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Zwei Kontrahenten gegen die Rechten in Wien

Mit Michael Ludwig und Andreas Schieder kämpfen zwei hochrangige SPÖ-Funktionäre um die Kandidatur für das Rathaus in Wien. Die zwei höchst unterschiedlichen Sozialdemokraten eint der Kampf gegen die Rechtspopulisten.

Der Stolz über den sozialen Wohnungsbau steht Michael Ludwig ins Gesicht geschrieben. Am frühen Morgen referiert der promovierte Historiker vor ausländischen Gästen in einem Saal des kafkaesken Wiener Rathauses. Der soziale Wohnbau ist seit knapp einem Jahrhundert die Erfolgsgeschichte der österreichischen Sozialdemokratie. In keiner anderen Hauptstadt Europa leben mehr Menschen in sozial geförderten Wohnungen als in Wien – 62 Prozent. Darauf ist der SPÖ-Politiker Ludwig stolz. Die Geschichte erzählt 56-Jährige in diesen Tagen gebetsmühlenartig. Denn der langjährige Wohnbaurat befindet im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt in der zweitgrößten Stadt im deutschsprachigen Raum.

Am Samstag entscheidet der SPÖ-Parteitag über die Nachfolge von Bürgermeister Michael Häupl. Ludwig hat einen starken Konkurrenten: Andreas Schieder. Der weltläufige SPÖ-Fraktionschef im Parlament duelliert sich mit Ludwig um das Amt im Rang eines Ministerpräsidenten. Seit knapp 24 Jahren regiert der promovierte Biologe Häupl die schnell wachsende österreichische Hauptstadt – zuletzt allerdings ziemlich lust- und freudlos. Nun macht der 67-jährige Platz für die nächste Generation, welche die Geschichte der 1,8 Millionen Bewohner große Metropole lenken soll.

Das Duell um das rote Wien ist von politischer Bedeutung. Denn die österreichische Hauptstadt wird seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterunterbrochen von den Sozialdemokraten regiert. Doch die rote Bastion wurde bei den vergangenen Wahlen von der rechtspopulistischen FPÖ deutlich geschliffen. Die ehemalige Haider-Partei trennte bei der vergangenen Landtagswahl nur knapp neun Prozent von der SPÖ, die zusammen mit den Grünen die österreichische Hauptstadt regiert. Seit dem Wechsel zu einer konservativ-rechtspopulistischen Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz ist Wien die letzte wirklich starke Hochburg der Sozialdemokraten im Land.

Von Niedergeschlagenheit ist bei Andreas Schieder, der die SPÖ-Fraktion im Parlament anführt, unterdessen nichts zu spüren. Für die rechtskonservative Regierung hat der smarte Politikmanager in seinem provisorischen Parlamentsbüro auf dem Heldenplatz mit Blick auf die Hofburg nur Spott und Kritik übrig. Der ehemalige Finanzstaatssekretär ist schnell im Denken, spitzzügig in der Formulierung und professionell im Politikstil.

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Auf seinem Sideboard hat er Holzplastiken seiner politischen Vorbilder aufgebaut: Willy Brandt, Olof Palme, Nelson Mandela oder Mahatma Gandhi. Für rund 200 Euro hat der 48-jährige Schieder je Exemplar einem schwedischen Künstler dafür gezahlt. Die Alltagskunst besitzt eine Botschaft: Hier arbeitet ein Sozialdemokrat mit klaren Wertvorstellungen. Schieder stammt aus einer prominenten SPÖ-Familie in Wien. Sein Vater war schließlich außenpolitischer Sprecher der Sozialdemokraten.

Andreas Schieder selbst besitzt ein über Jahre gestricktes internationales Netzwerk. Das möchte der Magister der Volkswirtschaft auch zum Vorteil seiner Heimatstadt nutzen. Schieder will Wien noch stärker als europäische Metropole für Wirtschaft und Politik positionieren. Wortreich erzählt er von der Erfolgsgeschichte des Forschungsstandortes und denkt laut darüber nach, welche internationalen Organisationen er an die Donau holen will.

In der Partei hat der zum linken Flügel zählende Politiker nicht nur Freunde. Den Geruch von „Freunderlwirtschaft“ wird er nicht los. Denn seine Lebensgefährtin Sonja Wehsely wechselte im April 2017 vom Amt der Wiener Gesundheitsrätin direkt zu Siemens. Dort übernahm die Juristin eine neu geschaffene Position in der Siemens-Medizinsparte Healthineers im fränkischen Erlangen.

Die SPÖ in Wien und der Münchner Konzern haben seit Jahrzehnten eine besonders innige Beziehung. Beispielsweise wurde die frühere Wiener SPÖ-Politikerin Brigitte Ederer wurde bei Siemens Österreich-Chefin und zog später als Europa- und Personalchefin in den Konzernvorstand ein. Kritiker der Personalie von Sonja Wehsely fragt Schieder in geübter Weise, ob es denn Sippenhaft gebe.

Die SPÖ steht in Wien unter großen Druck. 2020 stehen die nächsten Wahlen an. FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat noch nicht entschieden, ob er sich abermals um das Wiener Bürgermeisteramt bewerben wird. Seine rechtspopulistische Bewegung ist dabei in immer mehr Arbeiterviertel die Sozialdemokraten als Nummer eins abzulösen. Der SPÖ-Kandidat Ludwig, der dem rechten Flügel seiner Partei angehört, kennt das Problem seit langem.

Sein Heimatbezirk Florisdorf wäre bei den vergangenen Landtagswahlen um ein Haar an die frühere Haider-Partei gegangen. „In den Außenbezirken kämpfen wir gegen die Blauen und in den Innenbezirken gegen die Grünen“, beschreibt ein SPÖ-Funktionär aus dem Arbeiterviertel Donaustadt das Kernproblem. Diese Sandwich-Position spiegelt auch das rote Duell um Wien wieder. In den Arbeiterbezirken kann Ludwig mit seiner leutseligen und bürgernahen Art punkten. In dem wohlhabendenden Vierteln im Zentrum ist Schieder in der Lage den Grünen wertvolle Prozentpunkte abzujagen.

Was beide eint, sie schauen den Wiener „aufs Maul“. Sowohl Ludwig als auch Schieder wollen den sogenannten „Wien Bonus“ ausbauen. „Diejenigen, die hier schon lange wohnen, sollen wissen, dass sie bevorzugt werden“, sagt Ludwig, der bereits seit elf Jahren der Landesregierung angehört, im Rathaus klipp und klar. Beispielsweise wer neu nach Wien zieht, muss sich bei der Zuteilung einer Sozialwohnung hintenanstellen.

Die lange in Wien ansässigen Einheimischen – egal ob Österreicher oder Ausländern – sollen hingegen präferiert werden. Die Bevorzugung der langjährigen Wiener ist ein Ansatz, der auch bei den Wählern der FPÖ gut ankommt. Denn darauf kommt es an, damit sich das rote Wien sich nicht beim nächsten Urnengang blau umfärbt.