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Zurückhaltung und Not-Gründungen: Die Coronakrise schlägt sich auf die Start-up-Kultur nieder

Selbstständige leiden besonders unter der Coronakrise. Dennoch gibt es Hoffnung, dass die Pandemie die Gründungsambitionen in Deutschland nur kurzfristig dämpft.

Dieses Jahr hätte ihr Jahr werden sollen: Im Januar gründeten Boas Bamberger, David Biller, Florian Dyballa und Arbnor Raci ihr Start-up Aivy, eine Ausgründung der Freien Universität Berlin. Die von ihnen entwickelte App hilft Unternehmen dabei, geeignete Bewerber zu finden und die Personalauswahl effizienter zu gestalten.

Hoffnungsvoll machten sich die unter anderem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten und vom Handelsblatt preisgekrönten Gründer auf die Suche nach Investoren und Kunden. Doch dann kam die Corona-Pandemie. „Wir sind noch mit einem blauen Auge davongekommen“, blickt Florian Dyballa zurück.

Mitten in der Krise gelang es den Jungunternehmern, eine halbe Million Euro von einem Business-Angel-Netzwerk einzusammeln. „Aber wir haben gemerkt, dass die Investoren zurückhaltender geworden sind“, sagt Dyballa.

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Während die Anfangsfinanzierung also gesichert ist, sei es beim Aufbau eines Kundenstamms langsamer vorangegangen als erhofft, sagt Dyballa. „Bei uns sind Verträge letztlich nicht zustande gekommen, weil der Personalabteilung das Budget gestrichen wurde oder sie gerade vollauf mit der Abwicklung der Kurzarbeit beschäftigt ist.“ Potenzielle Investoren für die nächste Finanzierungsrunde wollen aber Erfolge sehen.

Der Lockdown bringt zum Jahresende nicht nur das öffentliche Leben wieder weitgehend zum Erliegen. Die Pandemie wirkt sich auch lähmend auf das Gründungsgeschehen in Deutschland aus, von dem es noch im vergangenen Jahr durchaus Erfreuliches zu vermelden gab.

So ist die Zahl der Existenzgründungen 2019 erstmals seit Jahren wieder gestiegen. 58.000 mehr als im Vorjahr, und insgesamt 605.000 Unternehmen wurden gegründet, wie aus dem Gründungsmonitor der staatlichen Förderbank KfW hervorgeht.

Doch Corona brachte einen empfindlichen Rückschlag. Nach einer Blitzbefragung von KfW Research und der Gründerplattform im April 2020 – also noch ganz am Anfang der Krise – gaben vier von zehn Befragten an, ihre Gründungspläne verschieben zu wollen. Zwei Prozent verabschiedeten sich ganz von der Idee einer Existenzgründung. 41 Prozent sahen sich durch die Pandemie gezwungen, ihr Geschäftsmodell vorübergehend oder dauerhaft anzupassen.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden von Januar bis September dieses Jahres in Deutschland rund 88.200 Betriebe neu gegründet, deren Rechtsform und Beschäftigtenzahl auf eine größere wirtschaftliche Bedeutung schließen lassen. Das waren 6,4 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Während das Minus im Januar und Februar zusammen nur 2,3 Prozent betrug, waren es von März bis September 7,7 Prozent.

„Die Krise bringt viele Einschränkungen für Gründungen mit sich“, sagt KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. „Sie kann aber auch als Katalysator wirken, insbesondere für neue digitale Geschäftsmodelle.“ So war im vergangenen Jahr bei knapp einem Drittel der Neugründungen das Internet ein Kernelement des Geschäftsmodells, in den Vorjahren bewegte sich der Anteil immer nur bei rund einem Viertel.

Gerade die Tech-Startups lassen sich auch durch die Coronakrise nicht so leicht abschrecken. So gaben in einer Umfrage für den gerade erschienenen Startup-Report des Digitalverbands Bitkom zwar gut 60 Prozent der Tech-Gründer an, dass sie sich wegen der Pandemie Sorgen um ihr Unternehmen machen. 91 Prozent würden aber auch mit ihren aktuellen Erfahrungen erneut ein Startup gründen.

Die KfW geht aber auch davon aus, dass in der Krise viele Arbeitnehmer versuchen werden, sich ein zweites Standbein aufzubauen und im Nebenerwerb einen eigenen Betrieb zu gründen. Denn die Gründertätigkeit korreliert stark mit der Arbeitsmarktlage: Je schlechter die Aussichten auf einen sicheren Job, desto mehr Menschen wagen den Sprung in die Selbstständigkeit.

Es gibt häufiger Notgründungen

Das hat man auch bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Köln beobachtet. Dort gab es in diesem Jahr 50 Prozent mehr Gründungsberatungen als im Vorjahr. „Aber das sind oft Notgründungen, hinter denen in vielen Fällen noch kein ausgereiftes Konzept steht“, sagt Kammerpräsidentin Nicole Grünewald, die 1998 gemeinsam mit einem Partner selbst eine bis heute erfolgreiche Werbeagentur gegründet hatte.

Während es in „normalen Zeiten“ die meisten Gründungen in den Bereichen Gastgewerbe, Tourismus, Verkehr und bei anderen Dienstleistungen gebe, sei im Augenblick ein Trend zur Telemedizin und zur Bildungsdigitalisierung zu beobachten, erklärt Grünewald. Beides Geschäftsfelder, die durch die Coronakrise gerade einen Boom erfahren.

Nur aus der Not heraus zu gründen sei aber auch keine gute Idee, warnt Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Was schon vor Corona gegolten habe, gelte nach Corona umso mehr: „Eine grobe Geschäftsidee allein reicht zum Erfolg nicht aus. Und schon gar nicht darf die Unternehmensführung dem Prinzip Zufall überlassen werden.“

Gründungswillige sollten sich durch die Pandemie nicht entmutigen lassen, betont Schwannecke. Aber wer sich auf sich verändernden Märkten durchsetzen wolle, der brauche ein schlüssiges Unternehmenskonzept, das langfristige gesellschaftliche Trends ebenso berücksichtige wie rechtliche Rahmenbedingungen und betriebswirtschaftliche Kennziffern definiere. Dabei könne eine Beratung durch die Kammern hilfreich sein.

Experten sind aber zuversichtlich, dass die Gründerkultur durch die Pandemie keinen dauerhaften Schaden nimmt. Und das, obwohl die wirtschaftlichen Folgen von Corona gerade viele Selbstständige besonders hart treffen. So würden nach einer Studie von KfW Research 26 Prozent der Erwerbsbevölkerung die Selbstständigkeit wählen, wenn sie sich frei von finanziellen oder familiären Sachzwängen entscheiden könnten.

Damit ist ein jahrelanger Abwärtstrend gebremst: Zur Jahrtausendwende lag der Anteil der gründungsaffinen Menschen noch bei 45 Prozent. Die Gründe für den jahrelangen Rückgang sieht die KfW beispielsweise in der wirtschaftlichen Unsicherheit durch die Finanz- und Euro-Krise oder den Brexit, aber auch in der Alterung der Bevölkerung. Denn mit zunehmendem Alter nimmt der Mut zum beruflichen Risiko eher ab.

Umso erfreulicher ist für die Experten der Förderbank, dass gerade unter gebildeten jungen Menschen der Gründergeist wieder stärker erwacht. So hätten sich im vergangenen Jahr 46 Prozent der Studierenden frei von Sachzwängen für den Schritt in die Selbstständigkeit entschieden. Ein Jahr zuvor lag die Quote nur bei 33 Prozent.

Viel wird jetzt davon abhängen, wie stark sich die Pandemie letztendlich auf das Geschäft von Freiberuflern und Selbstständigen niederschlägt und wie stark sich potenzielle Gründer davon abschrecken lassen. „Durch die wirksame Unterstützung der Krisenbetroffenen kann hoffentlich erreicht werden, dass es bei einem Dämpfer bleibt und der Gründungsgeist keinen weiteren nachhaltigen Schaden nimmt“, sagt KfW-Chefvolkswirtin Köhler-Geib.

Gründerkredite sind Teil der Corona-Nothilfe

Überraschenderweise ist das Volumen der von der KfW ausgereichten ERP-Gründerkredite, die vorrangig von Gründern und jungen Unternehmen genutzt werden, trotz der Pandemie in diesem Jahr gestiegen. In den ersten neun Monaten wurden gut 16.000 Kredite im Volumen von 3,2 Milliarden Euro zugesagt. Im vergangenen Jahr gab es rund 11.900 Kreditzusagen über insgesamt knapp 2,3 Milliarden Euro.

Die Steigerung gegenüber dem Vorjahr ergibt sich laut KfW aber daraus, dass der ERP-Gründerkredit auch Teil der KfW-Corona-Hilfe ist, aus der junge Unternehmen mit einer Marktpräsenz von weniger als fünf Jahren Notfallkredite beantragen können.

Erfolgreich könne die Gründerkultur nur revitalisiert werden, wenn Wagemutigen nicht auch noch Steine in den Weg gelegt werden, mahnt die Kölner IHK-Präsidentin Grünewald. „Die Bürokratie ist ja durch Corona nicht weniger geworden. Viele Gründer fallen vom Glauben ab, wenn sie sehen, was sie alles ausfüllen müssen.“

Dies bestätigt auch eine Ende vergangenen Jahres erschienene Commerzbank-Studie. Darin gaben 45 Prozent der befragten Gründer an, dass sie Bürokratie und gesetzliche Vorgaben als größte Hürde bei der Gründung erfahren haben. Fragen wie Steuern, Finanzierung oder Kundengewinnung folgen erst mit deutlichem Abstand. Auch im KfW-Gründungsmonitor steht die Bürokratie als Hemmnis ganz oben.

Die Aivy-Gründer haben sich bisher aber weder davon noch von Corona abschrecken lassen. Trotzdem hoffen sie, dass die Pandemie nun schnell vorübergeht und sie neue Geldgeber und Kunden finden. Denn: „Wenn Start-ups etwas nicht haben, dann ist es Zeit und Geld“, sagt Dyballa.