewerten den Kurs überwiegend positiv, andere Branchen leiden hingegen darunter.

Zusammengeklappte Stühle, Tische und Sonnenschirme sind in einem Außengastronomiebereich in der Hannoveraner Innenstadt zu sehen. Bund und Länder haben ab dem kommenden Montag einen Teil-Lockdown beschlossen. Foto: dpa
Zusammengeklappte Stühle, Tische und Sonnenschirme sind in einem Außengastronomiebereich in der Hannoveraner Innenstadt zu sehen. Bund und Länder haben ab dem kommenden Montag einen Teil-Lockdown beschlossen. Foto: dpa

Die harten Einschränkungen, die Bund und Länder zur Bekämpfung der Pandemie beschlossen haben, sorgen in der deutschen Wirtschaft für Streit. Anton F. Börner, Präsident des Bundesverbands Groß- und Außenhandel, unterstützt den neuen Teil-Lockdown. Die Maßnahmen seien „konsequent und richtig“, betont Börner.

Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, sieht das allerdings völlig anders: Ihre Branche werde „mit Berufsverbot belegt“. Während sich die Lage der Industrie seit dem Sommer deutlich gebessert hat, warnen Experten vor schweren Schäden für Gastronomie und stationären Einzelhandel.

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Es sind zwei Stimmen, die zeigen, dass ein Riss durch die deutsche Wirtschaft geht. Ab diesem Montag greifen die harten Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die Bund und Länder angesichts steigender Infektionszahlen beschlossen haben. Für die Bürger gelten wieder strengere Kontaktauflagen. Gastronomie sowie Freizeit-, Kultur- und Sporteinrichtungen müssen schließen. Hotels dürfen keine Touristen mehr beherbergen. Der Handel sowie Schulen und Kitas bleiben anders als im Frühjahr geöffnet. Der Teil-Lockdown gilt vorerst bis Ende November – und er könnte die Spaltung in der Wirtschaft noch verschärfen.

Restaurants, Kultur, Events und Tourismus haben sich schon während des abgeflauten Infektionsgeschehens im Sommer nicht vollständig erholen können. Die neuen Maßnahmen verlängern und vertiefen nun die Krise. „Die Branchen des sozialen Konsums haben aktuell keine Chance auf Gesundung“, sagt Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Die Bundesregierung will den Schaden der betroffenen Firmen mit Hilfen in Höhe von zehn Milliarden Euro abfedern. Bundfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach von „massiven, in dieser Größenordnung bisher unbekannten Unterstützungsleistungen“. Doch es bleibt abzuwarten, wie viel die einmonatige Unterstützung an der grundlegenden Misere etwa der Gastronomie tatsächlich ändert.

Viele Restaurants und Kneipen in Deutschland standen schon vor dem Teil-Lockdown im November stark unter Druck. Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) meldeten 42 Prozent der Gastronomie-Unternehmen eine schlechte Geschäftslage. In der Gesamtwirtschaft galt dies für 29 Prozent. In der Umfrage gaben 34 Prozent der befragten Gastronomen an, unter Liquiditätsengpässen zu leiden. Bei 55 Prozent der Firmen ging das Eigenkapital zurück. Über alle Branchen sei die Liquidität für 19 Prozent der Befragten ein Problem, Eigenkapital für 28 Prozent.

Kauflaune der Verbraucher rutscht ab

Die Frage ist zudem, ob die Schließung der Gastronomie von Restaurants, auch auf den Einzelhandel durchschlägt, wenn weniger Menschen zum Einkaufen in die Innenstädte gehen werden. Die Mobilitätsdaten von Google legen schon jetzt nahe, dass die Innenstädte seit Anfang Oktober wöchentlich leerer werden. Die Kauflaune der Verbraucher rutscht ab, wie das aktuelle HDE-Konsumbarometer zeigt.

Nach Einschätzung der Marktforscher der Nürnberger GfK trifft die Krise vor allem den stationären Handel, weil die Verbraucher aufgrund steigender Infektionszahlen verunsichert seien und viele den Besuch von Geschäften eher vermeiden. Hinzu komme, „dass Einkaufen mit Maske nur beschränkt Spaß macht“, sagte GfK-Konsumexperte Rolf Bürkl. Von den neuen Einschränkungen des öffentlichen Lebens dürfte nun erneut vor allem der Onlinehandel profitieren.

Sehr viel besser ist seit dem Sommer die Lage in der Industrie. „Das verarbeitende Gewerbe hat sich erstaunlich gut aus der Rezession herausgekämpft – gerade wenn man bedenkt, dass es ja die ganze Zeit über immer in irgendeinem Land Einschränkungen gegeben hat“, sagt IW-Chef Hüther.

Der große Unterschied im Vergleich zum März: Die Grenzen innerhalb Europas sind offen. Für reibungslosen grenzüberschreitenden Handel steht der Lkw-Maut-Index: Er zeigt, dass seit Sommer genauso viele Lastwagen durch Deutschland rollen wie vor Corona.

Einen weiteren Schub bringt vor allem der Autoindustrie das Ende der Pandemie in China. Deutschlands Vorzeigebranche litt bereits vor Corona unter Absatzrückgängen, jetzt gibt das Chinageschäft ihr neuen Schwung. In der deutschen Industrie kann man mit dem Teil-Lockdown daher eher gut leben. Karl Haeusgen, Präsident des Maschinenbauverbands VDMA, sagte: „Die jetzt beschlossenen Maßnahmen sind richtig und notwendig, um die Ansteckungswelle zu brechen. Schlimmeres zu verhindern ist die richtige Zielsetzung.“

BGA-Präsident Börner verwies darauf, dass die betroffenen Unternehmen ja vom Staat einen Umsatzausfall bekämen. „Damit hat Deutschland in Europa, vielleicht sogar weltweit ein Alleinstellungsmerkmal, um das wir beneidet werden“, sagte er dem Handelsblatt.

Der Warenverkehr läuft reibungslos

Sorgen, dass sich Deutschland finanziell übernehme, hat er nicht. „Es zahlt sich jetzt aus, dass die Bundesregierung in guten Zeiten das Geld zusammengehalten und eine solide Haushaltspolitik gemacht hat“, so Börner. Die Schließung aller Gastronomiebetriebe sieht aber auch er kritisch: „Ich bin davon überzeugt, dass das Infektionsrisiko in Restaurants sehr gering ist, wenn dort bestimmte Sicherheitsregeln eingehalten werden.“

Zu Anfang der Pandemie hatte die Industrie noch stärker gelitten als der Konsum. Während des Lockdowns im Frühjahr war in Deutschland zwar nie das Produzieren von Waren verboten – es fehlten aber die Vorlieferungen aus China und wegen anfänglicher Grenzschließungen auch aus europäischen Nachbarländern. Die Lieferketten waren vielfach gestört.

Inzwischen läuft der Warenverkehr wieder reibungslos. Sowohl in den chinesischen Häfen als auch in Häfen außerhalb Chinas nahm der Umschlag kräftig zu, meldete das RWI-Institut am Freitag. „Das zeigt, dass der Welthandel weiterhin kräftig ausgeweitet wird“, sagt RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt. Der Containerumschlag übertreffe sein Vorkrisenniveau. Auch Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler IfW, sagt: „Wir haben keine Probleme mit Lieferketten, obwohl andere Länder schon lange Einschränkungen verhängt haben.“

Die meisten Ökonomen erwarten, dass sich in der Industrie der Aufschwung des dritten Quartals fortsetzten wird – solange Grenzen offen und Schulen und Kitas in Betrieb bleiben. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) war vor der zweiten Welle im dritten Quartal mit 8,2 Prozent stärker als erwartet gewachsen – nachdem es im zweiten Quartal mit 9,8 Prozent so drastisch wie nie zuvor in der Nachkriegszeit eingebrochen war. Corona wirkt allerdings nach: Das BIP liegt noch immer um mehr als vier Prozent unter dem Vorjahreswert.

Der Teil-Lockdown wird der Wirtschaft auf jeden Fall einen Dämpfer versetzen. Uneins sind Ökonomen, ob der Aufschwung des dritten Quartals zum Jahresende mit Stagnation oder neuerlichem Abschwung endet. Klar sei laut Felbermayr aber: So stark wie im Frühjahr würde ein Rückgang des BIP nicht mehr ausfallen. Denn die Branchen, die im November schließen müssen, stehen für nur vier Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung.

Milliardenschwere Einbußen für die Wirtschaft

Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) für die „Welt am Sonntag“ werden die Maßnahmen im November die Wirtschaft rund 19,3 Milliarden Euro kosten. Mit Einbußen von 5,8 Mil‧liarden Euro seien Gastronomie und Hotels am härtesten betroffen. Die Bereiche Sport, Kultur und Unterhaltung müssten ein Minus von 2,1 Milliarden Euro verkraften, der Handel von 1,3 Milliarden Euro. Die deutsche Industrie muss demnach mit einem Minus von 5,2 Milliarden Euro rechnen. Ein Großteil der übrigen Summe entfalle auf Unternehmensdienstleister, Logistikfirmen und auch Kinobetreiber.

Nach der Stilllegung von Teilen des öffentlichen Lebens im November wird die große Frage sein, wie Deutschland aus den harten Maßnahmen wieder herauskommt, ohne dass sich das Virus erneut rasant ausbreitet. „Wichtig ist, dass das Weihnachtsgeschäft nicht leidet und dass der Konsum nicht einbricht“, so IfW-Chef Felbermayr. Denn dann wäre auch das Wachstum im nächsten Jahr gefährdet, für das die Bundesregierung nach ihrer neuen Prognose von Freitag eine Rate von 4,4 Prozent erwartet.

BGA-Präsident Börner setzt darauf, dass bereits im ersten Quartal des kommenden Jahres ein Impfstoff zur Verfügung stehe. Danach komme es zu einem starken Aufschwung, prophezeit er. „Ich bin zuversichtlich, dass wir im zweiten Quartal zum business as usual zurückkehren können. Damit ist das Thema dann erst mal weg.“ Allerdings: Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (RKI), Thomas Mertens, rechnet damit, dass eine umfassende Impfung in Deutschland bis 2022 dauern dürfte.