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Vorteile für die SPD, Nachteile für Deutschland?

Das Krisenmanagement von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigt Wirkung. Nachdem das Staatsoberhaupt mit den gescheiterten Jamaika-Parteien Auswege aus dem derzeitigen Berliner Polit-Chaos ausgelotet hat, rückte die SPD von ihrem kategorischen Nein zu einer erneuten Großen Koalition ab. Entschieden ist allerdings noch nichts. Die SPD-Basis, so der Plan von Parteichef Martin Schulz, soll das letzte Wort bei einer etwaigen Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten haben.

SPD-Vize Ralf Stegner sieht seine Partei nun in einer entscheidenden Position. „Ohne die SPD geht politisch in Deutschland nichts“, twitterte er. So sehen das auch führende Ökonomen in Deutschland. Für sie spricht nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche vieles dafür, dass es zu einer Großen Koalition kommen wird – entweder als ein formelles Bündnis oder als eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung. Was die Wirtschaftsforscher mit Sorge sehen: dass die Politik einer solchen Bundesregierung stark von der SPD geprägt sein könnte.

„Wenn es zu einer Großen Koalition oder einer Tolerierung kommt, würde ich erwarten, dass das Programm der SPD stärker zum Zuge kommt“, sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, dem Handelsblatt. Er rechne damit, dass dann Staatsausgaben stärker ausgedehnt würden und weniger Steuerentlastungen zu erwarten seien, als es bei Jamaika der Fall gewesen wäre.

„Höhere Ausgaben könnten beispielsweise bei der Infrastruktur, aber auch bei den Zuschüssen zur Rentenversicherung kommen, wenn die SPD sich mit ihrer Forderung nach höheren Renten durchsetzt“, schätzt der Ifo-Chef. In der Europapolitik glaubt Fuest, dass die Bereitschaft „vermutlich gestärkt“ werde, Forderungen nach mehr Transfers in der Euro-Zone nachzukommen. „Allerdings ist auch in der SPD ein Bewusstsein dafür vorhanden, dass Haftung und Kontrolle in der Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht auseinanderfallen dürfen“, fügte der Ökonom hinzu.

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Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, fürchtet, dass es mit einer neuen Koalition aus Union und SPD keine „nachhaltige Strategie der Wachstumsvorsorge“ geben werde. „Die Union ist wirtschaftspolitisch blank und sozialpolitisch offen, das gilt ebenso für die SPD“, sagte Hüther dem Handelsblatt. „Es wird also wiederum eintreten, was in den Koalitionsverhandlungen 2013 zu beobachten war: Die Sozialpolitik dominiert die Wirtschaftspolitik.“ Nur beginne jetzt die letzte Legislaturperiode, „die noch einigermaßen demografisch entspannt ist“. Es sei aber nicht zu erwarten, dass das ernsthaft diskutiert werde. „Beim Ausbau der digitalen Infrastruktur mag man etwas hoffen, auf Steuersenkungen nur in geringem Umfang“, so Hüther.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, glaubt, dass eine Große Koalition nicht unbedingt eine erfolgreichere Regierung sein werde als ein Jamaika-Bündnis. Deutschland brauche aber „eine handlungsfähige und handlungswillige Bundesregierung, die wichtige Reformen vor allem in der Wirtschaftspolitik und in der Europapolitik umsetzt“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt. Dazu müsste eine Große Koalition zu einem „Richtungswechsel“ bereit sein. „Ich erwarte von einer Großen Koalition eine konstruktive und verantwortungsvolle Rolle Deutschlands in Europa und eine grundlegende Investitionsoffensive in Deutschland“, sagte der DIW-Chef.

Die Einschätzungen der Ökonomen decken sich weitgehend mit einer Analyse der Commerzbank. Auch die Banken-Volkswirte gehen davon aus, dass neuerliche Jamaika-Gespräche angesichts der offensichtlichen großen Gegensätze zwischen den beteiligten Parteien unwahrscheinlich sind. Daher blieben als Optionen vor oder nach Neuwahlen eben nur eine CDU/CSU-Minderheitsregierung und eine Große Koalition.


Kaum Steuersenkungen, höhere Sozialleistungen

Eine Minderheitsregierung wäre aus Sicht der Commerzbanker schon deshalb auf die Unterstützung der SPD angewiesen, weil sich in den Jamaika-Gesprächen gezeigt habe, dass die Vorstellungen von FDP und Grünen sowie die von CDU/CSU in vielen Bereichen stark auseinandergehen. Und da AfD und Linkspartei auf Bundesebene ohnehin außen vor sind, bliebe als Kooperationspartner nur die SPD. Mit der Folge, dass beide Konstellationen, eine formelle oder informelle Zusammenarbeit mit der Union, stark von der SPD-Programmatik bestimmt werden dürfte.

„So würde die SPD-Führung wie bei der Bildung der letzten Großen Koalition im Jahr 2013 darauf verweisen, dass sie ihre Basis von der ungeliebten Kooperation mit Angela Merkel nur überzeugen könnte, wenn ein möglichst großer Teil des SPD-Programms umgesetzt würde“, heißt es in der Bankenanalyse. Begünstigt wird dies dadurch, dass viele der SPD-Forderungen in weiten Teilen von CDU/CSU „keineswegs auf heftigen Widerstand treffen“ dürften.

Beispiel: Steuerpolitik.

Mit einer SPD-Beteiligung an der Regierung sinken aus Sicht der Commerzbank-Analysten die Chancen auf eine substanzielle Steuerentlastung. Entlastende und belastende Maßnahmen dürften sich in etwa die Waage halten, schätzen die Experten. So wolle die SPD ab 2020 den Solidaritätszuschlag nur für niedrige und mittlere Einkommen abschaffen, aber nicht für höhere. Hier drohe im Gegenteil ein höherer Spitzensatz der Einkommensteuer (45 statt derzeit 42 Prozent); allerdings solle dieser erst später einsetzen. Ein spezieller Zuschlag auf die Einkommensteuer würde wie bisher auf sehr hohe Einkommen erhoben (ab 250.000 Euro pro Jahr). Zudem wolle die SPD den Vorteil aus dem Ehegattensplitting begrenzen.

Einschränkend weisen die Banken-Analysten indes darauf hin, dass die SPD ihren steuerpolitischen Ansatz wohl nicht vollständig der CDU vorgeben können. Dagegen stehe das Versprechen der CDU/CSU, die Steuern netto um 15 Milliarden Euro jährlich zu senken. „Auf mehr als die Hälfte dieser Marke können wir ab sofort aber wohl nicht mehr setzen“, sind die Experten überzeugt. Bei besonders hohen Erbschaften wolle die SPD die Erbschaftsteuer erhöhen. Unternehmen müssten sich überdies darauf einstellen, dass die Abziehbarkeit von Manager-Vergütungen bei 500.000 Euro jährlich gedeckelt werden soll.

Beispiel: Sozialleistungen.
Das Wahlprogramm der SPD enthält viele zusätzliche Leistungen der Sozialversicherungen. Im Zentrum stehen höhere Renten. Die Pläne der Sozialdemokraten sehen vor, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung mittelfristig „nur“ auf 22 Prozent (derzeit: 18,7 Prozent) steigen soll. Die mit einer Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent eines Durchschnittslohns verbundenen Mehrausgaben will die SPD durch eine Einbeziehung von Selbstständigen, einen schnelleren Anstieg des Beitragssatzes und ab 2028 mit einem Steuerzuschuss von 14,5 Milliarden Euro aufbringen. Ohne Korrekturen würde nach derzeitigen Berechnungen der Bundesregierung das Rentenniveau bis 2030 auf 44,7 Prozent sinken.

Zudem will die SPD eine vom vorherigen Einkommen unabhängige Mindestrente einführen. Kein Thema wäre eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von derzeit 67 Jahren, aber wohl die von der CSU geforderte Ausweitung der „Mütterrente“, also eine höhere Bewertung von Erziehungszeiten bei der Berechnung der Rente von Frauen.

Mit der Union könnten in der Rentenfrage durchaus Kompromisse möglich sein: „Das kann eine Große Koalition besser als jedwede andere Koalition“, sagte CDU-Bundesvorstandsmitglied Mike Mohring mit Blick auf eine gemeinsame Rentenreform. Zwar war die Union unzufrieden mit der von der SPD durchgesetzten Rente mit 63. Aber etwa bei der Verbesserung der Erwerbsminderungsrente oder langfristigen Überlegungen gibt es keine grundsätzlichen Differenzen. Auch die Union will das künftige Rentenniveau stabilisieren. Gestritten wurde und würde vor allem über die Wege dorthin. Nach den Wahlerfolgen der AfD haben sowohl Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch CSU-Chef Horst Seehofer erklärt, dass auch die soziale Sicherheit der Menschen verbessert werden müsste.


Neuer Regulierungsschub für den Arbeitsmarkt

Allerdings dürfte die SPD ihre Absage an eine Große Koalition an anderer Stelle wohl nur dann überwinden können, wenn sie für die Union schmerzhafte Forderungen durchsetzen kann. Etwa beim Thema Bürgerversicherung. Um der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung mehr Einnahmen zu ermöglichen, könnte die SPD also einfordern, den Kreis der Versicherten auf Beamte und Selbständige auszudehnen („Bürgerversicherung“).

Dies lehnen CDU/CSU zwar ab. Mehr Chancen hätten aber wohl zusätzliche Ausgabewünsche, etwa verbesserte Leistungen für Versicherte, die häusliche Pflegetätigkeiten übernehmen. Auch die von der SPD gewünschte Abschaffung des Zusatzbeitrags in der Krankenversicherung, der nur von den Arbeitnehmern bezahlt wird (wodurch Arbeitgeber entlastet wurden), wäre ein Thema.

Auch für den Bundeshaushalt im engeren Sinne sehe das Programm der SPD höhere Ausgaben vor. Sie will etwa Leistungen für Familien erhöhen, Kindergartengebühren abschaffen, das Personal von Polizei und Justiz verstärken und über Subventionen aktivere Industriepolitik betreiben.

Beispiel: Arbeitsmarkt.

Die SPD gibt sich selbstbewusst und ist überzeugt, in einer Großen Koalition viel von den eigenen Vorstellungen durchsetzen zu können. „Frau Merkel ist bei Lage der Dinge doch nicht in einer Position, in der sie Bedingungen stellen kann“, sagte die rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer dem „Trierischen Volksfreund“. Dreyer und der SPD-Bundesvize Stegner betonten daher auch, dass die Kehrtwende ihrer Partei nicht zwangsläufig zu einer Großen Koalition führen werde. Die SPD werde sich von der CDU nicht erpressen lassen, sagte Dreyer. Merkel kenne das Wahlprogramm der SPD.

Für den Arbeitsmarkt verlangte Stegner andere Formen der Arbeitszeit, gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei Männern und Frauen und mehr Tarifbindung. Außerdem müssten die grundlos befristeten Arbeitsverhältnisse abgeschafft werden. Die Commerzbank-Analysten glauben, dass die Vorstellungen der SPD für den Arbeitsmarkt auf einen „neuen Regulierungsschub“ hinauslaufen würden.

Beispiel: Energiepolitik.
In der Energie- und Klimapolitik stehen sich SPD und Union näher als mit den Grünen oder der FDP. Die Commerzbank-Analysten erwarten daher, dass eine Große Koalition „wohl mehr Rücksicht auf Wirtschaft in der Energiepolitik“ nehmen werde.

Bei der E-Mobilität etwa setzt auch die SPD auf „Technologieneutralität und Innovationsoffenheit“, weshalb sie im Wahlkampf auch die Forderung der Grünen nach einer „Deadline“ für den Verbrennungsmotor abgelehnt hat. Zudem sehen die Sozialdemokraten die Umweltfreundlichkeit, die Bezahlbarkeit und die Versorgungssicherheit als „gleichrangige Ziele der Energiewende“. Ein Ziel dürfte dabei aus Sicht der Banken-Analysten insbesondere sein, den starken Anstieg der Energiepreise zu bremsen.

„Eine Regierung unter starkem Einfluss der SPD würde also wohl kaum in größerem Umfang Kohlkraftwerke rasch abschalten, auch aus Rücksicht auf die Braunkohleindustrie in Ostdeutschland“, resümieren die Experten. „Eine solche Regierung würde wohl den Industriestandort Deutschland bei ihren Entscheidungen stärker berücksichtigen und unrealistische Vorgaben einsammeln.“


Sorge vor weiterer politischer Radikalisierung

Beispiel: Europapolitik:
Eine Neuauflage der Großen Koalition wäre aus Sicht vieler europäischer Partner und gerade Frankreichs sicherlich die bevorzugte Variante. Sowohl Schulz als auch Außenminister Sigmar Gabriel haben eigene enge Beziehungen zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Der große Vorteil eines Bündnisses von SPD, CDU und CSU wären demnach Stabilität und Kontinuität. Auch wenn es Differenzen zu manchen Vorstellungen von Macron gibt: Bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, den großen Linien der Außenpolitik und auch der Europapolitik gibt es die größten Überschneidungen. Die FDP etwa gilt als wesentlich integrationsskeptischer als selbst die CSU.

Die Commerzbank-Analysten glauben daher, dass bei einer Vertiefung der Währungsunion von der SPD „kein Widerstand zu erwarten“ sei. Denn auch sie habe in ihrem Wahlprogramm ein „breit angelegtes Investitionsprogramm“, ein „gemeinsames Finanzbudget“ und die „Einrichtung einer Wirtschaftsregierung für den Euroraum“ gefordert, was auch die Hauptforderungen Macrons seien.

Auch die vom französischen Präsidenten in Zusammenarbeit mit dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker gestartete Initiative zum Aufbau einer Sozialunion entspreche dem SPD-Programm. Auch dieses enthalte eine Angleichung der Sozialstandards – „und das sicherlich eher auf dem höheren westeuropäischen Niveau“, sind die Banken-Analysten überzeugt. Zwar rechnen die Experten damit, dass es vor allem aus der CSU– auch wegen der Angst vor einer noch stärkeren AfD – Widerstand gegen mehr Umverteilung im Euro-Raum geben dürfte. „Am Ende dürfte eine Große Koalition aber einen deutlich größeren Schritt auf Macron zugehen, als dies Jamaika getan hätte.“

Dass die AfD im Fall einer Großen Koalition noch mehr Zulauf bekommen könnte, schwingt jedoch bei all den Debatten, die derzeit rund um die vertrackte politische Gemengelage geführt werden, mit. Und beunruhigt auch Ökonomen. „Politisch würde eine Große Koalition den Nachteil haben, dass die radikalen Parteien am rechten und linken Rand des politischen Spektrums gestärkt würden“, gibt Ifo-Chef Fuest zu bedenken. „Die AfD wäre die größte Oppositionspartei.“

KONTEXT

Charme und Leid einer neuen großen Koalition

Hintergrund

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Chefs von CDU, CSU und SPD für die kommende Woche zu einem gemeinsamen Gespräch über die Regierungsbildung eingeladen. Dies beflügelt die Spekulationen, dass es nach den gescheiterten "Jamaika"-Sondierungen zu einer Wiederauflage der großen Koalition oder der Duldung einer Unions-Regierung durch die SPD kommen könnte.

Schnittmengen wären vorhanden

Der große Vorteil einer Neuauflage der großen Koalition wären Stabilität und Kontinuität. Davon profitieren viele europäische Partner - allen voran Frankreich. Auch wenn es Differenzen etwa in der Aufstellung zu den Vorstellungen von Präsident Emmanuel Macron gibt: Bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, den großen Linien der Außenpolitik und auch der Europapolitik gibt es die größten Überschneidungen. Sowohl Schulz als auch Außenminister Sigmar Gabriel haben eigene enge Beziehungen zu Macron.

Außen- und Sicherheitspolitik

An dem gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Kurs dürften auch die Positionierungen führender SPD-Politiker Richtung Washington und Moskau im Wahlkampf nichts ändern. Nicht einmal Mehrausgaben für die Bundeswehr dürften ein Problem sein. Denn SPD-Chef Schulz lehnt zwar das Zwei-Prozent-Ziel der Nato ab - sprach aber im Wahlkampf stets davon, dass man einerseits nicht "aufrüsten" wolle, die Bundeswehr aber andererseits sehr wohl besser "ausrüsten" müsse. Die Union ihrerseits bestand auch bei den Jamaika-Sondierungen nicht auf dem Zwei-Prozent-Ziel.

Innenpolitik

Union und SPD hatten eine Reihe von innenpolitischen Gesetzesverschärfungen im Zusammenhang mit dem Antiterrorkampf durchgesetzt - die FDP und Grüne ihrerseits ablehnen. Auch in der Industriepolitik stehen sich Union und SPD nicht ablehnend gegenüber, sondern befürworten durchaus die Rolle eines sich aktiv einmischenden Staates. Beide Parteien streben die Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben an. In der Energie- und Klimapolitik steht man sich näher als mit den Grünen oder der FDP. Steuerliche Entlastungen wären angesichts der politischen Kräfteverhältnisse einfacher durch den Bundesrat zu bringen.

Rente

"Das kann eine große Koalition besser als jedwede andere Koalition", sagte CDU-Bundesvorstandsmitglied Mike Mohring mit Blick auf eine gemeinsame Rentenreform. Zwar war die Union unzufrieden mit der von der SPD durchgesetzten Rente mit 63. Aber etwa bei der Verbesserung der Erwerbsminderungsrente oder langfristigen Überlegungen gibt es keine grundsätzlichen Differenzen. Auch die Union will das künftige Rentenniveau stabilisieren. Gestritten wurde und würde vor allem über die Wege dorthin.

Teure Kompromisse?

Spekuliert wird, dass die SPD ihre Absage an eine große Koalition nur dann überwinden könnte, wenn sie für die Union schmerzhafte Forderungen durchsetzen kann. Dazu könnten etwa eine Bürgerversicherung, eine Steuererhöhung für große Erbschaften, eine verschärfte Mietpreisbremse oder der von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz geforderte Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde gehören.

Merkel bleibt

Als unwahrscheinlich gilt, dass sich die Union auf einen Verzicht auf Merkel einlassen würde. Aber selbst in der Union erwartet man, dass man den Sozialdemokraten eine Korrektur ihrer Anti-Groko-Festlegung "abkaufen" müsste. Das macht eine Neuauflage der großen Koalition nicht unbedingt wahrscheinlicher.

Minderheitsregierung

Die Frage ist, was der Preis für die Duldung einer unionsgeführten Minderheitsregierung wäre. Denkbar wäre eine grundsätzliche Unterstützung der Sozialdemokraten in den Bereichen Außen-, Europa- oder der Rentenpolitik. In Unionskreisen wird eingewandt, dass schon die Personalinteressen der Sozialdemokraten nicht unbedingt für diese Variante sprechen. Denn in diesem Fall würden CDU und CSU alle Ministerposten übernehmen. Die Sozialdemokraten müssten in diesem Falle eine Regierung Merkel mittragen, ohne im Rampenlicht stehen zu können. Dabei wird vor allem Außenminister Sigmar Gabriel nachgesagt, dass er gerne im Amt bleiben würde.

KONTEXT

Schwierige Regierungsbildung: Die weiteren Termine

26. November

Das CDU-Präsidium trifft sich zu Beratungen in Berlin.

27. November

Am Mittag trifft Steinmeier die Grünen-Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, danach den Unions- Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder sowie am frühen Abend die Linken-Fraktionsspitzen Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch.

28. November

Das Staatsoberhaupt empfängt am Morgen die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles. Danach reist Steinmeier zu einem Kurzbesuch nach London. Merkel fliegt für einen zweitägigen Besuch zum fünften EU-AU-Gipfel nach Abidjan (Elfenbeinküste).

30. November

Um 20.00 Uhr empfängt Steinmeier im Schloss Bellevue Merkel, Seehofer und Schulz zu einem gemeinsamen Gespräch. Davor will der Bundespräsident die AfD-Fraktionsspitzen Alexander Gauland und Alice Weidel treffen.

4. Dezember

Bis zu diesem Tag soll der CSU-Machtkampf entschieden werden. Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat angekündigt, in den kommenden beiden Wochen eine Vielzahl von Gesprächen über eine personelle "Zukunftslösung" für die CSU zu führen.

7.-9. Dezember

Der vielleicht wichtigste Termin in den kommenden Wochen ist der SPD-Bundesparteitag in Berlin. Eigentlich wollten die Genossen dort das Debakel bei der Bundestagswahl aufarbeiten und den Startschuss für eine Erneuerung geben. Nun dürften die Debatte im Mittelpunkt stehen, ob die SPD sich an einer Regierung beteiligt.

12./13. Dezember

Der Bundestag kommt an beiden Tagen zu einer Plenarsitzung zusammen.

15./16. Dezember

Die CSU trifft sich zum Parteitag in Nürnberg. Dort wird turnusgemäß auch der Vorstand gewählt.