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So wollen sich die VW-Kunden ab heute vor Gericht ihr Geld zurückholen

Die Bundesregierung hat die Position der Verbraucher im Rechtsstreit mit Konzernen verbessert. An diesem Montag beginnt die große Bewährungsprobe – die wichtigsten Fakten zur Musterfeststellungsklage.

Mit einer öffentlichen Anhörung startet an diesem Montag der Musterprozess gegen Volkswagen vor dem Oberlandesgericht in Braunschweig. 438.000 Kläger, die vom Dieselskandal betroffen sind, hoffen auf Schadensersatz wegen manipulierter Abgassysteme. Der Fall hat weltweit Beachtung gefunden. Weil Dieselfahrzeuge wegen ihrer höheren Umweltbelastung zunehmend Ablehnung erfahren, ist der Anreiz für Käufer groß, sich wieder davon zu trennen.

„Mit der Musterfeststellungsklage gegen VW setzen wir uns dafür ein, dass Volkswagen für seine Taten Verantwortung übernehmen muss und Verbraucher nicht auf dem entstandenen Schaden sitzen bleiben“, sagt der Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Klaus Müller. Doch es ist strittig, ob ein geschädigter Fahrzeugkäufer über eine Musterfeststellungsklage am besten zu seinem Recht kommt.

Wozu dient eine Musterfeststellungsklage?
Mit der Musterfeststellungsklage hat der Gesetzgeber eine neue Klageart eingeführt. Es gibt sie seit dem 1.1.2018. Der Gesetzgeber hat Konsequenzen aus der Tatsache gezogen, dass das Kräfteverhältnis zwischen dem Unternehmen, das Verbraucher geschädigt hat, und dem einzelnen Verbraucher ungleich ist: Der Verbraucher hat schlechte Chancen, sich gegen die juristischen Abteilungen von finanzkräftigen Unternehmen durchzusetzen.

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Mit der Musterfeststellungsklage können Schadensfälle, die bei einer Vielzahl von Verbrauchern auftreten und die gleiche Ursache haben, gebündelt werden. Die damalige Bundesverbraucherministerin Katarina Barley hat die Musterfeststellungsklage „Eine-für-alle-Klage“ genannt. Sie bietet die Chance, dass Ansprüche der Verbraucher kostengünstig und unbürokratisch durchgesetzt werden können.

Wer klagt für die Verbraucher?
Die Musterfeststellungsklage kann nur von Verbraucherschutzverbänden erhoben werden, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. In diesem Fall reichte die vzbv in Kooperation mit dem ADAC die erste Musterfeststellungsklage gegen VW am Oberlandesgericht Braunschweig ein.

Wie können Verbraucher sich beteiligen?
Ein klageberechtigter Verband muss die Klage anmelden, die wiederum vom zuständigen Oberlandesgericht zugelassen werden muss. Wenn das der Fall ist, wird die Klage im Klageregister des Bundesamts für Justiz veröffentlicht. Die Registrierung ist für jeden Betroffenen kostenlos und hat den Vorteil, dass die Verjährung der Ansprüche gehemmt wird.

Die Prozess- und Anwaltskosten werden vom entsprechenden Verband getragen. Im Fall VW haben sich bereits 438.000 Verbraucher der Klage angeschlossen. Anmeldungen ins Klageregister können bis zum letzten Tag vor Verhandlungsbeginn vorgenommen werden.

Worum geht es in der Klage gegen VW?
Verbraucherschützer haben beim OLG die Feststellung beantragt, dass VW prinzipiell schadensersatzpflichtig ist. Konkret geht es um Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Seat und Skoda, in denen Dieselmotoren des Typs EA 189 eingebaut wurden und die nach dem 1. November 2008 gekauft wurden. Betroffen sind Vierzylinder-Fahrzeuge, die einen Hubraum von 1,2 l bis 2 l haben. Weitere Bedingung: In diesen Fahrzeugen muss eine illegale Abschalteinrichtung verwendet worden sein.

Dazu gehört auch, dass sie auf Geheiß einer europäischen Genehmigungsbehörde wie beispielsweise des Kraftfahrtbundesamts eine legale Motorsteuerung erhalten haben. Kunden, die klagen wollen, sollten unbedingt prüfen, ob auf ihre Fahrzeuge die entsprechenden Kriterien zutreffen. Sie könnten später das Nachsehen haben, wenn ihre Fahrzeuge nicht die nötigen Voraussetzungen erfüllen.

Was können Kläger erhoffen?
Die Klage muss nicht mit einem Urteil enden, es kann auch zu einem Vergleich kommen. In den USA und in Australien hat sich VW schon auf diese Weise verständigt. Mit einem Vergleich ist keinerlei Schuldeingeständnis verbunden. Bei dem anstehenden Prozess ist noch nicht absehbar, ob sich die Kontrahenten auf diese Weise einigen werden oder nicht. Das dürfte auch vom Verlauf des Prozesses abhängen. Ein wichtiger Punkt aber: Sollte das OLG ein Musterfeststellungsurteil zugunsten der Verbraucherschützer fällen, fließt trotzdem zunächst noch kein Geld.

Was muss der Verbraucher dann tun?
Ein Feststellungsurteil ist für den Verbraucher nur eine Grundlage, um den Anspruch auf Schadensersatz individuell einzuklagen. Danach ist also ein zweites Verfahren nötig. Individuelle Schadensersatzansprüche werden durch das Musterfeststellungsverfahren nicht geklärt. Aber das dann zuständige Gericht ist an die grundsätzlichen Feststellungen des OLG Braunschweig oder des Bundesgerichtshofs gebunden.

Was ist der Schwachpunkt des Konzepts?
Das Fehlen eines individuellen Anspruchs ist ein zentraler Kritikpunkt. „Keiner hat einen Vollstreckungstitel, mit dem er einen Schadensersatz gegen VW geltend machen kann“, bemängelt die Hallenser Rechtsprofessorin Caroline Meller-Hannich. „Die Musterfeststellungsklage ist keine Leistungsklage“, bestätigt vzbv-Vorstand Müller.

Mit einem Feststellungsurteil hat sich die Ausgangslage des Verbrauchers verbessert, doch danach können Unternehmen immer noch auf Zeit spielen und eine Einigung möglicherweise hinauszögern oder gar verhindern. Beobachter halten es ohnehin für wahrscheinlich, dass die jeweils unterlegene Seite die letzte Instanz anrufen wird, den Bundesgerichtshof.

Der vzbv geht davon aus, dass ein Unternehmen, das in einer Musterfeststellungsklage verurteilt worden ist, mit Rücksicht auf sein öffentliches Ansehen Bereitschaft signalisieren könnte, die Schäden ohne zweite Klage zu ersetzen. Aber das ist nicht mehr als eine Hoffnung.

Gibt es Alternativen?
Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, ist gut beraten, über seine Anwälte den Rechtsstreit auszutragen. Verbraucherschützer räumen ein, dass die Musterfeststellungsklage eher für Menschen geeignet ist, die über keinen alternativen Rechtsschutz verfügen. Und für Menschen, die die finanziellen Risiken, die eine individuelle Klage mit sich bringt, nicht eingehen wollen.

Was geht noch ohne Rechtsschutz?
Verschiedene Rechtsanwaltskanzleien haben spezielle Dienste angeboten, die auch für Verbraucher ohne Rechtsschutzversicherung interessant sein könnten. Kanzleien wie Gansel Rechtsanwälte oder Baum, Reiter & Collegen aber auch Legal-Tech-Unternehmen wie Myright oder der Prozessfinanzierer wie Profin werben mit Blick auf diverse Urteile in der Vergangenheit damit, dass Einzelverfahren schneller zum Erfolg führen können.

Das finanzielle Risiko, das sie tragen, lassen sie sich mit einer Erfolgsbeteiligung von 20 bis 35 Prozent des Klageerlöses vergüten. Wählen Verbraucher diesen Weg, müssen sie sich aus dem Klageregister des Bundesamts für Justiz austragen lassen. Vzbv-Vorstand Müller sieht in den Alternativangeboten von Rechtsanwaltskanzleien und Prozessfinanzierern „keine Konkurrenz“. Es verwundere ihn nicht, dass Anwaltskanzleien kurz vor der mündlichen Verhandlung offensiv um Mandanten werben. Ihr legitimes kommerzielles Interesse liege allerdings auf der Hand.

Ist ein schneller Erfolg zu erwarten?
Verbraucher sollten sich nicht darauf verlassen, dass sie am Ende des Musterfeststellungsprozesses ihr Fahrzeug gegen Rückzahlung des Kaufpreises einfach abgeben können. Die Kanzleien gehen davon aus, dass der Käufer eines Dieselfahrzeugs sich eine Nutzungsentschädigung abziehen lassen muss, die an gefahrenen Kilometern gemessen wird. Je länger sich der Prozess hinzieht, desto größer könnte die Nutzungsentschädigung ausfallen.

In letzter Konsequenz könnte die Nutzungsentschädigung höher ausfallen als der Schadensersatzanspruch. Nach dieser Logik fällt die finanzielle Entschädigung für den betroffenen Dieselfahrer umso höher aus, je schneller das Verfahren beendet wird. Umgekehrt könnte einiges dafür sprechen, dass VW das Musterfeststellungsverfahren so lange wie möglich hinauszögern wird, um Geld zu sparen. Dagegen spricht wiederum, dass jeder einzelne Rechtsstreit Geld kostet und die Kosten schlecht abschätzbar sind.

Wie sieht der VW-Konzern den Rechtsstreit?
VW bestreitet, einen Rechtsverstoß begangen zu haben, und lehnt daher auch jegliche Haftung ab. Aus Sicht des Konzerns sind alle Fahrzeuge sicher und verkehrstüchtig. Sie verfügen über die erforderlichen Genehmigungen und Zulassungen. Auch nach Bekanntwerden der Dieselproblematik seien die Restwerte der betroffenen Fahrzeuge stabil geblieben. Dabei beruft sich Volkswagen auf Bewertungsunternehmen wie Schwacke und DAT. Danach sei bis Sommer 2017 keinerlei Auswirkungen auf den Marktpreis der betroffenen Dieselfahrzeuge erkennbar gewesen.

Was sagt VW zu der hohen Zahl an Klägern?
VW geht davon aus, dass sich die Kläger nicht über einen Kamm scheren lassen und ein Vergleich daher auch nur schwer vorstellbar sei. Nach ersten Analysen hat jeder fünfte Kläger sein Dieselfahrzeug nach dem 22.9.2015 gekauft. Das findet VW insofern bemerkenswert, da der Konzern an diesem Tag in einer Ad-hoc-Mitteilung einräumte, dass es zu Manipulationen an Dieselfahrzeugen gekommen ist.

Mit anderen Worten: Der Vorwurf der sittenwidrigen Täuschung kann zumindest seit dem Zeitpunkt nur schwerlich nachvollzogen werden. Das sehen Verbraucheranwälte naturgemäß anders. VW müsste nachweisen, dass Kunden im Wissen um die Manipulation die Fahrzeuge erworben haben, argumentieren sie. Dieser Beweis dürfte nur schwer zu erbringen sein.

Lassen sich die Kosten für VW abschätzen?
Nein. Dazu ist es zu früh. Ähnlich wie verschiedene Rechtsanwaltskanzleien und Prozessfinanzierer geht VW davon aus, dass Gerichte die Nutzungsentschädigung von einem möglichen Schadensersatz abziehen werden. Das ist aus Sicht der Verbraucheranwälte aber keineswegs sicher. Denn wenn festgestellt wird, dass VW vorsätzlich und sittenwidrig die Kunden geschädigt hat, könnte ein Gericht auch von einer Nutzungsentschädigung absehen. Das würde die Kosten für VW drastisch erhöhen. Da das juristische Terrain hier unsicher ist, spricht aus Sicht des vzbv vieles für einen Vergleich.