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Das große Zittern der Autoindustrie

Heute entscheidet sich die Zukunft von Grammer: Bleibt der Zulieferer eigenständig oder übernimmt die Familie Hastor die Macht? Die Autobauer zittern, denn auch an anderen Stellen bröckelt das Machtgefüge der Branche.

Warum schaut die Autobranche auf den Machtkampf bei Grammer?

Bisher wirkte das Machtgefüge in der Autobranche zementiert: Wenige große Hersteller stehen einer Menge kleiner Zulieferer gegenüber und können ihnen mit ihrer Einkaufsmacht die Bedingungen diktieren. Doch bereits 2016 begann sich das Verhältnis zu ändern, als die Prevent-Gruppe im Streit mit Volkswagen die Lieferung von Getriebegehäusen und Sitzbezügen einstellte und die Produktion bei den Wolfsburgern teilweise lahmlegte.

Nun folgt der nächste Streich: Die bosnische Unternehmerfamilie Hastor, zu der Prevent gehört, hat sich ein neues Ziel gesucht: Sie will den bayerischen Zulieferer Grammer unter ihre Kontrolle bringen. Das lässt die Alarmglocken in der Branche schrillen. Denn alle großen Autobauer, darunter VW, BMW und Daimler, beziehen ihre Kopfstützen von Grammer. Die Amberger Firma stemmt sich mit aller Kraft gegen die Übernahme.

Wie ist der Zulieferer-Streit bei VW ausgegangen?

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VW erklärte, mindestens sechs Jahre weiter mit Prevent zusammenzuarbeiten, um das Kriegsbeil zu begraben. Im Gegenzug durften die Wolfsburger sich einen weiteren Lieferanten für Getriebe-Gussteile suchen. „Die Automobilindustrie will auf jeden Fall verhindern, dass sich so etwas wiederholt“, sagt Autoprofessor Stefan Bratzel, der das Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach leitet. Nicht nur deshalb schätzen einige Experten, dass Volkswagen Prevent nach der zugesicherten Laufzeit vom Hof jagen wird. Auch bei anderen Autobauern werden die Hastors zunehmend kritisch beäugt.

Das bekommt auch Grammer zu spüren. „Im ersten Quartal haben sich unsere Auftragseingänge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum halbiert. Uns fehlen im ersten Quartal Aufträge im Wert von 300 Millionen Euro über die gesamte Produktlaufzeit“, sagte Aufsichtsratschef Klaus Probst der WirtschaftsWoche. Grund für den Auftragsrückgang sollen die Aktienkäufe von Investmentgesellschaften sein, die Mitgliedern der Familie Hastor zuzurechnen sind. Nach Ansicht von Probst gefährdet der Angriff der Familie Hastor die Existenz des Unternehmens.

Warum hat Grammer eine solche Bedeutung in der Branche?

Grammer ist bei einigen Teilen der einzige Lieferant. So kommen die Mittelkonsolen einiger Modelle aus deutscher Produktion nur von Grammer – diesen Bezug von nur einem Lieferanten nennt man „Single Sourcing“. Bei anderen Bauteilen, etwa Kopfstützen, ist Grammer ebenfalls ein wichtiger Lieferant, jedoch nicht der einzige: Hier gibt es mit Adient, Faurecia und Lear auch andere Bezugsquellen.

Bei Unternehmen wie Grammer ist die Abhängigkeit also sehr hoch – aber das System funktioniert, solange sich alle daran halten. Bisher können die großen Hersteller wegen der Stückzahlen, die sie abnehmen, Lieferanten zu Zugeständnissen zwingen. Forderungen nach Preisabschlägen von mehr als fünf Prozent sind in der Branche nicht selten. Die Autokonzerne können so ihren Spardruck auf die Zulieferer abwälzen und sichern damit ihre Gewinne. Lediglich große Lieferanten wie Bosch, Continental oder ZF Friedrichshafen können dem Preisdruck etwas entgegensetzen, weil sie ganze Systeme vom Antriebsstrang über die Innenausstattung bis hin zur Fahrzeugelektronik anbieten. Kleinere Lieferanten dagegen sind meist auf bestimmte Bauteile spezialisiert, ihre Rendite oft niedriger. Die Produktion ist heute allerdings so sehr auf Effizienz optimiert, dass nur ein Zulieferer im Zweifelsfall die Golf-Produktion bei VW still legen kann – wie 2016 geschehen.


Der Risikofaktor Zulieferer

Wo liegt das Risiko?

Für die Autobauer wäre ein Lieferant von der Größe wie Grammer unter der Kontrolle von Prevent ein Risiko, wenn er sich künftig ihren Preisforderungen entgegenstellt. Trotz Alternativen können die Einkaufschefs große Stückzahlen nicht einfach woanders bestellen, die Vorlaufzeiten liegen bei mehreren Monaten. Bis ein anderer die Teile liefern könnte, würde es mehr als zwei Jahre dauern. Genau darauf könnte Prevent setzen.

In den vergangenen Jahren hat die Familie Hastor ein kaum durchschaubares Imperium aufgebaut, zu dem zahlreiche Beteiligungen aus unterschiedlichen Branchen gehören. „Prevent guckt sich immer am Markt um, was interessant wäre“, sagte ein Insider des weit verzweigten Firmenimperiums der Nachrichtenagentur Reuters. Auf Grammer sei man aufmerksam geworden, weil die Prevent-Tochter Car Trim auf Bezüge für Autositze und Kopfstützen spezialisiert sei. Mit dem Fokus auf solche Schlüssellieferanten könnten die Hastors einen neuen Big Player aufbauen, der sich nicht mehr an das etablierte Machtgefüge halten müsste – und genau das wollen die Autobauer verhindern.

Gibt es noch weitere Zulieferer, von denen die Autobranche derart abhängig ist?

Ja. Im Prinzip jeder Zulieferer, der alleiniger Lieferant für ein Teil ist. So kann auch ein Hersteller von Mittelkonsolen oder Gussteilen plötzlich sehr wichtig werden.

Ein bekanntes Beispiel ist etwa die Firma Kiekert aus Heiligenhaus, die quasi für alle deutschen Autobauer die Schlüssel und Schließsysteme herstellt. 1998 legte ein Lieferstreit mit Ford die Produktion in Köln lahm – tausende Fahrzeuge standen fertig, aber eben ohne Türschlösser auf dem Hof.

In vielen dieser Schlüssel stecken Chips von NXP Semiconductors aus den Niederlanden. So stand NXP im vergangenen Jahr im Blickpunkt, als IT-Experten eine Sicherheitslücke in älteren Chips des Herstellers aufdeckten – wegen der großen Verbreitung waren Millionen Fahrzeuge verschiedenster Hersteller betroffen. Die Liste ließe sich lange fortsetzen – mal ist es ein Spezialist für Türdichtungen, mal von Verkleidungen, der wegen eines bewussten Streiks oder eines Unfalls die Produktion lahm legen kann. Bei Porsche fehlten zum Beispiel 2016 über mehrere Wochen die Displays für das Navigationssystem in den Baureihen Macan und Cayenne.

Auch in anderen Bereichen deuten sich keine Monopole, aber zumindest Oligopole ab: Die Batteriezellen für Elektroautos kommen vor allem von drei asiatischen Herstellern – Samsung, Panasonic und LG Chem. Nur die wenigsten Unternehmen fertigen ihre Zellen selbst, und selbst dann sitzt im Falle von Tesla und seiner Gigafactory Panasonic als Partner mit im Boot.


Die Zulieferer sind nicht die einzige Baustelle

Warum kaufen die Autobauer nicht einfach Teile von mehreren Zulieferern?

Weil es teurer ist. Beim „Single Sourcing“ können die Entwicklungskosten auf den Zulieferer abgewälzt werden. Zudem wird es im Einkauf für den Autobauer billiger, wenn er höhere Stückzahlen mit Mengenrabatt kaufen kann. Eine Bestellung über 200.000 Teile ist günstiger als zwei Mal 100.000 Teile zu ordern. Doch darin liegt auch ein Risiko. „Die Einsparungen gegenüber einer Dual-Source-Lösung werden im Schadensfall sofort aufgebraucht“, sagte Marc Staudenmayer, Deutschland-Geschäftsführer der Strategieberatung Advancy, im vergangenen Jahr während des Zulieferer-Streits bei VW.

Was haben die Hastors mit Grammer vor?

Das liegt im Dunkeln. Ihre Vertreter äußern sich nur selten öffentlich. Die Bosnier hielten zuletzt über die Investmentfirmen Cascade und Halog mehr als 20 Prozent an dem Hersteller von Kopfstützen, Armlehnen und Mittelkonsolen. Ziel sei, die Profitabilität zu steigern, sagte ein Insider des weit verzweigten Firmenimperiums der Nachrichtenagentur Reuters. „Bei der Rendite von Grammer hapert es.“

Zuletzt erwirtschaftete die Firma eine operative Marge von 4,9 Prozent. Damit rangiert Grammer nach Ansicht von Prevent hinter vergleichbaren Unternehmen. Die Bayern selbst halten dagegen, die vergleichbare Konkurrenz komme im Schnitt lediglich auf 4,7 Prozent. Der Prevent-Insider verwies etwa auf den Zulieferer Dräxlmaier, der Renditen um die sieben Prozent erziele. Das Unternehmen aus Vilsbiburg selbst macht dazu keine Angaben. Grammer peilt eine Marge in dieser Höhe bis 2021 an. Zum Vergleich: Der Dax-Konzern Continental erzielt mehr als zehn Prozent Rendite.

Warum machen die Autobauer ihre Zulieferer nicht mehr zu Partnern, wenn sie so sehr von ihnen abhängen?

Bei den großen System-Zulieferern, wie etwa Bosch oder Continental, ist das teilweise schon geschehen, weil die Vorteile für die Autobauer hier überwiegen. Bei den kleineren Komponenten-Zulieferern ist das Interesse aber gering, etwas an dem etablierten System zu ändern. Denn die Autobranche steht mit den Megatrends wie dem Autonomen Fahren, Elektroantrieben und Mobilitätsdiensten sowie den ganzen Abgas-Diskussionen und Benziner und Diesel gehörig unter Druck – dann soll wenigstens der „klassische“ Autobau keine teuren Probleme machen.

An welchen Fronten kommen Probleme auf die Autobauer zu?

Akut ist die Lage bei der Diskussion um Abgaswerte und Fahrverbote. Gibt es hier keine rasche Lösung, drohen den Autobauern hier kräftige Einbußen: Die Unsicherheit bei den privaten Autokäufern ist hoch. Lohnt sich jetzt noch der Kauf eines vermeintlich sauberen Euro-6-Diesels oder wird auch der bald aus den Städten ausgesperrt? Was passiert in der neu entflammten Diskussion um Feinstaubwerte bei einigen Benzinern? Bei den für den Absatz wichtigen Firmenwagen ist kaum eine Zurückhaltung zu spüren, allerdings lauert auch hier ein Risiko: Die meisten Dienstwagen sind geleast und stehen nach zwei oder drei Jahren als Leasingrückläufer wieder bei den Händlern – je nachdem, wie sich die Diskussion entwickelt, womöglich als kaum verkäuflicher Wagen mit zu hohem Abgasausstoß.

Was droht bei den Megatrends?

Ganz einfach: Dass die Autobauer den Anschluss verlieren. Tesla hat vorgemacht, wie ein neues Unternehmen den Großkonzernen gefährlich werden kann. Auch Firmen aus China haben erkannt, dass sie den Vorsprung der europäischen Autobauer beim Verbrennungsmotor nicht aufholen können. Sie setzen schon jetzt vermehrt auf die Elektromobilität, während die Autokonzerne noch an ihren funktionierenden Modellen festhalten. Auch bei den Mobilitätsdiensten können sich andere, branchenfremden Player zwischen den Kunden und den Autobauer drängen. Müssen Sie unbedingt den Mobilitätsdienst von Daimler oder Volkswagen nutzen, wenn es auch Uber, Google oder Apple sein kann?

KONTEXT

Die weltweit größten Autozulieferer

Platz 10

Michelin (Frankreich)

Umsatz 2015: 21,199 Milliarden Euro

Umsatz 2014: 19,553 Milliarden Euro

Veränderung: +8,4 Prozent

Hauptprodukte: Reifen

Quelle: Berylls Strategy Advisors

Platz 9

Johnson Controls (USA)

Umsatz 2015: 23,866 Milliarden Euro

Umsatz 2014: 22,464 Milliarden Euro

Veränderung: +6,2 Prozent

Hauptprodukte: Sitze, Start-Stopp-Batterien

Platz 8

Bridgestone-Firestone (Japan)

Umsatz 2015: 24,094 Milliarden Euro

Umsatz 2014: 21,220 Milliarden Euro

Veränderung: +13,5 Prozent

Hauptprodukte: Reifen

Platz 7

Aisin (Japan)

Umsatz 2015: 24,104 Milliarden Euro

Umsatz 2014: 19,975 Milliarden Euro

Veränderung: +20,7 Prozent

Hauptprodukte: Getriebe, Bremssysteme, Karosserie- und Motorenteile

Platz 6

ZF Friedrichshafen (Deutschland)

Umsatz 2015: 27,434 Milliarden Euro

Umsatz 2014: 16,192 Milliarden Euro

Veränderung: +69,4 Prozent

Hauptprodukte: Fahrwerks- und Antriebssysteme, Elektronik/Software

Platz 5

Hyundai Mobis (Südkorea)

Umsatz 2015: 28,096 Milliarden Euro

Umsatz 2014: 26,345 Milliarden Euro

Veränderung: +6,6 Prozent

Hauptprodukte: Cockpit-, Frontend- und Chassismodule

Platz 4

Magna (Kanada)

Umsatz 2015: 29,408 Milliarden Euro

Umsatz 2014: 28,301 Milliarden Euro

Veränderung: +3,9 Prozent

Hauptprodukte: Karosserie & Fahrwerksysteme, Exterieur-Ausstattungen

Platz 3

Denso (Japan)

Umsatz 2015: 34,292 Milliarden Euro

Umsatz 2014: 29,094 Milliarden Euro

Veränderung: +17,9 Prozent

Hauptprodukte: Klimasysteme, Motorsteuerung, Human-Machine-Interface

Platz 2

Continental (Deutschland)

Umsatz 2015: 39,232 Milliarden Euro

Umsatz 2014: 34,506 Milliarden Euro

Veränderung: +13,7 Prozent

Hauptprodukte: Brems-, Fahrwerk- und Sicherheitssysteme, Reifen

Platz 1

Bosch (Deutschland)

Umsatz 2015: 41,700 Milliarden Euro

Umsatz 2014: 37,200 Milliarden Euro

Veränderung: +12,1 Prozent

Hauptprodukte: Antriebs-, Sicherheits- und Komfortsysteme