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Versorgung mit Schutzmasken: Zwei Unternehmer schaffen, was der Regierung kaum gelingt

Zwei Brüder aus Mainz liefern Millionen von Atemmasken an Krankenhäuser, Ärzte oder die Feuerwehr. Dabei machen die jungen Unternehmer auch Gewinn.

Begehrte Ware in Coronazeiten. Foto: dpa
Begehrte Ware in Coronazeiten. Foto: dpa

Einige wenige Mitarbeiter der Berufsfeuerwehr in Mülheim an der Ruhr haben sich vor dem Spritzenhaus versammelt. Die Sonne scheint, Chef Sven Werner und sein Sachgebietsleiter für Rettungsdienst und Desinfektion, Andreas Johann, tragen kurzärmelige Uniform. Auf dem Hof stehen schon ein Gabelstapler und ein roter Lkw bereit. Der Weitertransport soll so schnell wie möglich über die Bühne gehen.

Die Männer warten auf eine Ware, die zurzeit gefragt ist wie wohl sonst kaum ein anderes Produkt in der Welt: Atemschutzmasken. Es ist Coronazeit, und sie sind ihre Währung: Die Masken sind ein wichtiges Mittel im Kampf gegen das Virus. Und sie sind nicht einfach zu bekommen. Es gibt auch fünf Monate nach Ausbruch des Coronavirus noch immer Versorgungsengpässe.

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Auch in Deutschland wird der Gesichtsschutz mehr und mehr zum Pflicht-Kleidungsstück. Alle Bundesländer führen eine Tragepflicht ein. Und schon länger empfiehlt die Bundesregierung „dringend“, Masken beim Einkauf oder in Bus und Bahnen zu tragen.

Aber die Feuerwehr in Mülheim hat keine Masken. Das Problem sollen Marvin und Aaron Steinberg lösen. Die Brüder, 32 und 35 Jahre alt, sind soeben aus ihrem Kleintransporter geklettert, in T-Shirt und Jeans. Mit ihrem Sixt-Leihwagen transportieren sie den begehrten Gesichtsschutz.

„20.000 gehen direkt in eines unserer Krankenhäuser“, sagt Feuerwehrchef Werner, während er Unterlagen durchsieht und der Gabelstapler die ersten Kartons anhebt. „Die restlichen 30.000 bleiben hier.“ Das sind nicht irgendwelche Masken, die man sich selbst nähen kann. Die meisten sind solche mit Filterschutz.

Bei Masken schafft es die Bundesregierung bisher nicht, den gewaltigen Bedarf zu befriedigen. So benötigt Deutschland nach Aussage von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) insgesamt mehrere Milliarden Stück innerhalb von wenigen Monaten. Die großen deutschen Hersteller wie etwa das Lübecker Unternehmen Dräger produzieren trotz Produktionsausweitung längst am Limit. Und der weltweite Markt, auf dem Firmen wie der US-Konzern 3M dominieren, wird von allen betroffenen Nationen wie Heuschrecken leer gefressen.

Überall auf der Welt entstehen deshalb Behelfsproduktionsstätten, auch in Deutschland. Ob nun auf unternehmerischer Basis, wie etwa jüngst bei Trigema, dem Wäschehersteller des exzentrischen Eigentümers Wolfgang Grupp. Oder bei Daimler, wo jetzt Atemschutzmasken für den eigenen Bedarf produziert werden. Oder Bürger nähen sie zu Hause.

Das alles sind lobenswerte Initiativen. Nur: Die so entstehenden Produkte bieten oft nur eingeschränkten Schutz, etwa beim Einkauf im Supermarkt. Für medizinisches Personal sind sie meist nicht geeignet.

Und so existiert eine Lücke, in die Menschen wie die Brüder Steinberg stoßen. Kleinunternehmer, die schnell zupacken, die Kontakte zu professionellen Anbietern im Ausland haben – und die erst einmal machen, anstatt auf die Bundesregierung zu schauen – und sich natürlich einen Gewinn erhoffen.

„Das, was wir tun, ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Marvin Steinberg. Er trägt Brille, auf seinem Shirt steht „Coronakrise“. „Aber es ist ein Tropfen, der an vielen Stellen zu glücklichen Gesichtern führt.“

Auch in Mülheim. „Wir sind sehr froh, jetzt einen ausreichenden Bestand zu haben“, sagt Feuerwehrleiter Werner. Der Masken-Markt spiele verrückt seit Corona. Und niemand könne sagen, wie sich die Situation noch entwickele. „Wenn die Infektionslage so bleibt, wie sie derzeit ist, sind wir gut gerüstet“, sagt Werner. „Aber wer weiß das schon?“

15 Cent Gewinn je Maske

Seit vier Wochen sind Aaron, der gelernte Heilerziehungspfleger, und Marvin, der eine Marketing GmbH betreibt, im Geschäft. Sie haben Büros in Mainz und Koblenz eingerichtet. Nach eigener Aussage holen sie drei- bis viermal in der Woche zwischen 50.000 und 200.000 Masken an den Flughäfen Frankfurt oder Köln ab.

Gerade gründen die Steinbergs eine Firma. Ihr Name: „Pflegeliebe GmbH“. Der Kundenstamm der Steinbergs wächst beständig. Kliniken, Apotheken, Altenheime, Friseure und Taxidienste bestellen mittlerweile bei ihnen. Teilweise werden kleine Mengen auch gespendet.

Die Nachfrage ist groß. Krankenhäusern gehen teilweise die Masken aus, auch niedergelassene Ärzte machen sich Sorgen, ob sie ihre Patienten noch behandeln können. Besonders wichtig ist dabei, dass die Steinbergs auch Produkte des Typs FFP2 und FFP3 im Angebot haben.

Sie gehören zu jenem Maskentyp, der den Träger schützt. FFP2– und FFP3-Masken sind deshalb die geeignete Ausrüstung für Mediziner oder Pfleger, die mit potenziell Infizierten umgehen. Diese Masken können nicht zu Hause gebastelt werden. Auch Firmen wie Trigema stellen sie nicht her. Dafür braucht es Spezialunternehmen.

Und da fängt das Problem an. Zwar gibt es auch in Deutschland Produzenten. Neben Konzernen wie Dräger versucht nun auch der Mittelstand, auf diesem Feld Fuß zu fassen. Das Konsortium „Fight Covid-19“ etwa, dem kleinere Unternehmen wie die Bikini-Firma Maryan Beachwear oder der Maschinenbauer Reifenhäuser angehören, bauen gerade ein Netzwerk auf. Ihr Produktionsziel: eine halbe Million FFP2-Masken pro Woche.

Die bedeutenden Massenproduzenten unter den Spezialfirmen sitzen jedoch vor allem in China. Und der Markt bleibt chaotisch. Auch wenn in China die Produktion mittlerweile wieder angelaufen ist, schießt der Einkaufspreis weiter nach oben. Vor Corona kostete eine FFP2-Maske etwa 50 Cent. Heute werden dafür teilweise Preise im zweistelligen Euro-Bereich aufgerufen.

Das lockt natürlich auch Betrüger an, die versuchen, unbrauchbare Ware teuer zu verkaufen oder Material nur gegen Vorkasse zu liefern – das bei den Bestellern dann nie ankommt. „Ganz viele Anbieter sind unseriös“, sagt Marvin Steinberg. „Viele unserer Kunden sind schon auf Betrüger hereingefallen.“

Das Thema dürfte für den Unternehmer eher unangenehm sein. Denn Steinberg, der eine Zeit lang auch auf dem Gebiet goldgedeckter Kryptowährungen aktiv war, hatte sich einst von einem Ex-Partner im Streit getrennt. Nun existieren im Internet anonyme Artikel, die ihm selbst Betrug vorwerfen. Sogar eine Strafanzeige kursiert.

Doch überzeugende Belege gibt es bislang nicht. Eine zivilrechtliche Klage seines Ex-Partners scheiterte jedenfalls eindeutig vor dem Oberlandesgericht Mainz. Mehrere Einträge im Netz konnte Steinberg schon gerichtlich löschen lassen. „Das war eine schlimme Zeit für mich“, sagt er. Er sei froh, das nun hinter sich lassen zu können.

Und er verschweigt nicht, dass er mit dem Liefern von Masken auch Geld verdienen will. Allerdings zu vernünftigen Preisen. Einweg-OP-Masken kosteten bei ihm im Schnitt 99 Cent pro Stück, je nach Mengenabnahme, FFP2-Masken zwischen vier und 5,50 Euro. „Dieselben Masken werden von den Apotheken dann zum Teil zum Preis von 14,99 Euro weiterverkauft“, sagt Steinberg.

Zum Vergleich: Trigema verlangt für zehn seiner „wiederverwendbaren Behelfs-Mund-und-Nasen-Masken“ 120 Euro. Selbst seine Marge legt Steinberg offen. Im Schnitt verdienten er und sein Bruder 15 Cent pro OP-Maske, bei FFP2-Masken sind es 40 Cent.

Kompliziertes Verfahren

Und warum verkaufen sie nicht an die Bundesregierung? Gesundheitsminister Jens Spahn hat kürzlich drei Milliarden Euro für die Beschaffung von Schutzkleidung zur Verfügung gestellt und ein sogenanntes Open-House-Verfahren eingeführt.

Das bedeutet, der Staat kauft zentral und zu festen Preisen an, wenn ein Hersteller mindestens 25.000 Masken oder Kittel liefern und einen Mindeststandard garantieren kann. Verteilt werden sollen Masken, Handschuhe und Kittel über die Bundesländer und die Kassenärztlichen Vereinigungen.

Doch es gibt viel Kritik an dieser Methode. Zu spät habe Spahn reagiert, die Steuerung funktioniere nicht, das Verfahren sei zu kompliziert. So hatte sich beim Handelsblatt kürzlich ein deutscher Geschäftsmann aus Taiwan gemeldet, der den Verkauf von mehreren Millionen FFP2-Masken vermitteln wollte. Und das nicht an die USA, sondern an sein Heimatland. Aber er habe einfach nicht herausfinden können, an wen er sich wenden sollte.

Haben die Steinbergs von dem Verfahren der Bundesregierung gehört, hat er es einmal damit versucht? „Nein, wir machen das bisher einfach so“, sagt Marvin Steinberg. Aber das mit der Bundesregierung sei keine schlechte Idee. Er wisse aber nicht, wen er ansprechen könne. Ob das Handelsblatt eventuell einen Kontakt habe? Eine Anfrage dazu beim Gesundheitsministerium bleibt ohne Antwort.

Dabei scheint die Beschaffung so einfach. Er habe Kontakte nach China, sagt Marvin Steinberg. Er habe schon länger eine Geschäftsbeziehung zu einem Masken-Hersteller dort, der produziere selbst und könne gegebenenfalls auch noch von anderen Herstellern Ware besorgen. Den Namen will er nicht nennen. Er sei schließlich sein Wettbewerbsvorteil. Der Hersteller verbürge sich aber für Qualität der Masken, sagt Steinberg.

Denn Qualität ist wohl das wichtigste Kriterium in diesem Geschäft. Eine FFP2-Maske, die nicht vor Coronaviren schützt, ist keinen Cent wert.

Viele Falschkopien unterwegs

Wie aber wird die Ware geprüft? Wenige Tage vor dem Termin in Mülheim sitzen die Steinbergs in einem Transporter auf dem Weg zum Frankfurter Flughafen. Ein weiterer Wagen fährt mit. Das Handelsblatt ist per WhatsApp-Video zugeschaltet.

Während Marvin Steinberg den Ablauf erklärt, fahren seine Fahrzeuge an eine Rampe im Außenbereich des Airports, dort warten schon rund 20 Kisten auf die Verladung. Mit von der Partie ist Herr Wu, ein junger Chinese, der die Brüder bei der Abwicklung unterstützt. Er habe selbst ein kleines Export-Import-Geschäft, erzählt Marvin Steinberg.

Zusammen mit Aaron Steinberg öffnet Wu einen der Kartons, um den Inhalt darin zu kontrollieren. Heute sind 200.000 OP-Masken angekommen.

Natürlich könne man erst einmal nur schauen, wie die Ware aussieht, sagt Steinberg. Auf den Kartons stehe der Inhalt, auf den Verpackungen der Masken meist auch das CE-Gütesiegel. Die Kisten müssten zudem durch den Zoll. Ob die Masken wirklich etwas taugten, stelle letztlich aber dann erst der Endverbraucher fest. „Von denen haben wir aber nur positive Rückmeldungen“, berichtet er.

Steinberg bietet Kunden an, vor dem Kauf bei ihm im Büro in Mainz vorbeizukommen, um mit einem Experten die Ware zu begutachten. Erst dann müsse bezahlt werden – zum Beispiel per Überweisung.

Bei der Feuerwehr in Mülheim ist man jedenfalls vollauf zufrieden. „Das Problem ist ja vor allem, gute Qualität zu vernünftigen Preisen zu bekommen“, sagt Sachgebietsleiter Johann. Das sagt er nicht einfach so dahin.

Zuvor hat er die Atemmasken auf drei Arten getestet. Er hat sie auseinandergeschnitten und die Stärke geprüft. 5-lagig, das ist gut. Er hat eine Maske mit dem Feuerzeug angezündet, um zu sehen, ob sich das Material nur zusammenzieht und nicht brennt. Und in eine Maske hat er schließlich Wasser gegossen. Da nichts herausfließt, ist sie dicht. „Qualitätstest bestanden“, sagt Johann.

Dann dürfen er und sein Chef Werner sich noch bedanken für ein Geschenk von Steinberg, werbewirksam inszeniert zum Pressetermin: 2500 OP-Masken gibt es umsonst obendrauf.

Ja, Marvin Steinberg weiß auch, wie man Werbung für sich macht, wie man sich in Szene setzt. Aber wer könnte es ihm verdenken, in diesen merkwürdigen, schweren Zeiten – in denen Atemmasken zum Produkt des Jahres, wenn nicht des Jahrzehnts werden könnten?