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„Ich suche selbst nach befriedigenden Antworten“

Martin Winterkorn ist in Berlin. In einer Erklärung weist der frühere VW-Chef eine Schuld von sich, er sei nicht frühzeitig informiert gewesen. Anders als erwartet beantwortet er auch einige Fragen – aber nicht alle.

Auf die Minute genau, um Punkt zehn Uhr, betrat Martin Winterkorn den Raum. Der Anzug dunkel, das Gesicht starr. Im Beisein seiner beiden Anwälte schritt er zu einem Pult in der Mitte des Raumes, umzingelt von Tischen, an denen die Politiker des Untersuchungsausschusses sitzen. Sofort prasselte das Klicken der vielen Kameras auf ihn ein. Minutenlang – klick, klick, klick.

Es war der erste öffentliche Auftritt des ehemaligen VW-Vorstandschefs nach seinem Abgang bei Volkswagen im September 2015, als der Dieselskandal über ihn hereinbrach und er die Verantwortung übernahm. Und sie bekamen nicht genug, die Fotografen. Ein Sprecher und die Sicherheitskräfte musste sie über Lautsprecher zum Gehen bewegen: „Wir bitten Sie jetzt, den Raum zu verlassen, damit wir anfangen können.“

Dann klärte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Herbert Behrens, WiKo, wie sie ihn früher bei VW nannten, über seine Rechte auf. Er muss die Wahrheit sagen, sagte er ihm. Als ihm der Vorsitzende das Wort erteilte, bedankte er sich artig für „die Gelegenheit“ und las dann eine Stellungnahme von einem Zettel ab. Er flog durch seinen Lebenslauf, sagte, dass er mal bei Bosch und Audi war, irgendwann wurde er Leiter der Qualitätssicherung, dann Markenvorstand.

In seiner Erklärung entschuldigte er sich erneut für die Diesel-Abgasmanipulationen seines Unternehmens. „Ich möchte meine tiefe Bestürzung darüber zum Ausdruck bringen, dass wir Millionen unserer Kunden enttäuscht haben“, sagte Winterkorn. „Auch ich hätte das nicht für möglich gehalten“. Er habe als Vorstandschef die politische Verantwortung für diese Vorgänge übernommen und sei deshalb im September 2015 zurückgetreten. Dies sei der schwerste Schritt seines Lebens gewesen.

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Er blieb allerdings auch bei der offiziellen Darstellung, wonach er erst im Sommer 2015 von den Manipulationen erfahren habe. „Ich hätte den Betrug nie für möglich gehalten und bin tief bestürzt“, sagte Winterkorn laut Zuhörern vor dem Ausschuss. „Es ist nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig und eindeutig informiert wurde. Auch ich selbst suche nach befriedigenden Antworten.“

Winterkorn stellte sich auch Fragen

Anders als von einigen Experten im Vorfeld erwartet, beantwortete Winterkorn nach seiner Erklärung auch einige Fragen. Auf die Frage, was er über die europäischen Abgasnormen wusste, antwortete er: „Ich kannte nicht die Details. Dafür war die Motorenentwicklung verantwortlich.“ Die EU-Direktive über Abschaltvorrichtungen sei nicht im Vorstand diskutiert worden. Wann er von den Ermittlungen und dem Betrug erfahren habe, beantwortete Winterkorn unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen jedoch nicht.

Zum eigentlichen Zweck des parlamentarischen Untersuchungsausschusses – der politischen Aufklärung des Skandals – sagte Winterkorn, dass er nicht glaube, dass die Bundesregierung bereits 2014 von den US-Behörden informiert worden sei. „Ich habe die Bundeskanzlerin am 21. September 2015 über die Probleme in den USA informiert“, so Winterkorn. Später korrigierte er sich auf den 22. September, da Merkel am Tag zuvor nicht erreichbar gewesen sei. An jenem Tag hielt Winterkorn auch seine Video-Ansprache, am 23. September trat er zurück. Auf die Frage, wann Winterkorn mit Politikern über Stickoxid-Emissionen gesprochen habe, antwortete er: „Ich persönlich habe mit Vertretern der Bundesregierung über NOx nicht gesprochen.“

Der Ausschuss soll vor allem die Rolle der Bundesregierung und ihr Verhältnis zur Autolobby beim Umgang mit auffälligen Abgaswerten untersuchen. Die Verantwortung von VW-Mitarbeitern im Diesel-Skandal in Deutschland prüft dagegen die Staatsanwaltschaft Braunschweig. Gegen Winterkorn und andere Manager wird wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermittelt. Sie sollen die Finanzwelt nach dem Bekanntwerden des Skandals zu spät informiert haben.


„Software ist ein komplexes Thema“

Dann sagte er einen Satz, der am Ende symptomatisch ist für seinen Auftritt: „Ich frage mich, ob ich nicht eins der Signale falsch gedeutet habe.“ Als ihn ein Politiker später fragte, welche Signale er denn meine, verweigerte Winterkorn die Aussage. Schließlich gebe es da ja noch dieses Ermittlungsverfahren gegen ihn in Braunschweig. Dem könne er nicht vorgreifen. Doch auch sonst plagte Winterkorn anscheinend erstaunliche Unwissenheit. So weiß er nicht, wie viele Leute ich bei VW mit der Motorsoftware beschäftigt haben. Allerdings seien das nicht nur zwei oder drei gewesen, das sei schon ein „komplexes Thema“.

Auch meine er zwar, dass „diese Abschalteinrichtungen“ in Europa nicht erlaubt gewesen seien, sicher sei er sich aber nicht. Und überhaupt habe er von diesem „defeat devices“ erst im September 2015 erfahren, als der Skandal ans Licht der Öffentlichkeit kam.

Als Oliver Krischer von den Grünen wissen wollte, ob Winterkorn es genauso sehe wie VW, dass die Abschalteinrichtung in Europa nicht verboten sei, verschränkt Winterkorn die Arme. „Die Frage ist, ist es legal oder ist es illegal“, sagt er. Lachen im Saal. Das sei eine juristische Frage. „Die möchte ich nicht beantworten.“

Wie vor Gericht können Zeugen unter gewissen Voraussetzungen auch in Untersuchungsausschüssen des Bundestages eine Aussage verweigern. Zwar sind geladene Personen nach dem Untersuchungsausschuss-Gesetz verpflichtet, dort zu erscheinen, dürfen sich aber auf das Auskunftsverweigerungsrecht berufen. In Paragraf 22 ist geregelt, dass Zeugen und ihre nahen Angehörigen nicht auf Fragen antworten müssen, die sie der Gefahr eines „gesetzlich geordneten Verfahrens“ aussetzen.

Damit geht die Vorschrift über die entsprechenden Regeln in der Strafprozessordnung hinaus. So darf ein Zeuge vor Gericht und in U-Ausschüssen die Aussage verweigern, wenn die Gefahr besteht, dass er wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt werden könnte. In einem Ausschuss kann ein Zeuge zudem geltend machen, dass er sich womöglich einem Disziplinarverfahren aussetzen müsste.

Bei Bedarf muss der Zeuge vor den Parlamentariern glaubhaft darlegen, worauf sich seine Verweigerung bezieht. Ein umfassendes Schweigerecht hat er nur, wenn nichts übrig bleibt, was er ohne die Gefahr eines „gesetzlich geordneten Verfahrens“ gegen ihn aussagen könnte. Personen mit besonderem Vertrauensschutz - wie Geistliche, Anwälte oder Ärzte - müssen meist von Berufs wegen keine Aussage machen.