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Zulieferer goes Interrail

Der Brexit hat Europa aufgerüttelt, ein Auseinanderbrechen der EU ist nicht vom Tisch. Deshalb startet ausgerechnet der Continental-Konzern ein europäisches Austauschprojekt – und hofft auf Nachahmer aus der Wirtschaft.

Seltene europapolitische Aktion eines Dax-Konzerns: Continental will den Austausch unter jungen Menschen innerhalb der EU fördern und startet seine eigene Europa-Initiative. Teilnehmer des Programms besuchen innerhalb von vier Wochen zwei Länder und absolvieren dort ein je zweiwöchiges Praktikum in einem Conti-Werk. Der Zulieferkonzern aus Hannover sieht in der Aktion vor allem ein europapolitisches Engagement. Weil in den zurückliegenden Monaten immer wieder über ein Scheitern der EU spekuliert worden war, will Continental einen Gegenpol setzen: Europa wächst zusammen, das Unternehmen fördert den Austausch unter den Menschen.

Eine ähnliche Idee hat es im vergangenen Jahr schon einmal im Europa-Parlament gegeben. Die EU sollte jedem 18-Jährigen aus den Mitgliedsstaaten ein kostenloses Interrail-Ticket für die Eisenbahn schenken. Mit diesem Ticket wären Zugfahrten innerhalb eines Monats in Europa gratis gewesen. Doch wegen der Milliardenkosten kommt dieses Projekt nur schleppend voran. Continental variiert diese Austausch-Idee: Stadt der Zugfahrt erleben junge Leute Europa an unterschiedlichen Konzernstandorten während eines Praktikums.

„Wir wollen jungen Menschen den Zugang zum europäischen Ausland erleichtern – und somit den europäischen Gemeinschaftsgedanken stärken“, sagt Continental-Personalvorstand Ariane Reinhart. Der Konzern wolle jungen Leuten die Möglichkeit geben, durch Kurzpraktika an verschiedenen Continental-Standorten in ganz Europa wertvolle Praxiserfahrungen zu sammeln. „Gleichzeitig können sie die Vorteile der europäischen Integration aus erster Hand erleben“, ergänzt Reinhart.

Für ein internationales Technologieunternehmen wie Continental sei es unverzichtbar geworden, dass es den ständigen Austausch über Ländergrenzen hinweg gebe. Interkulturelles Verständnis sei zu einem bedeutenden Erfolgsfaktor geworden. Deswegen wolle Continental den Nachwuchs für Europa begeistern und einen engen Austausch untereinander fördern. Der Konzern aus Hannover hofft, mit seinem Austauschprogramm eine Welle lostreten zu können, die die gesamte Wirtschaft erfasst. „Wir starten unser Projekt als Piloten einer deutschlandweiten Initiative, der sich weitere Unternehmen wie beispielsweise Oliver Wyman anschließen wollen“, sagte Reinhart. Dazu gebe es bereits die ersten Gespräche. Noch mehr Jugendliche könnte dadurch Europa unmittelbar erleben. Continental stellt zunächst 50 Plätze für die Aktion zur Verfügung.

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Continental arbeitet für diese Aktion eng mit der Arbeitsverwaltung zusammen. Die Bundesagentur für Arbeit schickt Profile von potenziellen Kandidaten an Continental und ist auch für die Vorauswahl verantwortlich. Die Reisekosten übernimmt die Bundesagentur für Arbeit. Als Gastfamilien stehen Mitarbeiter von Continental bereit. Die Praktikanten sollen viele neue Kontakte knüpfen und bekommen auch kulturelle Einblicke in das jeweilige Land.

Anfang des Monats sind die ersten Teilnehmer zu Auslandspraktika an Continental-Standorten in Belgien, Frankreich, Italien, Portugal, Rumänien, Ungarn und Großbritannien gestartet. Völlig uneigennützig hat der Konzern die Aktion nicht ins Leben gerufen: Möglicherweise ist die Teilnahme für den ein oder anderen der Startschuss für eine Beschäftigung bei Continental.


Homöopathische Wirkung

Das Unternehmen sieht in dem Projekt auch eine Chance, potenzielle Arbeitnehmer und neue Talente zu entdecken. „Wir sind uns schon lange bewusst, dass wir uns bei der Personalauswahl breit aufstellen und unkonventionelle Wege gehen müssen. Qualifikationen und Schulnoten allein reichen nicht mehr aus, um geeignete Mitarbeiter zu finden“, betont Ariane Reinhart.

Viele Probleme der EU sind auf ein schwindendes Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Union zurückzuführen. An diesem Punkt wollte im vergangenen Jahr eine Gruppe von EU-Parlamentariern ansetzen und gegenhalten. Ihr Plan: Sie wollten jungen Europäern zum 18. Geburtstag ein Interrail-Ticket zu schenken. Insbesondere nach der britischen Brexit-Entscheidung sollte damit der europäische Gedanke gefördert werden. „Wir wollen dieses wundervolle Europa an unsere Jugend weitergeben. Jeder junge Europäer sollte zu seinem 18. Geburtstag ein Interrail-Ticket erhalten, damit er die Schönheit und Vielfalt Europas entdecken kann“, sagte im vergangenen Jahr Manfred Weber, Chef der bürgerlichen EVP-Fraktion im Europa-Parlament.

Die EU-Kommission hatte zwar ihre Unterstützung für die Idee signalisiert. Allerdings nur prinzipiell und in einer so geringen Höhe, dass die Verwirklichung des Vorschlags nur schwer möglich sein wird. Die von der Brüsseler Kommission in Aussicht gestellte Förderung hätte allenfalls eine homöopathische Wirkung. Nur gut zwei Millionen Euro sollten für die Aktion bereitgestellt werden.

Die Interrail-Tickets hätten am Ende wahrscheinlich verlost werden müssen, weil die Zahl der Bewerber viel größer wäre als die Zahl der finanzierten Plätze. In einzelnes Interrail-Ticket kostet zwischen 200 und 500 Euro. Die Kosten, alle 18-jährigen EU-Bürger in die Züge zu setzen, wurden auf 1,0 bis 1,5 Milliarden Euro beziffert.

Noch haben die Europa-Parlamentarier die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ihr Projekt doch noch ausreichend Geld aus dem EU-Haushalt bekommen wird. Im Frühjahr liefen intensive Gespräche mit der Kommission und Bahnbetreibern, hieß es aus Kreisen der EVP-Fraktion. Ein Milliardenbetrag sei überhaupt nicht erforderlich. Weil nicht sofort alle 18-jährigen EU-Bürger auf einen Schlag das Interrail-Ticket nutzen würden, reiche ein weitaus geringerer Betrag. Expertenschätzungen gingen von anfänglichen Kosten von etwa 100 Millionen Euro aus, die dann allmählich mit den Nutzerzahlen steigen würden. 2018 könnte das Interrail-Programm vielleicht doch gestartet werden.

Solange die europäische Finanzierung nicht steht, kann das Continental-Programm den Austausch innerhalb der EU zumindest ein klein wenig beleben. Kämen noch viele andere Unternehmen dazu, würde das Brüsseler Projekt vielleicht sogar völlig überflüssig werden.