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"Wir werden die Ukraine nicht besiegen": Russen kritisieren Putins Krieg im Staats-TV

Kremlchef Wladimir Putin (69) ließ seine Armee am 24. Februar die Ukraine überfallen. Was als schnelle Invasion geplant war, läuft eher schlecht für sein Land. - Copyright: picture alliance/dpa/pool/Gavriil Grigorov
Kremlchef Wladimir Putin (69) ließ seine Armee am 24. Februar die Ukraine überfallen. Was als schnelle Invasion geplant war, läuft eher schlecht für sein Land. - Copyright: picture alliance/dpa/pool/Gavriil Grigorov

Ungewöhnlich scharfe Töne konnten Zuschauer des russischen Staatsfernsehens vor einigen Tagen erleben. In einer Talkshow über die Lage in der Ukraine lieferten sich Duma-Abgeordnete, Militär-Experten und Kommentatoren einen heftigen Schlagabtausch. Zentrale Frage: War der Krieg in der Ukraine ein Fehler?

'Moment, was?', wird sich mancher von euch jetzt zu Recht fragen, wäre doch vor wenigen Wochen solch eine Aussage noch der Grund dafür gewesen, in Russland von der Polizei befragt und auf "Landesverrat" überprüft zu werden. Doch das Blatt scheint sich zu wenden: Experten werten die Talkshow als Hinweis dafür, dass der Kreml nach den Niederlagen der vergangenen Tage möglicherweise seine offizielle Propagandalinie ändern will – ohne, dass Putin dabei blamiert wird. Genau hierfür scheint die Talkshow eine Start-Rampe zu sein. Aber seht selbst:

Der ehemalige Duma-Abgeordnete Boris Nadezhdin spekuliert etwa, der Präsident sei von der Lage in der Ukraine schlicht falsch informiert worden. Menschen hätten Putin gesagt, "die militärische Operation könnte schnell und effektiv durchgeführt werden: Wir werden die Zivilbevölkerung nicht bombardieren, wir gehen rein und unsere Sicherheitskräfte (...) werden Ordnung reinbringen." All das sei anders gekommen. "Wir wurden alle von diesen Leuten reingelegt!", wettert Nadezhdin.

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Auf die Frage des Moderators, wie er denn sicher sein könne, dass es diese Leute – falsche Berater – wirklich gebe, verteidigt er Putin inbrünstig und behauptet: "Der Präsident wird kaum dagesessen und sich selbst gefragt haben: Warum starte ich nicht eine Spezial-Operation? Jemand hat ihm erzählt, dass die Ukrainer sich ergeben, fliehen und Russland werden anschließen wollen."

Und weiter: "Wir sind jetzt an dem Punkt, an dem wir verstehen müssen: Es ist absolut unmöglich, die Ukraine zu besiegen mit den Ressourcen und kolonialen Kriegsmethoden, mit denen Russland gerade versucht, Krieg zu führen – mit Vertragssoldaten, Söldnern, ohne Mobilisierung. Eine starke Armee steht Russland gegenüber; sie hat vollste Unterstützung von den mächtigsten Ländern im wirtschaftlichen und technologischen Sinn." Die Frage, ob er eine Generalmobilmachung fordere, verneint Nadezhdin: "Ich schlage Friedensgespräche vor, um den Krieg zu beenden, und dass wir uns den politischen Themen annehmen."

Experte: Militär-Geheimdienst hätte Lage besser einschätzen müssen

Dieser Vorschlag wird abgeschmettert von dem Duma-Abgeordneten Sergej Mironow von der Partei "Gerechtes Russland". An seinem Revers trägt der weißhaarige Mann plakativ ein gelb-rotes Z – das Zeichen russischer Nationalisten und Kriegsbefürworter seit dem Angriff der Ukraine am 24. Februar. Unmöglich seien Friedensgespräche, sagt Mironow, und wiederholt die einschlägige russische Propaganda, wonach der ukrainische Präsident angeblich ein Nazi-Regime etabliert habe, das nun von Russland zerstört werden müsse.

Auch der Politik-Experte Viktor Olewitsch kritisiert, dass bei der Militäroperation nichts so gekommen sei wie offenbar vorhergesagt. Der militärische Geheimdienst, so der Vorwurf, hätte die Lage in Charkiw und anderen umkämpften Gebieten besser vorhersehen müssen.

Krieg sei Krieg, erwidert Mironow empört, da könnte man gar nichts vorhersagen: "Aber wir müssen weitermachen bis zum Sieg!" Alexander Kazakow, Duma-Abgeordneter in olivgrün-brauner Jacke sieht das ähnlich: Krieg sei eine komplexe Sache, hätte politische und psychologische Komponenten. Das russische Militär habe in den letzten Tagen nun mal einen extremen psychologischen Dämpfer erhalten, erklärt er.

"Der Krieg wird noch sehr, sehr lange dauern"

Schließlich kommt der politische Kommentator Alexej Timofeew zu Wort, der gefragt wird, wie lange der Krieg noch andauern werde: "Eine lange Zeit, eine sehr, sehr lange Zeit." Inzwischen sei doch allen klar, so argumentiert er weiter, dass etwa die Menschen in der Hafenstadt Odessa die russischen Armee nicht mit offenen Armen empfangen würden, wie von einem russischen Experten vorhergesagt. Sichtlich wütend fragt er: "Wenn diese Einschätzung nicht nur derart fehlerhaft war, sondern auch kriminell und katastrophal falsch, warum sollte ich dann jetzt noch auf seine Einschätzungen hören, wenn er sagt, wir sollen weitermachen wie bisher?"

Kazakow hält derweil an der Kriegspropaganda fest, sagt: "Wir müssen den Krieg in der Ukraine gewinnen." Auf die Frage, wie lange das noch so weitergehen solle, antwortet er knapp: "So lange es braucht." Hierauf erwidert Boris Nadezhdin zynisch: "Danke für deine aufrichtige Antwort. Dann werden meine zehnjährigen Kinder wohl auch noch die Chance haben zu kämpfen, richtig?"

Es geht nur um eines: Putins Machterhalt

Auch wenn dieser scheinbar kritische Schlagabtausch möglicherweise leise Hoffnung auf einen Rückzug Russlands aus der Ukraine geben könnte, ist Vorsicht geboten: Die Nationalisten bereiten zugleich den Weg für eine schärfere Vorgehensweise, um den Krieg gegen die Ukraine zu gewinnen. Es scheint, als sollten die russischen Zuschauer auf beide Möglichkeiten – Rückzug oder Kriegsmobilmachung – vorbereitet werden. Für beides ist die Grundvoraussetzung eine Einschätzung der aktuell aussichtslosen Lage der russischen Armee. Wie es weitergeht, entscheidet allein der Kremlchef in Moskau.

Carlo Masala, Professor für Politikwissenschaften an der Universität der Bundeswehr in München, schätzt die Lage auf Anfrage von Business Insider letztlich so ein: „Niemand weiß, wie Putin reagiert, wenn ihm bewusst wird, dass er sich mit diesem Krieg verrannt hat. In der Talkshow mit Militär-Experten, Duma-Abgeordneten und Kommentatoren durften diese ungewöhnlich offen Kritik äußern." Dabei sei aufgefallen: Es sei vor allem in eine Richtung gegangen – nämlich, Putin zu verteidigen und seine Position trotz der großen Niederlage zu stärken, sagt Masala. Und weiter: "Der Grundtenor war eindeutig: Er trägt keine Schuld und war schlecht von seinen Nachrichtendiensten und Militärstrategen informiert."