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VW-Chef blockt bei Kartellvorwürfen

Der Volkswagen-Konzern hat laut einem „Spiegel“-Bericht selbst ausführlich Kartellbehörden über mögliche illegale Absprachen mit anderen Herstellern informiert. Doch öffentlich schweigen die Firmen.

Die Aktien der großen deutschen Autokonzerne sind gestern unter Druck geraten, VW, Daimler und BMW gaben deutlich nach. Die vom „Spiegel“ veröffentlichten Informationen zu einem seit den 1990er-Jahren bestehenden Kartell der Konzerne in vielen Technologiebereichen hatten Anleger und Investoren ebenso wie Kunden und Wettbewerbsexperten verblüfft. Über den Verdacht der Absprachen zur Größe von AdBlue-Tanks zur Abgasbehandlung hatte auch das Handelsblatt ausführlich berichtet.

VW-Chef Matthias Müller hält sich in einem Interview mit der Rheinischen Post dazu bedeckt. „Zu Spekulationen und Sachverhaltsvermutungen auf Grundlage der Spiegel-Berichterstattung äußern wir uns nicht“, sagt der Vorstandsvorsitzende des Volkswagen-Konzerns, zu dem auch die ins vermutete Kartell involvierten Marken Audi und Porsche gehören. Es ist die erste öffentliche Äußerung Müllers seit Bekanntwerden der Vorwürfe, die laut „Spiegel“ durch umfangreiche Offenlegungen des VW-Konzerns bei den Kartellbehörden unterfüttert sind.

Laut dem „Spiegel“-Bericht sprachen sich Konzerne seit den 1990er-Jahren in einem geheimen Arbeitskreis über Technik, Kosten und Zulieferer ab. Der VW-Schriftsatz, auf den sich der „Spiegel“-Bericht stützt, soll auch für die VW-Töchter Audi und Porsche gelten. Und auch Daimler soll eine solche „Selbstanzeige“ eingereicht haben.

Der Vorwurf wiegt schwer: Mehr als 200 Mitarbeiter der Unternehmen sollen sich seit den 1990er-Jahren in geheimen Arbeitskreisen abgestimmt und auf diese Weise den Wettbewerb außer Kraft gesetzt haben. Es soll um alle Details der Autoentwicklung gegangen sein.

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Selbst über die Abgasreinigung ihrer Dieselfahrzeuge haben sich die Konzerne offenbar abgestimmt. In den Geheimtreffen soll es etwa um die Größe der sogenannten „AdBlue“-Tanks gegangen sein, die für die Abgasreinigung eingesetzt werden. Große Tanks sind teuer, daher habe man sich auf kleinere verständigt, so der Vorwurf.

Die Affäre um manipulierte Diesel-Motoren bei VW hat den Hersteller bereits etwa 20 Milliarden Euro gekostet, durch ein Kartell mit den bislang vermuteten Ausmaßen könnten weitere Milliarden hinzukommen. Und das zu einem Moment, da die großen Konzerne versuchen, die Konflikte um manipulierte Dieselmotoren – sei es illegal oder am Rande des gesetzlich Erlaubten – zu beheben.

„Die Verunsicherung ist groß. Das spüren wir auch an den Diesel-Bestellungen, die merklich zurückgegangen sind“, sagt Müller. Volkswagen überarbeitet die Software in Millionen Diesel-Fahrzeugen, Daimler hat das für drei Millionen Autos angekündigt und Audi teilte am Freitag mit, 850.000 Autos in die Werkstätten zu beordern.


„Dieselbesitzer stehen vor einem Totalschaden“


Am 2. August soll auf einem politisch hochkarätig besetzten Treffen mit den Chefs der Autohersteller die Zukunft des Diesel diskutiert werden, die hoch umstritten ist, wie die aktuelle Titelgeschichte des Handelsblatts zeigt. Fahrverbote drohen, die Effizienz der Abgasbehandlung ist in Frage gestellt und in anderen Ländern wie Frankreich wird etwa bereits die steuerliche Förderung des Kraftstoffs begrenzt.

Der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Klaus Müller, hält es nach einem „Bild“-Bericht für geboten, dass zum „Diesel-Gipfel“ am 2. August auch Verbrauchervertreter geladen werden. „Die Dieselbesitzer stehen vor einem Totalschaden“, sagte er dem Blatt. „Sie könnten für ein womöglich unzulängliches Auto einen durch Kartellabsprachen in die Höhe getriebenen Preis gezahlt haben.“ An den Beratungen, bei denen Lösungen zur Senkung des Diesel-Schadstoffausstoßes gefunden werden sollen, nehmen bisher nur Vertreter aus Konzernen und Politik teil.

Die neuen Kartellvorwürfe werden diese Verhandlungen mit der Bundesregierung nicht vereinfachen. Die Wettbewerbshüter waren in einem Verfahren gegen Stahlhersteller zufällig auf Informationen gestoßen, die Hinweise auf das Autokartell geliefert hatten. Volkswagen und Daimler stellten weiter umfangreiche Unterlagen zur Verfügung.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sagte auf Anfrage: „Kartellrechtliche Absprachen wären eine zusätzliche Belastung für die Thematik, die wir gerade mit der Automobilindustrie haben. Die Kartellbehörden müssen ermitteln, die Vorwürfe detailliert untersuchen und gegebenenfalls notwendige Konsequenzen ziehen.“ Auch Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries forderte Aufklärung, „ohne Ansehen von Personen oder Unternehmen“. Es gehe um nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der deutschen Automobilindustrie. „Alle sind gut beraten, jetzt umfassend mit den staatlichen Stellen zu kooperieren und für Transparenz zu sorgen. Die Zeit der Salamitaktik muss endgültig vorbei sein. Ohne umfassende Aufklärung kann Vertrauen nicht wiederhergestellt werden.“

Die Grünen fordern ein hartes juristisches Vorgehen gegen die Autobauer. „Kartellabsprachen sind keine Bagatelldelikte und müssen juristisch hart verfolgt werden“, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Dieter Janecek, dem Handelsblatt. Überhöhte Preise für die Käufer, gesundheitsschädliche Luft in den Städten sowie das Ausbremsen alternativer Antriebsformen wie die Elektromobilität – all das schade den Verbrauchern massiv.

Janecek kritisierte die Nähe zwischen Autoindustrie und Bundesregierung. „Die Autolobby hat seit Jahrzehnten die Politik in ihrem Würgegriff“, sagte er. „Wir Grüne werden dafür kämpfen, dass dieses verkrustete Kartell zwischen Bundesregierung und kriminellen Machenschaften in der Automobilindustrie endlich ein Ende hat.“

Der Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer sprach mit Blick auf mögliche Kartellabsprache von „Schwerverbrechen“. Er halte den „Spiegel“-Bericht, nach dem sich Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler seit den 90er-Jahren in geheimen Arbeitskreisen abgesprochen haben sollen, für „authentisch“, sagte Cramer im Deutschlandfunk. Er sei von Anfang an von Absprachen ausgegangen, da kein anderer Autobauer mit dem Finger auf VW gezeigt habe, als deren Abgasmanipulationen bekannt wurden.

Cramers Einschätzung nach wollen Automobilkonzerne nun mit Selbstanzeigen Strafen verhindern. Durch Absprachen sei ein Gewinn über 30 Milliarden Euro entstanden – dass die Autobauer nun nichts davon abgeben wollten, sei „traurige Realität“. Den Automobilkonzernen könne es nun so gehen wie den Energieversorgern, die 20 Jahre lang die erneuerbaren Energien ignoriert hätten. Die Automobilindustrie habe die innovative Technik zum eigenen Schaden ignoriert und damit Arbeitsplätze zerstört.


AdBlue-Tanks im Fokus der EU-Kommission


Drastische Konsequenzen brachte der ehemalige Chefvolkswirt von BMW, Helmut Becker, ins Spiel. Wenn die Anschuldigungen gegen die fünf Autobauer stimmen, müssten mindestens 50 Vorstände ausgetauscht werden, sagte Becker im Deutschlandfunk. Sie seien schuld und nicht die 800.000 Beschäftigten der Autoindustrie – „brave Bürger“, die entlassen würden, wenn sie nur einen Radiergummi mitnähmen. Seiner Ansicht nach müsse der Kartellverstoß auch materielle Konsequenzen haben – mit Strafen in Milliardenhöhe. Es handle sich nicht um einen Kavaliersdelikt.

Inzwischen sind die Harnstoff-Tanks im Fokus der Wettbewerbshüter der EU-Kommission. Aus einer Audi-Präsentation zur „Clean Diesel Strategie“ geht hervor, dass es ein „Commitment der deutschen Automobilhersteller auf Vorstandsebene“ gibt, künftig kleine AdBlue-Tanks zu verwenden. Ein Mitarbeiter der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission hakte nach Handelsblatt-Informationen wegen dieser und anderer Formulierungen in dem Dokument bei einem hochrangigen Audi-Manager nach.

Der Kunde soll nach dem Willen der Autohersteller nicht in Kontakt mit AdBlue, einer klebrigen Flüssigkeit, kommen. Vielmehr sollen die Tanks bei den üblichen Service-Intervallen aufgefüllt werden. Das Problem: Dafür sind die Tanks viel zu klein. Doch zumindest bei Audi vergrößerte man nicht die Tanks, sondern verringerte die Einspritzmenge.

Die Diesel-Technik steht mittlerweile zur Disposition – weil die Verkaufszahlen nicht mehr stimmen und Kunden nach Alternativen Ausschau halten. „Warum soll ich krampfhaft an einem Diesel festhalten?“, fragte Porsche-Finanzchef Lutz Meschke in einem Gespräch mit der „Automobilwoche“. Die Diskussion über die Zukunft der Technik werde intensiv geführt. Die Nachfrage nach elektrisch angetriebenen Autos steige. „Die Elektromobilität ist nicht aufzuhalten, weil es auch die Kommunen so wollen.“

Auch bei Seat – wie Porsche eine Marke aus dem VW-Konzern – wird ähnlich gedacht: „Wir haben eine Dieseltradition, aber wir müssen die Marktdynamik sehr genau beobachten“, sagte Seat-Chef Luca de Meo: „Wenn der Bürgermeister von Barcelona beschließt, das Stadtzentrum für Euro-6-Diesel zu schließen, werden die Leute kaum noch Dieselfahrzeuge kaufen.“