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VW-Einkaufsvorstand Sommer: „CO2 zu reduzieren ist keine Raketenwissenschaft“

Mit der CO2-neutralen Produktion übt VW Druck auf die Zulieferer aus. VW-Einkaufsvorstand Stefan Sommer sieht darin aber auch eine Chance für die Zulieferer.

Der Einkaufsvorstand von VW sieht in der Reduzierung von CO2 eine Chance für deutsche Zulieferer. Foto: dpa
Der Einkaufsvorstand von VW sieht in der Reduzierung von CO2 eine Chance für deutsche Zulieferer. Foto: dpa

Volkswagen erhöht bei der Umstellung auf die Elektromobilität den Druck auf die Zulieferer. „Natürlich können wir die CO2-Neutralität beim Elektroauto ID.3 nur erreichen, wenn auch die Zulieferer bilanziell CO2 neutral produzieren“, sagte der Einkaufschef des Volkswagen-Konzerns, Stefan Sommer, dem Handelsblatt.

Der Volkswagen-Konzern ist der größte Autobauer in Europa und Sommer damit einer der wichtigsten Einkäufer weltweit. Die Wolfsburger wollen dabei künftig strenger kontrollieren. „Wir fangen jetzt an bei den Zulieferern und haben ein Nachhaltigkeitsrating analog zum Qualitäts- oder Kostenrating eingeführt. Jeder Lieferant muss zertifiziert sein, um künftig weiterhin Aufträge von uns zu bekommen“, betonte Sommer.

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Der VW-Einkaufschef sieht darin allerdings eher eine Chance für die deutschen Autozulieferer. Geringe Transportkosten und lückenlose Dokumentation könnten sich für heimische Zulieferer gegenüber Produzenten aus Niedriglohnländern auszahlen, wenn die CO2-Preise steigen und damit der Transport teurer wird. „Im Idealfall ist das CO2-Ticket teurer als die Mehrkosten der Inlandsproduktion“, sagte Sommer.

Die Zulieferer sollten die Chance jetzt ergreifen. „CO2 zu reduzieren ist keine Raketenwissenschaft“, betonte Sommer. Ein hoher Teil der Zulieferer sei schon zertifiziert. Die Zulieferer sollen künftig mit Stichproben kontrolliert werden.

Bei der Umstellung auf die Elektromobilität sieht Sommer generell Schwierigkeiten vor allem auf Zulieferer zukommen, die bislang ausschließlich Teile für Verbrennungsmotoren bauen. Sommer wollte nicht ausschließen, dass VW den ein oder anderen Zulieferer bei der Umstellung unterstützen müsse. Aber auch der VW-Konzern müsse „mit seinen Ressourcen haushalten.“

Wer zu spät reagiere, werde zu den Verlierern gehören. In 20 Jahren werde VW kaum mehr Teile für Verbrennungsmotoren brauchen. „Wenn ein Zulieferer jetzt nicht anfängt, sein Geschäftsmodell umzustellen, dann ist das Auftragsvolumen für Volkswagen eines Tages weg“, stellte Sommer klar.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Sommer, VW hat für den ID.3 CO2-Neutralität versprochen, wie wollen Sie das umsetzen und was bedeutet das für die Zulieferer?
Natürlich können wir das nur erreichen, wenn auch die Zulieferer bilanziell CO2 neutral produzieren. Wir haben etwa direkte Verträge mit den Lieferanten der Batteriezellen abgeschlossen, dass sie ausschließlich Grünstrom verwenden. Je mehr CO2 wir einsparen, desto leichter wird es. Die Priorität liegt klar auf der Vermeidung von CO2. Erst wenn es gar nicht anders geht, kaufen wir als Kompensation Zertifikate dazu.

Wie sieht das mit der Vermeidung aus?
Wir versuchen beispielsweise, energieintensives Aluminium nach Möglichkeit zu ersetzen.

Hilft das CO2-Paket der Bundesregierung?
Ja sicher, wenn der Preis für CO2 steigt, dann werden die Einspareffekte durch die Vermeidung von CO2-Ausstoß größer – auch wenn die CO2-Bepreisung sicher ambitionierter hätte ausfallen können. Wir fangen jetzt an bei den Zulieferern und haben ein Nachhaltigkeitsrating analog zum Qualitäts- oder Kostenrating eingeführt. Jeder Lieferant muss zertifiziert sein, um künftig weiterhin Aufträge von uns zu bekommen.

Aber für viele Ihrer Zulieferer ist das kaum zu leisten.
Ich sehe vielmehr für deutsche Autozulieferer eine große Chance. Jetzt gilt es, sie zu ergreifen. Denn die CO2-Preise werden steigen. Und eine Alternative gibt es nicht.

Wird das passieren?
Wir suchen beim Thema CO2 den offenen Dialog mit unseren Zulieferern. Das alte eingespielte System ändert sich. Bislang ging alles nur nach „best cost“. Das führt zu Vorteilen der Produktion in Niedriglohnländern, meist in Übersee. Wird CO2 bepreist, dann wird aber der Transport teurer. Auch dürfte es Zulieferern in manchen dieser Länder schwerfallen, überhaupt Grünstrom zu beziehen. Im Vergleich dazu können kurze Wege und eine lückenlose Dokumentation zu einem großen Vorteil für deutsche Zulieferer vor Ort werden. Zumindest wird der eine oder andere durch die CO2-Bepreisung wieder wettbewerbsfähiger. Im Idealfall ist das CO2-Ticket teurer als die Mehrkosten der Inlandsproduktion.

Und wer das von den Zulieferern nicht schafft, der ist weg vom Fenster?
Das wollen wir ja gar nicht. Wir haben ja bislang auch ein Rating, das nun um das Thema CO2 ergänzt wird.

Das klingt trotzdem nach einem harten Kurs.
Es ist heute schon so, dass wir bei Qualitätsproblemen einen Zulieferer nicht unmittelbar aus dem Lieferprozess nehmen und keine Teile mehr bei ihm kaufen. Unser Einkaufsmanagement geht dann zum Zulieferer und setzt ein Programm auf, wie man die Probleme beheben kann und das Rating erhält. Und erst wenn das scheitert wird es ernst. Das gilt auch beim Thema Nachhaltigkeit.

Aber beim Thema Nachhaltigkeit ist es doch viel komplexer. Kleinere Zulieferer mit ein bis zwei Prozent Marge schaffen das doch gar nicht?
Die jetzigen CO2-Preise sind nicht so hoch, das spürt man noch nicht so stark. Es wird ein langer Weg und muss auch in einer wirtschaftlichen Balance geschehen.

Das ist leicht gesagt.
Ja, aber CO2 zu reduzieren ist keine Raketenwissenschaft. Die Kohlendioxid-Emissionen sind einfach zu sehen wie ein Kostenfaktor. Man kann genau sagen, wieviel Aufwand mit einem Bauteil verbunden ist und was es uns kosten darf. Da gibt es spezielle Programme mit Parametern, die auch den CO2-Footprint ermitteln. Damit wissen wir genau, dass ein Bauteil beispielsweise 40 Euro kostet, und dass bei der Produktion zum Beispiel 500 Gramm CO2 entstehen. So identifizieren wir die großen Themen, etwa im Schmelzen von Eisen. Wir wollen so unsere Zulieferer entwickeln, damit sie unsere Nachhaltigkeitsthemen einhalten.

Und bis wann ist der ID.3 dann auch entlang der gesamten Wertschöpfung wirklich CO2-neutral?
Bilanziell ist er das schon heute. Darauf sind wir stolz. Natürlich müssen wir noch viele Bereiche weiter entwickeln bei der CO2-Vermeidung. Das wird noch eine Zeit lang dauern. Aber wir fahren schon los. Besonders haben wir auf den Antriebsstrang geachtet, den wir selbst bauen.

Aber Sie können – auch wenn es vertraglich fixiert ist – doch nicht jeden Zulieferer bis ins Detail kontrollieren.
Nein, wir machen das aber mit Stichproben. Einen hohen Anteil der Zulieferer haben wir schon zertifiziert.

Ist es dann so wie bei manchen Entwicklungspartnerschaften, dass VW Zulieferer bei der Umstellung auch finanziell unterstützen müssen?
Ich will nicht ausschließen, dass wir auch den ein oder anderen unterstützen werden. Aber das ist nicht unser Ziel. Es kommen auf Volkswagen immense Kosten und Transaktionen zu. Auch wir müssen mit unseren Ressourcen haushalten.

Werden alle Zulieferer die Transformation schaffen können?
Schwierigkeiten können vor allem auf Zulieferer zukommen, die bislang ausschließlich Teile für Verbrennungsmotoren bauen. Sie müssen Fantasie für neue Produkte entwickeln.

Was erzählen Sie denen?
Wir setzen uns zusammen und suchen gemeinsam nach Möglichkeiten, Geschäftsfelder im Bereich Nachhaltigkeit und Elektrifizierung zu erschließen.

Aber jemand, der heute Kolbenringe baut, der kann nicht plötzlich Isolationen für Batterien herstellen?
Warum nicht? Bei Batterien braucht man auch eine Klimatisierung und ein intelligentes Packaging oder vielleicht ein hochfestes Stahlteil mit ähnlichen Wertschöpfungsketten wie bei Kolbenringen.

Können Sie Zulieferer überhaupt umstimmen, die nichts verändern wollen?
Wer zu spät reagiert, wird zu den Verlierern gehören. In 20 Jahren wird VW kaum mehr Teile für Verbrennungsmotoren brauchen. Wenn ein Zulieferer jetzt nicht anfängt, sein Geschäftsmodell umzustellen, dann ist das Auftragsvolumen für Volkswagen eines Tages weg.

Als Einkaufschef stehen Sie unter gewaltigem Druck, die Preise bei den Lieferanten zu drücken. Da macht man sich zwangsweise unbeliebt, oder?
Leichter ist das natürlich bei Preisverhandlungen, wenn man den Lieferanten größere Aufträge und damit Wachstum versprechen kann. Das geht in der jetzigen konjunkturellen Lage nicht. Das ist ein schwieriges Feld.

Warum?
Wir haben alle in den vergangenen 30 Jahren durch drei makroökonomische Faktoren überproportionales Wachstum erlebt. Erst bescherte die Wiedervereinigung der Autoindustrie einen Sonder-Boom, dann sorgte China für eine gigantische Nachfrage mit zweistelligen Wachstumsraten und nicht zuletzt die Euro-Einführung bescherte der deutschen Industrie mit einer tendenziell unterbewerteten Währung große Vorteile im Export. Es gibt Unternehmen, die vom ständigen Wachstum verwöhnt sind, jetzt nicht bremsen können und auch keinen Rückwärtsgang haben.

Ihr Konzern hat den Hype aber kräftig angefeuert.
Wichtig ist, die Möglichkeiten im Markt zu nutzen. Auch jetzt. Die Transformation zum Elektroantrieb bietet große Chancen. Die Aufgabe, die sich damit verbindet ist freilich riesig, ohne dass andere Makrofaktoren für Ausgleich sorgen können.

Dann ist es aber viel verlangt, wenn Sie den Lieferanten sagen, Ihr müsst in die Umstellung investieren, aber wir wissen nicht wie viel wir Euch wann abkaufen.
Ja, diese Situation ist schwierig. Doch Volkswagen kann nicht alleine die Transformation bezahlen. Das funktioniert auch nicht.

Für welche Zulieferer sieht es denn ganz schlecht aus?
Oft sind das Unternehmen zwischen 150 und 800 Millionen Euro Umsatz, die ganz am Verbrennungsmotor hängen. Häufig wurden sie von ihren Kunden in die Globalisierung getrieben. Diese hohen Investitionen beispielsweise in China stehen jetzt im Feuer, wenn die damit verbunden Umsatzerwartungen in den nächsten 24 Monaten ausbleiben. Diesen Unternehmen fehlen jetzt die Mittel, um in neue Felder zu investieren.

Wo sind diese Unternehmen angesiedelt?
In bestimmten ländlichen Regionen in Deutschland. Einige dieser Unternehmen haben einen sehr hohen Lieferanteil mit uns. Wenn dieser VW-Anteil eines Zulieferers durch unsere Transformation wegfällt, dann können aber auch andere Hersteller nicht helfen. Denn dort steht die Transformation genauso vor der Tür.

Sie machen es den Zulieferern aber auch nicht leicht. Bei Software will VW künftig den eigenen Anteil von zehn auf 60 Prozent erhöhen.
Die Digitalisierung bietet rasantes Wachstum. Das muss man nutzen. Die Software-Komplexität im Fahrzeug nimmt stetig zu. Neue Bereiche kommen hinzu: Es gilt, die Fahrzeug-Cloud zu beherrschen oder Updates „over the air“.

Und wie gelingt das?
Wir wandeln uns zum Komplettanbieter von Hardware, Software und Services und bieten unseren Kunden alles aus einer Hand. Dazu ist die richtige Software der Schlüssel. Dafür dürfen wir aber nicht mehr funktional denken. Wenn man sich eine App wünscht, die dies oder das kann, kann man nicht jemanden mit der Entwicklung dieser App beauftragen, um dann festzustellen, dass man weder das iPad noch das Betriebssystem hat, um die App zu nutzen.

Von welchen Branchen kann die Automobilindustrie lernen?
In der Welt der Smartphones geht das bereits anders. Die Smartphone-Hersteller legen vorher fest, was das Smartphone können muss, wie viele Apps darauf passen und wie viel Speicherkapazität nötig ist. Daran richten wir uns aus. Das sind Dinge, die wir künftig in einer eigenen Abteilung umsetzen.

Also geht es doch auf Kosten der Zulieferer?
Ich sehe das anders. Die Zulieferer bekommen eine breitere und stabilere Basis, für die sie uns mit Software beliefern können. So bieten sich für die Unternehmen vielmehr neue Chancen.

Herr Sommer, vielen Dank für das Gespräch.