Werbung
Deutsche Märkte öffnen in 8 Minuten
  • Nikkei 225

    37.068,35
    -1.011,35 (-2,66%)
     
  • Dow Jones 30

    37.775,38
    +22,07 (+0,06%)
     
  • Bitcoin EUR

    60.217,05
    +2.909,96 (+5,08%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.287,49
    -25,13 (-1,92%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.601,50
    -81,87 (-0,52%)
     
  • S&P 500

    5.011,12
    -11,09 (-0,22%)
     

„Vollbeschäftigung gibt es nicht zum Nulltarif“

Die Grundsicherung ist umstritten wie lange nicht, die Debatte über Reformen reißt nicht ab. Doch was würde den Jobcentern vor Ort konkret helfen? Antworten aus dem Alltag eines Jobcenter-Chefs.

Herr Schulze-Böing, die neue Bundesregierung debattiert lautstark über Hartz IV. Sie sind Chef des Jobcenters Offenbach, vertreten außerdem bundesweit die Interessen der Arbeitsvermittler. Wie wirkt diese Berliner Auseinandersetzung auf Sie als Mann der Praxis?
Die Jobcenter würden sich freuen, wenn in Berlin die Realität vor Ort zur Kenntnis genommen würde, statt mit abstrakten Worthülsen zu hantieren.

Das heißt konkret?
Die über 400 Jobcenter, die sich um Langzeitarbeitslose und Erwerbstätige ohne ausreichendes Einkommen kümmern, sind gravierend unterfinanziert. Uns fehlt Geld für gute Förderung und es mangelt an Personal für intensive Beratung. Eine Bundesregierung kann nicht Vollbeschäftigung versprechen, wenn sie ihren großen Worten keine Taten folgen lässt.

Nun ist die Klage über zu wenig Mittel so alt wie erwartbar...
...nur das wir eben seit Jahren trotz steigender Personal- und Verwaltungskosten keine Etaterhöhungen bekommen haben. Wir haben es mit einer sehr betreuungsintensiven Klientel zu tun. Sie benötigen also viel Zeit für Gespräche, müssen Instrumente wie Lohnkostenzuschüsse oder Weiterbildungen finanzieren können, intensiven Kontakt zu Arbeitgebern halten, die Kunden begleiten, qualifizieren, coachen. All das gibt es nicht zum Nulltarif.

Können Sie dem Plan eines sozialen Arbeitsmarktes etwas abgewinnen, den die große Koalition einrichten will?
Wenn es sich dabei um staatlich orchestrierte, marktferne Beschäftigung handeln soll, dann definitiv nicht. Das Ziel sollte der erste Arbeitsmarkt sein. Eine Neuauflage der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, ABM 2.0 sozusagen, wäre ein Fehler. Ein sozialer Arbeitsmarkt kann als Ergänzung für Menschen ohne Jobperspektive sinnvoll sein. Er muss aber intelligent gestaltet werden und muss klar nachrangig eingesetzt werden. Reguläre Arbeit muss das Hauptziel der Förderung sein.

WERBUNG

Ein hehrer Anspruch. Aber wie setzt man den um?
Mit den richtigen und ausreichenden Ressourcen – siehe oben. Vor allem aber müssen unsere Mitarbeiter eine Can-Do-Haltung an den Tag legen. Was meine ich damit? Wir schauen gerade bei Langzeitarbeitslosen zu häufig auf die Defizite – fehlende Abschlüsse, schlechte Gesundheit, familiäre Probleme. Das ist ein Fehler. Wir sollten viel mehr deren Stärken nutzen. Jeder Mensch hat Neigungen, Interessen, Hobbys – Fähigkeiten, die wir für erfolgreiche Jobvermittlung oft gut einsetzen können.

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen stagniert trotz des Booms allerdings seit mehreren Jahren. Wäre es da sinnvoll, Personal von den Arbeitsagenturen zu den Jobcentern zu verlagern?
Das wäre in jedem Fall der klügere Weg als die Kunden von einer Institution zur anderen zu schieben. Leider sind das bis heute rechtlich und organisatorisch zwei Welten. Bei uns kommen auf einen Vermittler in der Regel 150 bis 200 Kunden. In Großbritannien sind es nur rund 50. Mit solchen Quoten können sie ganz andere Arbeit leisten. Dahin müssten wir auch kommen.