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Vielfalt statt Männermannschaft – So treibt Audi den Kulturwandel bei sich voran

Helmut Stettner sucht nach einem Blind Date. Dabei helfen ihm sechs Pappaufsteller, die mit übergroßen Reagenzgläsern vor dem Werksleiter im Audi-Schulungszentrum in Neckarsulm aufgebaut sind. Darauf: Attribute wie „Familienmenschen“, „Alte Hasen“ oder „Digital Vernetzte“.

Stettner, 58, ein Ingenieur mit schnurgeradem Lebenslauf, stuft sich selbst als „Tüftler“ ein und steckt seine Kontaktdaten in den Schlund des Aufstellers. Für seine Verabredung soll er nun einen Namen aus einem der anderen Behälter fischen.

Der Audi-Manager geht zu den „Lebenskünstlern“. „Das sind Kollegen, die ich im Berufsalltag wohl nie näher kennen gelernt hätte“, sagt Stettner, der bei Audi für 17.000 Leute verantwortlich ist. Der Manager zieht die Karte einer Auszubildenden im zweiten Lehrjahr. Die beiden sollen sich in den nächsten Wochen treffen und über ihre Hobbys sprechen. „Ich stelle ihr meine Ducati vor“.

Erfahrener Manager trifft Auszubildende. Das Blind Date unter Kollegen hat einen ernsthaften Hintergrund. „Diversity Parcours“ heißt die interaktive Installation, durch die sich der Audi-Werksleiter gerade bewegt. Sie soll Mitarbeiter auf ihre eigenen Vorurteile aufmerksam machen und so langfristig dafür sorgen, dass mehr Vielfalt in die Konzernetagen einzieht.

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Auch andere Unternehmen wie Talanx, Fraport, Telekom, Daimler, Bosch oder Metro haben den Rundlauf als Maßnahme für mehr Vielfalt entdeckt. Was den Parcours in Audis Fall besonders macht, ist die schiere Masse an Leuten, die durch die Ausstellung geschleust werden.

Mehr als 5.000 Audi-Mitarbeiter in Neckarsulm und Ingolstadt sollen bis zum Frühjahr den Parcours absolviert haben – so viele wie nirgendwo anders. Auch Kathrin S. Trump vom Institut für Diversity Management, das die multimedialen Parcours-Stationen vermietet, ist überrascht, „mit wie viel Schwung Audi die Diversity-PS auf die Straße bringt“.

Vielleicht hat das etwas mit Einsicht zu tun. Audi hat viel Glanz eingebüßt in letzter Zeit, nicht zuletzt durch den Dieselskandal. Der Konzern gilt als Keimzelle der Abgaswertemanipulationen. Seit Mai 2018 wird gegen Ex-Chef Rupert Stadler ermittelt, insgesamt stehen 24 Audi-Mitarbeiter unter Verdacht, etwas von den Betrügereien gewusst zu haben.

Gegen die Monokultur

Schuld daran sei auch eine Monokultur, die sich immer wieder selbst bestätige, meinen Experten: „Audi hat sich mit einer sehr homogenen Männermannschaft selbst in die Krise manövriert“, sagt etwa Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der Allbright-Stiftung, die sich für mehr Frauen in Führungspositionen einsetzt.

Bis zum Jahr 2025 will der Volkswagen-Konzern, zu dem Audi gehört, ein Fünftel Frauen ins mittlere und obere Management bringen. Davon scheint die Premiummarke jedoch noch weit entfernt: Bis ins Mittelmanagement haben es erst 14 Prozent Frauen geschafft. Weiter oben in der Hierarchie sind weibliche Vorgesetzte noch seltener, gerade mal sieben Prozent von ihnen finden sich dort. Eine Vorständin ist bislang nicht darunter.

Auch die gesetzliche Frauenquote im Aufsichtsrat hat der Autoproduzent aus Ingolstadt erst 2018 erfüllt – und damit drei Jahre nach Inkrafttreten der Regelung. Zwar sei es ein „vielversprechendes, wichtiges Signal“, dass Audi zum Neustart personelle Konsequenzen an der Spitze ziehe und mit Hildegard Wortmann zum Sommer eine Frau in den Vorstand hole. „Mit einer Frau im Vorstand ist es allerdings noch lange nicht getan“, so Ankersen. Das Unternehmen brauche eine grundlegende Kurskorrektur – „und das bedeutet viel Arbeit“.

Tatsächlich rüstet Audi seit Kurzem auffällig auf in Sachen Diversity. Der Autobauer hat 2017 die „Charta der Vielfalt“ unterschrieben, eine freiwillige Selbstverpflichtung für ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld. Was außerdem wenige wissen: Audi beschäftigt überdurchschnittlich viele Menschen mit Schwerbehinderung in seinen Werken. Auch Familienmütter und -väter will der Autoproduzent als Fach- und Führungskräfte gewinnen und bietet dafür mehr als 200 unterschiedliche Arbeitszeitmodelle. Mit speziellen Förderprogrammen sollen Frauen – von der Fachangestellten bis zur Akademikerin – gezielt auf Manageraufgaben vorbereitet werden.

Dass es einen starken Zusammenhang zwischen Innovation und Vielfalt gibt, beschreibt schon James Surowiecki in seinem Bestseller-Buch „Die Weisheit der Vielen“. Dabei kommt es nicht nur auf die Größe der Gruppe, sondern auch auf die Vielfalt bei den Mitgliedern an. Die Boston Consulting Group (BCG) hatte 2017 in einer globalen Studie fast 1.700 Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branchen auf ihre Innovationskraft und Vielfalt hin verglichen. Ergebnis: Die Innovationsstärke von Unternehmen stieg ab einem Anteil von 15 bis 20 Prozent weiblicher Führungskräfte. „Drei weitere Ausprägungen von Vielfalt haben zudem einen positiven Einfluss auf Innovation: Nationalität, beruflicher Werdegang und Branchenerfahrung“, sagt Rocío Lorenzo, Partnerin bei BCG in München und eine der Leiterinnen der Studie. Was man daraus jedoch nicht schließen darf: Bloß weil innovative Teams auffällig häufig durchmischt sind, heißt das im Umkehrschluss nicht, dass ein vielfältig aufgestelltes Team auch automatisch mehr clevere Ideen produziert.

Attraktivität als Arbeitgeber

Etwa eine Stunde nehmen sich die Werksangehörigen in Neckarsulm jeweils Zeit, um ihren Vorurteilen auf die Schliche zu kommen. Neben Werksangehörigen in Latzhose und Azubis gehen auch arrivierte Manager durch die Ausstellung. An einer Station sollen lebensgroße Silhouetten den Besuchern ihr Schubladendenken verdeutlichen.

Die Umrisse erinnern an einen Rapper, eine Rollstuhlfahrerin, eine Mutter mit Kind auf dem Arm und eine Frau, die ein bisschen wie Angela Merkel aussieht. Audi-Auszubildender Fabrizio di Toma hört sich an, was die Personen hinter den Silhouetten von ihrem Leben erzählen. Und ist zum Beispiel „krass überrascht“, dass der Typ mit der Baseball-Kappe, der Sonnenbrille und den tief hängenden Jeans an der Uni forscht und sich gerade auf seine Doktorarbeit in Biologie vorbereitet.

„Das automatische Kategorisieren von Menschen hilft uns, die Komplexität unserer Umwelt zu reduzieren“, erläutert Parcours-Vermieterin Trump. Gerade bei Personalentscheidungen kann diese Vereinfachung zum Problem werden. Denn Studien zeigen immer wieder, dass Menschen unterbewusst dazu tendieren, jene Kandidaten einzustellen, die ihnen selbst am ähnlichsten sind.

Denise Mathieu, Leiterin für das Diversity Management bei Audi, ist überzeugt: „Eine vielfältige Belegschaft lässt uns bessere Ergebnisse erzielen.“ Es gehe um „Chancengleichheit und Innovationsfähigkeit“. „Das zahlt auch auf unsere Attraktivität als Arbeitgeber ein.“ Mathieus Vision: Aus dem bekannten Audi-Slogan „Vorsprung durch Technik“ müsse eines Tages „Vorsprung durch Vielfalt“ werden.

Doch so hehr das Ziel klingt, in den Köpfen ist der Wandel noch nicht überall vollzogen. Das sagt Mathieu: „Wir brauchen einen Haltungswechsel. Die Vielfalt unserer Belegschaft ist kein Selbstläufer – wir setzen uns intensiv mit Rollenbildern, unbewussten Vorurteilen und Stereotypen auseinander.“ Dafür brauche es „Formate ohne erhobenen Zeigefinger“ – eben wie den Vielfältigkeitsparcours.

Tiefgreifender Kulturwandel nötig

Einzelne Programme könnten „hier und da gut als flankierende Maßnahmen wirken“, sagt BCG-Beraterin Lorenzo. Am Ende sei es jedoch schwierig, allein damit etwas zu bewegen. „Die Veränderung muss in der Personalpolitik ansetzen, bei den Einstellungen, Beförderungen, Bewertungen.“ Das weiß auch Audi-Managerin Mathieu. Schon Stellenausschreibungen seien bei Audi so formuliert, dass sich Männer und Frauen angesprochen fühlen. Damit Vorgesetzte ihre eigenen Muster erkennen, habe Audi spezielle Schulungen für sie entwickelt. Mathieu: „Jede Führungskraft soll sich bewusst machen, wie vielfältig ihr Team zusammengesetzt ist, wo es zu stark im eigenen Saft köchelt und welche gezielte Verstärkung vorteilhaft wäre.“ Gleichzeitig muss jeder Manager darauf achten, dass sich innerhalb eines divers aufgestellten Teams keine Grüppchen bilden, die sich gegeneinander positionieren. In Neckarsulm trifft sich Werksleiter Stettner zum Beispiel alle zwei Wochen mit 25 Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen zu einem offenen Austausch beim Frühstück, um Fragen und Neuerungen zu besprechen.

Im Parcours hat Stettner unterdessen die Station gewechselt. Auf einer App beschäftigt er sich nun mit jenen Vorurteilen, die andere ihm gegenüber haben könnten. Während dem Manager die zugewiesenen Attribute „ehrgeizig und durchsetzungsstark“ durchaus schmeicheln, mokiert er sich über das Vorurteil, dass er als Mann wenig rede und seine Socken überall liegen lasse.

Und dann landet die Klischee-Datenbank noch einen Volltreffer: „Als Mann lieben Sie schnelle Autos.“ Als er in der Kategorie Hobbys dann noch „Motorrad fahren“ eintippt, ärgert er sich. Denn als „Rowdy mit Neigung zur Gewalt und Faible für Tattoos und Piercings“ sieht sich der studierte Ingenieur nun wirklich nicht. Aber immerhin, der Manager denkt über sein Außenbild nach. Vielleicht erzählt er der Auszubildenden beim Blind Date dann doch nicht so viel von seiner Ducati.