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Vernunft siegt

Mit der Einigung auf die Betriebsrentenreform beweist die Große Koalition noch einmal Handlungsfähigkeit. Es ist ein später Sieg der rentenpolitischen Vernunft über die Lobby der Versicherungswirtschaft. Ein Kommentar.

Je mehr sich die Wahlperiode dem Ende zuneigt, desto schwieriger wird es, noch Gesetze durchzubringen. Das musste Arbeitsministerin Andrea Nahles gerade erst bei ihrer befristeten Teilzeit erleben, die krachend scheiterte. Union und SPD schafften es nicht mehr, sich auf einen tragfähigen Kompromiss zu einigen, weil die einen so kurz vor der Wahl den Arbeitgebern und die anderen den Gewerkschaften nicht wehtun wollten.

Dieses Schicksal bleibt dem geplanten Gesetz zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge zum Glück erspart. Auch hier hatte die starke Lobby der Versicherungswirtschaft mit Unterstützung der CSU lange versucht, neue Konkurrenz für ihr Geschäftsmodell zu verhindern. Am Ende jedoch vergeblich.

Die jetzt von den Koalitionsfraktionen erzielte Einigung ist ein Gewinn für Beschäftigte und Arbeitgeber. Geringverdiener, für die sich der Abschluss einer Betriebsrente bisher kaum auszahlte, profitieren. Die Gefahr, dass sie als Rentner in die Altersarmut rutschen, ist nicht gebannt, aber gemildert. Unternehmen, die bisher das Risiko einer Betriebsrentenzusage an ihre Mitarbeiter scheuten, werden nun von der Haftung befreit. Das erhöht vor allem für kleine und mittlere Betriebe den Anreiz, ihren Mitarbeitern eine zusätzliche Altersvorsorge anzubieten.

Dass die Einigung auf den letzten Metern noch gelang, hat aber auch mit dem Bestreben von Union und SPD zu tun, die gesetzliche Rente aus der Schusslinie zu nehmen. Je mehr Beschäftigte von einer Betriebsrente profitieren und damit zusätzlich fürs Alter vorsorgen, desto geringer ist die Notwendigkeit, am gesetzlichen Rentenniveau zu schrauben. Denn das wird nur für den Preis höherer Beiträge, höherer staatlicher Zuschüsse oder eines höheren Rentenalters möglich sein. Alles nicht gerade Wahlkampfschlager.

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Die Große Koalition hat in dieser Legislaturperiode rentenpolitisch viel Unsinn gemacht. Die Rente mit 63 und die Mütterrente verschlingen Milliarden und sind doch vor allem Klientelpolitik. Auch der eingeschlagene Weg zur Angleichung der Renten in Ost- und Westdeutschland sorgt für Kritik.

Die Stärkung der Betriebsrente ist so gesehen – neben der Erhöhung der Erwerbsminderungsrente, die ebenfalls noch vom Bundestag verabschiedet werden muss, das erste vernünftige schwarz-rote Rentengesetz. Hier hat die Koalition auf den letzten Metern noch einmal Handlungsfähigkeit bewiesen – und Vernunft.

KONTEXT

Der Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge

Gewerkschaften und Arbeitgeber bei Nahles

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und Finanzminister Wolfgang Schäuble setzen sich mit den Chefs von Gewerkschaften und Arbeitgebern an einen Tisch, um einen neuen Weg zu finden, die betriebliche Altersvorsorge auszuweiten. Kernstück beim Treffen der Runde aus DGB, IG Metall, IG BCE und Verdi sowie die Bundesvereinigung BDA für die Arbeitgeber, Gesamtmetall und die Chemie-Unternehmen ist dabei ein "Sozialpartnermodell" für mehr Betriebsrenten per Tarifvertrag. Zudem ist das Finanzministerium für Zuschüsse zugunsten von Geringverdienern offen. Ein Überblick, worum es geht.

Betriebsrenten

Nach der gesetzlichen Rentenversicherung gelten die betriebliche Altersvorsorge und die private Vorsorge als zweite und dritte Säule der Alterssicherung. Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD vorgenommen, die Voraussetzungen zu schaffen, "damit Betriebsrenten auch in kleinen Unternehmen hohe Verbreitung finden". Zurzeit erwerben etwa 60 Prozent aller Beschäftigten Ansprüche auf Zahlungen aus einer betriebliche Altersvorsorge. Sie sind aber sehr unterschiedlich verteilt: Laut DGB gehen etwa 70 Prozent der Arbeitnehmer in Betrieben unter zehn Beschäftigen und viele Niedrigverdiener leer aus. "Das wird sich für sie später bitter rächen", meint DGB-Vorstand Annelie Buntenbach.

Fünf Arten

Derzeit führen fünf Wege zu Rentenzahlungen aus einer betrieblichen Vorsorge: Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds, Unterstützungskasse und Pensionszusage. Sie unterscheiden sich vor allem dadurch, ob das Geld in größerem Umfang in höhere Renditen versprechende Aktien angelegt werden darf und in welcher Höhe Auszahlungen garantiert werden. Längst sind Betriebsrenten keine alleinige Arbeitgeberleistung mehr. Mittlerweile teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Finanzierung in etwa drei Viertel der Betriebe, wie eine Studie des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts ergab.

Sozialpartnermodell

Das von Nahles geplante Modell sieht einen sechsten Weg vor. Betriebliche Altersvorsorge (bAV) soll etwa durch Zuschüsse und Steuervorteile stärker gefördert werden, wenn sie auf Tarifverträgen aufbaut, auf die sich Gewerkschaften und Arbeitgeber verständigt haben. Unternehmen sollen sich automatisch verpflichten, ihren Beschäftigten bAV-Leistungen anzubieten. Arbeitnehmer müssten ausdrücklich ihr Nein erklären, wenn sie keine Gehaltsbestandteile in die bAV einzahlen wollen. Das Arbeitsministerium könnte diese Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären. Dann würden sie auch für Unternehmen ohne Flächentarifvertrag gelten.

Haftung und Freiwilligkeit

Streitpunkte der Spitzenrunde sind unter anderem, wer für die Auszahlung der Rentenansprüche im Alter haftet und ob es einen Zwang gibt, den Beschäftigten ein bAV-Angebot zu machen. In beiden Punkten gab es aber vorher Annäherungen. Ein Gutachten für das Arbeitsministerium schlug vor, die Haftung der Arbeitgeber auf die reine Beitragszusage zu beschränken: Mit der Überweisung der Beiträge hätte der Arbeitgeber alle Verpflichtungen erfüllt (pay and forget). Dies sei dem Ministerium zu weit gegangen, hieß es in der Koalition. Als Kompromiss ist demnach eine "Zielrente" im Gespräch, bei der die spätere Leistung berechnet, aber nicht garantiert wird. Auch beim Zwang zur bAV zeigte sich Nahles kompromissbereit. "Wir können freiwillig sein, wenn wir einen Motor haben, der die Verbreitung organisiert", sagte die Ministerin vorige Woche. Dieser Motor könne das Sozialpartnermodell sein.

Zuschuss und Steuervorteile

In einem Gutachten für das Finanzministerium wurde untersucht, wie man den Abschluss von Betriebsrenten attraktiver macht. Im Gespräch sind dabei direkte Zuschüsse und weitere Steuervorteile. Das Finanzministerium ließ schon in April wissen, dass für Niedrigverdiener ein Zuschuss ähnlich der jährlichen Riester-Grundzulage von 154 Euro vorstellbar sei. Während das Gutachten als Einkommensgrenze einen Bruttoverdienst von 15.000 Euro empfahl, kursierten in der Koalition Überlegungen, diese bei 30.000 Euro anzusetzen - um den Kreis der Begünstigten zu erhöhen. Daneben soll der Förderrahmen erhöht werden, in welcher Höhe Lohnbestandteile von der Steuer verschont bleiben, wenn sie in die bAV fließen. Bisher können Arbeitnehmer jährlich aus ihrem Bruttolohn bis zu vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung "umwandeln", ohne dafür Sozialabgaben und Steuern zu zahlen. Das sind in diesem Jahr höchstens 2976 Euro. Zusätzlich können sie noch 1800 Euro steuerfrei verwenden. Die Grenze für steuerfreie Einzahlungen soll nun erhöht werden.

Doppelter Beitragssatz und Grundsicherung

Auch an zwei Stellschrauben wird womöglich gedreht, die Arbeitnehmern bisher die bAV verleiden. In der Auszahlungsphase müssen die Rentner den vollen Beitragssatz zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aufbringen - also auch den Teil, den in Zeiten der Beschäftigung der Arbeitgeber bezahlt hätte. Daran will die Koalition aber festhalten, da andernfalls den Krankenkassen Mindereinnahmen in Milliardenhöhe drohten. Zudem werden Zahlungen aus der bAV ebenso wie aus der Riester-Rente mit Ansprüchen aus der Grundsicherung im Alter verrechnet. Hier wird in der Koalition über einen Freibetrag nachgedacht. Die CDU-Finanzpolitikerin Anja Karliczek schlug vor zu prüfen, ob bei lebenslanger Vorsorge Eigenbeiträge von der Anrechnung auf die Grundsicherung ausgenommen werden könnten. (Quelle: Reuters)