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Wie die Wahl ausgeht

Mit dem Wählen hat sich Herr K. schon früher schwer getan. Klar, es ist demokratietheoretisch wichtig. Mahnten auch jetzt alle von Elyas M’Barek bis Gabor Steingart. Aber irgendwie hatte er früher danach mitunter das schale Gefühl, auf der falschen Seite gestanden zu haben. Was bringt es am Ende, die Verlierer gewählt zu haben? Ja, ja, eine agile Opposition ist viel wert. Aber seien wir ehrlich: Die einen machen dann vier Jahre lang Weltpolitik, die anderen stellen Geschäftsordnungsänderungsanträge.

Diesmal wusste er überhaupt nicht mehr, was er ankreuzen sollte, als er am Sonntagfrüh in der städtischen Grundschule seines Viertels die Pappschachtel namens „Wahlkabine“ ansteuerte. Und seine Unsicherheit hatte nicht mal was mit dem Wahlkampf zu tun, den alle so laaangweilig fanden. Warum eigentlich?

Herrn K. ist es deutlich lieber, sich zwischen Frau Merkel und Herrn Schulz entscheiden zu müssen als zwischen personeller Pest und Cholera, wie das andere Nationen zuletzt praktizierten. Er lebt darüber hinaus auch gern in einem Land, das in seiner jüngeren Vergangenheit verschont wurde von irren Diktatoren und allzu lauten Schreihälsen, Bürgerkriegen, Hurrikans und Hungersnöten. Langeweile hat auch ihr Gutes. Und es gibt wirklich Schlimmeres als ein Land, das sich Wörter wie „Zahnersatzzusatzversicherung“, „Beitragsbemessungsgrenze“ oder „barrierefreies Wohnen“ ausdenkt, weil es eben sonst keine Probleme hat.

Trotzdem fiel ihm die Wahl schwer heute Früh. Sollte er Christian Lindner wählen – diese über alle Maßen alerte One-Man-Show? Oder die Grünen, die längst spießiger sind als die, vor denen sie früher immer gewarnt haben? Oder Herrn Schulz aus Würselen, der genauso rüberkommt, wie das jetzt klingt und Herrn K. schon fast wieder leid tut in all seiner Aussichtslosigkeit? Aber kann man einen „Herausforderer“ aus purem Mitleid wählen? Geht also nur Angela Merkel, die ja auch deshalb nun so groß wirkt, weil man erst seit TrumpJohnsonLePenKimYongUnPutin wieder weiß, dass man es schlimmer erwischen könnte?

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Herr K. saß heute Vormittag also in seiner Grundschul-Wahlkabine, schaute sich um und betrachtete an den Wänden die bunten Aquarelle der „Refugee AG“ mit Bildern ihrer neuen Klassenkameraden Hilal und Rabia. Sofort hatte er ein deutlich schlechteres Gewissen als zum Beispiel sein Kollege Koslowski, der „diesmal einfach AfD“ wählt. „Nicht weil ich’s will, sondern weil ich’s kann.“

Und obwohl nach diesem Geständnis alle gleich über Koslowski hergefallen waren, konnte der sich in seiner unnachahmlichen Art sogar erklären: „Weil die AfD den bräsigen Rest wenigstens mal aufgeweckt hat. Und weil alle immer sofort auf sie eindreschen wie ihr jetzt auf mich.“ Koslowski weiß manchmal gar nicht, wie recht er hat.

Und womöglich wählten zur gleichen Zeit an diesem herbstblonden Sonntag auch deshalb viele aus purem Trotz diese komische Partei, weil man die ja nicht wählen darf. Die AfD ist die „Bad Bank“ der anderen, überlegte Herr K. Sie saugt alles auf an Wutbürgertum, Renitenz und Revolutionslust. Alexander Gauland ist nur der Hausmeister der Unzufriedenen. Mehr nicht. Aber eben auch nicht weniger.

In diesem Moment hörte Herr K. seine Frau rufen: „Kannst du dich mal beeilen mit Demokratie. Du hockst jetzt schon seit 'ner Viertelstunde vor deinem bescheuerten Wahlzettel!“ Herr K. erschrak. Dann rief er: „Kann ich eigentlich auch kumulieren und panaschieren?“ und machte schnell zwei Kreuze. Am Samstag hatte er noch eine Hörfunk-Umfrage gehört, in der Jugendliche gefragt wurden, wie hoch die Fünf-Prozent-Hürde sei. Die Antworten differierten zwischen „30 Zentimeter“ und „Nee, höher“.

Es wird böse enden, aber zugleich wusste Herr K. schon heute Früh, an diesem historischen Wahlsonntag 2017, dass er dieses Mal endlich zu den Gewinnern gehören würde... so oder so.

Er lächelte fast unverschämt siegessicher, als er seinen Umschlag in die Urne warf. Der Grund für seine plötzlichen Triumphgefühle: Es ist völlig klar, wer die nächste deutsche Regierung stellt – die Große Koalition der Bis-zuletzt-Unschlüssigen wie er.

Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist – beruflich wie privat – bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: herr.k@handelsblatt.com oder folgen Sie Herrn K. auf Twitter: @herrnK