VW verliert gegen Toyota weiter an Boden
Es ist ein weiteres unrühmliches Kapitel im Abgasskandal bei Volkswagen: Der beurlaubte frühere Entwicklungsvorstand der Marke VW, Heinz-Jakob Neußer, hatte den Konzern wegen ausstehender Boni-Zahlungen in Millionenhöhe verklagt. Eine Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht Braunschweig kam am Donnerstag jedoch zu keinem Ergebnis.
Laut der in den USA veröffentlichten Klageschrift gegen sieben VW-Manager und dem vom Konzern unterzeichneten „Statement of Facts“ gilt Neußer als einer der Schlüsselakteure in der Affäre. Er soll seine Untergebenen angewiesen haben, ab 2012 den Betrug gezielt zu vertuschen.
In dem Rechtsstreit geht es Neußer konkret um die Zahlung des persönlichen Leistungsbonus. Dabei handelt es sich um eine von drei Komponenten, aus denen sich der Gesamtbonus laut Arbeitsvertrag zusammensetzt. Zwei davon hat das Unternehmen wie im Vorjahr überwiesen. Die Zahlung für die persönliche Leistung blieb aber aus. 2014 hatte Neußer für diesen Bereich etwas mehr als eine Million Euro erhalten. Für das Jahr 2015 fordert er jetzt die Nachzahlung von 1,4 Millionen Euro. Außerdem will er eine Auskunft über die Kriterien, nach denen die Höhe der Boni festgelegt wurde.
Dieselgate und kein Ende. Dabei kann Volkswagen solche Scharmützel am Rand eigentlich nicht gebrauchen: Im ganzen Konzern stehen Reformen und Einschnitte an. Was Volkswagen noch bevorsteht, zeigt der Blick auf den Erzrivalen Toyota. Beim Absatz liegen die beiden 80-jährigen Konzerne mit rund zehn Millionen Autos pro Jahr zwar Kopf an Kopf. Doch auf den Feldern, auf denen über die automobile Zukunft entschieden wird, liegt Toyota vorn. Der Kampf erinnert an den Wettlauf zwischen Hase und Igel: Toyota ist schon da, wo der Dieselgate-geschüttelte VW-Konzern hin will.
1. Moderner Hybrid statt gefährlichem Diesel
Der Diesel? „Eine lästige Pflicht.“ Wenn Karl Schlicht über den Dieselmotor redet, diesen in Deutschland ausgetüftelten und mit Milliarden perfektionierten Selbstzünder, gibt er sich wenig Mühe, höflich zu bleiben. Schlicht ist Toyotas Vertriebschef in Europa. Den frechen Spruch kann er sich leisten. In Westeuropa, wo jedes zweite verkaufte Auto ein Diesel ist, müssen beim Toyota-Händler immer auch ein paar Diesel stehen. Aber eben nur als Pflichtübung. Toyota hat mit seinen Hybridautos eine überzeugende Alternative.
Der Diesel aber hat schon seit 124 Jahren ein notorisches Schadstoffproblem. Seit Jahren ist absehbar, dass ihm wegen immer schärferer Umweltauflagen die Puste ausgehen wird – weil die Abgasreinigung zu teuer ist oder nicht funktioniert (Tschüss, Diesel! WirtschaftsWoche 22/2012).
Der Dieselskandal wäre VW erspart geblieben, hätte man den Toyota-Weg gewählt: Hybrid statt Diesel, Innovation statt Betrug. Seit 20 Jahren hat Toyota Hybride im Programm. Die Autos mit kombiniertem Benzin-Elektro-Antrieb sind ebenso sparsam wie Diesel und für Toyota nicht teurer in der Herstellung, die Abgase aber wesentlich weniger gesundheitsschädlich. Der Stickoxidausstoß ist auch bei modernen Dieseln sechs Mal so hoch wie bei Benzin-Hybriden.
So kommt Dieselgate für Toyota wie gerufen. Drohende Fahrverbote in Innenstädten und die Angst vor Verlusten beim Wiederverkauf drücken die Zulassungszahlen: In Deutschland brachen die Dieselverkäufe in den letzten Monaten jeweils gegenüber Vorjahr um rund zehn Prozent ein. In Frankreich verlor der Diesel 20 Prozentpunkte Marktanteil in den vergangenen fünf Jahren. Spanien: minus zwölf Punkte. Belgien: minus 18 Prozentpunkte.
Hybride dagegen boomen in Europa. 40 Prozent mehr hat Toyota 2016 verkauft. Jeder dritte verkaufte Toyota war ein Hybrid. Ein Hybridanteil zwischen 50 und 60 Prozent 2020 – die interne Toyota-Vorgabe – rückt näher. Und in Wolfsburg, wo der Hybridantrieb ein Schattendasein fristet, reift eine bittere Erkenntnis: „Wir haben“, sagt ein hoher Manager aus der Fahrzeugentwickung, „auf das falsche Pferd gesetzt.“
2. Marken-Champion statt Marken-Wirrwar
Toyota verdient pro verkauftes Auto rund 1600 Euro, der VW-Konzern verdiente im ersten Halbjahr 2016, vor Zinsen, Steuern und Sonderbelastungen wie Dieselgate, nur die Hälfte. Ein Grund: VW leistet sich den Luxus von 13 Konzernmarken, die alle gehegt werden wollen, große Verwaltungsapparate haben und sich nicht selten ins Gehege kommen.
So kannibalisiert Škoda, einst als Einstiegsmarke gedacht, die Hauptmarke Volkswagen. Und worin unterscheiden sich Škoda und Seat? Bei der Antwort kommen gestandene VW-Marketingmanager ins Schwitzen. Auch die Hauptmarke Volkswagen hat zu kämpfen. Ihr bescheinigt der Konzern in einem Strategiepapier ein „inkonsistentes Markenimage“ in den Regionen der Welt.
Die Japaner dagegen kommen mit den vier Marken Toyota, Lexus (Premiumautos), Hino (Nutzfahrzeuge) und Daihatsu (Billigautos für Schwellenländer) klar, wobei die Hauptmarke Toyota klar dominiert. Die Konzentration auf einen Marken-Champion zahlt sich aus. Toyota ist die wertvollste Automobilmarke der Welt. Im angesehenen Ranking „Best Global Brands“ von Interbrand rückten die Japaner auf den fünften Platz vor. VW liegt auf Platz 40. Beste Marke des VW-Konzerns ist Audi auf Platz 38.
3. Feintuning statt Abstiegskampf
Toyota-Chef Akio Toyoda wird von einer Angst gequält: Sein Unternehmen könnte zum Dinosaurier werden, der wegen des zu schnellen Wandels seiner Umgebung ausstirbt. Deshalb hat er die Fertigung enorm verschlankt. Nie wieder soll Toyota rote Zahlen schreiben. Toyoda nennt dies „wahre Wettbewerbsfähigkeit“. Für das Tagesgeschäft brauche Toyota „eine beweglichere und autonomere Struktur“. Am liebsten will Toyoda in den Start-up-Modus zurück. Die Entwicklung intelligenter Fahrfunktionen, die im weitgehend selbstfahrenden Auto münden sollen, hat er an ein eigenes Institut in den USA vergeben. Sein Vize Didier Leroy soll den ganzen Konzern schlanker, effizienter, innovativer machen, Bürokratie abbauen und Routine bekämpfen.
VW-Chef Matthias Müller hat Ähnliches vor. Allerdings spielt er mit seiner Strategie 2025+ in einer anderen Liga. Ein VW-Mitarbeiter schafft 350.000 Euro Umsatz pro Jahr, ein Toyota-Mitarbeiter 675.000 Euro. Und alle Bemühungen für mehr Effizienz scheinen vergeblich, zumindest bei Volkswagen: „Der Produktivitätsabstand gegenüber Wettbewerbern vergrößert sich“, heißt es im VW-Strategiepapier vom Januar. Selbst Rendite-Champion Audi, der mit seinen Gewinnen den halben Konzern finanziert, schwächelte zuletzt: Der operative Gewinn (vor Sondereinflüssen wie Dieselgate) schrumpfte 2016 um knapp sechs Prozent.
Dem Chef der Marke Volkswagen, Herbert Diess, ist die Lage bewusst, er wird jedoch vom VW-Betriebsrat und Großaktionär Niedersachsen ausgebremst. Sie haben vor allem Arbeitsplätze im Blick. Dass sie bei VW so mächtig bleiben, scheint sicher. Ob Diess noch lange VW-Markenchef ist, dagegen nicht. Insider erwarten heftige Machtkämpfe in den kommenden Monaten. Von Machtverhältnissen wie bei Toyota kann Diess nur träumen. Da sagt nur eine Handvoll Manager, wo es langgeht: Auf zwei Chefs und vier Vize-Präsidenten wurde unlängst die Führungsmannschaft geschrumpft.
4. Flexible Mitarbeiter statt mehr Roboter
2012 startete VW eine neue Entwicklungs- und Produktionsmethode. Durch gleiche Module über alle Marken hinweg und durch noch mehr Roboter wollte VW Toyota den Rang als legendär effizienter Autobauer ablaufen. Fahrzeug- und Fabrikplaner sollten sich aus gemeinsamen „Baukästen“ bedienen. 1500 Euro pro Auto wollte der damalige VW-Chef Martin Winterkorn so einsparen.
Das wäre epochal. Doch bislang lässt der Erfolg auf sich warten. Auch 2017 diagnostiziert das VW-Management das alte Problem: Die „hohe Produktkomplexität“ bei der Marke Volkswagen etwa, so räumte das Unternehmen Investoren gegenüber ein, „schwächt die Wettbewerbsfähigkeit im Volumensegment“. VW-Chef Müller geht inzwischen zu der milliardenteuren Baukasten-Strategie seines Vorgängers Winterkorn auf Distanz: „Wir waren früher mit Plattformen sehr erfolgreich, was dann aber wegen der Baukästen etwas zerfleddert wurde.“
Toyota, Erfinder des schlanken Automobilbaus, konnte der Baukasten-Idee noch nie viel abgewinnen. Der Konzern geht eher den entgegengesetzten Weg. Die Autos sollen besser und komfortabler werden, etwa, indem sie ausgehend von der Position des Fahrers entworfen werden. Kosten zu drücken steht ausdrücklich erst an zweiter Stelle. Und statt, wie VW, auf noch mehr Automatisierung und Roboter zu setzen, vertraut Toyota auf Menschen, die ganz unterschiedliche Autos bauen können. Grund: Arbeiter können flexibel Kundenwünsche erfüllen. Roboter und Maschinen müssten teuer umgebaut und umprogrammiert werden.
In Sparfabriken lässt sich das Produktionsband binnen Stunden variieren. Modelle werden bunt gemischt auf hintereinander laufenden Einzelplattformen je nach Auftragslage gebaut. Bei der Montage werden Türen nicht mehr über Förderbänder von oben herangeführt, sondern auf schmalen Ständern per Hand an das Chassis gerollt. Beim Schweißen kommen dank verkürzter Wege weniger Roboter zum Einsatz.
5. Partnerschaft statt Dominanz
Den Namen Suzuki will bei VW niemand hören, steht der japanische Autobauer doch für einen spektakulär vergeigten Kooperationsversuch. Mit Suzuki wollte VW 2009 ein Billigmodell für den indischen Markt entwickeln, doch die Kooperation endete schon nach Monaten in einer Schlammschlacht mit anschließender Trennung. VW begegnete dem kleinen Partner nicht auf Augenhöhe. Das Suzuki-Management rebellierte gegen das deutsche Diktat. Und so ist VW beim Billigauto für Schwellenländer weiterhin auf null. Eine Partnerschaft mit dem indischen Autobauer Tata soll es jetzt richten.
Doch mit Suzuki entging VW der klare Marktführer in Indien, fast jedes zweite in Indien verkaufte Auto ist ein Suzuki-Fabrikat. Tata kommt auf weniger als ein Fünftel des Suzuki-Absatzes. Nun wollen Suzuki und Toyota kooperieren, so hatten es die alten Herren an den Firmenspitzen verabredet – der 86-jährige Osamu Suzuki und der 92-jährige Shoichiro Toyoda. Die Annäherung umsetzen müssen ihre Söhne Toshihiro Suzuki und Akio Toyoda. Eine spätere Kapitalallianz ist möglich. Dann fände mittelfristig Suzuki sogar einen Platz in der Toyota-Garage – und Toyota hätte den Milliardenmarkt Indien im Sack.
6. Mut statt Glaube ans Bewährte
Mehr als zehn Millionen Hybride mit Batterie und Elektromotor hat Toyota weltweit schon losgeschlagen. Schon seit 1996 kommen die Batterien aus eigener Produktion. Kein anderer Autobauer ist deshalb so gut gerüstet für das Zeitalter des elektrischen Fahrens – egal, ob mit Batterie als Energiespeicher oder mit der stromerzeugenden Brennstoffzelle der Wasserstofftechnologie. Und VW? „Ab 2020“, sagt Konzernchef Müller, könnten „Pilot“-Versuche zur Batteriefertigung beginnen.
Ein Großteil der Autobauer setzt für die Zukunft auf Batterieautos, an Wasserstofffahrzeuge glaubt kaum einer – es gibt kaum umweltfreundlich hergestellten Wasserstoff, und das Tankstellennetz ist winzig. Auch VW hat die Wasserstofftechnik abgehakt. Nur noch Audi soll sich darum kümmern. Die Ingolstädter wollen zwar ein Brennstoffzellenauto entwickeln. Doch wann es auf den Markt kommen könnte, steht in den Sternen.
Toyota dagegen bleibt stur. „Wir halten Brennstoffzellenfahrzeuge weiter für das ultimativ umweltfreundliche Auto“, sagt Vize-Präsident Takahiko Ijichi. Anders als das Audi-Management wissen die Toyota-Leute, wovon sie sprechen: Das erste kommerzielle Brennstoffzellenauto brachte Toyota schon 2015 auf den Markt.
VW kann nur noch hoffen, dass Toyota bei der Brennstoffzelle nicht den gleichen treffsicheren Instinkt hat wie beim Hybridauto.
KONTEXT
Plug-in-Hybride im Kostenvergleich
Audi
Modell
Kraftstoff
Grundpreis
Kosten pro Monat
Kosten pro Kilometer
Audi A3 Sportback e-tron
Super/Strom
40.200 Euro
658 Euro
52,6 Cent
Audi A3 Sportback 2.0 TFSI
Super
34.700 Euro
706 Euro
56,5 Cent
Audi A3 Sportback 2.0 TDI
Diesel
36.900 Euro
702 Euro
56,2 Cent
Quelle: ADAC
BMW
Modell
Kraftstoff
Grundpreis
Kosten pro Monat
Kosten pro Kilometer
BMW 330e
Super/Strom
43.600 Euro
800 Euro
64,0 Cent
BMW 330i
Super Plus
42.600 Euro
877 Euro
70,2 Cent
BMW 330d
Diesel
47.750 Euro
931 Euro
74,5 Cent
Quelle: ADAC
Kia
Modell
Kraftstoff
Grundpreis
Kosten pro Monat
Kosten pro Kilometer
Kia Optima 2.0 GDI Plug-in-Hybrid
Super/Strom
44.490 Euro
721 Euro
57,7 Cent
Kia Optima 2.0
Super
31.890 Euro
746 Euro
59,72,3 Cent
Kia Optima 1.7 CRDi
Diesel
36.190 Euro
708 Euro
56,6 Cent
Mercedes-Benz
Modell
Kraftstoff
Grundpreis
Kosten pro Monat
Kosten pro Kilometer
Mercedes-Benz C350e
Super/Strom
52.063 Euro
890 Euro
71,2 Cent
Mercedes-Benz C300
Super
44.804 Euro
931 Euro
74,5 Cent
Mercedes-Benz C250d
Diesel
46.529 Euro
922 Euro
73,8 Cent
Porsche
Modell
Kraftstoff
Grundpreis
Kosten pro Monat
Kosten pro Kilometer
Porsche Panamera 4 E-Hybrid
Super Plus/Strom
107.553 Euro
1546 Euro
123,7 Cent
Porsche Panamera 4S
Super Plus
113.027 Euro
1685 Euro
134,8 Cent
Porsche Panamera 4S Diesel
Diesel
116.954 Euro
1746 Euro
139,7 Cent
Toyota
Modell
Kraftstoff
Grundpreis
Kosten pro Monat
Kosten pro Kilometer
Toyota Prius
Super/Strom
36.550 Euro
593 Euro
47,4 Cent
Toyota Auris 1.8 Hybrid
Super
25.750 Euro
530 Euro
42,4 Cent
Toyota Auris 1.6 D-4D
Diesel
25.140 Euro
552 Euro
44,2 Cent
Volvo
Modell
Kraftstoff
Grundpreis
Kosten pro Monat
Kosten pro Kilometer
Volvo V60 D6 TwinEngine
Diesel/Strom
56.900 Euro
962 Euro
77,0 Cent
Volvo V60 T6
Super
50.500 Euro
1027 Euro
82,2 Cent
Volvo V60 D5 Polestar
Diesel
45.949 Euro
883 Euro
70,6 Cent
VW
Modell
Kraftstoff
Grundpreis
Kosten pro Monat
Kosten pro Kilometer
VW Golf GTE
Super/Strom
36.900 Euro
611 Euro
48,8 Cent
VW Golf GTI
Super
32.875 Euro
685 Euro
54,8 Cent
VW Golf GTD
Diesel
33.700 Euro
639 Euro
51,1 Cent