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Zehntausende in Quarantäne, Tausende erkrankt: Lässt die Politik Kinder in der Corona-Krise im Stich?

Zwei Schüler der Klasse 6a am Goethe-Gymnasium in Hamburg-Lurup machen einen Corona-Schnelltest im Klassenzimmer am ersten Schultag nach den Ferien.
Zwei Schüler der Klasse 6a am Goethe-Gymnasium in Hamburg-Lurup machen einen Corona-Schnelltest im Klassenzimmer am ersten Schultag nach den Ferien.

Die Zahlen sind hoch, sehr hoch. Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts liegt die Corona-Inzidenz bei 0-4-Jährigen bei 47, bei 5-9-Jährigen bei knapp 99 und bei 10-14-Jährigen bei 143 — höher als in jeder anderen Altersgruppe. Die Tendenz in den vergangenen Wochen: stark steigend. Die vierte Corona-Welle, die Deutschland gerade erfasst, trifft also vor allem die Kinder.

Wie stark, wird beim Blick auf Nordrhein-Westfalen deutlich. NRW ist zurzeit die Corona-Hochburg unter den Bundesländern. Am 17. August endeten dort die Sommerferien und begann der Präsenzunterricht in Schulen. Seither sind die Inzidenzen in den jüngsten Altersgruppen sprunghaft angestiegen. Bei den 0-4-Jährigen liegt die Inzidenz laut Angaben der Landesregierung aktuell bei knapp 136, bei den 5-9-Jährigen bei fast 340, bei den 10-14-Jährigen bei 331. Zehntausende Kinder in NRW befinden sich zudem in Quarantäne. Das Schulministerium teilte am Montag mit, das sich zum Stichtag 26. August 30.018 Schülerinnen und Schülern in Quarantäne befanden. Für 14 Tage, ohne sich heraustesten zu können.

Ein Grund für die explodierenden Corona-Zahlen unter Kindern und Jugendlichen: die "Pandemie der Ungeimpften", von der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vergangene Woche im Bundestag sprach. Zurzeit stecken sich in Deutschland vor allem Menschen an, die noch nicht gegen das Coronavirus geimpft wurden. Die Fallzahlen unter Geimpften sind deutlich geringer, als die unter Ungeimpften. In Bayern etwa lag die Inzidenz für Ungeimpfte Ende August bei fast 120, die bei Geimpften lag unter 10; in Schleswig-Holstein lag die Infektionsrate bei Ungeimpften zuletzt bei etwa 104, die bei Geimpften bei knapp 9. Zu den Ungeimpften in Deutschland zählen aber auch die 9,2 Millionen Kinder unter zwölf Jahren — für sie ist noch kein Impfstoff zugelassen. Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren dürfen sich mittlerweile zwar impfen lassen. Allerdings sind aktuell nur knapp über ein Fünftel der 4,5 Millionen Menschen in dieser Altersgruppe doppelt geimpft.

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De facto findet also eine sogenannte Durchseuchung der Kinder in Deutschland statt. So, wie es der Virologe Christian Drosten schon im Mai im NRD-Podcast "Coronavirus-Update" voraussagte: "Dieses Virus wird endemisch werden, das wird nicht weggehen. Und wer sich jetzt beispielsweise aktiv dagegen entscheidet, sich impfen zu lassen, der wird sich unweigerlich infizieren."

Die Politik lässt das zu, lockert vielerorts auch die Corona-Regeln. Viele Bundesländer tun das auch an Schulen: In Bayern hat die Landesregierung eine Rückkehr zum Wechselunterricht ausgeschlossen, Berlin hat die Kontaktnachverfolgung außerhalb des engen Familienkreises bei Infektionen in Kitas und Schulen abgeschafft, in NRW müssen nur noch direkte Sitznachbarn von infizierten Schulkindern in Quarantäne. Wie ist das zu erklären?

Länder wollen lange Quarantänen und Lockdowns für Kinder vermeiden

NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) versuchte es Ende vergangener Woche im Deutschlandfunk. Er habe mit Kinderärztinnen und Kinderärzten gesprochen, sagte Stamp: "Wir haben bei den unter Zwölfjährigen de facto keine schweren Verläufe." Die Ärztinnen und Ärzte sähen aber große Risiken durch die Beschränkungen, die die Corona-Maßnahmen mit sich brächten. "Die Kinder waren teilweise jetzt über Monate nicht mehr in den Schwimmkursen, haben in vielen Bereichen keinen Sport mehr gemacht", sagte Stamp. "Die Kinderärztinnen und Kinderärzte berichten uns von Angstpsychosen, von Kontaktstörungen und Entwicklungsstörungen, und das muss man einfach ins Verhältnis setzen."

Das bedeutet: In NRW hält die Landesregierung das Risiko von schweren Corona-Erkrankungen unter Kindern für geringer als die Folgen harter Corona-Maßnahmen auf deren Gesundheit und Psyche. Die Regierungen der anderen Bundesländer denken ähnlich. Der Präsenzunterricht soll überall in Deutschland bestehen bleiben, wenn auch mit Maskenpflicht im Unterricht und regelmäßigen Testungen.

Tatsächlich finden sich für das Vorgehen der Bundesländer gute Argumente. Bei Kindern und Jugendlichen führt eine Infektion mit dem Coronavirus den aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft nach nur sehr selten zu einer schweren Erkrankung. Anfang August berichteten britische Forscher im Fachmagazin "The Lancet Child & Adolescent Health", dass Kinder, selbst wenn sie erkranken, schneller wieder gesund werden als Erwachsene. Zudem würden Kinder seltener an Long Covid erkranken als Erwachsene.

Auch die tatsächlichen Fallzahlen in Deutschland zeigen, dass Kinder vom Coronavirus weit weniger gefährdet sind als Ältere. Stand April mussten in Deutschland laut Angaben des RKI nur 68 Kinder auf einer Intensivstation betreut werden; elf Kinder unter 18 waren zu diesem Zeitpunkt an Corona gestorben, die meisten davon hatten schwere Vorerkrankungen. Zum Vergleich: Allein am heutigen Mittwoch befinden sich laut dem Intensivregister der deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) 1135 Corona-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung. Insgesamt starben bisher knapp 93.000 Menschen in Deutschland an und mit Corona.

Bund und Länder können sich nicht auf einheitliche Corona-Regeln in Schulen einigen

Doch auch wenn das Coronavirus Kinder und Jugendliche weit seltener schwer trifft: Ungefährlich ist es für sie nicht. Denn zwar bekommen junge Menschen seltener Long Covid, ausgeschlossen ist das aber nicht — mitsamt Folgen wie Konzentrationsschwächen, anhaltender Atemnot und dauerhafter Erschöpfung. Zudem ist über die Langzeitfolgen von Corona-Erkrankungen bisher kaum etwas bekannt. Selbst asymptomatische Infektionen, die bei Kindern am häufigsten sind, könnten womöglich langfristige gesundheitliche Schäden verursachen. Hinzu kommt, dass gerade Kleinkinder häufig Ansteckungen innerhalb ihrer Familien verursachen. Ältere Familienmitglieder sind dadurch stärker gefährdet, zumal bei immer mehr von ihnen aktuell der Impfschutz nachlässt und sie eine Auffrischimpfung brauchen.

Eine einheitliche Umgangsweise mit Kindern und Jugendlichen in der Corona-Krise gibt es jedoch nicht — und ist auch nicht in Sicht. Die Bundesregierung plant, die Corona-Regeln in Zukunft nur noch den Ländern zu überlassen, es droht ein Flickenteppich an Maßnahmen. Gesundheitsminister Spahn hatte sich zuletzt zwar für einheitliche Corona- und Quarantäne-Regeln an deutschen Schulen eingesetzt. Bei einem Treffen mit den Landesgesundheitsministern am Montag wurde das Thema aber ohne eine Einigung vertagt. Am kommenden Montag kommt es bei der Gesundheitsministerkonferenz erneut auf den Tisch. Ausgang offen.