Nach dem Yacht-Unglück wurde Mike Lynchs Leiche geborgen – wer war der Tech-Magnat?
Nach einem Superyacht-Unglück vor der Küste Siziliens am Montag haben Rettungskräfte am Donnerstagmorgen die Leiche des Technologie-Tycoons Mike Lynch geborgen. Mindestens vier weitere Passagiere starben bei der Havarie des Luxus-Schiffs vor der Küste Siziliens. Lynchs Tochter Hannah gilt weiterhin als vermisst.
Die italienische Küstenwache war schon am Dienstag davon ausgegangen, keine Lebenden mehr aus dem Wrack zu bergen, wie die Nachrichtenagentur "Bloomberg" berichtet.
Der 59-Jährige schrieb im Jahr 2011 mit dem Verkauf seines Software-Startups Autonomy an den US-amerikanischen Computerhersteller Hewlett-Peckard (HP) für mehr als 11,7 Milliarden Dollar (10,5 Milliarden Euro) eine britische Erfolgsgeschichte.
HP warf Autonomy-Bossen Betrug vor
HP warf jedoch bald den Bossen von Autonomy vor, die Umsätze des Unternehmens in betrügerischer Absicht aufgebläht zu haben, um den Übernahmepreis zu erhöhen. Zwölf Jahre lang befand sich HP in der Folge in einem Rechtsstreit mit Lynch.
Der jüngste Prozess in diesem Zusammenhang endete im Juni mit einem Freispruch für Lynch in allen Anklagepunkten. Den Sieg wollte Lynch nun auf der Yacht feiern.
Wir werfen einen näheren Blick auf das schillernde Leben des Mannes, der als "Bill Gates von Großbritannien" bekannt ist.
Mike Lynch: Vom Arbeiterkind zum Milliarden-Unternehmer
Wikipedia / CC 3.0
Michael Richard Lynch kam am 16. Juni 1965 in der englischen Grafschaft Essex zur Welt
Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf: Seine Mutter arbeitete als Krankenschwester und sein Vater war Feuerwehrmann.
Lynch sagte, dass sein Vater bedauerte, nicht die Möglichkeit gehabt zu haben, eine Universität zu besuchen. „Er war sich der Bedeutung von Bildung bewusst, und das wurde in meinem Elternhaus sehr gefördert“, so Lynch im Interview mit dem digitalen Tech-Magazin „Leadersin“.
YouTube/Bancroft's School
Als er 11 Jahre alt war, erhielt er ein Stipendium für die Bancroft's School in Woodford, Essex
Heute kostet der Besuch der Schule etwa 21.000 britische Pfund (25.000 Euro) pro Jahr für Kinder und Jugendliche ohne Stipendium.
Mike Lynch
Schon seit Jugendzeiten war Lynch ein Jazz-Fan
Seine ersten Erfahrungen im Management machte Lynch mit Anfang 20, als er eine Band leitete. Das Foto zeigt ihn in der Mitte des Quintetts.
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Nach der Schule nahm Lynch ein Studium an der Universität von Cambridge auf
Hier schrieb er sich für Naturwissenschaften ein – und kombinierte Mathematik mit Biologie und Physik.
YouTube/Centre for Computing History
Teil seines Studiums waren auch Elektrowissenschaften
Sein Interesse an den elektrischen Wissenschaften führte ihn zu Peter Rayner, der sein Mentor im Signalverarbeitungslabor der Ingenieurabteilung von Cambridge wurde. Nach seinem Abschluss promovierte Lynch dann im Bereich Signalverarbeitung und Kommunikationsforschung. Seine Doktorarbeit trug den Titel: „Adaptive Techniken in der Signalverarbeitung und konnektionistische Modelle“.
Mike Lynch
Ende der 1980er Jahre gründete Lynch die Lynett Systems Ltd.
Die Firma erstellte Audio-Designs und -produkte für die Musikindustrie. Zu den Erfindungen gehörte ein Sampler für die Heimcomputer-Serie Atari ST, bekannt als Lynex. Es folgte der ADAS-Sampler für Atari, Mac und PC.
Mike Lynch
1991 gründete Lynch Cambridge Neurodynamics
Das Technologieunternehmen spezialisierte sich auf die computergestützte Erkennung von Fingerabdrücken. Einige dieser Geräte verkaufte er sogar an die Polizei von South Yorkshire.
Thomson Reuters
Lynch aber beschloss, sich auf Software zu konzentrieren
Aus Cambridge Neurodynamics ging 1996 in Zusammenarbeit mit David Tabizel und Richard Gaunt das Such-Software-Unternehmen Autonomy hervor. Autonomy wurde später zu einem der größten britischen Technologieunternehmen.
Anfangs entwickelte Autonomy einen virtuellen Hund, der Befehle entgegennahm, um Internetnutzende bei der Verwaltung von Informationen zu unterstützen. Schon bald nach der Markteinführung begannen Unternehmen, die Technologie in großer Zahl zu kaufen.
Bald war Lynch davon überzeugt, seine Produkte hauptsächlich auf Unternehmen zuzuschneiden. Dies war ein wichtiger strategischer Schritt für Autonomy.
Autonomys Software konnte auch dazu verwendet werden, E-Mails zu durchsuchen. Die Algorithmen des Unternehmens erkannten Muster und konnten aus einem Durcheinander von Informationen Bedeutung abstrahieren.
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In den frühen Autonomy-Produkten begleitete ein ein Abbild von Lynchs geliebtem Otterhund die Nutzenden als Avatar
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Autonomy ging 1998 mit einem Kurs von 30 Pfund (heute 35,20 Euro) an die Börse
Autonomy profitierte enorm vom Dot-Com-Boom – und litt ebenso sehr unter dem anschließenden Platzen der Blase. Zunächst kletterten seine Aktien Ende der 90er Jahre auf über 30 Pfund, brachen kurz nach der Jahrtausendwende jedoch auf unter einen Pfund ein.
Lynch erklärte der Zeitung „The Telegraph“, dass ihn die Führung eines Unternehmens durch solche Hürden nachhaltig geprägt habe.
„Damals war es wie im Wilden Westen, wenn es um volatile Aktien ging“, sagte er. „Es passierte alles Mögliche, was heute nicht mehr vorkommt. Es war ein sehr gutes Training, bei dem man lernt, wie man mit ziemlich haarsträubenden Situationen umgeht.
Balderton
Im Mai 2007 kaufte Autonomy die Videosuchmaschine Blinkx von Suranga Chandratillake, zuvor CTO bei Autonomy
Lynch brachte Blinkx bei einer Bewertung von 193 Millionen Pfund (heute 226,3 Millionen Euro) bald an die Börse. Chandratillake erklärte im Interview mit Business Insider: „Mike ist ein unternehmerisches Ausnahmetalent, insbesondere im europäischen Vergleich. Es ist selten, jemanden zu finden, der einen Doktortitel in Datenwissenschaft hat und gleichzeitig ein visionärer Produktvermarkter und talentierter Organisationsentwickler ist.“
Weiter führt Chandratillake aus: „Durch die Gelegenheit, für ihn als US-CTO von Autonomy zu arbeiten, lernte ich viel über Geschäft, Produkt, Marketing und das Wettbewerbselement, das den Kern wirklich erfolgreicher Organisationen ausmacht. Jahre später, als er das Unternehmen an HP verkaufte, war ich nicht überrascht, dass dies der größte KI-Exit aller Zeiten und einer der drei größten Technologie-Exits aus Europa in der Geschichte war.“
Autonomy tätigte eine Reihe weiterer bedeutender Übernahmen, darunter: den Such-Software-Rivalen Verity (450 Millionen Euro, Dezember 2005), das Unternehmen Zantaz (337 Millionen Euro, Juli 2007), das Unternehmen Meridio Holdings (23,5 Millionen Euro, Oktober 2007), das Unternehmen Interwoven (698 Millionen Euro, Januar 2009) und den Online-Backup-Anbieter Iron Mountain Digital (342 Millionen Euro, Mai 2011).
AP
Im Oktober 2011 verkaufte Lynch Autonomy für 11,7 Milliarden Dollar (10,5 Milliarden Euro) an Hewlett-Packard
Der US-Technologieriese wollte sich auf Software konzentrieren. Léo Apotheker war zu dieser Zeit CEO von HP, wurde aber vom Vorstand entlassen, als der umstrittene Deal über die Bühne ging.
Die Übernahme erwies sich als höchst umstritten, und viele HP-Aktionäre behaupteten, HP habe damals zu viel bezahlt.
Lynch nahm laut „Computerworld UK“ 500 Millionen Pfund aus dem Geschäft ein.
HP
Im September 2011 ersetzte die ehemalige Ebay-Chefin Meg Whitman Apotheker
Sie setzte sich weiterhin für das Autonomy-Geschäft ein, aber sie und Lynch waren nicht immer einer Meinung.
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Im Visier des US-Justizministeriums
Damals kündigte HP eine Abschreibung in Höhe von 8,8 Milliarden Dollar im Zusammenhang mit der Autonomy-Übernahme an. Fünf Milliarden US-Dollar waren auf angebliche „buchhalterische Unregelmäßigkeiten“ zurückzuführen. Sie veranlassten HP dazu, massiv zu viel für Autonomy zu zahlen. Noch im selben Monat begannen Investoren mit rechtlichen Schritten gegen HP aufgrund der Art und Weise, wie das Unternehmen mit dem Geschäft umging. Im Dezember 2012 begann das US-Justizministerium mit seiner Untersuchung des Autonomy-Verkaufs. Auch die US-Börsenaufsichtsbehörde wurde informiert.
Etwa zur gleichen Zeit sprach sich der Wirtschaftsprüfungsriese Deloitte, der an der Übernahme beteiligt war, für Lynch und Autonomy aus.
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Der Rechtsstreit zwischen HP und den Investoren dauerte zwei Jahre
Erst dann erhielt das Unternehmen im März 2015 das Recht, sich außergerichtlich zu einigen, sodass es Mike Lynch verklagen konnte.
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HP verklagte Lynch noch im selben Monat vor dem britischen High Court auf 5,1 Milliarden Dollar
Dieses Gerichtsverfahren zog rechtlichr Verwicklungen zwischen HP und den ehemaligen Führungskräften von Autonomy nach sich.
In seinen Unterlagen für den Fall vor dem britischen High Court hat HP alle Einzelheiten der Übernahme offengelegt. Demnach hat Lynch die Einnahmen über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren um 700 Millionen Dollar aufgebläht, berichtete der „Guardian„.
Nachdem HP drei Viertel des Wertes von Autonomy abgeschrieben hatte, verkaufte es im September 2016 den Rest des Unternehmens an das britische Unternehmen Micro Focus im Rahmen eines 8,8-Milliarden-Dollar-Deals, an dem auch andere HP-Geschäftsbereiche beteiligt waren.
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Lynch ging zum Gegenangriff und verklagte HP im Oktober 2015 ebenfalls auf über 150 Millionen US-Dollar
Im Oktober 2015 verklagte Lynch HP vor dem Londoner High Court auf mehr als 150 Millionen US-Dollar wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe des massiven Betrugs. Lynch warf Whitman vor, seinen Ruf zu schädigen und seine Bemühungen um Risikokapital zu behindern.
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In der Zwischenzeit plante Lynch einen Fonds mit dem Namen Invoke Capital im Wert von eine Milliarde Dollar, um in grundlegende europäische Technologien zu investieren
Zum Zerwürfnis zwischen HP und Autonomy sagte Lynch auf der Startup-Konferenz Tech-Crunch-Disrupt im Jahr 2016: „Es ist eine traurige Sache, die am Ende passiert ist.“
Er fügte hinzu: „Das britische Modell sieht vor, dass es keine Möglichkeit gibt, eine Übernahme zu stoppen. Als also Hewlett Packard auftauchte und sein Angebot machen wollte, konnten wir sie nicht aufhalten. Die damaligen Verantwortlichen, Leo und Shane [Leiter der Strategieabteilung, Anm. d. Red.], hatten eine erstaunliche Strategie. Sie wollten das Unternehmen in das neue Zeitalter von Big Data, Software und maschineller Intelligenz führen. Das war aufregend, und wir waren von ihnen überzeugt.“
Es sei absehbar gewesen, „dass die Zukunft in diese Richtung ging. Das Problem war, dass sie in der Woche nach dem Deal gefeuert wurden und wir mit einer Hardware-Gruppe zurückblieben, die uns als Stiefkind bezeichnete. Das ganze Verständnis für clevere, wachstumsstarke Softwareleute war nicht vorhanden.“
Autonomy
Lynchs Erfolge wurden von den Autonomy-Prozessen überschattet. Der ehemalige CFO Sushovan Hussain wurde im April 2018 wegen Betrugs angeklagt
Eine US-Jury befand den ehemaligen Autonomy-Finanzchef Sushovan Hussain des Betrugs für schuldig. Er habe eine Schlüsselrolle bei der Übernahme durch HP gespielt, die sein eigenes Vermögen um 7,7 Millionen Dollar vermehrte.
Hussain wurde 2019 zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt.
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Mike Lynch wurde später wegen Betrugs angeklagt und verlor einen langen Prozess gegen die Auslieferung in die USA
Das US-Justizministerium erhob im November 2018 14 Anklagen wegen Betrugs und Verschwörung gegen Lynch. Die Anklage sah eine Höchststrafe von 20 Jahren Gefängnis vor. Die US-Staatsanwälte verlangten, dass Lynch die 815 Millionen Dollar, die er mit dem Autonomy-Verkauf verdient hatte, abgibt.
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Nach den Anschuldigungen zog sich Lynch von seinen öffentlichen Aktivitäten zurück
Er schied etwa aus dem Vorstand seines Unternehmens Darktrace und als Berater der britischen Royal Society und der Regierung aus.
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Lynch züchtet auf seinem Anwese in Suffolk Rotvieh und andere seltene Tierrassen
„Ich halte seltene Rassen“, sagte Lynch in einem auf YouTube hochgeladenen Interview mit Leadersin. „Ich habe also Kühe, die in den 1940er Jahren ausgestorben sind, und Schweine, die seit dem Mittelalter niemand mehr gehalten hat.“
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HP gewann 2022 eine Betrugsklage gegen Lynch im Vereinigten Königreich
Jedoch sprach ein US-Geschworenengericht Lynch im Juni 2024 in allen Punkten frei.
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Mike Lynch wird nach einem Unfall mit seinerSuperyacht im Mittelmeer vermisst
Inzwischen suchen Bergungseinheiten nach Lynch, nachdem seine Familien-Superyacht am Montag vor der Küste Siziliens gesunken ist.
Er und seine 18-jährige Tochter gehören zu den sechs Passagieren und zehn Besatzungsmitgliedern, die für vermisst erklärt wurden. Ein heftiger Sturm hatte das Segelschiff Bayesian zum Kentern gebracht hatte. Die italienische Küstenwache geht davon aus, sie nicht mehr lebendig zu bergen.
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