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Zugfusion: Alstom und Bombardier bangen um ihre Werke in Deutschland

EU-Kommissarin Vestager stellt Bedingungen für die Übernahme von Bombardier durch Alstom. Das könnte die Standorte Hennigsdorf und Salzgitter hart treffen. Sie müssten verkauft werden.

Alstom und Bombardier müssen für ihre Fusion in der Bahntechnik womöglich zwei große Standorte in Deutschland verkaufen. Betroffen wären rund 4000 Beschäftigte. Alstom entwickelt und fertigt in Salzgitter, Bombardier in Hennigsdorf nahe Berlin Metros, Regionalzüge und U-Bahnen. Weil die beiden Unternehmen bei solchen Zügen aber den europäischen Markt dominieren, dürfte die EU-Wettbewerbskommission schon in wenigen Tagen harte Auflagen für eine Genehmigung verkünden.

Der französische Bahntechnikkonzern Alstom hat die im Februar angekündigte Übernahme des Konkurrenten Bombardier Transportation am 11. Juni offiziell in Brüssel angemeldet. Damit läuft nun die Frist für eine Entscheidung der Kommission unter Leitung von Margrethe Vestager.

Alstom-Chef Henry Poupart-Lafarge hofft, die Genehmigung Vestagers für seinen Plan „in einem Schritt“ zu bekommen, ohne eine zeitraubende vertiefte Prüfung, wie er dem Handelsblatt im Interview vor einigen Wochen sagte. Der Franzose müsste dann schon im Juli Entscheidungen treffen, welche Werke oder Produktlinien verkauft werden, um die Bedingungen der Wettbewerbshüter in Brüssel zu erfüllen. Ende Juli wäre der Deal dann durch.

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Ob das klappt, ist noch ungewiss. Der 16. Juli ist der Stichtag für die Stellungnahme der Kommission. Dann kann sie zusätzliche Informationen verlangen oder Auflagen beschließen. Alstom bestätigte, dass es informelle Gespräche mit den Wettbewerbshütern im Vorfeld gegeben habe, in deren Verlauf die Kommission Bedenken äußerte. Vorteil für Alstom ist es jetzt, dass die Kommission durch das gescheiterte Fusionsverfahren von Alstom mit Siemens den Bahntechnikmarkt schon gut kennt und deshalb keine umfangreichen Informationen mehr sammeln muss.

Für Poupart-Lafarge drängt die Zeit. Bombardiers Zugsparte ist in Schwierigkeiten. So startet die deutsche Tochtergesellschaft des kanadischen Konzerns schon ihr drittes Sanierungsprogramm binnen weniger Jahre. Dabei könnten 1000 Arbeitsplätze zur Disposition stehen, nachdem in den zurückliegenden Jahren schon mehrere Tausend Stellen gestrichen worden sind. Aus der Branche ist zu hören, dass einige Zulieferer nur noch per Vorkasse liefern.

Bombardier ist in Schwierigkeiten

Deshalb kommen jetzt auch Fragen auf, ob Alstom die Übernahme nicht zu teuer bezahlt. Im Februar hieß es, Alstom bewerte Bombardier mit 5,8 Milliarden bis 6,2 Milliarden Euro. Der Kaufpreis soll teilweise durch einen Aktientausch beglichen werden.

Die Zustimmung der Wettbewerbsbehörde in Brüssel gilt als größte Hürde für die Übernahme. Es entstünde der weltweit zweitgrößte Schienenfahrzeugkonzern mit etwa 16 Milliarden Euro Umsatz. Nur die chinesische CRRC ist größer. Alstoms Versuch, mit Siemens Mobility zu fusionieren, war vor anderthalb Jahren am Veto der Wettbewerbskommission gescheitert.

In Kreisen des dritten großen westlichen Bahntechnikkonzerns, Siemens, herrscht die Überzeugung, dass sich die Franzosen mit ihrem Tempo in Brüssel verschätzen. Der EU-Abgeordnete Markus Ferber (EVP) forderte in diesen Tagen Vestager auf, genauso harte Maßstäbe an diesen Zusammenschluss zu legen wie an die Fusion Siemens-Alstom. Sonst werde das Vertrauen in die Wettbewerbskommission „beschädigt“.

Aus Industriekreisen heißt es, die Kommission habe Bedenken in drei Bereichen geäußert: bei Hochgeschwindigkeitszügen, bei Regional- und Langstreckenzügen in Deutschland und Frankreich und bei bestimmten Teilen der Signaltechnik für konventionelle Züge. Mit den Sozialpartnern hat Alstom nach eigenen Angaben darüber gesprochen.

Drei französische Gewerkschaften fürchten nun, die Alstom-Standorte Reichshoffen und Salzgitter sowie die Bombardier-Werke Crespin und Hennigsdorf könnten zur Disposition stehen. Dort werden vor allem die Triebwagen gebaut. In der Industrie heißt es, „die Übernahme wird massive Auswirkungen in Deutschland haben“.

Im Alstom-Konzern hofft man darauf, dass die Auflagen der Kommission nicht zwangsläufig auf einen Verkauf der Werke hinauslaufen. Denkbar seien auch Vorschriften für das Verhalten bei Ausschreibungen. Deutschland und Frankreich fordern die Kommission seit dem vergangenen Jahr auf, bei Fusionsprüfungen stärker auf dieses geschmeidigere Instrument zu setzen. Fusionierten Unternehmen würde dann vorgeschrieben, wie sie sich bei Ausschreibungen auf bestimmten Märkten zu verhalten haben. Ob Vestager zu diesem Instrument greift, ist offen.

Große Marktmacht bei Regionalzügen

Nach einer Analyse des Beratungsunternehmens SCI Verkehr für das Handelsblatt sind die schärfsten Auflagen der Kommission bei ein- und doppelstöckigen Triebzügen zu erwarten. Die Marktanteile der beiden Hersteller in Europa summieren sich auf 47 Prozent, in Deutschland auf 70 Prozent.

In Frankreich decken Alstom und Bombardier gar den kompletten Markt ab. „Das neue Unternehmen wird im Bereich Nahverkehrsfahrzeuge eine starke Marktmacht aufweisen, die nicht jedem Kunden gefallen wird“, sagte Maria Leenen, Chefin von SCI Verkehr. „Möglicherweise müssten dann ein bis zwei Werke in Frankreich, aber auch in Deutschland abgegeben werden.“

Eine Fusion von Siemens und Alstom war im Wesentlichen an den Hochgeschwindigkeitszügen und der Signaltechnik gescheitert. Hier verlangte die Kommission Einschnitte, die die Konzerne nicht akzeptieren wollten. Doch Bombardier ist weder bei den schnellen Fernzügen noch in der Signaltechnik stark. „Das dürfte keine großen Probleme geben“, vermutet Leenen.

Die Konkurrenten von Alstom und Bombardier liegen unterdessen schon auf der Lauer in der Hoffnung, ganze Werke oder Produktlinien übernehmen zu können. Der designierte Siemens-Chef Roland Busch hatte im Mai gesagt: „Die Konsolidierung am Markt beobachten wir sehr aufmerksam. Wir werden unser Portfolio selektiv verstärken, immer wenn sich Gelegenheiten ergeben.“
Aber auch die chinesische CRRC, die aufstrebende Schweizer Firma Stadler oder die japanische Hitachi kämen als Interessenten infrage für Teile von Bombardier oder Alstom.

Russische TMH meldet Interesse an Standorten an

Interessiert wird die Neuordnung der Bahnindustrie in Russland beobachtet. Dort ist die Transmashholding (TMH) Marktführer mit 5,9 Milliarden Euro Umsatz und 100.000 Beschäftigten. Einer der Gesellschafter ist Alstom mit 20 Prozent.

TMH ist noch sehr stark auf den heimischen Markt konzentriert, will aber im Ausland mit eigenen Standorten expandieren. Gerade erst wurde ein Werk in Ungarn gekauft. Dort soll unter anderem ein milliardenschwerer Auftrag für Ägypten über 1300 Reisezugwagen bearbeitet werden.

„Wir haben beschlossen, Richtung Westen zu gehen“, sagte TMH -Präsident Hans Schabert dem Handelsblatt. „Unser Interesse wären Doppelstockzüge oder Regionalbahnen.“ Die robuste russische Bahntechnik ist für westliche Märkte kaum geeignet.

TMH geht es aber vor allem darum, einen Standort im Westen Europas zu haben, der das komplizierte Ausschreibungs- und Zulassungsverfahren der großen Auftraggeber wie Deutsche Bahn oder SNCF in Frankreich beherrscht. Deshalb hat auch die chinesische CRRC ein vergleichsweise unbedeutendes Diesellokwerk in Kiel der Vossloh AG abgekauft. Dabei ging es nach übereinstimmender Meinung der Branchenfachleute vor allem darum, Zulassungs-Know-how einzukaufen.

Neuigkeiten zur Übernahme Bombardiers gibt es möglicherweise schon am 8. Juli. Dann ist Alstoms Hauptversammlung. Acht Tage später legt das Unternehmen seine Geschäftszahlen für 2019/2020 vor. An diesem Tag müsste sich auch Vestager entscheiden.