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"Wir warten auf den Tod": Fast ein Jahr nach dem deutschen Abzug aus Afghanistan leben die zurückgelassenen Ortskräfte in ständiger Angst

Ein Talibankämpfer bewacht den einen Markt im Zentrum der Stadt Kabul.
Ein Talibankämpfer bewacht den einen Markt im Zentrum der Stadt Kabul.

Fast dreihundert Tage sind vergangen, seit die Taliban in Afghanistan wieder die Macht übernommen haben. Die Rolle der USA, Deutschlands und ihrer Verbündeten bleibt dabei fragwürdig: Denn mit dem überhasteten Abzug hat der Westen dem afghanischen Volk alles andere als geholfen. Besonders hart getroffen wurden die Ortskräfte, also Afghanen, die für westliche Länder arbeiteten. Ihnen wurde lange versprochen, sie vor einem Abzug der westlichen Truppen aus dem Land zu bringen. Doch immer noch sind tausende im Land und fürchten die Rache der Taliban. Die ehemaligen Helfer fühlen sich im Stich gelassen. Auch von Deutschland.

Um herauszufinden, wie es diesen Menschen vor Ort geht, habe ich versucht, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Männer und Frauen, die in Todesangst unter der Taliban-Herrschaft leben müssen, erzählten mir nur unter größtem Unbehagen von den vergangenen, oft leidvollen zehn Monaten. Insgesamt konnte ich mit fast 100 Ortskräften sprechen, die früher für Deutschland gearbeitet haben und immer noch in Afghanistan sind. Fast alle teilen die gleiche Angst – von Taliban-Kämpfern gefoltert oder getötet zu werden.

Mobin, Ex-Ausbilder für die afghanische Polizei: "Vier meiner Ex-Kollegen wurden erschossen"

Zuerst sprach ich mit Mobin, der seinen echten Namen lieber nicht verraten will. Er ist Teil einer Gruppe von Mitarbeitern, die für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) tätig war. Ab 2015 arbeitete er als Ausbilder für das Projekt "Afghanistan Police Capacity Program" (PCP) bis Kabul in die Hände der Taliban fiel. Ziel des Programms war es, die Polizei in Afghanistan aufzubauen und zu stärken, etwa mit Alphabetisierungskursen, aber auch mit Workshops zu Themen wie Menschenrechten und zu Aufgaben und Pflichten der Polizei.

Doch mit der Herrschaft der Taliban verlor auch Mobin seinen Job. Heute organisiert er mit einer Gruppe von ehemaligen GIZ-Kollegen Proteste, um die deutschen Behörden auf die missliche Lage der ehemaligen Ortskräfte aufmerksam zu machen. Nach eigener Aussage bisher ohne Erfolg. Mindestens vier seiner Kollegen seien bisher von den Taliban erschossen worden, erzählt Mobin und fügt hinzu: "Wir sind völlig verzweifelt und warten jeden Moment auf den Tod".

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Dass Mobin und seine Kollegen mit der Polizei-Ausbildung eines der gefährlichsten Hilfs-Programme in Afghanistan durchgeführt hätten, scheint bei der deutschen Regierung vergessen worden zu sein, glaubt er. Dort reagiere man nicht mal auf ihre Nachrichten. Für Mobin ist das unbegreiflich: Immerhin seien einiger seiner Kollegen für das Polizei-Projekt von den Taliban getötet worden. Er bittet deshalb die Bundesregierung um Hilfe: "Rettet uns aus dieser Hölle und lasst nicht zu, dass alle von den Taliban getötet werden."

Einige Ortskräfte fliehen aus Angst vor den Taliban in andere Länder wie Pakistan

Ortskraft Mobin ist allerdings nur einer von vielen, die sich von der deutschen Regierung im Stich gelassen fühlen. Zu ihnen gehört auch Abdul Ghafar (Name geändert), der elf Jahre lang Sicherheitschef des GIZ-Büros in Kabul war und dessen Dokumente ich dazu einsehen konnte. Er erzählte, dass er wegen seiner Arbeit mit den Deutschen mehrfach bedroht und von Taliban-Kämpfern verhört wurde. "Mein Leben ist zerstört. Ich musste mein Zuhause verlassen und lebe mit meinen Kindern versteckt, die Lage ist aussichtslos", sagt er.

Doch nicht alle afghanischen Ortskräfte sind im Land geblieben: Die Angst vor den Taliban ist inzwischen so groß, dass viele Ortskräfte in angrenzende Länder wie Pakistan fliehen. So auch Hameda (Name geändert), die ebenfalls für die GIZ arbeitete. Mit Tränen in den Augen erzählt sie mir in einem Zoom-Interview, die Taliban hätten ihren Vater einen Monat lang inhaftiert und gefoltert, bis er gegen Zahlung eines Bestechungsgeldes freigelassen wurde. "Wir erleben einen schleichenden Tod", sagt sie.

Aus Angst vor den Taliban trauen sich ehemalige Ortskräfte seit 10 Monaten nicht mehr aus dem Haus

Ähnliche Berichte von Ortskräften höre ich auch aus dem Norden Afghanistans. Bis zum vergangenen Jahr hatte die Bundeswehr hier noch ihre Truppen stationiert. Einem, mit dem ich dazu ins Gespräch komme, ist Nawid (Name geändert). Bis die Taliban die Macht übernahmen, arbeitete er in einem Projekt für Jugendliche in der nordafghanischen Provinz Balch. Finanziert von Deutschland. Doch mittlerweile lebt auch Nawid versteckt in der Stadt.

In der Vergangenheit ließ Nawid sich noch stolz mit der ehemaligen deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) fotografieren. 2018 war die Ministerin auf ihrem letzten Truppenbesuch im Bundeswehr-Camp Marmal in der Stadt Mazar e Sharif, bevor das Camp 2021 symbolisch an Afghanistan übergeben wurde. Doch würden die Fotos Nawids nun an die Öffentlichkeit gelangen, wäre das sein Todesurteil, sagt er und fügt dann an: "Für die Taliban reichen diese Fotos aus, um mich hinzurichten".

In der Nähe von Mazar-e-Sharif, nicht weit vom Wohnort Nawids entfernt, kann ich auch mit der ehemaligen Ortskraft Jamila (Name geändert) sprechen. Sie arbeitete bis zum Abzug der deutschen Truppe in der Abteilung für nachhaltige Entwicklung der GIZ. "Seit fast zehn Monaten habe ich das Haus aus Angst vor den Taliban nicht mehr verlassen", erzählt Jamila. Ihr Leben sei seitdem trostlos geworden. Jamila hat deshalb nur eine Forderung an die deutsche Bevölkerung: "Sie sollten Druck auf ihre Regierung ausüben, damit diese ihre Verbündeten in Afghanistan nicht allein lässt.

Und dann sind da noch Jamil und Nazifa (geänderte Namen). Zwei junge Menschen, die ehemals in GIZ-Projekten in der nördlichen Provinz Badakhshan arbeiteten. Auch sie erzählten mir, dass sie seit fast zehn Monaten ein schreckliches Leben führen würden. "Die Menschen aus dem Westen haben behauptet, sie würden mit uns zusammenarbeiten – unter dem Motto 'Schulter an Schulter'. Aber nachdem sie unser Land verlassen hatten, gab es keinen Schulterschluss mehr", sagt Jamil.

Die GIZ antwortet nicht auf Anfrage zu den Ortskräften in Afghanistan

Es ist nur eine Auswahl an Gesprächen, die ich mit Ortskräften, insbesondere ehemaligen GIZ-Mitarbeitern, geführt habe. Doch alle sprachen von Frustration, Angst und Druck. Auf der Website des GIZ versuchte ich deshalb herauszufinden, mit welchem Plan man sie schützen wolle: Am 20. August, fünf Tage nach dem Sturz Afghanistans durch die Taliban, hieß es dort, man arbeite hart daran, die Mitarbeiter und ihre Familien sofort und sicher aus Afghanistan herauszubringen. Und am 17. September 2021 teilte die deutsche Regierung mit, dass 5.300 Menschen, darunter 530 Deutsche, aus Afghanistan evakuiert worden seien.

Doch zehn Monate später sitzen noch immer zahlreiche deutsche Ortskräfte in Afghanistan fest: Auf meine Anfrage dazu, reagierte das GIZ auch nach mehreren Tagen nicht. Das heißt: Einen Plan für ihre ehemaligen Ortskräfte in Afghanistan scheint es demnach nicht zu geben. Das ließ mich an Mobins Worte denken: "Wir könnten getötet werden, aber die Geschichte wird festhalten, dass dies ein Verrat an uns war", sagte der Ex-Polizeiausbilder.

Abu Muslim Shazad ist Dozent für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik an der Universität Westminster. Sein Artikel wurde von Joana Lehner aus dem Englischen übersetzt.