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Würde die deutsche Wirtschaft eine Vier-Tage-Woche verkraften?

Klimawandel, Demografie und Coronakrise: Deutschland steht vor gigantischen Herausforderungen. Die Forderung einer Vier-Tage-Woche wirkt in diesen Zeiten unangemessen.

 Foto: dpa
Foto: dpa

In den vergangenen Tagen hat die Linke mit der Vier-Tage-Woche ein altes Konzept wiederbelebt. Es taucht immer dann wieder auf, wenn eine Zunahme der Arbeitslosigkeit droht. Dahinter steht erstens die Vorstellung, dass es in Zukunft zu wenig Arbeit geben könnte, um alle Erwerbspersonen zu beschäftigen. Die aktuelle Angst: Die Digitalisierung könnte eine Massenarbeitslosigkeit befördern. Und angeheizt durch die Coronakrise würden ohnehin zahlreiche Arbeitsplätze abgebaut werden.

Zweitens wird das Argument vorgetragen, dass die Gewinne durch die Digitalisierung allen zustünden, nicht nur den Unternehmen. Deshalb sei ein Lohnausgleich nötig und angemessen. Vorgeschlagen wird also eine Vier-Tage-Woche mit Lohnausgleich. Je nach ideologischer Positionierung wird von vollem oder wenigstens partiellem Lohnausgleich gesprochen. Die Gewerkschaften fordern hier etwas weniger als die Linke.

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Dieser Vorschlag verdient Beachtung, weil das Argument der Verdrängung menschlicher Arbeitskraft durch künstliche Intelligenz und automatisierte Prozesse nicht leichtfertig von der Hand zu weisen ist. Es ist natürlich richtig, dass viele – vor allem standardisierte, anders formuliert: eintönige – Tätigkeiten durch Computer oder Roboter übernommen werden. Das ist aus Sicht der meisten Menschen sicherlich mehr Segen als Fluch. Es ist auch nur dann ein Problem, wenn keine neuen Betätigungsfelder entstehen. Bislang jedenfalls hat es eher mehr als weniger zu tun gegeben; und viele neue Tätigkeiten sind wie gesagt weniger stupide und sinnstiftender als die ersetzten.

Insofern ist die Prämisse zu hinterfragen. Wird es wirklich weniger zu tun geben? Ist es wirklich eine gute Idee, die Menschen angesichts der Herausforderungen der Gegenwart zu weniger Arbeit anhalten zu wollen? Zur Erinnerung: Wir stehen als Gesellschaft vor gigantischen Herausforderungen. Der demographische Wandel führt jetzt schon in Teilen zu einem Arbeitskräftemangel. Viele Unternehmen suchen nach Mitarbeitern (wenigstens bis zur Coronakrise). Der Klimawandel erfordert erhebliche intellektuelle, aber auch handwerkliche Anstrengungen: Alte Technologien sind zu ersetzen, was Investitionen in die Forschung und eine Umstellung der Produktion erfordert. Man denke nur an die gewaltigen Veränderungen der Stromherstellung bei gleichzeitig geplanter Erhöhung der Stromnachfrage. Angesichts solcher Herausforderungen erscheint es mindestens unangemessen, dass nun alle Beschäftigten ein Fünftel weniger arbeiten sollen – und das auch noch ohne Gehaltseinbußen.

Hinzu kommen noch andere drohende Belastungen für die Wirtschaft. Die Bundesregierung plant ein Lieferkettengesetz, mit dem die Unternehmen gezwungen werden sollen, die Nachhaltigkeit ihrer Lieferketten auf allen Stufen (vermutlich sogar den nachgelagerten Stufen) bei Strafandrohung sicherzustellen. Dadurch dürften Aktivitäten deutscher Unternehmen im Ausland zumindest verteuert, wenn nicht verhindert werden. Auch die ständigen Angriffe auf die Zeitarbeit verteuern die Arbeit aus Sicht vieler Unternehmen. Ein Verbot nimmt Flexibilität und hilft vermutlich den Arbeitnehmern nicht. Eine weitere potenzielle Belastung könnte das Recht auf Homeoffice dar, wenn es flächendeckend eingeführt wird. Noch ist es hier allerdings zu früh für ein Urteil.

Und schließlich hat die Coronakrise manche Sektoren so stark getroffen, dass viele Unternehmen kaum überleben können. Man denke nur an das Hotel- und Gaststättengewerbe oder Kunst und Kultur. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Sektoren die Verluste dadurch aufholen können, dass die Mitarbeiter weniger arbeiten, aber genauso viel verdienen wie vorher.

Und selbst wenn es zu proportionalen Lohnkürzungen kommt, die Arbeitskosten sich aus Sicht der Wirtschaft also nicht erhöhen, steigt die Belastung. Denn es sinken sowohl Steuereinnahmen als auch die Einnahmen der Sozialkassen. Wie die Bundesregierung dann ohne Steuer- und Beitragserhöhungen die Rente sicherstellen kann, ist ungeklärt. Vermutlich wird die Krise der Rentenkassen noch vor 2025 einsetzen, wenn die ersten Arbeiter der Babyboomer-Generation in den Ruhestand treten und es ohnehin zu Verwerfungen und neuen erregten Diskussionen – auch um verlängerte Lebensarbeitszeiten – kommen dürfte. Offen ist auch, wie andere Staatsaufgaben – Bildung, innere und äußere Sicherheit, Umwelt und Klima, Infrastruktur – mit erheblich reduzierten Einnahmen zu stemmen sind. An die Bedienung der neuen öffentlichen Schulden zur Milderung der Coronakrise ist dabei noch gar nicht gedacht.

Außerdem dürften die verfügbaren Einkommen sinken, auf die viele Menschen angewiesen sind. Es würden ja nicht nur hochbezahlte Consultants und Vorstände weniger arbeiten, sondern auch alleinstehende Eltern und Geringverdiener, für die jeder Euro zählt und die dann womöglich erst recht – wenn nicht schon geschehen – einen zweiten Job annehmen müssten. In jedem Fall würde die Konsumnachfrage zurückgehen. Eventuell der Beginn eines Teufelskreises?

Man darf sich nicht täuschen. Viele Befürworter der Vier-Tage-Woche oder des Lieferkettengesetzes glauben, sie träfen mit solchen Belastungen nur „die Wirtschaft“ – und vor allem die sehr gut verdienenden Großunternehmen. Aus verteilungspolitischer Perspektive kann man dies nachvollziehen: Wenn einige Großunternehmen sehr hohe Gewinne erzielen und zugleich ihre Mitarbeiter zum Teil eher geringe Gehälter erhalten, ist das ungerecht. Solche Unternehmen werden aber Wege finden, die Kosten auf Kunden oder Arbeitnehmer abzuwälzen. Oder sie ersetzen Arbeit durch Kapital. Eher betroffen sind die mittelständischen Unternehmen, für die eine erhebliche Verteuerung der Arbeit eine starke Belastung darstellt. Manche werden aufgeben, andere werden ihre Belegschaft massiv reduzieren müssen. Insgesamt wird nicht nur „die Wirtschaft“ verlieren. Sondern auch viele Beschäftigte.

Vor diesem Hintergrund ist Vorsicht wichtig. Arbeitsminister Hubertus Heil hat seine Sympathie bereits ausgedrückt, aber zugleich klargemacht, dass die Arbeitszeit (im Rahmen der gültigen Gesetze) Sache der Tarifparteien sei. Das heißt nicht, dass einzelne Unternehmen und ihre Beschäftigten sich nicht auf eine Vier-Tage-Woche einigen können. Wenn es freiwillige Vereinbarungen dazu gibt, sollte niemand dem entgegenstehen.

Angesichts der erheblichen Herausforderungen – noch einmal beispielhaft: Corona, Alterung der Gesellschaft, Klimawandel – erscheint es jedoch aberwitzig, Arbeitgebern und Arbeitnehmern immer mehr administrative Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Das kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten.

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IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hat erneut die Vier-Tage-Woche ins Gespräch gebracht und die Debatte schon wieder aufflammen lassen. Es spricht nichts dagegen, weniger zu arbeiten. Trotzdem ist die Idee ziemlich schlecht. Lesen Sie die Geschichte hier.