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Wenn das Virus geht, die Symptome aber bleiben: "Es gibt keine Pille oder Spritze gegen Long-Covid"

Auf die Frage nach ihrem größten Wunsch, hat Sophie Jokel eine klare Antwort: Die junge Frau möchte ihr altes Leben zurück. Ihre Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin weiter machen, Sport treiben, den Tag genießen. Das alles geht gerade nicht mehr. Jokel fühlt sich ständig müde und ausgelaugt. Mehrmals am Tag muss die 20-Jährige sich ausruhen oder hinlegen. Ihre Konzentration hat nachgelassen, sie ist vergesslicher geworden, schläft schlechter. Seit mehreren Monaten ist sie deshalb arbeitsunfähig.

Niemals hätte Jokel gedacht, als sie sich im Oktober 2020 mit dem Coronavirus infizierte, dass sie die Erkrankung so lange begleiten würde. Obwohl sie unter Asthma bronchiale leidet, hatte sie einen moderaten Verlauf. Heute, fast acht Monate später, ist die Akutphase längst überstanden — die Folgen ihrer Infektion aber spürt sie immer noch.

Sophie Jokel ist kein Einzelfall. Etwa zehn Prozent, so schätzt die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, haben nach einer Corona-Infektion mit Langzeitfolgen zu kämpfen, auch Post-Covid-Syndrom oder Long-Covid genannt. Die Forschung darüber, wie viele Menschen langanhaltende Beschwerden aufweisen, ist allerdings noch sehr unzureichend. Beobachtungen und Einschätzungen variieren — vor allem, weil sich die Studien im Setting, der Betroffenengruppe und der erfassten Dauer der Symptome unterscheiden.

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Patienten mit einem schweren Verlauf scheinen einem besonders hohem Risiko ausgesetzt zu sein, Spätfolgen zu entwickeln. Forschende aus Wuhan konnten bei 75 Prozent von 1.700 hospitalisierten Patienten auch sechs Monate nach der Infektion noch mindestens ein Symptom feststellen. Ein ähnliches Bild zeichnet eine britische Studie, in der rund 70 Prozent der unter Corona hospitalisierten Teilnehmenden danach unter Spätfolgen litten.

Untersuchungen, die auch Patienten mit einem leichten bis moderaten Verlauf einschließen, kommen dagegen zu einem deutlich geringeren Anteil. Wissenschaftler aus England, Schweden und den USA werteten dazu die Daten von 4.182 Studienteilnehmern aus, die mittels einer App langanhaltende Symptome nach der Covid-19 -Erkrankung beschreiben sollten. Mehr als 13 Prozent vermerkten Spätfolgen, die länger als 28 Tage andauerten. Acht Wochen nach der Infektion wiesen noch rund 4,5 Prozent Symptome auf, und zwei Prozent klagten auch noch zwölf Wochen später über Beschwerden.

"Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen", sagt Hans Klose. Er ist Chefarzt der Abteilung für Pneumologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Eine valide Aussage zur Größenordnung von Long-Covid lasse sich erst treffen, wenn es mehr Daten gebe, so der Mediziner. Klose selbst leitet eine wissenschaftliche Studie mit 150 Patienten, die unter Spätfolgen einer Corona-Infektion leiden. Die Betroffenen sind je nach Verlauf in drei Gruppen eingeteilt, die in einem Zeitraum von zwei Jahren miteinander verglichen werden: mild, Klinik und Intensivstation.

Müde und Antriebslos

Die Symptome, die die Patienten aufweisen, sind vielfältig. Führend ist laut Klose die sogenannte Fatigue — also ein Gefühl anhaltender Müdigkeit, Erschöpfung und Antriebslosigkeit. Häufig sind Betroffene, vor allem jene, die im Krankenhaus behandelt wurden, auch nicht mehr so leistungsfähig wie vor ihrer Erkrankung. Sie klagen über Luftnot, Kurzatmigkeit oder ständigen Husten. Ebenso können kognitive Einschränkungen auftreten — Wortfindungsstörungen, Konzentrations- und Schlafstörungen, Gedächtnisverlust oder gar Depressionen.

Woran es liegt, dass manche Menschen nach einer Covid-19-Erkrankung noch wochenlang unter den Folgen leiden, ist noch nicht final geklärt. "Alle Daten sprechen dafür, dass schwere Verläufe auch eher langwierige Beschwerden hinterlassen", sagt Klose. Kommt es im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung zu einem Schlaganfall oder ein Patient muss beatmet werden, dauert es eine Zeit, bis er sich davon erholt hat.

Medizinischer Beleg fehlt oft

Komplizierter wird es, wenn Patienten mit einem leichten bis moderaten Verlauf Langzeitfolgen entwickeln. Eine viel diskutierte Hypothese geht laut Klose in Richtung immunologische Fehlreaktion: Das Virus geht, unser Körper kämpft aber weiter dagegen an — und schadet sich damit selbst. Ein Vorgang, der bereits häufiger beobachtet wurde. In den meisten Fällen verläuft eine Covid-19-Erkrankung dann schwer oder gar tödlich, wenn sich übereifrige Immunzellen — sogenannte Autoantikörper — gegen körpereigene Strukturen richten. "Das ist dann gar nicht mehr wirklich virusbedingt", sagt Klose.

Die Diagnose von Long-Covid ist häufig schwierig. Denn bei vielen Patienten — vor allem bei denjenigen, die während ihrer Akutphase nur unter leichten Symptomen litten — ist der medizinische Befund im Nachgang unauffällig. Oft gelingt es deshalb nicht Long-Covid anhand von klaren medizinischen Daten zu belegen.

Eine Vernarbung nach einer schweren Covid-19-Erkrankung können Mediziner laut Klose auf einem Röntgenbild sehen. Die Fatigue, Konzentrationsschwäche oder dass Patienten einen Text nicht mehr richtig lesen können, sind dagegen Beschwerden, die nur über die Beschreibung der Patienten erfasst werden. Zwar kann man bestimmte Tests durchführen, es fehlen aber laut Klose die nötigen Vergleichswerte. "Wir wissen nicht, wie die Patienten abgeschnitten hätten, wenn sie sich nicht infiziert hätten."

Vor allem junge Patienten kommen vermehrt in die Reha

Ähnlich verhält es sich bei Sophie Jokel. Nach der Akutphase ihrer Erkrankung fühlt sie ein Stechen in ihrem Brustkorb. Ihre Hausärztin schickt sie zum Pneumologen und Kardiologen. Unter anderem wird diagnostiziert, dass ihr Herz zu schnell schlägt. Beim Spazierengehen habe sie sofort einen Puls von 150, erzählt Jokel. Was genau nun mit ihr nicht stimmt, kann ihr aber niemand sagen: "Ich höre von den Ärzten nur immer, dass mein Körper Zeit braucht."

Der Weg zurück in ihr altes Leben ist für Patienten oft langwidrig. Ärzte können nur die Symptome behandeln, ein einheitlicher Therapieansatz existiert nicht. "Es gibt keine Pille oder Spritze gegen Long-Covid", sagt Klose. Betroffenen bleibt deshalb nicht anderes übrig, als die Krankheit zu akzeptieren und sich in einem zweiten Schritt daran anzupassen. Es helfe nicht, sich mit aller Kraft gegen die Fatigue zu stemmen, sagt Klose. "Das sorgt nur für Frust."

Nachdem sich die Situation bei Jokel immer weiter zuspitzt, fällt sie im Januar physisch so wie psychisch in ein Loch — und liegt nur noch zu Hause rum. Ihre Hausärztin schickt sie für fünf Wochen auf Reha in die Median-Klinik in Heiligendamm.

Dort wurden mittlerweile mehr als 800 Covid-19-Patienten behandelt. Laut Jördis Frommhold, Chefärztin der Klinik, steigt der Bedarf stetig. Vor allem junge Patienten würden vermehrt in die Reha kommen. Welche Behandlung oder Therapie dann genau angewandt wird, kommt auf die Art der Beschwerden des Betroffenen an. Patienten, die einen schweren Verlauf hinter sich haben, müssten laut Frommhold zum Beispiel wieder richtig atmen lernen. Bei Beschwerden wie der Fatigue gehe es dagegen eher darum, Tagesabläufe richtig zu strukturieren und die Patienten psychologisch zu betreuen. Manchmal, gerade bei neurologischen Symptomen, müsse man auch noch zusätzliche Diagnostik hinzuziehen und die weitere ambulante Betreuung planen.

Ob und wann die Symptome der Patienten wieder vollständig verschwinden, können weder Klose noch Frommhold sagen. Bei einem Großteil der Patienten, die Klose betreut, gebe es schon Hinweise auf Bsserung — wenn auch nur in kleinen Schritten und mit großem Aufwand verbunden. Bestimmte Beschwerden aber können sich. auch chronifizieren und zu erheblichen Einschränkungen im Leben der Patienten führen. "Es gibt Patienten, die nicht in ihren alten Beruf zurückkehren können", sagt Frommhold.

Sophie Jokel glaubt nicht mehr daran, dass sie bald ihre Ausbildung weitermachen kann. Die Reha habe ihr zwar geholfen, der richtige Erfolg sei aber ausgeblieben. Eigentlich, so erzählt sie, habe sie gedacht, dass sie bald nach der Reha wieder mit der Wiedereingliederung in ihren Beruf anfangen könnte. Die permanente Müdigkeit und der schnell rasende Puls, die Konzentrationsschwierigkeiten und die Erschöpfung sind aber immer noch da. "Das zieht mich so nach unten, dass es mir fast schlechter geht als vor der Reha", sagt sie.

Jokel weiß, dass sie jetzt nicht. aufgeben sollte. Aber es sei auch einfach viel. Die Ärzte sagen ihr, dass sie rausgehen soll, sich bewegen. Oft fehlt ihr dazu aber die Motivation. "Die Infektion ist mehrere Monate her und ich sehe immer noch keine Verbesserung", sagt sie. Noch vor ein paar Monaten, erzählt sie, sei sie ein lebensfroher Mensch gewesen — bis Covid-19 kam.