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Verwässerter Vorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft schützt Ungarn und Polen

Eigentlich sollten Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU besser sanktioniert werden können. Nun sorgt ein abgeschwächter Vorschlag für Empörung.

Contenance zu wahren ist für Katarina Barley vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel keine einfache Übung. Denn die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments ist empört, dass ausgerechnet die deutsche Ratspräsidentschaft bei der Einführung eines Mechanismus zur Rechtsstaatlichkeit einknickt und nun einen abgeschwächten Entwurf vorgelegt hat. „Ich war überhaupt nicht erfreut über diesen Vorschlag“, sagte die sozialdemokratische Europapolitikerin am Mittwoch.

Seit Jahren verlangt das Europaparlament einen starken Mechanismus, um bei Verletzung gegen die Rechtsstaatlichkeit künftig EU-Finanzmittel auszusetzen – beispielsweise aus dem 750 Milliarden Euro großen EU-Wiederaufbaufonds.

Ziel des neuen Mechanismus sind insbesondere Ungarn und Polen. Denn die beiden Länder verletzten die rechtsstaatlichen Prinzipien beispielsweise im Umgang mit der Justiz oder Medien.

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Die Regierungen in Warschau und Budapest wollen hingegen auf dem EU-Gipfel einen für sie ungefährlichen Mechanismus durchsetzen. Am Donnerstag treffen sich die Botschafter der 27 EU-Mitgliedsländer, um über den Vorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft zu diskutieren. Unterstützung für den Vorschlag aus Berlin kommt aus Frankreich, Italien, Spanien und den baltischen Ländern. Ungarn und Polen lehnen einen Rechtsstaatsmechanismus ab.

Einzelne Länder wie die Niederlande fordern hingegen eine scharfe Waffe gegen den Abbau von demokratischen Grundrechten.

Mit ihrer Kritik an dem Vorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft ist die frühere Justizministerin nicht allein. „Über Grundwerte und deren Auslegung kann man nicht verhandeln“, sagte etwa der Europapolitiker Sergey Lagodinsky (Grüne). Der liberale Europaabgeordnete Moritz Körner geht noch weiter. „Der deutschen Ratspräsidentschaft ist es gelungen, die ohnehin schwachen Ergebnisse des Gipfels weiter aufzuweichen. Merkel und Scholz begeben sich damit auf Kuschelkurs zu Orbán und Kaczynski“, warnte der FDP-Politiker.

Die Rechtsstaatlichkeit sollte nicht nur in Festreden der Bundeskanzlerin im Europäischen Parlament Priorität haben, sondern auch bei konkreter politischer Handlung. „Dieser Vorschlag muss nachgebessert werden“, fordert daher die Bundestagsabgeordnete und Osteuropa-Expertin Renata Alt (FDP).

Dass ausgerechnet die deutsche Ratspräsidentschaft den Rechtsstaatsmechanismus in Verbindung mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und dem Corona-Wiederaufbaufonds mit einem Volumen von mehr als 1,8 Billionen Euro abschwächt, sorgt in Brüssel für Enttäuschung. Sowohl dem MFR als auch dem Wiederaufbaufonds muss das Europaparlament zustimmen.

Derzeit laufen die Gespräche einer entsprechenden Arbeitsgruppe in Brüssel. Die Skepsis bei den Teilnehmern nimmt zu. „Wir sind sehr weit von einem Durchbruch entfernt“, sagte Rasmus Andresen, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, am Mittwoch. Die Zeit droht der Expertenrunde aus Kommission, deutscher Ratspräsidentschaft und Parlament davonzulaufen. Ursprünglich sollten die Verhandlungen über das Finanzpaket bereits Ende September beendet sein. Kommen die Verhandlungen unter Beteiligung des EU-Haushaltskommissars Johannes Hahn nicht voran, droht eine Verzögerung bei den Milliardenhilfen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds.

Das Kriterium „Unabhängigkeit der Justiz“ fehlt

Die Europaabgeordneten haben bereits frühzeitig klargemacht, dass sie ihre Zustimmung nur bei einer Verankerung von Rechtsstaatsprinzipien geben werden.

Der verwässerte Entwurf sieht nur vor, dass es eine qualifizierte Mehrheit für Sanktionen im Rat geben soll. Außerdem würde das Kriterium „Unabhängigkeit der Justiz“ im Entwurf fehlen. Parlamentarier kritisieren auch, dass die Kommission im einzelnen Fall sehr genau nachweisen muss, dass es tatsächlich direkte Auswirkungen auf die EU-Finanzierung gab und nicht mehr nur ein Risiko.

„Damit verkommt dieser Mechanismus endgültig zum bloßen Lippenbekenntnis, das keinerlei Wirkung hat“, sagten die Grünen-Europapolitiker Daniel Freund und Franziska Brantner. „Die Bundesregierung schwingt große Reden zur Rechtsstaatlichkeit und zu den europäischen Grundwerten. Doch diese europäischen Werte hat sie nun verraten.“

Ursprünglich hatte die Kommission vorgeschlagen, bereits Strafen zu verhängen, wenn rechtsstaatliche Mängel die finanziellen EU-Interessen beschädigen würde. Die Verhängung von Strafen wurde nun im deutschen Vorschlag deutlich erschwert. Künftig soll statt eines schnellen Handels innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit über jede einzelne Strafe einzeln abgestimmt werden.

Unter „qualifizierter Mehrheit“ wird ein Votum verstanden, bei dem mindestens 15 der 27 Mitgliedstaaten zustimmen, die zusammen 65 Prozent oder mehr der EU-Bürger repräsentieren.

EU hat bisher kein Mittel, um gegen Missbrauch von EU-Geldern vorzugehen

In der ersten Version wäre der Mechanismus also quasi automatisch eingeleitet worden. Der Vorschlag der EU-Kommission sah ursprünglich vor, dass Mittelkürzungen als angenommen gelten, wenn der Ministerrat ihn nicht innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit abweist oder verändert.

Nun ist geplant, dass über jede Sanktion vor dem Inkrafttreten abgestimmt werden muss und eine qualifizierte Mehrheit notwendig ist. Außerdem sollen Mitgliedsländer ihre angebliche ungerechte Behandlung nun zum Thema im Europäischen Rat machen können. Dort können die Staats- und Regierungschefs mit einem einstimmigen Beschluss die Sanktionen sogar aushebeln.

Mit dem abgeschwächten Entwurf geht die deutsche Ratspräsidentschaft indirekt auf Konfrontationskurs zum Europaparlament. Die EU-Vertretung hatte sich bei vielen Gelegenheit für den Schutz der Justiz, Medien und Wissenschaft eingesetzt und einen schärferen Kampf gegen Bestechung und Vetternwirtschaft gefordert.

Orbán versucht, seine Kritikerin Vera Jourova zu entlassen

Derzeit fehlt der EU eine scharfe Waffe, um bei Missbrauch von EU-Geld gegen einzelne Mitgliedsländer vorgehen zu können. Zuletzt hatte es in Bulgarien Massenproteste gegen die grassierende Korruption unter dem langjährigen Ministerpräsidenten Bojko Borissow gegeben.

Unterdessen provoziert Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán die EU-Kommission. Der rechtspopulistische Regierungschef fordert von Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen die Entlassung der Stellvertreterin Vera Jourova, die für Rechtsstaatlichkeit zuständig ist.

Er kündigte an, alle bilateralen Kontakte mit der Kommissionsvizepräsidentin auszusetzen. Der autoritär regierende Langzeit-Premier nannte die Kritik von Jourova „unangemessen und inakzeptabel, eine eklatante Verletzung des Prinzips der aufrichtigen Zusammenarbeit“: Vonseiten des Parlaments gab es für Jourova am Mittwoch hingegen eine starke Unterstützung.

„Die Europäische Union braucht Ihren unparteiischen und klaren Verstand“, sagte Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt. „Wenn eine Frau in klarer Sprache Missstände aufzeigt, werden autoritäre Machthaber nervös. Vizepräsidentin Jourova hat meine volle Unterstützung“, teilte die österreichische Europapolitikerin Bettina Vollath (SPÖ) mit.

Der grüne Europapolitiker Lagodinsky sprach am Mittwoch von einem Einschüchterungsversuch. „Herrn Orbán steht es nicht zu, das zu entscheiden“, sagte er zu dem falschen Rechtsverständnis. Einzelne Kommissare kann nur die Kommissionspräsidentin entlassen. Das Europaparlament besitzt das Recht, die EU-Kommission als Ganzes aus dem Amt entlassen.