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In der Krise brechen den Kommunen die Einnahmen weg – es droht die Pleitewelle

In Städten und Gemeinden brechen wegen der Coronakrise Einnahmen weg. Der Bund muss wohl auch für sie einen Rettungsschirm aufspannen.

Bremen hatte die Kurve gerade gekriegt. Die hochverschuldete Hansestadt, oft als „Armenhaus“ oder „Griechenland Deutschlands“ verspottet, fuhr in den vergangenen Jahren Haushaltsüberschüsse ein. Auch die Aussichten für die nächsten Jahre waren gut. Doch plötzlich könnte Bremen ganz schnell wieder da sein, wo es lange war: tief in den roten Zahlen.

Überall brechen der Stadt wegen der Coronakrise die Einnahmen weg: den kommunalen Kliniken wegen abgesagter OPs, dem Flughafen wegen kaum noch startender Flieger. Gar keine Einnahmen mehr verzeichnen das Theater, die Messe und die Bäder. Die Stadt rechnet in diesem Jahr mit Einnahmeausfällen im dreistelligen Millionenbereich.

So wie Bremen geht es derzeit allen Städten und Gemeinden in Deutschland. Im Zuge der Coronakrise wird immer offensichtlicher: Neben Unternehmensinsolvenzen droht im schlimmsten Fall bald eine zweite große Pleitewelle durchs Land zu schwappen, und zwar unter Städten und Gemeinden. Denn während Bund und Länder in dieser Krise die Ausnahmeregelungen der Schuldenbremse nutzen können, sind die Kommunen in ihren Haushalten viel stärker beschränkt.

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Kommunalverbände fordern Bund und Länder daher auf, die Städte schnellstmöglich finanziell zu unterstützen und notfalls auch einen Rettungsschirm aufzuspannen. „Infolge der Coronakrise kommt das Leben in den Städten und Gemeinden zum Stillstand“, sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, dem Handelsblatt. „Wir werden die Herausforderung meistern, aber wir erwarten die umfassende und unbegrenzte Unterstützung von Bund und Ländern.“

Mit dem Ruf nach einem Rettungsschirm ist Landsberg keineswegs allein. Rene Geißler analysiert seit vielen Jahren bei der Bertelsmann Stiftung die Finanzen der deutschen Städte und Gemeinden. Was er gerade beobachtet, schockiert den Forscher. „Die Coronakrise wird die Kommunen in chaotische Zustände stürzen“, sagt er.

Dabei hatten Städte und Gemeinden dank der guten Wirtschaftslage über die Jahre eigentlich ein dickes Polster von rund 50 Milliarden Euro an Rücklagen angelegt. Aber auf diese Krise sind sie auch damit nicht vorbereitet. „Es wird flächendeckend Haushaltssperren geben. Schon in ein paar Monaten wird ein Rettungsschirm für viele Gemeinden wohl unvermeidbar sein“, so Geißler.

Zahlen fehlen noch

Genaue Zahlen zur neuen Finanzlage der Städte gibt es noch nicht. In jeder Kommune versuchen die Kämmerer noch nachzuvollziehen, wie schlimm es wird. So zählt die Stadt Essen auf Anfrage eine lange Liste an Posten auf, wo die Einnahmen überall sinken werden. Neben der Messe sei dies etwa bei den Einnahmen aus der Vergnügungssteuer auf Automaten der Fall, bei der Parkraumbewirtschaftung oder den öffentlichen Verkehrsmitteln wie der Ruhrbahn.

Diese Mindereinnahmen könnten die Städte womöglich eine Zeit lang aushalten. Völlig überfordert sind sie allerdings, wenn wie jetzt in der Coronakrise gleichzeitig auch noch die Steuereinnahmen wegbrechen.

So werden die Kommunen unter dem Rückgang der Einkommensteuer leiden. Das mit Abstand größte aller Probleme aber ist die Gewerbesteuer, die Firmen an die Kommunen zu entrichten haben und die im Schnitt rund 20 Prozent der Einnahmen einer Stadt ausmacht.

„Die Gewerbesteuer wird abstürzen“, prophezeit Verbandschef Landsberg. Sollte es so schlimm werden wie in der Finanzkrise 2009, würde das einen Rückgang um 20 Prozent bedeuten, rund 8,5 Milliarden Euro. Wahrscheinlich wird es aber noch schlimmer, da inzwischen mit einer größeren Krise gerechnet wird.

Einige wirtschaftsstarke Städte könnte es ganz besonders hart treffen. Coburg oder Frankfurt/Main etwa erzielen die Hälfte ihrer Einnahmen nur aus der Gewerbesteuer. „Je mehr eine Stadt an der Gewerbesteuer hängt, desto stärker wird der Einbruch“, sagt Geißler. Wolfsburg kann davon ein Lied singen. Dort brach nach dem Dieselskandal 2015 die Gewerbesteuer um 80 Prozent ein.

Neben diesen Mindereinnahmen müssen die Städte auf der anderen Seite Mehrausgaben durch die Coronakrise schultern, etwa in den Gesundheitsämtern. „Wir werden über Konsequenzen aus dieser Entwicklung mit Bund und Ländern auf jeden Fall sprechen müssen“, sagt Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. Noch stehe für ihn aber die Bekämpfung der Gesundheitskrise im Mittelpunkt. „Im Moment tun die Städte alles, um die Gesundheit der Menschen zu schützen und ihre Versorgung in wichtigen Bereichen zu sichern.“

Die Kommunen werden die Rückgänge schon bald zu spüren bekommen. Denn die kurze Vorlaufzeit der Steuer verschärft das Problem zusätzlich. Unternehmen zahlen die Steuer quartalsweise im Voraus als Abschlag, kalkuliert auf Grundlage der Vorjahreswerte. Bei wirtschaftlichen Problemen können die Firmen beim zuständigen Finanzamt einen Antrag auf Kürzung der Vorauszahlungen stellen. Von dieser Option werden massenhaft Unternehmen jetzt Gebrauch machen. „Schon ab Mai rollt auf die Kommunen eine große Rückzahlungswelle zu“, sagt Geißler.

Dass den Kommunen finanziell geholfen werden muss, ist unter Experten unstrittig. Schon in den vergangenen Jahren frustrierte es viele Bürger, wie die kommunale Infrastruktur vielerorts immer mehr verfiel. Diese Entwicklung dürfe sich nicht fortsetzen. Zudem sind die Kommunen der mit Abstand größte öffentliche Investor. Ob das Land nach der akuten Coronakrise wieder schnell wächst, hängt auch davon ab, ob Kommunen über öffentliche Aufträge die Konjunktur mit anschieben.

„Die Notwendigkeit einer Übernahme der immensen Altschulden durch Bund und Länder wird daher jetzt umso drängender“, sagt Norbert Walter-Borjans dem Handelsblatt. Der SPD-Chef drängt schon lange darauf, der Bund solle hochverschuldeten Kommunen einen Teil ihrer Verbindlichkeiten abnehmen. Die Bundesregierung ist sich darüber uneins. Im vergangenen Koalitionsausschuss vereinbarten Union und SPD lediglich, eine Altschuldenlösung „prüfen“ zu wollen.

Die Sorgen der Ökonomen

Ökonomen fürchten, diese Lösung rücke in noch weitere Ferne, wenn der Staat einen Rettungsschirm über die Kommunen spannen muss. „Das Zeitfenster für eine geordnete Lösung des Altschuldenproblems ist jetzt wohl erst mal zu“, sagt der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum.

Der Wirtschaftsprofessor sieht vor allem die Bundesländer in der Pflicht. Sie sollten beim Aussetzen ihrer Landes-Schuldengrenzen die Kommunen mit berücksichtigen. „Die schlechteste Lösung wäre es, Kommunen selber wieder in die Kassenkredite zu schicken“, sagt der Ökonom. Diese kurzfristigen Verbindlichkeiten zum Stopfen von Haushaltslöchern haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass die Kommunen wichtige Investitionen aufgeschoben haben.

Bertelsmann-Experte Geißler fürchtet, ein Scheitern der Altschuldenlösung werde zu „extremer Frustration in den Rathäusern der Republik führen“. Hochverschuldete Ruhrpott-Städte etwa, die mühsam ihren Haushalt konsolidiert hätten, würden am Ende der Krise auf noch höheren Schuldenbergen sitzen – und hätten noch weniger Luft für Investitionen.

Bund und Länder müssten den Kommunen deshalb die wegbrechenden Steuereinnahmen ersetzen und sie bei den krisenbedingten Mehrausgaben unterstützen. Das findet auch SPD-Chef Walter-Borjans: Bund und Länder sollten „die vollständige Übernahme der künftigen finanziellen Lasten durch bundes- und landesgesetzliche Verpflichtungen übernehmen“, fordert er.

Verbandschef Landsberg fordert diese Hilfe aus Berlin auch ein. Da es sich um eine schwere Krise handelt, die alle treffe, müsse sich auch der Bund engagieren, sagt er. „Nichts wäre dramatischer, als die Funktionsfähigkeit der Kommunen in diesen schweren Zeiten wegen mangelnder Finanzausstattung zu gefährden.“