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Der Vertrag für die Milliardenfusion steht

Einen Weltmarktführer wertvoller als BMW will Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle schaffen. Viel ist er wegen der geplanten Fusion mit Praxair kritisiert worden. Doch nun ist er seinem großen 60-Milliarden-Euro-Deal einen wichtigen Schritt näher gekommen: Linde einigte sich mit dem US-Konkurrenten auf einen Fusionsvertrag. Durch einen Zusammenschluss unter Gleichen soll der weltgrößte Industriegase-Konzern entstehen. In der kommenden Woche soll der Aufsichtsrat von Linde dem Business Combination Agreement (BCA) zustimmen. Auch danach gibt es aber noch Hürden.

Am Mittwochnachmittag verschickte Linde eine kurze Börsenpflichtmitteilung. Es gebe eine grundsätzliche Einigung über den Fusionsvertrag, hieß es darin. Details nannten die beiden Unternehmen nicht. Es ist aber schon bekannt, dass die neue Holding ihren Sitz voraussichtlich in Dublin haben soll. Praxair-Chef Steve Angel will das neue Unternehmen, das Linde heißen soll, operativ aus den USA heraus führen. Reitzle soll als Chairman des Boards, also als eine Art Aufsichtsratsvorsitzender, über die deutsch-amerikanische Balance wachen.

Denn die Arbeitnehmer fürchten eine heimliche Übernahme durch die Amerikaner. Sie laufen Sturm gegen das Projekt. Die geplanten Synergien von einer Milliarde Euro im Jahr könnten vor allem zu Lasten der Arbeitnehmer gehen, fürchten Gewerkschaften und Betriebsräte. Es drohe der Abbau von tausenden Arbeitsplätzen in Europa.

Investoren hatten sich kürzlich auf der Hauptversammlung zwar grundsätzlich für den Deal ausgesprochen. Dieser dürfe aber nicht um jeden Preis durchgezogen werden. Aktionärsvertreter kritisierten zudem, wie die Fusion eingefädelt wurde. Ein erster Anlauf war geplatzt, bei Linde brach ein beispielloses Führungschaos aus.

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Die Verhandlungen zwischen den Unternehmen verliefen aber vergleichsweise reibungslos. Daher kam die Einigung auf einen Fusionsvertrag nun nicht überraschend. Spannend wird nun vor allem, wie die Abstimmung im Linde-Aufsichtsrat ausgeht. Wenn alle sechs Arbeitnehmervertreter mit „Nein“ stimmen, müsste Reitzle sein Doppelstimmrecht ziehen. Im konsensorientierten Deutschland gilt dies als Affront.


Die Fusion ist noch längst nicht durch

Insider rechnen derzeit aber eher nicht mit einem Patt. Denn dem Linde-Anlagenbau in Dresden droht die Schließung, wenn es nicht zur Fusion kommt. Daher halten es Beobachter für möglich, dass sich der Dresdner Betriebsratschef Frank Sonntag im Aufsichtsrat enthalten könnte. Er selbst hat sich bislang nicht öffentlich geäußert.

Doch auch wenn Reitzle das Projekt kommende Woche durch den Aufsichtsrat bringt, ist die Fusion noch längst nicht durch. Die notwendige außerordentliche Hauptversammlung von Praxair gilt als Formsache. Doch müssen 75 Prozent der Linde-Aktionäre ihre Aktien in die der neuen Holding tauschen, damit die Fusion wirksam wird. „Das ist kein Selbstläufer“, sagte ein Insider.

Hinzu kommt die Kartellproblematik. Klar ist, und dies wird auch im Fusionsvertrag berücksichtigt, dass sich Linde und Praxair von Teilen ihres Geschäfts trennen müssen; vor allem in den USA, aber auch zum Beispiel in Deutschland. Skeptiker halten es dennoch für möglich, dass die Kartellbehörden den Deal wegen der großen Marktmacht des neuen Konzerns komplett blockieren könnten. Zudem müsse sich erst zeigen, ob die Synergien wirklich so groß seien, wenn Linde und Praxair viele Geschäftsteile abgeben müssen.

Dennoch: Die Chancen für Reitzles großen Deal sind gestiegen. Auf der Hauptversammlung musste er zwar viel Kritik einstecken. Doch wurde er am Ende mit 94 Prozent entlastet, ein Vertrauensvotum. Und die Linde-Aktie stieg am Mittwoch kräftig.

KONTEXT

Probleme bei der Mega-Fusion von Linde und Praxair

Warum will der Linde-Vorstand überhaupt die Fusion?

Linde-Vorstandschef Aldo Belloni erwartet Synergien von einer Milliarde Euro jährlich. Zusammen kämen Linde und Praxair auf 28 Milliarden Euro Umsatz, wären Weltmarktführer - und im Gasegeschäft bedeutet Größe auch höhere Gewinnmargen. Die Börse reagiert positiv, die Linde-Aktie hat 17 Prozent zugelegt, die meisten Analysten unterstützen den Plan. Belloni führte außerdem die "hervorragende operative Expertise" von Praxair-Chef Steve Angel und seines Teams an: Die US-Manager erwirtschaften höhere Profite als die Linde-Manager und sollen den neuen Konzern führen.

Wie soll der neue Konzern aussehen?

Die wichtigsten Vorstände sitzen in den USA. Die Holding wird in Dublin angesiedelt. Das spart Steuern, und die Mitbestimmung fällt weg. Reitzle soll Aufsichtsratschef werden. Die Aktie soll an den Börsen in New York und Frankfurt notiert werden.

Braucht Linde die Fusion?

"Nicht dringend", sagt Belloni. Linde habe allein ein stabiles, wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell und erfolgversprechende Innovationen. Der Dax-Konzern ist führend in Europa und Asien, stark im US-Medizingasegeschäft und mit seinem Anlagenbau auch breiter aufgestellt. Praxair ist führend in Nord- und Südamerika, kämpft aber mit sinkenden Umsätzen. Linde machen Umsatzeinbrüche im Anlagenbau zu schaffen, geplant ist ein Stellenabbau. Bei einer Fusion aber verspricht Linde Kündigungsschutz und Standortgarantien bis 2021.

Warum sind die Betriebsräte und Gewerkschaften trotzdem dagegen?

Sie befürchten einen massiven Stellenabbau, weil die Synergien zulasten der Linde-Beschäftigten gingen. Die Mitbestimmung fällt weg, eine neue Führungskultur halte Einzug. Der Pullacher Betriebsratschef Michael Kipp sagte, es gehe nicht "um einen Zusammenschluss unter Gleichen, sondern um eine Übernahme von Linde durch den deutlich kleineren Wettbewerber Praxair". Der Europäische Betriebsrat von Linde befürchtet "einen Kahlschlag, der den Markenkern von Linde zerstören wird".

Wie viele Mitarbeiter beschäftigt Linde?

Weltweit sind es knapp 60.000, in Deutschland 8.000. Größter Standort ist Pullach mit 3.300 Mitarbeitern, 2.200 weitere Beschäftigte arbeiten in München und dem Vorort Unterschleißheim sowie in Augsburg, Trostberg und anderen bayerischen Standorten. In Leuna, Dresden und in Worms am Rhein arbeiten jeweils mehrere Hundert Beschäftigte.

Wo liegen die Risiken?

Wegen Kartellauflagen müssten Linde und Praxair Firmenteile verkaufen, vor allem in den USA. Das könnte Konkurrenten stärken, sagen Analysten. Kritiker verweisen auch auf das Beispiel DaimlerChrysler und andere gescheiterte Fusionen. Hier betont Belloni aber Lindes Erfahrung mit der Übernahme des großen britischen Konkurrenten BOC, wo der Unterschied in der Firmenkultur viel größer gewesen sei als bei Praxair. Vom Fusionsvertrag bis zum rechtskräftigen Abschluss gäbe es 15 Monate Schwebezustand. Offen ist, welche Folgen Reitzles Aktienkäufe haben.

Worum geht es da?

Der Aufsichtsratschef hatte zwei Monate vor Bekanntgabe der Fusionsgespräche für eine halbe Million Euro Linde-Aktien gekauft und dies auch veröffentlicht. Die Finanzmarktaufsicht Bafin sah dennoch Anhaltspunkte für ein mögliches Insidergeschäft, die Münchner Staatsanwaltschaft prüft jetzt, "ob ein Anfangsverdacht für eine Straftat besteht". Ob ein Ermittlungsverfahren eröffnet wird und wie die strenge US-Börsenaufsicht SEC dann reagieren würde, ist offen.

Wie geht es weiter?

Die meisten Linde-Aktionäre sitzen in den USA und Großbritannien, nur acht Prozent in Deutschland. Jeder dritte Linde-Anteilseigner ist auch Praxair-Aktionär. Bei den Amerikanern entscheidet die Hauptversammlung, bei Linde der Aufsichtsrat. Reitzle will die Fusion gegen den Widerstand der Arbeitnehmervertreter bis Anfang Mai durchsetzen. Notfalls werde er von seinem doppelten Stimmrecht als Aufsichtsratschef Gebrauch machen. Die Linde- und die Praxair-Aktionäre sollen je die Hälfte an der neuen Holding halten.