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Wirtschaftshilfen: Warum sich viele Unternehmen im Stich gelassen fühlen

Die Politik mobilisiert Milliarden, um Firmen in der Coronakrise zu unterstützen. Doch viele Unternehmer warten noch auf Geld – oder fallen ganz durchs Raster.

Kirstin Ellen Vietze ist frustriert. „So absurd es klingt: Ich stehe kurz vor der Pleite, habe aber 2020 immer noch zu viel Umsatz erzielt, um Hilfen zu bekommen“, sagt die Friseurin. In normalen Zeiten frisieren Vietze und ihre 15 Kolleginnen in ihrem Salon im Berliner Regierungsviertel, der zum Intercoiffure- Verbund gehört, Fernsehjournalisten, Bundestagsmitarbeiter oder Gäste umliegender Hotels.

Doch nichts ist normal, wenn Hotels geschlossen sind und Stammkundinnen mit langer Mähne im Homeoffice sitzen. Ein Fünftel weniger Bruttoumsatz hat Vietze 2020 im Vergleich zum Vorjahr erzielt. Um die November- oder Dezemberhilfe zu erhalten, hätte das Minus mindestens 30 Prozent betragen müssen. Jetzt steht die Friseurmeisterin am Rand der Pleite, weil die Kosten weiterliefen und sie zusätzlich fast 20.000 Euro für Trennwände und andere Hygienemaßnahmen investiert hat.

Wie Vietze geht es nach einem Jahr Pandemie vielen Unternehmern, denen das Versprechen der Politik, niemanden im Stich zu lassen, noch in den Ohren hallt. Gerade hat die Bundesregierung die Antragsfristen für die Überbrückungshilfe II und die November- und Dezemberhilfen bis Ende März beziehungsweise Ende April verlängert, weil die Auszahlung schleppend verläuft.

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Weil es so langsam geht, hat Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) zinsfreie Überbrückungskredite für Unternehmen und Soloselbstständige angekündigt, die noch auf die Auszahlung von Corona-Bundeshilfen warten.

Eine Idee, die vor allem im Einzelhandel Anklang findet: „Wenn die Länder die Wartezeit auf die Unterstützungsleistungen des Bundes mit eigenen Mitteln überbrücken, so ist das eine willkommene Hilfe, um die vielerorts im Handel akute Finanznot etwas zu entschärfen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands HDE, Stefan Genth, dem Handelsblatt.

Von der Lage im Einzelhandel kann Kai Teute ein Lied singen. Er ist Geschäftsführer der Equity Seven Unternehmensgruppe, die unter anderem Markenmode an den Küstenstandorten vertreibt. Die Textilgeschäfte haben schon vor dem Lockdown gelitten, weil seit November kaum noch Touristen kamen.

Im November und Dezember lag der Umsatz um 55 beziehungsweise 80 Prozent unter dem Vorjahr, im Januar dürften es 95 Prozent sein. Teute wartet jetzt auf die Überbrückungshilfe III, die ab Februar beantragt werden kann und ab März ausgezahlt werden soll, für alle anderen Programme kommt sein Unternehmen nicht infrage.

Immerhin kann Teute dann auch Sonderabschreibungen auf die Ware vornehmen, die er nicht mehr verkaufen kann. „Wenn die Läden wieder öffnen, ist die Wintersaison vorbei.“

Enttäuscht ist man auch bei der Jump House Holding, die an sieben Standorten Trampolinhallen betreibt und vor Corona auf einen Jahresumsatz in zweistelliger Millionenhöhe kam. „Frust und Verzweiflung steigen von Tag zu Tag“, sagt Marketingchefin Isabel Albrecht.

Seit Beginn der Pandemie hat das Unternehmen bisher Soforthilfen, Überbrückungshilfe I und einen Abschlag für die Novemberhilfe erhalten – insgesamt rund 180.000 Euro. Das reiche für eine Monatsmiete der insgesamt sechs Monate geschlossenen Hallen, erläutert Albrecht.

In dieser Woche ist endlich die Bewilligung für die Überbrückungshilfe II und die Novemberhilfe eingegangen, hier geht es um einen siebenstelligen Betrag. Doch Jump House stößt schnell an Beihilfegrenzen. Denn die Corona-Hilfen können bei verbundenen Unternehmen nicht für jede eigenständige GmbH an den einzelnen Standorten beantragt werden, sondern nur für die Muttergesellschaft.

2014, im gleichen Jahr wie Jump House, legte auch Sugartrends als erfolgversprechendes Start-up los. Die Firma bietet für Boutiquen und andere kleine Läden einen Onlinemarktplatz. 500 Läden machen bereits mit, können so die Kosten für den Einstieg in den E-Commerce niedrig halten. Das Konzept des Unternehmens mit einem Dutzend Mitarbeitern hat Investoren wie den früheren SAP- Entwicklungsvorstand Peter Zencke überzeugt. Doch bei der Suche nach Geldgebern in der Krise rutschte Sugartrends lange durch alle Raster.

In seiner Not wandte sich Gründer Christian Schwarzkopf an das Bundeswirtschaftsministerium, sprach ein Dutzend Mal mit Beamten, bis hoch zur Unterabteilungsleiterin für Mittelstandspolitik – ohne Erfolg. Auch bei der staatlichen Förderbank KfW blitzte Schwarzkopf ab.

Nach sieben Monaten Klinkenputzen dann endlich die Rettung: Die Stadtsparkasse Köln gibt 750.000 Euro für 1,5 Prozent Zinsen, abgesichert durch die KfW. Trotzdem stellte die Sparkasse die Bedingung, dass ein Risikokapitalgeber genauso viel Geld zuschießen muss. Auch das gelang, jetzt ist Sugartrends bis 2022 abgesichert.

Probleme für kleinere Firmen

Nicht nur Start-ups leiden. Dir Grünen werfen der Bundesregierung vor, bei der angepassten Überbrückungshilfe II gerade kleine Unternehmen im Stich zu lassen und ihnen einen völlig unnötigen Aufwand aufzubrummen. Der Grund: Es gibt drei verschiedene beihilferechtliche Regelungen für die Genehmigung der Programme durch die EU-Kommission.

Anders als bei den meisten früheren Hilfen hat das Wirtschaftsministerium bei der Überbrückungshilfe II nur noch jene Regelung gewählt, die zwar eine höhere Förderhöchstgrenze erlaubt, aber keine Ausnahmeregelungen für kleinere Betriebe enthält. Auch sie müssen nun nachweisen, dass ihnen irgendwann seit März tatsächlich Verluste entstanden sind. Im Rahmen der November- und Dezemberhilfen wurde bis zu einem Förderbetrag von einer Million Euro noch auf diesen Nachweis verzichtet.

„Es ist ein Skandal, dass die Belange kleiner Unternehmen bei den Überbrückungshilfen II schlicht und einfach vergessen wurden“, kritisiert die Mittelstandsbeauftragte der Grünen-Bundestagsfraktion, Claudia Müller. „Wirtschaftsminister Peter Altmaier erweist sich leider mal wieder als Minister der Großunternehmen.“

Das würde wohl auch Friseurmeisterin Vietze unterschreiben. Sie hat alle Rücklagen aufgelöst, sogar die Sparbücher ihrer drei Kinder leer geräumt, um irgendwie über die Runden zu kommen. Die neue Überbrückungshilfe III dürfte jetzt endlich wohl auch auf sie passen, sagen ihr Steuerberater und ihr Anwalt. Der Antrag ist ausgefüllt. „Wenn das Geld aber erst im März ausgezahlt wird, dann ist mein Betrieb vorher tot“, fürchtet Vietze.

Mehr: Vor einem Jahr wurde der erste Corona-Fall in Deutschland bestätigt. Wie hat das Land die Pandemie bisher bewältigt, wie schwer sind die wirtschaftlichen Schäden? Die große Bilanz.