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Wirtschaft fordert einen klaren Exit-Fahrplan von der Regierung

Angesichts sinkender Corona-Neuinfektionen mehren sich die Forderungen, weitere Beschränkungen zu lockern. Einen konkreten Vorschlag gibt es für die Gastronomie.

Der Geist ist aus der Flasche – und er wird sich so leicht nicht wieder einfangen lassen. Stück für Stück kehrt das gesellschaftliche Leben in Deutschland zur Normalität zurück: Spielplätze sind vielerorts wieder freigegeben, erste Gottesdienste fanden statt, einige Museen und Zoos öffnen, die Schulen füllen sich langsam, und erstmals seit Wochen werden Friseurbesuche möglich.

Seit Tagen sinkt die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Deutschland. Auch wenn das aus Sicht des Robert Koch-Instituts (RKI) noch kein Grund zur Entwarnung ist, werden Stimmen aus Wirtschaft und Politik lauter, die weitere Lockerungen der Corona-Maßnahmen fordern.

Die Wirtschaft dringt auf einen Exit-Fahrplan: Nach der Besprechung von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten am 6. Mai müsse Klarheit herrschen, in welchen Stufen das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben wieder anlaufen solle, sagte Industriepräsident Dieter Kempf den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Denn jede Woche eines Shutdowns koste die deutsche Volkswirtschaft einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag an Wertschöpfung.

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Auch die Präsidentin des Automobilverbands VDA, Hildegard Müller, forderte „einen effektiven Weg aus der Krise“. In Europa seien die Verkaufszahlen um gut 50 Prozent zurückgegangen – „und ein neuer Tiefpunkt ist wohl im April erreicht“, sagte sie.

Fast alle Branchen sind betroffen: Die Reisewirtschaft verliere bis Mitte Juni 10,8 Milliarden Euro, rechnet der Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV), Norbert Fiebig, vor.

Er fordert eine „verlässliche Perspektive, wie wir schrittweise den Tourismus wieder in Gang setzen“. Dem Einzelhandel seien durch Ladenschließungen Umsätze von 1,15 Milliarden Euro pro Tag entgangen, schreibt der Präsident des Branchenverbands HDE, Josef Sanktjohanser, im Gastkommentar für das Handelsblatt.

Und Umfragen deuten darauf hin, dass sich die von der Coronakrise verunsicherten Verbraucher auch in den kommenden Wochen beim Einkaufen stark zurückhalten werden.

So ist das Konsumbarometer, das das Handelsblatt Research Institute monatlich für den HDE berechnet, weiter eingebrochen – und das, obwohl ein Großteil der Geschäfte inzwischen wieder geöffnet ist. Nach einem Rückgang von 6,1 Punkten steht der Index für Mai nur noch bei einem Wert von 90,5 – und damit auf einem historischen Tiefststand.

In den vergangenen Jahren hatte sich das Barometer, für das monatlich rund 2000 Menschen befragt werden, stets zwischen 99 und 103 Punkten bewegt. Die Detaildaten zeigen, dass derzeit vor allem größere Anschaffungen auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Laut Ifo-Geschäftsklima hat sich die Stimmung der Firmen in keinem anderen Wirtschaftszweig zuletzt so sehr eingetrübt wie im Handel.

Gastronomie fehlt eine Perspektive

Gar keine Öffnungsperspektive gibt es bisher für die Gastronomie. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) will deshalb Merkel und den Ministerpräsidenten vorschlagen, zumindest die Außenbereiche von Restaurants, Cafés und Kneipen unter Auflagen ab dem 15. Mai wieder zu öffnen.

„Man könnte testen, ob die Sicherheitsvorkehrungen funktionieren, bevor sich alles am Pfingstwochenende ballt“, sagte Dulig der Deutschen Presse-Agentur. Der Branchenverband Dehoga fordert neben einem klaren Öffnungsfahrplan auch einen Rettungsfonds für die Betriebe.

Zur Ankurbelung der Nachfrage haben die Regierungsfraktionen beschlossen, die Mehrwertsteuer auf Speisen befristet von Anfang Juli 2020 bis Ende Juni 2021 von 19 auf sieben Prozent abzusenken. Das Finanzministerium rechnet nach der dem Handelsblatt vorliegenden Formulierungshilfe für den Gesetzentwurf mit Steuerausfällen von insgesamt 2,7 Milliarden Euro für Bund, Länder und Gemeinden.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kündigte in der „Bild am Sonntag“ an, die Bundesregierung werde „jetzt Schritt für Schritt eine klare Perspektive für die Wirtschaft schaffen“. Dennoch wächst die Ungeduld in den Betrieben. Die ersten, nur schrittweisen Lockerungen seien richtig gewesen, erklärte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. „Doch jetzt bin ich, wie viele Teile der Wirtschaft und Bevölkerung, selber ungeduldig.“ Allerdings könne die nächste Öffnung erst erfolgen, wenn die niedrigen Infektionszahlen stabil blieben und Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden könnten.

Der wirtschaftliche Druck werde „von Tag zu Tag stärker“, sagte der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß (CDU), dem Handelsblatt. Deshalb dürfe man keine Zeit verlieren. „Jetzt müssen Wirtschaft und Politik gemeinsam einen Plan erarbeiten, wie wir wieder schrittweise und in aller Vorsicht die Maßnahmen lockern können.“

FDP-Chef Christian Lindner hält „weitere Schäden durch die Einschränkungen“ für nicht mehr gerechtfertigt. „Die Stimmung in der Bevölkerung wird kippen, wenn der unnötige Stillstand des Lebens fortgesetzt wird“, sagte er dem Handelsblatt.

SPD-Chefin Saskia Esken betonte, jede Lockerung oder Beibehaltung von Maßnahmen müsse „angemessen und für die Menschen nachvollziehbar“ sein. „Eine zweite, ungebremste Infektionswelle würde alle mühsam erreichten Erfolge mit einem Schlag zunichtemachen“, sagte Esken dem Handelsblatt. Die Öffnungsdebatte müsse „im Dialog“ geführt werden. „Druck auszuüben ist das falsche Rezept.“

Gerichte kippen Vorgaben

Allerdings haben Gerichte zuletzt mehrfach Vorgaben gekippt – etwa in Bayern die Beschränkung, dass nur Geschäfte mit weniger als 800 Quadratmeter Fläche öffnen dürfen. „Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung von Gerichten und Ländern am Nasenring durch die Manege gezogen wird“, sagte FDP-Fraktionsvize Michael Theurer dem Handelsblatt.

Ausgerechnet CDU-geführte Länder wie Sachsen-Anhalt und das Saarland ignorierten die Mahnung der Kanzlerin vor „Lockerungsdiskussionsorgien“. Beide hatten die Größenbeschränkung von sich aus aufgehoben.

Damit es nach der Lockerung der Corona-Einschränkungen rasch wieder aufwärtsgeht, setzt die Wirtschaft jetzt vor allem auf Konjunkturprogramme – etwa Kaufprämien für Autos.

„Um aus der tiefen Rezession der Industrie zu kommen, ist die deutsche Öffnungsdebatte nur bedingt hilfreich“, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann dem Handelsblatt. Erforderlich sei ein „europäisch koordinierter Hochlauf der Wirtschaft“, außerdem müsse das Vertrauen von Konsumenten und Investoren wieder wachsen. „Dazu sind Konjunkturprogramme notwendig.“

Es gehe darum, die Kaufkraft zu sichern – auch durch eine Erhöhung des Kurzarbeitergelds und Lösungen für arbeitende Eltern, solange Kitas und Schulen keine verlässliche Betreuung anbieten könnten.

SPD-Chefin Esken erinnerte indes daran, dass die Bundesregierung die Wirtschaft keineswegs mit ihren Problemen allein gelassen habe. Vom Kurzarbeitergeld über Soforthilfen für kleine Unternehmen und umfassende Kredit- und Bürgschaftsprogramme stelle der Staat Milliarden-Beträge zur Verfügung, um Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu unterstützen. Gleichwohl seien noch zahlreiche Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche in einem Ausnahmezustand. Die SPD-Politikerin kritisierte in diesem Zusammenhang, dass andere auch jetzt noch Aktionäre mit hohen Dividenden bedenken wollten. Mit ihren „Alarmrufen“ klängen sie deshalb nicht gerade überzeugend.

Bei der Wiederankurbelung der Konjunktur dürfe es nicht zu einer „Diskriminierung des Mittelstands“ kommen, mahnt derweil Daniel Terberger, Chef des Modedienstleisters Katag. Das Unternehmen mit rund 1,1 Milliarden Euro Umsatz beliefert rund 350 Modehändler.

Wenn er an die Forderungen der Autobranche denkt, wird Terberger wütend. Die Umsätze seien dort längst nicht so stark eingebrochen wie bei Hotels, Restaurants, Friseuren und im Modehandel – und es gebe Hoffnung auf Nachholeffekte.

Wer maximale Einbußen habe, müsse auch entsprechend entschädigt werden, betont der Manager: „Mir kommt es auf die Verhältnismäßigkeit an.“