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„In Washington herrscht Frustration“ – US-Präsident Biden enttäuscht von Europas Haltung zu China

Die USA wollen eine gemeinsame Allianz gegen China schmieden, doch Europa zögert. In Washington ist man insbesondere von einem Land genervt – Deutschland.

Chinas Präsident Xi Jinping (M.) nimmt an einer Videokonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel (o. l.), Emmanuel Macron (o. r.), Präsident von Frankreich, Charles Michel (u. l.), Präsident des Europäischen Rates, und Ursula von der Leyen (u. r.), Präsidentin der Europäischen Kommission, teil. Foto: dpa
Chinas Präsident Xi Jinping (M.) nimmt an einer Videokonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel (o. l.), Emmanuel Macron (o. r.), Präsident von Frankreich, Charles Michel (u. l.), Präsident des Europäischen Rates, und Ursula von der Leyen (u. r.), Präsidentin der Europäischen Kommission, teil. Foto: dpa

Die transatlantische Rollenverteilung war klar in den vergangenen Jahren: Auf der einen Seite Donald Trump, der sich als Störenfried gefiel und Amerikas Bündnispartner mit Alleingängen brüskierte. Auf der anderen Seite die Europäer, die sich über Trumps „America first“-Politik entrüsteten und als entschlossene Verteidiger der multilateralen Zusammenarbeit präsentierten.

Die Trump-Ära hielt für Europa viele Zumutungen bereit. Die vergangenen vier Jahre erforderten von Europa allerdings auch wenig Entgegenkommen – weil an gemeinsame Initiativen ohnehin nicht zu denken war.

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Das gilt jetzt nicht mehr. Trump ist Geschichte, in Washington hat eine Regierung die Macht übernommen, deren Bündnisorientierung außer Frage steht. „Amerika ist zurück“, sagte US-Präsident Joe Biden vergangene Woche, als er das Außenministerium besuchte. Und: „Amerikas Allianzen sind unser wertvollstes Gut.“

Eine Botschaft, die er am Freitag beim Videogipfel der sieben führenden Industrieländer (G7) und mit seinem Auftritt bei der virtuellen Münchner Sicherheitskonferenz unterstreichen will. Biden hat große Hoffnung in Europa gesetzt. Er hat die „Wiederbelebung“ von Amerikas Bündnissen versprochen und plant, eine „Allianz der Demokratien“ zu schmieden, die sich der wachsenden Macht autoritärer Regime, vor allem China, entgegenstemmen soll.

Auch die EU hat enorme Erwartungen an den neuen Präsidenten. Nicht weniger als ein „neuer transatlantischer Pakt“ schwebt ihr vor. In Washington fragt man sich jedoch mit zunehmender Ernüchterung, ob Europa zum Schulterschluss mit Bidens Amerika bereit ist.

China wird zum wichtigsten Streitthema

Von einer großen transatlantischen Aufbruchsstimmung ist bisher wenig zu spüren. Mit wachsender Ernüchterung erkennt die neue US-Regierung, dass sich Europa als sperriger Partner für mehr transatlantische Zusammenarbeit erweist. Es gibt dafür eine Reihe von altbekannten Reibungspunkten – die Ostseepipeline Nord Stream 2, die offensive Regulierung von US-Tech-Konzernen durch die EU und die ungleichen Verteidigungslasten im Nato-Bündnis.

Aber der wichtigste transatlantische Konflikt dreht sich um die Jahrhundertfrage, wie der Westen mit der Herausforderung durch China umgehen soll.

Im scharfen Kontrast zu den Amerikanern, die auch unter Biden einen harten Kurs gegenüber Peking fahren wollen, sehen viele Europäer China nicht primär als Bedrohung für die demokratische Welt und wollen sich nicht in einen neuen kalten Wirtschaftskrieg zwischen den beiden Supermächten hineinziehen lassen.

Der ambivalente Kurs Deutschlands unter Bundeskanzlerin Angela Merkel, die versucht, politisch Distanz zur Diktatur Chinas zu halten, das Land aber gleichzeitig als einen der wichtigsten Partner der deutschen Wirtschaft hofiert, spielt dabei die entscheidende Rolle.

Für Biden und seinen Außenminister Antony Blinken sind demokratische Werte und Menschrechte hingegen zentrale Kriterien ihrer Außenwirtschaftspolitik – ein Kurs, der auch vom aktuellen G7-Vorsitzenden, dem britischen Premier Boris Johnson, unterstützt wird.

In Washington wächst die Ungeduld

Mit einem Aufsatz im Fachmagazin „Foreign Policy“ hat der US-Außenpolitikexperte Daniel Bear, der mit Bidens Beraterteam exzellent vernetzt ist, kürzlich die Gemeinde der Transatlantiker in Berlin wachgerüttelt.

Ein „europäisches Desinteresse an der Erneuerung eines kooperativen transatlantischen Ansatzes für gemeinsame Herausforderungen“ diagnostizierte Bear und mahnte: „Das Zeitfenster für eine Neuinvestition in die transatlantischen Beziehungen ist nicht unbegrenzt. Es ist an der Zeit, liebe Verbündete, dass ihr euch zusammenreißt.“

Mit seiner Ungeduld steht Bear in den USA nicht allein. „In Washington herrscht Frustration über die Zögerlichkeit Europas“, sagt Erik Brattberg, Europa-Direktor der Washingtoner Denkfabrik Carnegie Endowment. „Insbesondere wenn es darum geht, einem zunehmend autoritären China etwas entgegenzusetzen.“

Für die USA ist China die wichtigste geopolitische Herausforderung. Biden bezeichnet die Volksrepublik als „härtesten Konkurrenten“ der USA und hat dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping einen „extremen Wettbewerb“ um die wirtschaftliche Dominanz angekündigt.

Dazu gehört auch eine Abkoppelung von China in jenen technologischen und wirtschaftlichen Bereichen, die Washington als „Interessen der nationalen Sicherheit“ definiert. „Das läuft dem europäischen Wunsch, die wirtschaftlichen und kommerziellen Beziehungen zu China aufrechtzuerhalten, diametral entgegen“, so Brattberg. „Die Europäer haben andere Prioritäten und Weltanschauungen als die Amerikaner“, bestätigt Ian Bremmer, Chef der New Yorker Politikberatung Eurasia Group.

Insbesondere das EU-China-Investitionsabkommen, das Ende Dezember – maßgeblich auf deutsche Initiative – vereinbart wurde, habe in der damals noch im Aufbau begriffenen Biden-Regierung für „Enttäuschung“ gesorgt, sagt Brattberg. Die USA sähen Deutschland als „Schlüsselpartner in der US-Politik gegenüber Russland und China“. Aber es gebe „eine gewisse Skepsis, ob Deutschland diesem Anspruch gerecht werden kann, schon gar nicht in einem Wahljahr“.

Die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP dürfte die Amerikaner in ihrer Skepsis bestärken. „Die Bundesregierung sieht auch weiterhin für Europa großes Potenzial für eine Weiterentwicklung der Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China“, schreibt die Regierung darin und hebt anerkennend hervor, dass die „chinesische Volkswirtschaft zu einem zentralen Akteur der Weltwirtschaft“ aufgestiegen sei.

Die FDP übt scharfe Kritik an dieser Haltung: „Deutschland und die EU müssen dem Autoritarismus chinesischer Färbung konsequent begegnen“, fordert der liberale Außenpolitiker Frank Müller-Rosentritt. Passivität könne „dazu beitragen, demokratische Tendenzen zu gefährden“.

Mehr zum Thema:

  • Investitionsabkommen: Bei welchen Fragen sich die EU durchgesetzt hat – und wo China

  • Grundsatzrede: Joe Bidens Rede zur Außenpolitik ist reich an weitreichenden Botschaften

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Auch Lindsay Gorman vom German Marshall Fund warnt: „Eines von Chinas erfolgreichsten Instrumenten ist es, den eigenen Markt als Druckmittel einzusetzen.“ Dies erlaube es Peking, „Kritik von demokratischen Ländern an repressiven und missbräuchlichen Praktiken zu unterbinden“.

Wirtschaftliche Verflechtungen sind ein entscheidender Grund dafür, dass die Europäer bisher nicht bereit sind, sich Bidens Ruf nach einer Allianz der Demokratien anzuschließen. Die Volksrepublik ist, gemessen am Handelsvolumen, inzwischen der wichtigste Handelspartner der EU. 2020 hat China die USA erstmals in dieser Rolle abgelöst, wie Daten von Eurostat zeigen.

Von Berlin enttäuscht

Was daraus politisch folgen kann, zeigte sich vor zwei Wochen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zeigten beide kaum Interesse an einer gemeinsamen China-Initiative mit den USA. Eine Abkoppelung vom chinesischen Markt sei „besonders im digitalen Zeitalter keine gute Idee“, sagte Merkel. Und der französische Präsident assistierte: Europäische Souveränität bedeute die Freiheit, „unsere Entscheidungen selbst zu treffen“, statt sich an die Strategie eines anderen zu binden.

Was zunächst wie eine abgewogene Haltung erscheint, ist tatsächlich ein Geschenk an die Chinesen, wie Noah Barkin, China-Experte der Rhodium Group, erläutert: „Chinas Ziel ist es nicht, Europa in das chinesische Lager zu ziehen, weil es weiß, dass dies unrealistisch ist. Chinas Ziel ist es sicherzustellen, dass Europa nicht fest im US-Lager verankert ist.“

Dabei waren es die Europäer, die den USA noch unter Trump einen „transatlantischen Dialog über China“ angeboten hatten, wie Reinhard Bütikofer, Europaparlamentarier der Grünen, betont. Auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen mahnt: „Wir haben ein Interesse zu beweisen, dass sich Bündnispolitik auszahlt – für uns Europäer, aber auch für die Amerikaner.“ Es dürfe nicht sein, „dass bis zur Bildung der nächsten Bundesregierung außenpolitisch nicht mehr viel passiert.“

Der britische Premier Johnson sieht in der zögerlichen Haltung der EU gegenüber China offenbar eine Chance, die „special relationship“ mit den USA zu erneuern: „Das Investitionsabkommen mit China hätte es mit Großbritannien so nicht gegeben“, distanziert sich ein Vertreter der britischen Regierung von dem EU-Pakt mit Peking. Johnson will das G7-Treffen im Juni auch dazu nutzen, um eine einheitliche Front gleichgesinnter Länder gegenüber China zu formieren.

Das Treffen soll zu einem Gipfel führender Demokratien unter Einschluss von Indien, Südkorea und Australien werden. Eine Stoßrichtung gegen China wird von britischer Seite zwar bestritten, ist aber klar erkennbar.

Biden dürfte Johnsons Allianz der Demokratien gefallen. Der US-Präsident hat ein Element in die amerikanische Politik eingezogen, das lange gefehlt hat: Demut. Die Herausforderungen der Welt, sagt Biden, „können wir nicht allein bewältigen“. Wann, wenn nicht jetzt, soll die Stärkung der transatlantischen Partnerschaft gelingen? Wenn nicht mit Biden, mit wem dann?

Biden hält am Freitag seine erste transatlantische Rede

„Joe Biden ist der Politiker der USA, dem Europa am meisten am Herzen liegt“, sagt US-Experte Brattberg. Der Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz „ist kein Pflichtprogramm, sondern ein persönliches Anliegen.“ Dass Biden bereits in seiner frühen Amtszeit ein Signal der Freundschaft sende, „unterstreicht sein starkes Engagement für die Beziehung zu Europa und Deutschland“.

Der virtuelle Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz soll der Beginn einer ganzen Serie von Formaten werden, die beide Seiten des Atlantiks wieder näher zusammenbringen soll. So könnte US-Außenminister Antony Blinken im März zum Nato-Gipfel nach Brüssel reisen. Biden hat zudem einen Sonder-Klimagipfel am 22. April, dem „Earth Day“, angekündigt, gefolgt von einer Teilnahme am G7-Treffen im Sommer und der UN-Klimakonferenz im Herbst.

Doch zum Auftakt am Freitag dürfte es nicht nur schmeichelnde Worte aus Washington geben, sondern auch klare Forderungen. So unterstrich das Weiße Haus im Vorfeld die Bedeutung von Investitionen, um die von der Pandemie geschwächte Weltwirtschaft anzukurbeln. Bidens ehrgeiziges Ziel eines knapp zwei Billionen Dollar schweren Konjunkturpakets setzt andere Industrieländer unter Druck, mehr Geld in die Hand zu nehmen und nachzuziehen. „Die neue US-Regierung ist sehr daran interessiert, konkrete Ergebnisse zu erzielen“, sagt Brattberg.