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Voith-Chef: „Wir haben zu viele kleine Werke in Deutschland“

Der neue Voith-Chef spricht über die Rückkehr zum Wachstumskurs, geplante Zukäufe und die großen Chancen der Digitalisierung.

Der Maschinen- und Anlagenbauer Voith plant weitere Zukäufe. „Wir hoffen, in den nächsten Monaten noch die eine oder andere Akquisition vermelden zu können“, sagte Voith-Chef Toralf Haag im Interview mit dem Handelsblatt „Wir werden vor allem den Papier- und den Turbobereich stärken.“ Von der Einkaufstour sollen aber auch die anderen Sparten profitieren. Zuletzt hatte Voith mit der Übernahme des Spezialisten BTG für 319 Millionen Euro das Papiergeschäft ergänzt.

Haag verfolgt ehrgeizige Ziele: „Die Umsatzrendite von gut vier Prozent müssen wir klar steigern“. Mittelfristig strebt er eine Steigerung der Kapitalrendite von 10 auf 15 Prozent an. Im Dezember präsentiert das Unternehmen seine Zahlen. vom vergangenen Geschäftsjahr (bis 30.9.). „Wir sind im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr gewachsen“, ließ sich Haag nur entlocken. In der Branche wird mit einem deutlichen Plus des Umsatzes von zuletzt 4,2 Milliarden Euro in 2017/18 gerechnet.

Haag will zur Verbesserung der Rentabilität die geplanten Werkschließungen im Bereich Turbomaschinen voll durchziehen. „An der Schließung der drei Standorte in Sonthofen, Zschopau und Mülheim führt leider kein Weg vorbei.“ Voith Turbo habe zu viele kleine Werke in Deutschland. Das koste jedes Jahr sehr viel Geld, das bei Zukunftsinvestitionen in die Elektromobilität und die Digitalisierung des Turbo-Portfolios fehle.

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Der Umsatz mit digitalen Produkten soll bis in fünf Jahren einen dreistelligen Millionenbetrag erreichen. Voith hatte erst vor wenigen Wochen den Digitalchef ausgetauscht. Neben dem weiteren Ausbau des Kerngeschäfts und der Digitalisierung will Haag das 152 Jahre alte Familienunternehmen als „Gestalter der Dekarbonisierung“ in seinen Industrien positionieren. Das Unternehmen habe dafür eine hervorragende Basis.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Haag, Voith gehört mit seiner 152-jährigen Geschichte zu den klangvollsten Namen im industriell geprägten deutschen Mittelstand. Zuletzt war indes ein bisschen von Krise die Rede, weil Voith deutlich an Umsatz verloren hatte. Muss sich die Firma neu erfinden?
Nein, Voith ist mit seinen Technologien sehr gut in seinen Märkten positioniert. Das ist eine gute Basis. Jetzt geht es darum, unser Portfolio weiterzuentwickeln. Die beiden D, also Dekarbonisierung und Digitalisierung, bieten hier große Chancen: Wir haben seit einigen Jahren jährlich 50 Millionen Euro in digitale Produkte investiert und die Elektrifizierung vorangetrieben. Das zeigt nun erste Wirkung, bei Umsatz und Gewinn.

Mit Verlaub: Das klingt nach Managerlyrik. Ihr Unternehmen hat in den vergangenen zehn Jahren ein Viertel des Umsatzes auf aktuell 4,2 Milliarden Euro eingebüßt und die Zahl der Mitarbeiter auf 19.000 halbiert. Wie soll die Wende gelingen?
Wir haben im Herbst 2016 unsere Industriedienstleistungssparte Voith Industrial Services an Triton verkauft. Der Löwenanteil der Differenz beim Umsatz entfällt darauf. Wir sind im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr gewachsen. Das ist auch für unsere Mitarbeiter wichtig. Die spüren, dass es vorangeht. Aber wir müssen bei der Rentabilität zulegen.

Wie soll das bei der sich abschwächenden Konjunktur gelingen?
Unsere oberste Priorität liegt auf dem Kerngeschäft. Es geht um internes und externes Wachstum. Wir haben gerade erst die Übernahme von BTG, einem Anbieter von hochspezialisierten Prozesslösungen für die globale Zellstoff- und Papierindustrie, für 319 Millionen Euro angekündigt. Der Zukauf ergänzt unser Papiergeschäft perfekt. Und wir hoffen, in den nächsten Monaten noch die eine oder andere Akquisition vermelden zu können.

Haben Sie die Kraft dafür?
Voith ist bilanziell kerngesund. Wir haben unter anderem durch den Verkauf unserer Anteile am Roboterhersteller Kuka eine komfortable Liquiditätsposition. Und wir haben den Verschuldungsgrad in den letzten Jahren zurückgefahren. Die Liquidität werden wir für Investitionen und Zukäufe nutzen.

Wo werden Sie einkaufen?
Wir werden vor allem den Papier- und den Turbobereich stärken. Beim Papier geht es tendenziell in Richtung Ersatzteilgeschäft. Bei Turbo werden die Zukäufe vor allem unsere Fähigkeiten im Bereich E-Mobilität stärken. Hier vollzieht sich bei unseren Kunden ein gewaltiger technologischer Umbruch, den wir durch zusätzliche Investitionen mitgestalten wollen. Bei der Wasserkraft planen wir kleinere Zukäufe im Servicebereich.

Wann ist mit den Übernahmen zu rechnen?
Im laufenden Geschäftsjahr – wobei das bei uns am 1. Oktober gerade erst begonnen hat.

Ihnen wird Interesse an der VW-Tochter Renk nachgesagt. Stimmt das?
Wir äußern uns in der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht dazu, ob wir an einem Unternehmen interessiert sind oder nicht. Klar ist aber auch: Wir greifen nur dann zu, wenn das jeweilige Unternehmen in jeder Hinsicht wirklich sehr gut zu uns passt.

Renk hat auch einen militärischen Teil. Das kollidiert doch mit Ihrem nachhaltigen Image?
Ich kann Sie nicht daran hindern, Ihre eigenen Schlüsse zu ziehen …

Die Beteiligung an Kuka hat Ihnen ja mit einer Milliarde Euro die Kassen gefüllt. Aber Sie mussten den großen Einstieg in die Robotik aufgeben. War das eine verpasste Chance?
Tatsächlich sind wir aus strategischen Erwägungen in die Robotik eingestiegen. Aber am Ende stand ein hohes Übernahmeangebot für Kuka im Raum. Damit war für uns ein weiteres Engagement als Minderheitsaktionär nicht sinnvoll. Deshalb war es auch richtig, die Kuka-Anteile wieder abzugeben. Wir haben unseren Anteil gut verkauft. Jetzt haben wir erhebliche Mittel für die Weiterentwicklung unseres Portfolios. Und inzwischen sind wir ja – wenn auch mit einem kleineren Schritt – wieder in die Robotik eingestiegen.

Wie entwickeln sich Ihre kollaborativen Roboter?
Die Technologie ist gut, die Herausforderung, sie in die Prozesse unserer Industrie-Kunden einzubinden, ist aber groß.

Wann wird sich das richtig auch in der Bilanz zeigen?
In zwei bis drei Jahren.

Wie viel Käufe für die digitale Zukunft haben Sie bereits gemacht?
Bislang acht. Alle gehören zu unserer Sparte Digital Ventures. Diese Unternehmen sollen sich unter diesem Dach erst einmal mit ihrer eigenen Dynamik entwickeln. Wenn sie eine gewisse Größe erreicht haben, werden sie dann in die Divisionen unseres Kerngeschäfts integriert.

Wie hoch ist Ihr Digitalumsatz?
Der Anteil ist bereits bei einem mittleren einstelligen Prozentbetrag des Konzernumsatzes. Aber wir wollen hier noch deutlich zulegen.

Wo wird der Umsatz mit digitalen Produkten in fünf Jahren liegen?
Bei einem dreistelligen Millionenbetrag.

Ihr Digitalchef ist gerade gegangen. Warum eigentlich?
Roland Münch war 17 Jahre bei Voith und hat zuletzt einen großen Beitrag zum Aufbau unserer neuen Digital‧sparte geleistet, in der heute bereits rund 2 000 Mitarbeiter ausschließlich an der Digitalisierung unseres Technologieportfolios arbeiten.

Wir haben gehört, dass es erhebliche Unterschiede gab, wie Voith die Digitalisierung weiterbetreiben soll?
Herr Münch hat das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlassen.

Da haben wir nicht widersprochen.
Stimmt, und ich verstehe, dass Sie nachhaken. Im Grundsatz bleibt die digitale Agenda von Voith weiterhin, wie sie ist.

Das würde bedeuten, dass Sie grundsätzlich an der Strategie nichts ändern werden. Voith hat ja nach einer Umorganisation die gesamte Digitalisierungskompetenz in einer Sparte zusammengefasst?
Es gibt lediglich eine Anpassung, aber keine Richtungsänderung. Die digitalen Aktivitäten haben wir wieder näher an die Kernbereiche herangerückt.

Klingt eher rückwärtsgewandt?
Überhaupt nicht. Die Digitalisierungsstrategie bleibt ja weiter unverändert. Am Anfang war es richtig, die komplette Verantwortung für die digitalen Produkte – von der Entwicklung bis zum Kundenvertrieb – in die neue Sparte auszulagern, um eine gewisse Dynamik im ganzen Konzern zu entfachen. Jetzt, im weiter fortgeschrittenen Stadium, ist es wichtig, dass die Kernsparten wieder in die unternehmerische Verantwortung für diese Produkte genommen werden. Die Technologie-Entwicklung kommt aber auch weiterhin für alle Divisionen aus unserer Digitalsparte. Es ist immer eine Frage, in welcher Entwicklungsphase sie sich befinden.


„Wir müssen den Kunden früher einbeziehen“

Sie sind erst seit drei Jahren bei Voith. Wie wichtig ist die Sicht von außen?
Ich denke, beides ist wichtig: Menschen, die das Unternehmen im Detail kennen, und auch Input von außen. Wir haben jetzt eine gute Mischung. Von sechs Konzerngeschäftsführern kamen zwei von außen.

Dann wird ja der Nachfolger von Herrn Münch aus dem eigenen Haus kommen …
Die Nachfolge ist noch offen. Schauen wir mal, ob Ihre Arithmetik stimmt …

In welchen Märkten wollen Sie Wachstum generieren?
Wenn Sie mich nach einer sehr aussichtsreichen Region fragen: Afrika.

Wo genau?
In Südafrika, Äthiopien und Angola. In diesen Ländern gibt es eine hohe Nachfrage nach intelligenter Infrastruktur. Und in Australien haben wir gerade den zweitgrößten Auftrag der Konzerngeschichte für das weltgrößte Pumpspeicherkraftwerk eingefahren. Ansonsten sind derzeit die USA und Asien, insbesondere China, die wichtigsten Märkte. Unser Vorteil ist, dass wir seit Jahren dort mit Produktion vor Ort sind. Das verringert grenzüberschreitende Warentransporte. Wir sind von den Handelsstreitigkeiten zwar betroffen, aber weniger stark als andere.

Fühlen Sie sich da nicht zu sicher?
Wir nehmen die Anspannungen in der Weltpolitik natürlich mit Sorge zur Kenntnis. Wir müssen auch vorbereitet sein, falls Dinge eskalieren. Aber wir sind global aufgestellt und fühlen uns dadurch hinreichend wetterfest.

Sie waren bei der bislang letzten Chinareise von Angela Merkel dabei. Ihre Lehren?
Wir nehmen wichtige Strömungen wahr und können Kontakte vertiefen. Wir haben mit unserem Partner CRRC, dem weltweit größten Hersteller von Schienenfahrzeugen, eine Vertiefung unserer Zusammenarbeit bei der Entwicklung von elektrischen Antriebssystemen geschlossen.

Zum Thema China: Droht ein weiterer Ausverkauf deutscher Hochtechnologie?
Wir betreiben mit unseren chinesischen Partnern eine gemeinsame Produktionsentwicklung. Wir wollen gemeinsam den chinesischen Markt bearbeiten. Davon profitiert auch Voith in Deutschland.

Voith hat vor wenigen Jahren mit dem Modell Maxima die stärkste Lokomotive der Welt gebaut. Das Problem: Es gibt keine Käufer. Wie wollen Sie derartige Flops verhindern?
Es gehört dazu, dass auch mal etwas nicht klappt. Aber man muss dann schnell reagieren. Absolut ausschließen kann man das natürlich nicht, aber das Risiko minimieren: durch saubere Kunden- und Bedarfsanalysen sowie einen Projektplan, der beim Nichterreichen von Meilensteinen auch einen Abbruch erlaubt.

Da spricht der Finanzexperte. Muss Voith anders entwickeln?
Wir müssen den Kunden früher einbeziehen.

Mit Ex-Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm ist Ihr Aufsichtsratschef fast genauso alt wie Sie. Wie fühlt sich das an?
Aus meiner Sicht sehr gut. Ich nehme den Umgang als sehr effizient und konstruktiv wahr.

Sie gehen jetzt auch unpopuläre Dinge an und haben Personalabbau und sogar Werkschließungen angekündigt. Ist das erst der Anfang?
Wir haben bei Voith Turbo zu viele kleine Werke in Deutschland. Das kostet jedes Jahr sehr viel Geld, das uns bei den wichtigen Zukunftsinvestitionen, zum Beispiel in die Elektromobilität und die Digitalisierung des Turbo-Portfolios, fehlt. Da müssen wir ran. Deshalb führt an der Schließung der drei Standorte in Sonthofen, Zschopau und Mülheim leider kein Weg vorbei.

Bis wann wird es eine Einigung mit den Arbeitnehmern geben?
Uns ist der Schritt nicht leichtgefallen und wir bedauern die Auswirkungen auf unsere Mitarbeiter. Wir haben aber vorher lange und gründlich analysiert. Wir wollen jetzt so schnell wie möglich Klarheit für alle Betroffenen schaffen und die geplanten Maßnahmen noch in diesem Geschäftsjahr umsetzen.

Haben Sie im Fall Sonthofen das bayrische Wirtschaftsministerium schon befriedet?
Wir stehen im Austausch.

Sonthofen wird also geschlossen?
Ja, so ist der Plan.

Kommt da noch mehr?
Wir werden immer wieder Anpassungen vornehmen, das ist in einem so großen Unternehmen normal. Aber wir haben den Vorteil, dass wir nicht direkt im Bereich Autozulieferung tätig sind. Bahn, Bus und Lkw laufen ja noch ganz vernünftig.

An wem misst sich Voith?
Das ist unterschiedlich. Bei Papiermaschinen an Andritz und Valmet, bei der Wasserkraft an Andritz und General Electric und bei Turbo sind es ZF, Bosch und Knorr Bremse.

Wo sehen Sie Voith in zehn Jahren?
Voith wird weiter in den heutigen Kernsegmenten Papier, Wasserkraft und Antriebstechnik präsent sein. Wir werden größer und technologisch noch schlagkräftiger aufgestellt sein. Und das mit einer höheren Umsatz- und Kapitalrentabilität.

Was ist das Ziel?
Mittelfristig streben wir eine Kapitalrendite von 15 Prozent an. Vor einem Jahr waren wir noch bei knapp zehn Prozent. Mit der Eigenkapitalquote von inzwischen 30 Prozent sind wir zufrieden. Aber die Umsatzrendite von gut vier Prozent müssen wir klar steigern.

Wie würden Sie Ihre übergeordnete Strategie bezeichnen und beschreiben?
Wir verfolgen einen gezielten Ausbau des Kernportfolios, wollen den Serviceanteil am Umsatz weiter spürbar steigern und uns technologisch als Gestalter der Dekarbonisierung in unseren Industrien positionieren. Down-to-earth in jeglicher Hinsicht, wenn Sie so wollen.

Herr Haag, vielen Dank für das Interview.