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Kann die WTO mit einer neuen Chefin wieder mehr Wucht entfalten?

Nach einem halben Jahr der Führungslosigkeit soll Ngozi Okonjo-Iweala in ein paar Tagen neue Generaldirektorin der Welthandelsorganisation werden. Kein leichter Job. Mit diesen Baustellen wird sie es zu tun bekommen.

 Foto: dpa
Foto: dpa

Ein knappes halbes Jahr nach dem Rücktritt von Roberto Azevédo soll die Welthandelsorganisation (WTO) eine neue Leitung bekommen. Mit der designierten Nachfolgerin, Ngozi Okonjo-Iweala, wird die WTO in mehrfacher Hinsicht Neuland betreten: Zum ersten Mal in der Geschichte der WTO soll eine Frau Generaldirektorin werden. Und zum ersten Mal soll eine Afrikanerin die WTO leiten. Beides sind gute, fortschrittliche Nachrichten. Die beste Nachricht jedoch ist, dass eine hochqualifizierte und sehr erfahrene Kandidatin die Zustimmung aller 164 Mitgliedsländer so gut wie sicher hat, nachdem nun auch die Vereinigten Staaten (USA) ihren Widerstand aufgegeben haben. Am 15. Februar soll die Generalversammlung (General Council) der WTO formal über die Besetzung des Postens entscheiden – die Ernennung Okonjo-Iwealas scheint nur noch Formsache zu ein.

Es wird höchste Zeit, diese Leerstelle zu füllen, denn die WTO braucht dringend Schub. Schon vor dem Rücktritt von Ex-Generaldirektor Azevédo im August 2020 litt die Organisation unter verschiedenen Problemen. Drei offene Fragen stechen aus Sicht der meisten Beobachter heraus: der Streitschlichtungsmechanismus, das fehlende Initiativrecht der WTO und das Prinzip der Einstimmigkeit bei Entscheidungen der Mitgliedsländer. Hinzu kommt die Chance, dass die WTO eine Schlüsselrolle bei der Versorgung der ganzen Welt mit Corona-Impfstoffen einnehmen kann.

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Am stärksten belastet die WTO seit Jahren die Blockade des Streitschlichtungsmechanismus durch die USA (nicht erst seit Donald Trump). Der Streitschlichtungsmechanismus dient dazu, im Falle von Handelskonflikten eine Lösung zu suchen. Nachdem in bilateralen Streitfällen ein spontan ernanntes Gremium (Panel) einen Schiedsspruch erlassen hat, kann das unterlegene Mitgliedsland vor das Berufungsgericht (Appellate Body) ziehen, dem eigentlich sieben Richter angehören sollen und das mindestens drei Richter braucht, um arbeitsfähig zu sein. Durch die Verhinderung der Neubesetzung altersbedingt ausscheidender Richter über viele Jahre durch die USA wurde diese Mindestanzahl im Dezember 2019 unterschritten. Seit November 2020 gibt es gar keine Richter mehr am Appellate Body. Hintergrund der Blockade ist die Unzufriedenheit der USA mit dem Streitschlichtungsmechanismus, den im Grundsatz viele andere Mitglieder teilen. Hier wird Okonjo-Iweala einen Reformprozess steuern müssen.

Daneben besteht das Problem, dass die WTO selbst kein Vorschlagsrecht für Liberalisierungsinitiativen und -abkommen hat. Die Initiative muss aus den Mitgliedsländern kommen. Die Organisation ist somit mitgliedergetrieben. Es ist jedoch augenscheinlich, dass eine starke Führung der WTO, die sich gut innerhalb und außerhalb der Organisation vernetzt und die geballte Expertise und Motivation des Sekretariats nutzen will, einige Hebel hat und so viele Denkprozesse in den Mitgliedsländern anstoßen kann. Auf diese Weise kann die Generaldirektorin mehr sein als eine Moderatorin und indirekt den Anstoß zu allen Arten von Initiativen geben. Daran scheint es zuletzt in der WTO gemangelt zu haben.

Darüber hinaus stellt das Prinzip der Einstimmigkeit in Verbindung mit der Regel, dass sämtliche Teilabkommen des Welthandelsrechts für jedes Mitglied bindend sind (Single Undertaking), eine immer stärker wirkende Barriere für Reformen, weitergehende Liberalisierung oder die Lösung von generellen Konflikten wie der Streit über die Behandlung von Subventionen an Staatsunternehmen dar. Denn Single Undertaking bedeutet im Gegenzug natürlich auch, dass jedes Mitglied ein Vetorecht hat. Ein Ausweg ist der sogenannte Plurilateralismus, also eine Einigung einiger Mitgliedsländer über bestimmte Fragen wie e-Commerce, Umweltschutz oder Investitionsförderung. Zu diesen und anderen Themen gibt es bereits plurilaterale Initiativen innerhalb der WTO. Es ist nicht auszuschließen, dass einige WTO-Mitglieder sich in Zukunft so häufiger über den Widerstand von Mitgliedern, die kein Interesse an den jeweiligen Themen haben, hinwegsetzen wollen. Für diesen Prozess müssen Regeln gefunden werden.

Schließlich geht es um die unmittelbare Zukunft. Der Welthandel kommt nur in Schwung und der Wohlstand kann nur gesichert werden, wenn überall auf der Welt ausreichend Impfstoffe gegen Corona vorhanden sind. Denn nur, wenn überall wieder persönliche Kontakte möglich sind, können die Prozesse der globalen Arbeitsteilung wieder in alter Stärke aufgenommen werden und die globalen Wertschöpfungsketten wieder vollauf funktionieren. In der Krise hat es immer wieder Anklänge von Nationalismus gegeben, zum Beispiel Exportverbote für Masken oder jüngst die Ankündigung von Exportkontrollen beim Impfstoff in der europäischen Union (EU). Dies ist definitiv der falsche Weg. Hier kann die WTO sowohl mit sachlichen Analysen als auch mit klarem Auftreten sicherlich zu einem Perspektivwechsel von der kurzen Frist (Impfstoff heute) zur langen Frist (Arbeitsteilung morgen) beitragen.

Auch wenn all diese Probleme nicht ohne die Bereitschaft der Mitgliedsländer zum Kompromiss und zum Fortschritt gelöst werden können, fällt die Lösung mit einer starken Leitungsebene der Organisation selber, ausgestattet mit festen Prinzipien und Mut, erheblich einfacher. Misst man die neue Generaldirektorin anhand ihres bisherigen Lebenslaufs, so besteht Hoffnung. Okonjo-Iweala war lange in der Leitungsebene der Weltbank aktiv und hat als Ministerin in ihrem Heimatland Nigeria wesentliche Reformen angestoßen. Sie hat politische und diplomatische Erfahrung und gilt als durchsetzungsstark und zugänglich zugleich.

Somit ergeben sich aus dieser Konstellation viele Chancen – für Frauen im Außenhandel (gerade im informellen Handel in Entwicklungsländern ein Thema), für Afrika als den bisher am schwächsten in den Außenhandel eingebundenen Kontinent, für den Welthandel, aber auch für die WTO selbst. Wenn die Generaldirektorin die Organisation mit ihrem exzellenten Netzwerk in Wissenschaft, Verwaltung und Wirtschaft intensiv nutzt, den ausführlichen und sorgfältigen Dialog mit allen Mitgliedsländern sucht und auf die große Expertise in der WTO zurückgreift, kann sie sicherlich Impulse setzen, die weit über das bisherige Maß hinausgehen und Reformprozesse nicht nur mitgestalten, sondern relativ aktiv steuern. Man kann ihr nur viel Erfolg dabei wünschen – er hilft allen!

Mehr zum Thema: Die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala scheint als neue WTO-Chefin festzustehen. Der Führungswechsel bietet der schwer angeschlagenen Welthandelsorganisation Chancen.