Werbung
Deutsche Märkte öffnen in 6 Stunden 42 Minuten
  • Nikkei 225

    38.460,08
    0,00 (0,00%)
     
  • Dow Jones 30

    38.460,92
    -42,77 (-0,11%)
     
  • Bitcoin EUR

    60.126,44
    -2.093,39 (-3,36%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.387,56
    -36,54 (-2,56%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.712,75
    +16,11 (+0,10%)
     
  • S&P 500

    5.071,63
    +1,08 (+0,02%)
     

Was würde Ludwig Erhard heute in der Krise tun?

In der Pandemie werden die Rollen zwischen Politik und Wirtschaft neu verteilt. Ist die Soziale Marktwirtschaft noch aktuell? Linda Teuteberg, Vorständin der Ludwig-Erhard-Stiftung, über die Haltbarkeit des Modells.

Die FDP-Politikerin Linda Teutetberg ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung. Im November 2020 wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden der Stiftung gewählt. Foto: dpa
Die FDP-Politikerin Linda Teutetberg ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung. Im November 2020 wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden der Stiftung gewählt. Foto: dpa

WirtschaftsWoche: Frau Teuteberg, im Kampf gegen die Pandemie hat der Staat eine dominierende Rolle übernommen. Die Ausgabe von Impfmitteln und Hilfsgeldern steht im Vordergrund. Versagt die Marktwirtschaft in großen Krisen wie diesen?
Linda Teuteberg: Wir haben keine Krise des Wirtschaftssystems, sondern eine Veränderung des staatlichen Ordnungsrahmens aufgrund der Notwendigkeit, die Pandemie durch einschneidende Maßnahmen zu bekämpfen. Aus Gründen des Infektionsschutzes ist das soziale Miteinander und damit auch die Wirtschaftstätigkeit stark eingeschränkt. Will irgendjemand ernsthaft behaupten, dass im Sozialismus unter Pandemiebedingungen eine höhere Wertschöpfung stattfände? Das funktioniert schon unter Normalbedingungen nicht. Wer behauptet, die Marktwirtschaft würde in der Krise versagen, will sie aus anderen Gründen diffamieren.

Der Ruf nach dem Staat ist unüberhörbar.
Die Sehnsucht nach Plan- und Staatswirtschaft haben manche schon vor Corona bedient. Das stimmt. Aber die Marktwirtschaft beweist gerade jetzt ihre Leistungs- und Anpassungsfähigkeit. Dass wir überhaupt so schnell Impfstoffe haben ist das Ergebnis von Wettbewerb und Innovation. Und das gilt auch für unser leistungsfähiges Gesundheitssystem, das jetzt in großer Zahl Behandlungsmöglichkeiten und intensivmedizinische Versorgung bietet und damit im internationalen Vergleich sehr gut dasteht.

WERBUNG

Sind Impfmittel nicht eher ein Erfolg wissenschaftlicher Forschung? Und ist unser Gesundheitssystem nicht deshalb so stark, weil es nach dem Solidaritätsprinzip organisiert ist und nicht auf reine Markteffekte abzielt?
Marktwirtschaft und ein Sozialversicherungssystem zur Abdeckung der großen Lebensrisiken passen sehr gut zusammen: Zur Grundidee der Sozialen Marktwirtschaft gehört, dass zuerst das private Engagement und die Belohnung des Marktteilnehmers für seine im Wettbewerb erbrachte Leistung kommt - und danach erst der soziale Ausgleich. Für diesen besteht Dank der Effizienz der wettbewerblich organisierten Wirtschaftsordnung mehr Verteilungsspielraum.

Das bedeutet …
… dass wir ohne Marktwirtschaft weder exzellente Wissenschaftsstrukturen noch ein so leistungsfähiges Gesundheitssystem finanzieren könnten. Auch die Forschung, die zu großen Teilen in privaten Unternehmen stattfindet, ist nur bezahlbar, wenn in einer Marktwirtschaft Gewinne erzielt werden. Ohne die Gewinnorientierung der Marktwirtschaft hätten wir jetzt so schnell kein Impfmittel und auch nicht so hochinnovative Medikamente und Medizintechnik.

Aber wird jetzt in der Krise durch die „Bazooka“ des Finanzministers nicht das Prinzip von Angebot und Nachfrage ausgehebelt?
Wenn der Staat schon helfen muss, dann darf das nicht nach einer „Freibier-für-alle“-Mentalität erfolgen. Es ist richtig, in einer wirklichen Krise wie jetzt die Ausnahmeregel der Schuldenbremse anzuwenden. Aber es ist auch ein Gebot der Generationengerechtigkeit und der Demokratie, dass wir uns nicht in einem Maße verschulden, das nachfolgenden Generationen jeglichen haushalterischen Gestaltungsspielraum raubt. Die Regierung überbietet sich mit immer neuen Versprechen und immer höheren Ausgaben. Aber das Prinzip muss lauten: So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. Im Übrigen würde es schon mal helfen, die zugesagten Hilfen überhaupt einmal zeitnah auszuzahlen anstatt immer neue Versprechen zu machen.

Wie soll das alles finanziert werden? Einige fordern mehr sparen, andere wollen von den „Reichen“ einen höheren Beitrag eintreiben. Was hätte Ludwig Erhard gegen die Coronakrise getan?
Er hätte ganz sicher nicht die Steuern erhöht, sondern die Wachstumskräfte gestärkt. Weil wir uns nicht aus der Krise heraussparen können, müssen wir aus ihr herauswachsen. Wenn wir auf Konsolidierung durch Wachstum setzen, verbieten sich wachstumsschädliche Belastungen etwa durch Steuererhöhungen. Statt Ideen aus der Mottenkiste hervorzukramen, muss die Politik alle Kräfte darauf richten, günstige Bedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Erfahrungen der letzten Monate sollten dazu führen, mehr Eigenkapital und Rücklagenbildung zu ermöglichen.

Der zweite Lockdown trifft vor allem die Geschäftsleute in den Innenstädten, während der Onlinehandel profitiert. Was halten Sie von einer Steuer auf den Onlinehandel, um so den stationären Handel zu stärken?
Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht: eine Paketsteuer führt nicht weiter. Die meisten stationären Geschäfte haben sich längst einen zweiten, digitalen Absatzweg aufgebaut. Eine „Strafsteuer“ für den Onlinehandel würde innovationsfeindlich wirken. Der ganze Vorschlag zeigt nur die Hilflosigkeit der Großen Koalition im Umgang mit der Digitalisierung. Für attraktive Innenstädte mit einem konkurrenzfähigen stationären Einzelhandel brauchen wir keine staatliche Interventionsspirale, sondern verlässliche Rahmenbedingungen mit weniger Bürokratie und einer intelligenten Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik. Und Einzelhändler, die mit eigenen Stärken die Kunden überzeugen, wenn sie ihre Geschäfte wieder betreiben können.

Die große Mehrheit der Ökonomen lobt die Feuerkraft der Bazooka und beurteilt die Rettungspolitik der Regierung positiv. Sind die Ökonomen in Deutschland zu staatsgläubig?
Richtig ist, dass der Staat in Krisen eine stärkere Rolle einnehmen und vorübergehend auch Einkommen ersetzen muss. Aber ich stimme vor allem den Ökonomen zu, die jetzt daran erinnern, dass wir uns diese ganze Rettungspolitik nur deshalb leisten können, weil die Marktwirtschaft so gut funktioniert hat, weil sie nämlich Wertschöpfung, Gewinne und damit auch reichlich Steuereinnahmen ermöglicht hat. Niemand will sich in diesen Tagen die Wirtschaft ohne den Staat vorstellen. Den Staat ohne die Wirtschaft aber besser auch nicht.

Die Kritiker der Rettungspolitik haben vor einer massenhaften Beteiligung des Staates an bedrohten Unternehmen gewarnt. Abgesehen von Lufthansa und TUI hat sich der Staat aber nur noch an fünf weiteren und vergleichsweise kleinen Firmen mit eher geringeren Summen beteiligt. Hat sich die Horrorvision vom Staat als übermächtigem Unternehmen in Luft aufgelöst?
Die kritische öffentliche Debatte hat dazu geführt, dass es nicht so weit gekommen ist. Es gab ja bei manchen in der Bundesregierung durchaus andere Bestrebungen. Nehmen Sie nur den Versuch, etwa bei der Lufthansa eigene Personalvorschläge in den Gremien des Unternehmens unterbringen zu wollen.


„Wirtschaft ist immer ein dynamischer Prozess“

Wie lange sollen die Staatsbeteiligungen bestehen?
Sie sollen nur über die unmittelbare Krise hinweghelfen, es muss einen konkreten, verbindlichen Ausstiegsplan geben. Leider ist die Versuchung groß, mit mehr Schulden und mehr Interventionismus einzugreifen. Ludwig Erhard hingegen hat schon sehr früh gemahnt, dass die Mittel für solche Eingriffe erst verdient werden müssen und dass man den Staat und damit die Steuerbürger nicht überfordern darf. Wir sollten auch in der Krise nicht vergessen, dass das Erwirtschaften immer noch vor dem Verteilen kommt. Die Wertschöpfung wird in den Unternehmen erzielt und nicht beim Staat. Und da wo das nicht funktioniert, müssen die Geschäftsmodelle auch kritisch hinterfragt werden.

„Hinterfragt werden“ bedeutet dann in letzter Konsequenz auch, Firmen Pleite gehen zu lassen, anstatt sie zu retten?
Ja. Wir können nicht diejenigen retten, die schon vor der Pandemie kein funktionierendes Geschäftsmodell hatten. Der Strukturwandel findet in unterschiedlichen Geschwindigkeiten immer wieder statt, ob beim Handel mit Online-Geschäften, in der Autoindustrie mit neuen Antrieben oder im Dienstleistungsbereich mit der Digitalisierung. Corona darf kein Grund sein, Innovationen zu verschleppen und überholte Strukturen zu erhalten.

Das heißt konkret?
Gerade angesichts des Klimawandels brauchen wir technologischen Fortschritt für neue, bessere, ökologisch effizientere Problemlösungen. Es ist richtig, Unternehmen zu helfen, die durch pandemiebedingte Staatseingriffe unverschuldet in Not geraten sind, aber auch das kann nur vorübergehend sein. Am Ende zahlt immer der Steuerzahler und dessen Möglichkeiten sind endlich.

Wir erleben jetzt in der Coronakrise, dass Lieferketten reißen und unser arbeitsteiliges Wirtschaftssystem erschüttern. Müssen wir die Globalisierung neu denken?
Wirtschaft ist immer ein dynamischer Prozess. Wir müssen nach der Krise sicher manches anders organisieren, aber wir sollten nicht unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung an sich infrage stellen. Die Wurzel des Wohlstands liegt in der Arbeitsteilung, innerhalb einer Volkswirtschaft und auch im internationalen Rahmen. Wir brauchen auch nach Corona eher mehr Wettbewerb und Arbeitsteilung als weniger. Allerdings sollte an manchen Stellen die Abhängigkeit von einzelnen Ländern und Lieferanten verringert und stärker diversifiziert werden. Das ist aber eine Management-, keine Systemfrage.

Wie aktuell ist Ludwig Erhard heute noch?
Für Ludwig Erhard war die Volkswirtschaft kein „Patient“, den man pausenlos „operieren“ kann. Das gilt heute genauso wie zu seiner Zeit. Ich finde sein Konzept einer sozialen Marktwirtschaft bis heute faszinierend. Es hat unserem Land einen beispiellosen Wohlstand und sozialen Frieden beschert und kaum jemand hätte gedacht, dass Deutschland nach dem verlorenen Krieg einen so schnellen Wideraufbau schaffen kann. Ganz im Gegensatz zur Planwirtschaft, deren Ergebnisse ja in der DDR zu besichtigen waren.

Sie sind in der DDR aufgewachsen ...
... und ich habe die Ergebnisse der Planwirtschaft noch vor Augen: Leben von der Substanz und ständiger Mangel. Es lohnt sich, daran zu erinnern, wie es vor 30 Jahren stand im Osten unseres Landes in Sachen Wohnungsnot, mit maroden Industrieanlagen und dem katastrophalen Zustand einer geschundenen Umwelt. Die Sanierungsleistungen der letzten 30 Jahre, die Marktwirtschaft erst ermöglicht hat, haben das schnell vergessen gemacht.

Wie „sozial“ kann ein System sein, das in erster Linie auf Gewinnerzielung angelegt ist?
Gewinnerzielung ist notwendig, um überhaupt Innovationen und Soziales finanzieren zu können und das Soziale an der sozialen Marktwirtschaft ist keine Einschränkung, sondern eine Eigenschaft derselben. Sie ermöglicht durch den Wettbewerb eine gute Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen in großer Auswahl und zu günstigen Preisen. Das ist im höchsten Maße sozial und eine Art Demokratie der Verbraucher.

Dennoch zweifeln viele Menschen an der Marktwirtschaft!
Dass das solidarische Ergebnis der Marktwirtschaft unabhängig von solidarischen Motiven zustande kommt, ist zunächst einmal kontraintuitiv. Die Marktwirtschaft setzt auf Gewinnstreben, Anstrengungs- und Risikobereitschaft des Einzelnen und das stellt eine besondere Schwierigkeit für unser Verständnis der moralischen Qualität der Marktwirtschaft dar. Ihre Leistungen sind nicht das Ergebnis menschlichen Plans, wohl aber menschlichen Handelns.

Welche Rolle kommt dabei heute dem Staat zu?
Nicht die eines Mitspielers, sondern die des Regelsetzers und Schiedsrichters. Wie ein guter Fußball-Schiedsrichter, der dafür sorgt, dass ein attraktives Spiel entsteht. Gerade diese Rolle wird in letzter Zeit vernachlässigt. Der Skandal um Wirecard ist dafür ein trauriges Beispiel. Es ist unseriös, ständig nach neuen Regulierungen zu rufen, während die bestehende Banken- und Finanzmarktaufsicht nicht richtig funktioniert. Manchmal muss es auch die rote Karte sein, sonst gerät das Spiel außer Kontrolle.


„Der Staat muss umdenken“

Erhards Ziel lautete „Wohlstand für alle“. Ist dieses Ziel erreicht?
In unserem Land in weiten Teilen ja, aber wir müssen noch besser werden. Das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft muss unbedingt erneuert werden. Wir müssen noch viel mehr für Durchlässigkeit in der Gesellschaft und für Bildungschancen unabhängig vom Elternhaus tun. Auch die Rahmenbedingungen für breite Vermögensbildung müssen dringend verbessert werden, etwa durch ein entsprechendes Steuerrecht. Durch eine Grunderwerbsteuer von bis zu 6,5 Prozent des Kaufpreises wird der Traum von den eigenen vier Wänden unnötig erschwert. Wir brauchen kein Volkseigentum, sondern ein Volk von Eigentümern.

Welche Rolle spielt die wachsende Ungleichverteilung von Vermögen? Rund die Hälfte der Bevölkerung hat keine Immobilie und auch sonst kein Vermögen, während die Konzentration großer Vermögen in der Hand weniger Menschen zunimmt.
Wir müssen die Bildung von Eigentum konsequent erleichtern. Nehmen Sie nur den Sparerfreibetrag. Der ist immer weiter abgesenkt worden, obwohl der Bedarf an privater Altersvorsorge eher gestiegen ist. Der Staat muss umdenken – wir müssen den Menschen mehr übriglassen und dürfen es ihnen nicht so schwer machen, aus ihrem selbst verdienten Geld Eigentum und Vermögen aufzubauen. Die Nebenkosten des Immobilienerwerbs müssen dringend reduziert werden. Sie hindern Menschen aus der Mittelschicht daran, Wohneigentum zu erwerben und fördern damit gerade die Konzentration von Eigentum bei wenigen Großinvestoren.

Was Erhard in sein Modell der sozialen Marktwirtschaft nicht einbezogen hat ist die ökologische Dimension. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ taucht bei ihm nicht auf.
Der progressive Stilgedanke der sozialen Marktwirtschaft muss ausgestaltet und auf neue Herausforderungen angewendet werden. Dabei ist das Prinzip von Effizienz durch Wettbewerb auch auf den Klimaschutz anwendbar, vor allem durch den Einsatz der marktwirtschaftlichen Steuerungselemente von Angebot, Nachfrage und Preis.

Geht es etwas genauer?
Die natürlichen Ressourcen sind ein knappes Gut und wir müssen dazu kommen, die oft noch externen Kosten, die durch Umweltverbrauch entstehen, in die Preise mit einzubeziehen. Dafür bildet der Handel mit Emissionszertifikaten gute Möglichkeiten. Derzeit wird er nur bei der Energieerzeugung angewendet, aber wir müssen ihn auch auf den Bereich Gebäude und Wärme anwenden und auf den Verkehrssektor erstrecken. Da ist noch einiges zu tun. Klar ist aber, dass sich nur mit mehr Marktwirtschaft mehr Umweltschutz erreichen lässt und nur so dem Klimawandel erfolgreich entgegengewirkt werden kann.

Mehr zum Thema: Was stirbt eher – Klima oder Marktwirtschaft?