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Der Zerfall des Euro ist nicht abgewendet

Bis 2015, zumindest bis zur Zuspitzung der Migrationskrise, beschäftigte keine Frage die europäische Politik wie diese: Kann und soll die Währungsunion aufrecht erhalten werden oder sollen Wackelkandidaten, Griechenland vorneweg, die Eurozone verlassen? Die Frage scheint beantwortet und zwar ein für alle Mal: Der Zerfall der Währungsunion ist vom Tisch. Zumindest ist das die Botschaft, die die Regierenden in Brüssel und den Hauptstädten der Eurozone sowie die EZB in Frankfurt seither einigermaßen glaubwürdig verkünden. Auch beim anstehenden EU-Gipfel am Donnerstag und dem der Eurozone am Freitag wird daran sicher kein Regierungschef laut Zweifel äußern.

Das Mittel dazu war seit Beginn der Griechenlandkrise 2010 immer dasselbe, wie Hans-Werner Sinn kürzlich dem Fernsehmoderator Markus Lanz in seiner Sendung bildhaft erklärte: „Stets wurde die Krise dadurch überwunden, dass letztlich das Portemonnaie des Steuerzahlers, und zwar im Wesentlichen des deutschen Steuerzahlers, auf den Tisch gelegt wurde. Und gesagt wurde: Habt keine Angst, Investoren, wenn ihr jetzt nach Griechenland und Co geht, die Deutschen zahlen im Zweifel das Geld zurück.“ Das – dazu kommt die Politik der enormen Geldvermehrung der EZB - war letztlich ein aufschiebendes, den Einsatz erhöhendes Management der Krise, aber keine tatsächliche Bereinigung der zugrundeliegenden Ursachen.

Eine aktuelle Studie des Feri Cognitive Finance Institute in Frankfurt untermalt Sinns Kassandra-Rufe nun pünktlich zum EU-Gipfel dieser Woche auf rund 140 Seiten. Das Fazit dieser vor allem historisch und spieltheoretisch argumentierenden Untersuchung: „Der Zerfall der Europäischen Währungsunion ist nicht vom Tisch!“

Den in weiten Teilen der Medien und der Politik auch in Deutschland gefeierten Reformvorschlägen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron kann der Autor der Studie und Leiter des Feri-Instituts, Heinz-Werner Rapp, nicht viel abgewinnen: Die Währungsunion sei eine „unfertige Baustelle“, deren größte „Baumängel“ und „Unfallrisiken“ nicht wirklich behoben, sondern übertüncht würden. Auch bei den jetzt vorliegenden Vorschlägen aus Paris gehe es einzig darum, die bisherige Politik weiter auf die Spitze zu treiben durch die Beschaffung neuer Finanzmittel „sei es durch neue Möglichkeiten für öffentliche Verschuldung oder – noch gefährlicher – durch schlichte Sozialisierung von Risiken“. In Macrons großer Sorbonne-Rede vom September vergangenen Jahres heißt es wörtlich: Die „gemeinsamen Güter, an deren Spitze die Währung steht, sind wir uns schuldig zu finanzieren. Also brauchen wir mehr Investitionen, wir brauchen Mittel zur Stabilisierung angesichts der Wirtschaftskrisen.“ Investitionen, Mittel – also Geld.

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Die eigentlichen, zentralen Gründe für die „konzeptionelle, institutionelle und ökonomische Fragilität“ des Euro seien fundamentale Zielkonflikte, Missverständnisse und „konzeptionell-philosophische“ Gegensätze zwischen Deutschland und Frankreich als den beiden wichtigsten Euro-Ländern. Diese unter politischem Primat in der Vor- und Frühgeschichte des Euro leichtfertig hingenommenen oder ignorierten Widersprüche bildeten nun den „Bodensatz aus gefährlichen Bruchlinien und komplexen Risikofaktoren“, die den Bestand der Währungsunion gefährden.

Rapp macht verschiedene Bruchlinien aus. Zunächst moralische - im Extremfall die bewusste Täuschung über Griechenlands Staatsfinanzen vor dessen Aufnahme in die Währungsunion. Tiefer liegt die ökonomische Heterogenität der Mitgliedsstaaten bezüglich Wettbewerbsfähigkeit, Verschuldung und Flexibilität der Institutionen und Strukturen. Und wiederum eng damit verbunden ist die konzeptionelle Bruchlinie, die durch das System der Target-Salden eröffnet wurde: Ursprünglich als Eurozonen-internes Verrechnungssystem für Zahlungsströme gedacht, wurde es in der Realität zu einem unkontrollierten Kreditbrief umfunktioniert. Hier entstanden, wie die Studie Hans-Werner Sinn zitierend mahnt, „Geldschöpfungskredite“. Dass die deutsche Bundesbank, de facto Hauptkreditgeber, die Forderungen gegenüber den Ländern in Europas Süden jemals einfordern können wird, ist höchst unwahrscheinlich.


Es drohen Trittberttfahrer

Dazu kommen, so Rapp, die „systemischen Bruchlinien“. Sie offenbarten sich erst in der Euro-Krise und ihren Reparaturmaßnahmen, die deutliche Spuren im Institutionengefüge der Währungsunion hinterließen (nicht zuletzt etwa den Rettungsschirm ESM). Diese Maßnahmen entwerteten das ursprüngliche Regelwerk des Maastricht-Vertrages – vor allem das zentrale No-Bail-Out-Gebot, das genau solche Rettungsmaßnahmen verbot.

Jenseits offizieller Beteuerungen haben diese Maßnahmen die Regierungen der Krisenländer von unmittelbarem Handlungsdruck befreit. Spieltheoretisch gesprochen: Die Erfahrung eines Mitspielers, dass der offene Verstoß gegen Regeln keine Bestrafung, sondern im Gegenteil Unterstützung der anderen Spieler nach sich zieht, führt unmittelbar zu einem Moral-Hazard-Phänomen, mit anderen Worten Trittbrettfahrern. Im Endeffekt offenbart sich eine Währungsunion als höchst labiles System, in dem vermeintliche Stabilisierungsaktionen letztlich nur zu neuer Instabilität führen.

Die Aussicht auf extreme ökonomische und vor allem politische Verwerfungen, die bei einem völligen Zusammenbruch der Währungsunion drohen, dürften aber für regierende Politiker nicht zuletzt in Deutschland ein Motiv sein „zumindest diejenigen Minimum-Schritte vorzunehmen, die einen break Up gerade noch verhindern können“.

Die wahrscheinlichste Zukunftsperspektive der Währungsunion sei „ein schleichender Übergang in eine teure und ineffiziente Transferunion“. Angesichts genannter spieltheoretischer Überlegungen geht Rapp davon aus, dass währenddessen eine grundlegende und tatsächlich umgesetzte Reform mit zunehmender Dauer bedingungsloser Hilfstransfers immer unwahrscheinlicher werde, weil der Anreiz dazu für die nationalen Akteure schwindet. Implizite Folge: „Deutlich erhöhte Transferlasten und stetig steigende Zukunftsrisiken speziell für Deutschland“.

Der Weg in die Transferunion sei daher, so Rapp, „nicht nur eine Bankrotterklärung für alle früheren Versprechungen einer stabilen Währungsunion; er führt auch direkt in die weitere Zerrüttung der Euro-Zone.“ Die Transfers stabilisieren also nicht grundlegend und langfristig, sondern machen immer neue Krisen, ausgelöst durch ungeahndete Regelverstöße wahrscheinlicher. Ergebnis: eine fragile Transferunion.

Die keinesfalls unmögliche Alternative zur dauerhaften Transferunion: der Austritt einzelner Mitgliedsländer. Das dürften, so vermutet Rapp, wohl eher kleine, volkswirtschaftlich starke Mitgliedsländer wie Österreich oder Finnland sein, da für diese irgendwann der Anreiz zum Verlassen stärker werden könnte als der Nutzen des Verbleibs in einer Union, die ihnen wachsende Verpflichtungen auferlegt.

Ein solches Schwinden oder auch der völlige Zusammenbruch der Eurozone sei auch als langfristiges Folgeszenario einer lange Zeit erfolglos und immer teurer werdenden „ermüdeten“ Transferunion denkbar. Für Deutschland – volkswirtschaftlich stark, aber aus politischen Gründen ohne jegliche Exit-Option – bedeutet die Währungsunion demnach für die Zukunft die Aussicht auf Pest oder Cholera – oder beide Krankheiten hintereinander.

Zur Pest der Transferunion und der Cholera der möglichen Verwerfungen durch das Zerbrechen des Euro, kann man für Deutschland und letztlich auch den Rest Europas übrigens noch eine weitere Krankheitserwartung hinzufügen, die zeitlich durchaus mit den beiden ersten zusammenfallen könnte, wie Hans-Werner Sinn bei Markus Lanz klarmachte: Was ist in 15 Jahren in Deutschland los, wenn die Babyboomer in den Ruhestand gehen und ihre Renten und Pensionen von Kindern finanziert haben möchten, die sie nie bekamen? Dann konkurrieren die Ansprüche heimischer Transferempfänger mit denen des europäischen Auslands. Und beiden steht das Interesse der schwächer werdenden Gruppe gegenüber, die alle finanzieren soll: die Steuerzahler.