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Wiener Verhältnisse für alle

Die Grünen wollen eine neue Gemeinnützigkeit für den Wohnungssektor. Wer dauerhaft günstige Wohnungen schafft, soll gefördert werden. Ob das Erleichterung auf dem Mietmarkt in den Städten bringt, ist allerdings fraglich.

Die Zahlen klingen paradiesisch: Acht Euro Miete pro Quadratmeter für eine Wohnung in Berlin. Und nur 7,75 Euro pro Quadratmeter, wenn man in München eine Wohnung mietet. Kaum vorstellbar, wenn man weiß, dass Mieter in Berlin derzeit durchschnittlich etwa 13 Euro für jeden Quadratmeter ihrer Wohnung bezahlen. In München lag die Miete pro Quadratmeter im vergangenen Jahr im Schnitt nach einem Mieterwechsel sogar bei etwa 17,90 Euro.

Geht es nach den Grünen, sind die günstigen Mietpreise allerdings keine Utopie. Sie würden für Menschen mit mittleren Einkommen erreicht, sagte die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt gerade bei einer Veranstaltung ihrer Partei in Berlin, wenn es in Deutschland wieder eine Gemeinnützigkeit für den Wohnungssektor gäbe.

In den deutschen Groß- und immer mehr mittelgroßen Städten steigen die Mieten, Menschen mit kleinem Einkommen und Familien fällt es schwerer, sich eine Wohnung im Zentrum zu leisten oder eine, die groß genug für sie ist. Darüber ärgern sich viele, in Berlin wird eine Initiative nun ein Volksbegehren beginnen, mit dem radikalen Ziel, private Wohnungskonzerne, vor allem die Deutsche Wohnen zu enteignen. In vielen Städten wollen Menschen am 6. April, dem ersten Tag des Begehrens, auch gegen steigende Mieten und Verdrängung in die Randbezirke demonstrieren.

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Um den Wohnungsmarkt in den Städten wieder bezahlbar zu machen, werben die Grünen für eine neue Wohngemeinnützigkeit. Sie halten es für heikel, dass der Bau von Sozialwohnungen zwar gefördert wird, deren Bindung nach einer gewissen Zeit aber entfällt – und in Deutschland seit Jahren Sozialwohnungen verloren gehen, weil weniger neue gebaut werden, als eben aus der Bindung fallen.

Ihre Idee: Wer dauerhaft günstige Wohnungen schafft und sie außerdem nach sozialen Kriterien vermietet, dessen Investitionen sollen in Höhe von 20 Prozent der Investitionskosten bezuschusst werden, wenn Wohnraum für Menschen mit kleinem Einkommen entsteht. Zehn Prozent Investitionszuschüsse soll es für Wohnungen für Menschen mit mittlerem Einkommen geben.

Außerdem würde der Betrieb der Wohnungen von Steuern befreit, sowohl schon von der Grunderwerbs- wie auch von der Körperschafts- oder Einkommenssteuer. Die Förderung soll vor allem Baugenossenschaften, kommunale Wohnungsunternehmen und Privatleute statt Wohnungskonzerne erreichen. Mit anfänglich drei Milliarden Euro an Zuschüssen vom Bund sollen so in den kommenden zehn Jahren eine Million dauerhaft bezahlbare Wohnungen entstehen.

Im Grundsatz ist die Idee der Wohngemeinnützigkeit nicht neu. Bis 1989 gab es in Deutschland diese Art der Förderung, dann schaffte die damalige Bundesregierung aus Union und FDP sie ab – auch mit dem Versprechen, mehr Steuern einzunehmen. Für etwa 1.800 Wohnungsunternehmen mit fast 4 Millionen Wohnungen fielen die Gewinnbeschränkungen, die bis dahin bestanden hatten.

Als Beweis dafür, was mit der Wohngemeinnützigkeit erreicht werden kann, muss auch bei der Grünen-Veranstaltung wieder das Lieblingsbeispiel für sozialen Wohnungsbau herhalten: Wien. 60 Prozent der Bevölkerung Wiens lebt in einer geförderten oder einer Gemeindewohnung. Die Gemeinnützigkeit, sagt Martin Orner, der Obmann der gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft EBG aus Wien, sei etwas, das es in Österreich schon lange gebe und das nie wirklich in Gefahr gewesen sei: „Aber sie abzuschaffen und wieder aufzubauen, das braucht eine große politische Anstrengung.“


Ein modifizierter Import aus Deutschland

Die Ironie der Geschichte, die Orner den Zuhörern präsentiert: Die österreichische Gemeinnützigkeit sei eigentlich ein modifizierter Import aus Deutschland. Warum es sie im Unterschied zu Deutschland noch gebe? Zwar habe man auch den gemeinnützigen Bauvereinigungen in Österreich in den 90er Jahren vorgeworfen, politische Amtsträger mit Posten auszustatten. Richtige Skandale habe es aber – fast – keine gegeben.

Anders als in Deutschland, wo Anfang der 80er Jahre der Spiegel die Affäre um das DGB-eigene Wohnungsbauunternehmen Neue Heimat aufdeckte: Vorstandsmitglieder hatten Mittel unterschlagen und der Gesellschaft einen Millionenverlust bereitet – das Unternehmen wurde später verkauft. Auch die Trabantensiedlungen der Neuen Heimat gelten heute als Beispiel dafür, welche Fehler im Städtebau besser nicht wiederholt werden sollten.

Die Grünen argumentieren nun, diesmal könne man es besser machen – deshalb „neue“ Wohngemeinnützigkeit. Experten bezweifeln aber, dass das möglich wäre. Ein Grund: Gemeinnützige Wohnungsunternehmen sollen sich nicht daran orientieren, Gewinne zu erwirtschaften, sondern müssten erfüllen, was der Staat ihnen bei Bautätigkeit und Miethöhe vorgibt.

Sie stünden damit außerhalb des regulären Wettbewerbs, schreibt Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln in einer Studie. Zu viel Personal zu beschäftigen sei ebenso ein Problem der Wohnungsgemeinnützigkeit gewesen wie die mangelnde Kostenkontrolle. „Unternehmen, die sich außerhalb des Marktmechanismus bewegen, neigen dazu, ineffizient zu operieren, sprich, zu hohe Kosten zu verursachen“, schreibt Voigtländer.

Dazu stellt sich die Frage, ob die neue Wohngemeinnützigkeit überhaupt etwas daran ändern würde, dass es heute weniger Sozialwohnungen gibt als bis zu den 90er Jahren. Guido Spars, Professor für Ökonomie des Planens und Bauens an der Bergischen Universität Wuppertal, bezweifelt das. Dass Wohnungsunternehmen freiwillig an einem solchen Angebot teilnehmen wollten, werde sich voraussichtlich auf wenige Firmen beschränken, schreibt er in einer Studie: Der Mengeneffekt beim Neubauvolumen „bliebe also zunächst sehr überschaubar“.

Außerdem drohten neue Wohnghettos, schreibt Voigtländer, sollte die Wohngemeinnützigkeit wieder eingeführt werden. Fehlte gemeinnützigen Wohnungsunternehmen das Geld, um Wohnungen zu modernisieren oder auch nur instand zu halten, fänden sie nur noch Mieter, die wegen ihres geringen Einkommens nicht auf andere Wohnungen ausweichen können. „Hierdurch können neue Problemviertel entstehen“, warnt Voigtländer in der Studie.

Die Grünen kennen dieses Argument, auch Chris Kühn, der wohnungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, greift es an diesem Abend bei der Veranstaltung seiner Partei auf. Das gelte aber nur bei schlechter Umsetzung, sagt Kühn, das zeige ja gerade das Beispiel Wien, wo sich eben keine Ghettos gebildet hätten. „Ganz Wien ist ein Ghetto“, scherzt da EBG-Mann Orner.

Womit er insofern recht hat, dass, anders als in Deutschland, Sozialwohnungen nicht nur an wirklich sozial Schwache vergeben werden. Die Einkommensgrenzen sind so weit gesteckt, dass drei von vier Wienern in einer städtischen Wohnung leben dürften – in Hamburg sind es noch nicht einmal 20 Prozent. Das heißt auch, dass nicht nur Menschen mit geringem Einkommen nebeneinander wohnen: Wien durchmischt sich, und genau das ist gewollt.

Wirtschaftsprofessor Spars empfiehlt daher statt der Wohngemeinnützigkeit andere Maßnahmen: den Wohnungsneubau durch eine Steuerabschreibung zu fördern, aber nur dort, wo Wohnraum besonders knapp ist, und auch nicht für teure Wohnungen. Förderprogramme so zu gestalten, dass längere Belegungsbindungen vereinbart werden – in Schleswig-Holstein seien Sozialwohnungen bereits bis zu 35 Jahre gebunden. Vor allem aber müssten die Kommunen noch viel stärker Bauland ausweisen.