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„Work-Life-Blending“: Für Führungskräfte sollten in Teilzeit die gleichen Karriereschritte möglich sein wie in Vollzeit, sagt eine Expertin

Privates und den Job unter einen Hut zu bekommen, war noch nie ein Spaziergang. Seit der Pandemie verschwimmen die Grenzen für viele Menschen mehr denn je. Sich in mehr Bereichen des eigenen Lebens zu engagieren als im Beruf, wünschen sich immer mehr Menschen. Die meisten arbeiten mehr, als ihnen lieb ist: 50 Prozent der männlichen und 41 Prozent der weiblichen Beschäftigten sagen das aktuell laut einer Studie des Ifo-Instituts für die Bertelsmann Stiftung.

Hätten sie die Wahl, wären es 36 Stunden Arbeit pro Woche bei Männern, 29,5 Stunden bei Frauen – diese Wünsche von deutschen Beschäftigten ergab vor einigen Wochen eine Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Weniger Lohn nähmen sie dafür in Kauf.

Und Führungskräften? Zwar wurden sie dazu nicht gesondert befragt. Doch es ist anzunehmen, dass auch viele von ihnen den Wunsch haben, beruflich kürzerzutreten. Das Recht auf Teilzeit haben alle. Seit Anfang 2019 dürfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Unternehmen mit mehr als 45 Beschäftigten etwa in eine sogenannte „Brückenteilzeit“ gehen, also für eine bestimmte Zeit weniger arbeiten und dann in Vollzeit zurückkehren.

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Noch tun das wenige. Nur rund 12 Prozent der Führungskräfte in Deutschland arbeiten in Teilzeit, ergab 2019 eine Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. „Frauen arbeiten deutlich öfter auch mit einer Vorgesetzten-Funktion in Teilzeit als Männer“, sagte eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums gegenüber dpa im Februar. Gründe dafür könnten vor allem die Vereinbarkeit beruflicher und privater Belange sein.

"Ich kehrte in Teilzeit aus der Elternzeit zurück - an meinem ersten Tag als Abteilungsleiter"

Stefan Bergner (46), Abteilungsleiter für Datenbanken beim Nürnberger IT-Dienstleister Datev, führt seit Jahren eine Abteilung mit 56 Personen in Teilzeit. Er hatte 2016 gerade das Angebot zur Beförderung erhalten, als sein Sohn geboren wurde. „Ich ging ein Jahr komplett in Elternzeit und kehrte danach in Teilzeit zurück – und damit an meinem ersten Tag als Abteilungsleiter.“ Für ihn war schon immer klar, dass er mit der Geburt des ersten Kindes längerfristig auf Teilzeit wechseln würde, um die Entwicklung des Nachwuchses und die Familie intensiv erleben zu können.

Nur ein einziges Mal hatte er ein diffuses Gefühl beim Gedanken ans Führen in Teilzeit: Als er bei seinem Chef darum bat. „Doch er sagte: ‚Datev ist groß genug – wenn wir das nicht auffangen können, machen wir in der Organisation etwas falsch‘“, erinnert sich Bergner. „Auch im Team haben es alle von Anfang an mitgetragen.“

Datev-Abteilungsleiter Stefan Bergner mit seinem Sohn Hannes
Datev-Abteilungsleiter Stefan Bergner mit seinem Sohn Hannes

In Absprache mit diesem hat Bergner seine Arbeit als Abteilungsleiter genau strukturiert. Im ersten Jahr nach der Elternzeit arbeitete er 25 Stunden pro Woche, seit dem zweiten Jahr sind es 30 Stunden. Sein Arbeitstag startet oft bereits gegen 6 Uhr 30 und endet konsequent um 12 Uhr. Dafür hat er erste Besprechungen oft schon morgens um sieben Uhr. Drei Stellvertreterinnen und Stellvertreter übernehmen in Bergners Abwesenheit.

Datev ist ein Vorreiter: Knapp ein Viertel der 8.000 Angestellten arbeiten in Teilzeit, das sind über 500 Männer und fast 1.500 Frauen. Unter den Führungskräften sind es rund 12 Prozent, die in Teilzeit tätig sind. Gängig ist häufig die Reduktion der Arbeitszeit auf eine Stundenzahl pro Woche, die noch als vollzeitnah gilt. Bei 30 Stunden wäre das der Fall, auch wenn das bei Datev keinerlei Vorgabe ist. „Die digitale Arbeit ist bei uns natürlich seit Corona stark in allen Ebenen gängig“, sagt Bergner. 80 bis 90 Prozent der Mitarbeiter des Dienstleisters arbeiten seit Beginn der Corona-Pandemie von zuhause aus.

Führen in Teilzeit braucht gute Planung und rasches Handeln

Bergners Team ist für die Datenbankhaltungssysteme bei Datev zuständig. Neben technischen Fragestellungen ist er selbst auch mit Themen rund um Strategie, Personal und Organisation beschäftigt. „Jenseits von technischen Störungen gibt es nur selten Themen, die nicht bis zum nächsten Tag warten können“, sagt Bergner. Zwei Maßnahmen seien für das Führen in Teilzeit zentral: ständig kommunizieren und rasch handeln. „Dinge auf die lange Bank zu schieben, kann sich rächen. Außerdem verzichten wir für Absprachen auf lange Emails und führen Videokonferenzen durch, wo immer es geht.“ Die Effizienz sei gestiegen. Er selbst sei durch seine Teilzeit eng getaktet, dafür diszipliniert in den Abläufen. „Das ist es wert.“

Autonomie braucht Planung. „Ich kann meine Zeit nur effektiv nutzen, wenn ich meinem Team vertraue und selbstverständlich davon ausgehe, dass sie ihren Job machen“, sagt Bergner. Sie seien transparent in der Kommunikation, in der Terminplanung und mit den Informationen, die für alle hinterlegt sind. So funktioniere es seit Jahren zuverlässig, sagt der Nürnberger. „Die Inhalte von 42 Stunden in 30 zu packen, das sollte sich allerdings keine Führungskraft vornehmen.“

Das ist New Work: Loslassen und Delegieren können. Aber auch den Überblick behalten. Dann klappt das, was Silke Katterbach, Unternehmensberaterin und Coach aus Bremen, „Work-Life-Blending“ nennt: Arbeiten und Leben so zu verbinden, dass sie gleichberechtigt sind. Selbst wenn es in Zahlen so aussehe, als sei das ein Frauenthema: „Das Thema Führung in Teilzeit war allenfalls am Anfang etwas, das aus der Not geboren war und so vorrangig Frauen betraf. Inzwischen erlebe ich so viele Männer wie Frauen, die diese Freiheit im Job einfordern – vor allem junge.“

Wie viele Zukunftsthemen liege auch dieses noch, kaum sichtbar, im Schatten. Aber seine Bedeutung zeige sich bereits, sagt Katterbach. „90 Prozent der Führungskräfte fragen sich irgendwann: Wie soll ich diesen Schwerpunkt auf Arbeit auf Dauer aushalten?“, weiß sie. „Ganz oben in der Hierarchie herrscht noch eine gewisse Narrenfreiheit. Aber der Mittelbereich ächzt unter der Last der Anforderungen und des operativen Drucks. Wir müssen das Muster wechseln: Arbeit und Arbeitszeit neu miteinander definieren.“

Unternehmen wie Datev und EWE haben einen Zukunftstrend erkannt: dezentralere Führung durch mehr Vertrauen und Selbstständigkeit in den Teams. Hierarchien verflüchtigen sich, Teams werden erfolgreicher. Den Effekt wies etwa Sebastian Reiche, Professor of People Management an der IESE Business School in Barcelona, in Studien nach.

„Mach deinem Team deutlich, wie du arbeitest – und halt dich selbst daran“

Bergners Teilzeit-Modell bei Datev führt zu mehr Selbstständigkeit in seinem Team. „Alle haben die Informationen, die sie für ihre Arbeit brauchen, und ich bin den halben Tag als Ansprechpartner dabei,“ sagt er. Seine Leute ermutigt er schon mal, allein zu Terminen zu gehen. „Sie haben die fachliche Ahnung, sollen Entscheidungen selbst treffen können und uns andere nachher informieren, wie sie entschieden haben.“ Damit Führung in Teilzeit für ihn funktioniert, folgt er dem Grundsatz: Mach deutlich, wann du arbeitest, wie dein Modell aussieht - und halt dich selbst daran.

Eine permanente Vertretung, auf die er sich im Büro verlassen kann, hat auch Heiko Hambrock (49), Geschäftsführer beim niedersächsischen Elektromobilitätsunternehmen EWE Go. Er führt ein Team von bis zu 60 Kollegen. Anfang 2021 reduzierte er sein Vollzeitpensum um 20 Prozent, wie er im Februar 2021 im Gespräch gegenüber dpa schilderte. „Ich werde dieses Jahr 50“, sagt der Diplom-Betriebswirt.

„Ich habe mich entschieden, dass ich mit meiner Lebenszeit auch noch ein paar andere Dinge machen möchte, außer so viel zu arbeiten.“ Auf seiner Zweijahresplanung stehen neben beruflichen Terminen Zeit für Familie, Freunde und sein Hobby Langdistanztriathlon. Im Job war einiges an Abstimmung nötig. Hambrock ist überzeugt davon, dass es funktionieren wird. Wie Stefan Bergner hat auch er eine permanente Vertretung im Haus.

Teilzeitführung: mehr Raum für Freunde, Familie, Tiere, eigene Projekte

Arbeitgeber EWE schreibt seit Dezember 2020 alle Führungspositionen auch in Teilzeit aus. Das norddeutsche Energie- und Telekommunikations-Unternehmen will zu einem der führenden deutschen Unternehmen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben werden. Derzeit bietet das Unternehmen Führen in Wochen-, Monats-, Jahres- und flexibler Teilzeit an.

Davon profitiert auch Auch Elena Hoberg (35), die das Privatkundenmarketing bei EWE Tel leitet. Seit Juni 2020 führt sie in Teilzeit: mit 28 Stunden pro Woche, verteilt nach Bedarf. „Wir sprechen das natürlich im Team ab“, sagt sie gegenüber dpa. Die freien Stunden nutzte sie zu Beginn für ein berufsbegleitendes Studium, später für die Familie, für ihre Freunde und ihre Hunde. Aus ihrem Team gab es „viel Zuspruch“, sagt sie. Ihren beruflichen Aufgaben könne sie voll gerecht werden.

Das Leben lässt sich nicht mehr komplett von Arbeit an den Rand drängen. „Das zeigen uns die Strukturen in Startups, aber auch die Ansprüche der Generation Y, die den kulturellen Wandel zeigen, weil sie Arbeit, Führung und Leben offener verstehen“, sagt Beraterin Katterbach. „Startups sind Vorreiter. Ein Gründer aus Hamburg, der das dezentrale Arbeiten schätzt, sagte mal sagte zu mir: ‚Wie kann ich denn auch wissen, wie meine Leute am besten arbeiten?‘“

Ein Trend, den Anja Karlshaus, Professorin für Business Operations und Human Resource Management an der Cologne Business School (CBS), bestätigt. Ihr liegt das Thema Teilzeitführung am Herzen. Sie erforscht es seit Jahren. „Das Modell wird begünstigt durch flache Hierarchien, eine vergleichsweise junge Belegschaft, ein hoher Anteil an Teilzeit insgesamt sowie eine gute technische Infrastruktur, die die digitale Kommunikation erleichtert“, sagt sie.

„Wahrscheinlich steigt der Anteil an Teilzeitführung weiter an“

In Zukunft werde sich eine noch größere Diversität an Arbeitszeitmodellen auf allen Ebenen finden. „Wahrscheinlich steigt auch der Anteil an Teilzeitführungskräften weiter an. Jede Stelle ist letztendlich das Ergebnis von Arbeitsteilung,“ so Karlshaus. Eine Festlegung auf 40 Stunden als Norm sei eine willkürliche Entscheidung und nicht maßgeblich.

Karlshaus sieht Teilzeit-Führung als ein Mittel zur Förderung von Frauen. Denn sind Stellen teilzeitfähig, haben Frauen rein rechnerisch höhere Chancen auf Führungspositionen. „Aber das ist es erst dann, wenn nicht nur ‚Work-Life-Balance‘ möglich ist, sondern auch ‚Career-Life-Balance‘“, sagt die Wissenschaftlerin. „Es muss auch aus Teilzeitführungspositionen heraus möglich sein, weitere Karriereschritte mit genau den gleichen Chancen wie Vollzeitkollegen zu gehen.“ Nötig dafür: eine gute Unternehmenskultur und Akzeptanz von Teilzeitführung.

Die Corona-Pandemie wirkt beschleunigend: Sie zeigt bereits den Stellenwert des Lebens neben dem Job, wenn wir in virtuellen Meetings auf Kollegen treffen, die ihre Kinder auf dem Schoß haben – oder Live-Interviews sehen, in denen sie ihren Raum fordern. Trivago-Chef Axel Hefer hat seinen Sohn einfach ins CNN-Interview integriert. Das bleibt.

„Nur wenn sich die Unternehmenswelt auf neue Zielgruppen wie junge Mütter und Väter und ältere Arbeitnehmer einstellt, kann sie einen Fachkräfteengpass vermeiden“, glaubt Forscherin Karlshaus.

Stefan Bergner ist ganz nebenbei ein Role Model für Väter im Betrieb geworden. Den Effekt hätte er sich als Mann und Teilzeit-Führungskraft rascher gewünscht. „Inzwischen bemerke ich: Die Väter in meiner Abteilung sind mutiger sind als in anderen Abteilungen, wenn es darum geht, Zeit für Privates einzufordern.“ Er habe früh an sie appelliert: „Nutzt die Zeit mit euren Kindern. Sie kommt nie zurück.“