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Das Vermächtnis Monsantos – Investoren attackieren Bayer-Chef

Hauptversammlungen sind bei Bayer traditionell kontrovers. Stundenlang wettern etwa Bienenzüchter gegen die Pflanzenschutzmittel des Pharma- und Agrochemiekonzerns. Auf dem Aktionärstreffen am Freitag im Saal „New York“ des World Conference Centers in Bonn wird sich für Bayer-Chef Werner Baumann und den Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Wenning aber eine neue, gefährliche Front auftun: Auch große Investoren sind verärgert. Vorstand und Aufsichtsrat droht eine herbe Abstimmungsniederlage.

Nach Recherchen des Handelsblatts wollen zahlreiche große bei Bayer investierte Fonds gegen die Entlastung der Unternehmensführung für das Geschäftsjahr 2018 stimmen oder sich enthalten – unter anderem Blackrock.

Auch der frühere Chef der Fondsgesellschaft DWS, Christian Strenger, hat einen solchen Gegenantrag eingebracht. Die Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis empfehlen die Nichtentlastung – an ihrem Urteil orientieren sich viele Investoren.

Der Aufsichtsratsvorsitzende Wenning erhofft sich eine „intensive und sachliche Diskussion“, wie er dem Handelsblatt erklärte. Man könnte auch sagen, dass es ein hitziges und für die Führung unangenehmes Aktionärstreffen wird.

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Eine Abstimmungsniederlage hätte für Vorstand und Aufsichtsrat zwar keine direkten Folgen. Sie wäre aber ein massives Misstrauensvotum. Die Kritik entzündet sich vor allem am 63,5 Milliarden Dollar schweren Kauf des US-Saatgutproduzenten Monsanto. Statt an der Börse ein Feuerwerk zu zünden, hat Bayer seit Abschluss des Kaufs mehr als ein Drittel an Wert verloren. Die möglicherweise milliardenhohen Rechtskosten durch die Glyphosat-Prozesse haben den Kurs auf ein Fünfjahrestief gedrückt.

Doch nicht nur die Einpreisung dieser Risiken sind für den Kurssturz verantwortlich. „In dem massiven Bewertungsabschlag der Aktie spiegelt sich ein Vertrauensverlust in das Management wider“, sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei dem Sparkassen-Fondshaus Deka.

Stand heute müsse er angesichts des Wertverlustes von Bayer als „Fehltritt und ein Desaster für die Aktionäre“ gewertet werden, sagt Speich. Das Sparkassen-Fondshaus wird gegen die Entlastung stimmen.

„Zwischen der Führung und den Investoren hat sich bei Bayer ein tiefer Graben aufgetan“, sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Die DSW als Vertreter der Kleinaktionäre sieht sich nicht in der Lage, eine Empfehlung zur Abstimmung über die Entlastung abgeben zu können. Es sei nicht möglich zu bewerten, ob die Übernahme von Monsanto letztlich wertvernichtend oder wertschaffend wirkt.

Um den Graben nicht noch tiefer werden zu lassen, ruft Tüngler Bayer dazu auf, die Entlastungsabstimmung von der Tagesordnung zu nehmen und zu verschieben. Folgt der Konzern dem nicht, will die DSW selbst am Freitag einen solchen Vorschlag zur Abstimmung bringen.

Die Investoren monieren zudem, dass Baumann ein höherer Bonus für 2018 gewährt wurde. Bei einem der bedeutendsten Anteilseigner geht die Kritik tiefer: Man habe seit Längerem grundsätzliche Zweifel daran, ob das Bayer-Management eine für die Aktionäre wertschaffende Strategie entwickele.

Demonstrativ geschlossen

Bayer hält an der Entlastungsabstimmung fest. Vorstand und Aufsichtsrat präsentieren sich vor der Hauptversammlung in demonstrativer Geschlossenheit, weisen Vorwürfe der mangelnden Risikoprüfung von Monsanto mit Rechtsgutachten zurück und stellen sich in einer gemeinsamen Erklärung hinter den Monsanto-Kauf: „Diese Strategie ist der richtige Weg für Bayer, und Bayer wird hiermit sehr erfolgreich sein“, heißt es darin.

Man könnte auch sagen, Bayer muss mit Monsanto erfolgreich sein. Vom Gelingen dieser Transaktion hängt die Zukunft des gesamten Bayer-Konzerns wesentlich ab. Das zeigt eine Analyse der Bilanz und der von Bayer vorgestellten Ziele für die kommenden Jahre.

Seit Juni 2018 fließt Monsanto in die Bayer-Bilanz ein, entsprechend legte der Umsatz deutlich auf 39,6 Milliarden Euro zu. Auf der Ergebnisseite hinterlässt der Kauf aber Spuren, ebenso wie die verhaltene Lage in den beiden Gesundheitssparten.

Quer durch den Konzern verbuchte Bayer 2018 Sonderaufwendungen von rund 6,7 Milliarden Euro. Dazu zählen Kosten für die Monsanto-Übernahme, Restrukturierung, Rechtsfälle sowie Wertminderungen in Höhe von 3,3 Milliarden Euro, die vor allem die schwächelnde Division Consumer Health betrafen.

Dem stand zwar ein Gewinn von 4,1 Milliarden Euro aus dem Verkauf von Agro-Aktivitäten an BASF gegenüber. Per Saldo verblieb aber eine Belastung von 2,6 Milliarden Euro. All dies führte dazu, dass der operative Gewinn (Ebit) um ein Drittel auf 3,9 Milliarden Euro schrumpfte.

Die Probleme bei Consumer Health waren auch Grund dafür, dass Bayer 2018 nur auf eine Kapitalrendite (ROCE) von 4,4 Prozent kam. Der Konzern verdiente somit nicht seine Kapitalkosten, die bei 6,7 Prozent liegen. Was dagegen den Zufluss an Liquidität aus dem operativen Geschäft angeht, bewegt sich Bayer mit einem Free Cashflow von 4,6 Milliarden Euro weiter auf starkem Niveau.

Für die Zeit von 2019 bis 2022 hat sich das Management zum Ziel gesetzt, 23 Milliarden Euro an frei verfügbaren liquiden Mitteln zu erwirtschaften und den Free Cashflow auf bis zu acht Milliarden Euro zu steigern. Helfen soll dabei einerseits der geplante Abbau von 12.000 Stellen. Vor allem aber muss die Monsanto-Integration dazu beitragen. Denn das Potenzial der beiden Pharmasparten erscheint eher begrenzt.

In dem Geschäft mit rezeptpflichtigen Medikamenten ist Bayer abhängig von dem Gerinnungshemmer Xarelto und dem Augenmittel Eylea, die zuletzt an Schwung verloren. Andere Hauptwachstumsprodukte wie die Krebsmittel Xofigo und Stivarga schwächelten 2018 bereits, und das Potenzial der neuen Krebsmittel Darolutamid und Larotrectinib bleibt vorerst schwer einzuschätzen.

Die Problemsparte Consumer Health fuhr 2018 einen operativen Verlust von zwei Milliarden Euro ein. Angesichts des von Preiskämpfen geprägten Wettbewerbs sind von dieser Division keine großen Sprünge zu erwarten. Damit Bayer seine Ziele erreicht, muss die Integration von Monsanto gelingen und das Agrargeschäft wie versprochen blühen. Der Cash-Beitrag der Sparte Crop Science ist nicht zuletzt mit Blick auf die deutlich schwächere Bilanzstruktur von enormer Bedeutung.

Denn die Monsanto-Übernahme hat auch hier tiefe Spuren hinterlassen. Goodwill und sonstige immaterielle Werte repräsentieren inzwischen fast 60 Prozent der Bilanzsumme. Das ist ein hoher Wert selbst für die notorisch akquisitionsfreudige Pharmabranche. Ähnliches gilt für die Nettoverschuldung von 36 Milliarden Euro, was rund dem Dreifachen des für 2019 erwarteten Ebitda vor Sondereinflüssen entspricht.

Im laufenden Jahr wird sich an der Situation zwar wenig ändern, der Cashflow wird vorerst durch die Kosten der Restrukturierung gedämpft. Doch ist das Ziel, die Verschuldung bis 2022 auf 26 bis 28 Milliarden Euro zu reduzieren, nicht unrealistisch. Bayer kann auf Einnahmen von mehr als sechs Milliarden Euro aus dem Verkauf der Tierarznei-Sparte und des Chemiepark-Betreibers Currenta hoffen.

Zudem dürfte der Cashflow ab 2020 zulegen. Immerhin generierten Bayer (ohne Covestro) und Monsanto in den Jahren vor der Fusion zusammen bereits 4,5 bis 5,5 Milliarden Euro Cash pro Jahr. Mit einer erfolgreichen Integration müsste es gelingen, dies zu übertreffen. Von den angestrebten 23 Milliarden Euro Free Cashflow dürfte gut die Hälfte für Dividenden benötigt werden. Zusammen mit den Einnahmen aus Desinvestments verbleiben damit aber theoretisch noch fast 20 Milliarden Euro für Schuldentilgung und ergänzende Zukäufe.

Prognose unter Vorbehalt

Doch diese Kalkulation basiert auf normalen Bedingungen. Milliardenschwere Vergleichszahlungen zur Bereinigung der Glyphosat-Klagen, wie sie Analysten unterstellen, würden die Planungen zur Makulatur machen. Zwar könnte der Konzern im Prinzip selbst zweistellige Milliardenbeträge an Schadenersatz finanziell verkraften.

Aber sie würden den Cashflow stark aufzehren und den Spielraum für Schuldentilgung und ergänzende Zukäufe drastisch einschränken. Sollte das Glyphosat-Geschäft von Monsanto durch die Prozesswelle in Mitleidenschaft gezogen werden, drohen zudem Abschreibungen auf die hohe Goodwill-Position.

Bilanz und Prognosen stehen insofern unter Vorbehalt. Um sie zu bestätigen, muss das Bayer-Management an drei Fronten punkten. Es muss die Medizinsparten auf Kurs bringen, die Monsanto-Integration erfolgreich machen und möglichst bald einige Glyphosat-Prozesse gewinnen.


Die Stärken und Schwächen von Bayer

Stärke 1: Hoher Free Cashflow

Hohe Wertberichtigungen und Restrukturierungskosten haben Bayer 2018 einen heftigen Einbruch beim Nettogewinn beschert. Weitaus günstiger sieht es dagegen beim Cashflow aus. Der operative Cashflow sank lediglich um rund drei Prozent auf 7,9 Milliarden Euro. Der Free Cashflow aus dem operativen Geschäft (nach Sachinvestitionen und Zinszahlungen) lag mit 4,6 Milliarden Euro um rund ein Zehntel unter dem Vorjahresniveau.

Zwar verbuchte Bayer damit bei dieser Kenngröße den zweiten Rückgang in Folge. Insgesamt jedoch gehört der Konzern weiterhin zu jenen Unternehmen, die besonders viel freie Liquidität im operativen Geschäft generieren. Und anders als etwa bei RWE oder Telekom ist der hohe Free Cashflow von Bayer keine Eintagsfliege, sondern eine relativ beständige Qualität. Im Schnitt der letzten fünf Jahre holte Bayer pro Jahr immerhin rund 4,5 Milliarden Euro an freien Mitteln aus dem laufenden Geschäft und ist damit vor Siemens und BASF der Cashflow-stärkste Konzern im Dax.

Im laufenden Jahr dürfte Bayer in dieser Hinsicht zwar etwas unter Druck geraten. Das signalisiert auch die Prognose des Unternehmens, die lediglich drei bis vier Milliarden Euro Free Cashflow für 2019 in Aussicht stellt. Unter anderem das umfangreiche Restrukturierungsprogramm mit dem geplanten Abbau von konzernweit 12.000 Stellen dürfte zunächst größere Cash-wirksame Kosten verursachen.

Mittelfristig indessen hat Bayer solide Chancen, deutlich mehr freie Liquidität im regulären operativen Geschäft zu erzeugen. Denn im Prinzip bewegt sich der Konzern durchweg in Geschäftssegmenten, die durch moderate Sachinvestitionen und hohe operative Cashflows gekennzeichnet sind. Die durchschnittliche Free-Cashflow-Rendite in der Pharmabranche bewegt sich bei mehr als 20 Prozent vom Umsatz.

Monsanto hatte vor der Übernahme durch Bayer Free-Cashflow-Margen zwischen zehn und 15 Prozent vom Umsatz erzielt. Gelingt es, die geplanten Synergieeffekte halbwegs zu realisieren, dürfte die vergrößerte Agrosparte von Bayer noch etwas höhere Werte erzielen. Das erklärte Ziel von Bayer, bis 2022 rund 23 Milliarden Euro an freiem Cashflow zu generieren, wirkt insofern zwar durchaus ambitioniert, aber auch keineswegs aus der Luft gegriffen.

Stärke 2: Führendes Agrargeschäft

Ob sich die Monsanto-Übernahme tatsächlich als Fehlgriff von Bayer herausstellen wird, ist eine offene Frage. Aktuell fokussiert sich die Wahrnehmung und Bewertung des Deals auf die rechtlichen Risiken und den Reputationsschaden, der zumindest in Deutschland schon erkennbar ist.

Rein operativ aber ist der Start nach der Übernahme nicht schlecht verlaufen, denn im vierten Quartal war das Agrargeschäft inklusive Monsanto der Gewinntreiber bei Bayer. Das Saatgutgeschäft des US-Konzerns gilt mit Margen bis zu 30 Prozent als extrem profitabel, und es liefert stabil hohe Beiträge zum Cashflow.

Selbst mit Glyphosat verdient Bayer weiterhin gut, denn ungeachtet der US-Prozesse und des Krebsverdachts verkauft sich das Mittel weiterhin gut – vor allem in den traditionell starken Märkten USA und Lateinamerika, aber zunehmend auch in China. Bayer konnte sogar die Preise erhöhen.

Glyphosat wird vorerst weiter für Milliardenumsätze bei Bayer stehen, doch das Mittel ist wegen zunehmender Resistenzen nicht zukunftsträchtig. Bayer arbeitet daher ebenso wie Konkurrenten an neuen Unkrautvernichtern und wird in den nächsten Jahren deren Vermarktung forcieren. Auch für diese Neuentwicklungen wird gentechnisch verändertes Saatgut entwickelt, das gegen neue Wirkstoffe zur Unkrautvernichtung resistent ist.

Mit der Übernahme von Monsanto verfügt Bayer über die wohl angesehenste Forschungsbasis in der Branche, was die Entwicklung neuer Saaten und Pflanzenschutzmittel angeht. Die Leverkusener verfügen zugleich auch über das mit Abstand größte Forschungsbudget unter den Agrarchemieunternehmen: Es liegt bei jährlich rund 2,5 Milliarden Dollar.

Monsanto ist vor allem durch seine Kompetenz in der Gentechnik so groß geworden. Diese wird bei der Züchtung neuer Pflanzen eine entscheidende Rolle spielen, die widerstandsfähiger gegen Schädlinge, Krankheiten und Klimawandel sind. Diesen Weg will Bayer aber nicht nur per Gentechnik beschreiten, sondern auch mit herkömmlichen Züchtungsmethoden.

An der strategischen Logik der Übernahme von Monsanto haben Experten daher weiterhin keine Zweifel. Ohne starkes Saatgutgeschäft hätte Bayer im neuen Konkurrenzumfeld der Agrarchemie wenig Chancen.

Schwäche 1: Verluste bei Aspirin & Co

Eigentlich sollte sie so etwas wie ein stetiger Wachstumstreiber für den Life-Science-Konzern Bayer sein. Stattdessen entwickelte sich die Consumer-Health-Sparte in den letzten Jahren zum Problemfall, der Gewinne und Margen nach unten zieht. Auch 2018 ist Bayer im Geschäft mit rezeptfreien Gesundheitsprodukten wie dem Schmerzmittel Aspirin, der Wundsalbe Bepanthen und dem Allergiemittel Claritin, abgekürzt auch OTC (für „over the counter“) genannt, keine Trendwende gelungen.

Im Gegenteil: Mit einer Wertberichtigung von 2,6 Milliarden Euro auf Geschäftswerte und immaterielle Assets in der Sparte musste Bayer einräumen, dass man 2014 beim Kauf der Consumer-Sparte von Merck & Co. bei Weitem zu viel gezahlt hatte. Hinzu kamen Restrukturierungskosten. Alles in allem verbuchte die Sparte damit einen Betriebsverlust von rund zwei Milliarden Euro.

Aber auch wenn man die Sonderbelastungen ausklammert, entwickelte sich das Geschäft schwach. Das bereinigte Ebitda sank 2018 um ein Zehntel auf 1,1 Milliarden Euro. Selbst gemessen an dieser Kennziffer verdient Bayer im Consumer-Geschäft heute weniger als 2013, vor dem Kauf der Aktivitäten von Merck & Co. Die elf Milliarden Euro teure Akquisition ist damit operativ bisher komplett verpufft.

Das liegt nicht nur daran, dass Merck & Co. vor dem Verkauf der Sparte an Bayer wichtige Marken wie die Fußpflegeserie Dr. Scholl’s oder die Sonnenschutzlinie Coppertone so stark vernachlässigte, dass sich Bayer nun komplett von diesen beiden Marken trennen will. Auch generell hat der Wind im Consumer-Health-Geschäft gedreht. Neue Marken, Onlineanbieter wie Amazon und die Konsolidierung im Handel sorgen für wachsenden Preisdruck.

Bayer tut sich in diesem Umfeld offenbar besonders schwer. Während Konkurrenten wie Glaxo-Smithkline und Sanofi 2018 immerhin noch zwei bis drei Prozent organisches Umsatzwachstum erzielten, sind die Erlöse der Bayer-Consumer-Sparte währungsbereinigt um ein Prozent auf 5,5 Milliarden Euro geschrumpft. Auch 2019 dürfte der Konzern in dem Segment an Boden verlieren. Er erwartet lediglich ein Prozent Wachstum, während der Markt nach Schätzung von Bayer etwa vier Prozent zulegen wird.

Schwäche 2: Teure Rechtsrisiken

Als Monsanto im August 2018 den ersten Glyphosat-Prozess verlor, machte Bayer dafür eine ungeschickte Prozessführung der Amerikaner mitverantwortlich. Bayer sieht sich im Umgang mit den Folgen des amerikanischen Produkthaftungsrechts als erfahren an. Als Pharmahersteller ist der Konzern praktisch ständig in Auseinandersetzungen mit Klägern und deren Anwälten.

Doch wie unwägbar solche Rechtsstreitigkeiten in den USA sind, zeigt sich nicht nur bei den Glyphosatfällen, die derzeit im Fokus sind. Vielfach kommt Bayer nicht ohne finanzielle Belastungen aus solchen Klagewellen heraus, selbst wenn die Rechtsposition stark ist. Das zeigte die jüngst abgeschlossene Einigung mit den Xarelto-Klägern – ein Vergleich, den es nach Ansicht von Kritikern eigentlich gar nicht geben dürfte.

Denn Bayer hat jeden Prozess wegen angeblicher Nebenwirkungen des Medikaments gewonnen. Dennoch zahlte Bayer 388 Millionen Dollar an die 25.000 Kläger und deren Anwälte – ohne Schuldeingeständnis, aber damit die Rechtssache aus der Welt ist. Die Verteidigungskosten in weiteren Prozessen, verbunden mit negativem Image für das Produkt, wären wohl höher ausgefallen. Der Vergleich war also eine rationale Entscheidung des Vorstands.

Immer wieder muss Bayer außergerichtliche Vergleiche eingehen. So zahlte der Konzern bis 2016 rund zwei Milliarden Dollar an Amerikanerinnen, die Klage wegen angeblicher Gesundheitsgefahr durch das Verhütungsmittel Yasmin eingereicht hatten. Auf einen Vergleich könnte es nach Ansicht vieler Experten auch bei den derzeit laufenden Glyphosatprozessen hinauslaufen. Die zuletzt genannte Zahl von 11.200 Klagen dürfte noch weiter gestiegen sein.

Darüber hinaus lagen bis Ende Januar 29.400 Klagen von Amerikanerinnen wegen möglicher Gesundheitsschädigung durch das Verhütungsmittel Essure vor. In diesem Fall übersteigen laut Bayer die bilanziellen Vorsorgemaßnahmen bereits den Versicherungsschutz. Auch diese Verfahren dürften Bayer also zusätzliche Kosten bringen.

Insgesamt verbuchte Bayer 2018 einen Anstieg des Aufwands für rechtliche Risiken von 258 auf 677 Millionen Euro. Davon wurden 613 Millionen Euro als „Sondereinfluss“ eingestuft.


Die Gefahr der Glyphosat-Prozesse für Bayer

Vom „größten und schnellsten Wertvernichter in der Dax-Geschichte“ spricht der frühere Chef der Fondsgesellschaft DSW, Christian Strenger. Er wird auf der Bayer-Hauptversammlung einen Gegenantrag auf Nichtentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat vorlegen. Gemeint ist die Monsanto-Übernahme, die Bayer im Juni 2018 im Volumen von 63,5 Milliarden Dollar abgeschlossen hat. Seither ist der Aktienkurs des Konzerns um 38 Prozent eingebrochen.

Die Furcht vor milliardenhohen Schadensersatzzahlungen infolge der Glyphosat-Prozesse in den USA lastet schwer auf Bayer – ebenso die Frage, ob Risiken unterschätzt wurden. „Die Unternehmensführung von Bayer muss sich dem Vorwurf stellen, die enormen juristischen Risiken und Reputationsrisiken der Monsanto-Übernahme in ihrer Tragweite nicht erkannt zu haben“, sagt Janne Werning, Analyst bei Union Investment, der auf der HV das Wort ergreifen wird.

Tatsächlich haben sich die Prozesse gegen Monsanto um den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat völlig anders entwickelt als von Bayer erwartet. Der Konzern sah sich vor dem ersten Prozess im August 2018 in einer guten Rechtsposition: Zulassungsbehörden weltweit haben die Sicherheit von Glyphosat mehrfach bestätigt und erkennen keine von dem Mittel ausgehende Krebsgefahr. Dazu kommen mehr als 100 wissenschaftliche Studien, die ebenfalls zu dem Ergebnis kommen, dass Glyphosat keinen Krebs auslöst.

Bei den bisherigen zwei Prozessen in Kalifornien hat diese Argumentation aber nicht gezündet: Die Laien-Jury kam in beiden Fällen zu der Überzeugung, dass das glyphosathaltige Mittel Roundup in erheblichem Maße zu der Krebserkrankung der Kläger beigetragen hat. Die Klägeranwälte hatten Gegenstudien vorgelegt und Mediziner zu Wort kommen lassen.

Die Jurys machten Monsanto zudem haftbar, weil der Konzern die von Roundup ausgehenden Gefahren verschleiert haben soll. 79 Millionen Dollar Schadensersatz wurden dem ersten Kläger zugesprochen, beim zweiten waren es 80 Millionen Dollar. Es sind zwar nur Urteile in erster Instanz. Doch sie bringen Bayer in eine schwierige Situation: Das Momentum im gesamten Glyphosat-Rechtskomplex ist nun aufseiten der Kläger – je mehr Prozesse sie für sich entscheiden, desto enger wird es für Bayer.

Der Konzern will zwar in die nächsten Instanzen gehen, doch das kann Monate, wenn nicht Jahre dauern – mit offenem Ausgang. Der Druck auf Bayer, außergerichtliche Vergleiche mit den Klägern einzugehen, ist deutlich gestiegen. Analyst Richard Vosser von JP Morgan rechnet aktuell mit möglichen Schadensersatzzahlungen in Höhe von fünf Milliarden Dollar. Er geht davon aus, dass die Zahl der Klagen 15.000 erreichen wird.

Als Bayer im Jahr 2016 den Vorstoß zur Übernahme von Monsanto wagte, lagen erst wenige Hundert Klagen wegen Glyphosat vor. Der Konzern wehrt sich gegen Vorwürfe, die Rechtsrisiken unterschätzt und nicht richtig bewertet zu haben. Bayer hat dazu zwei Rechtsgutachten erstellen lassen.

Es geht um die Frage, ob sich der Vorstand eingehend genug mit den Risiken befasst hat und seinen Pflichten nachgekommen ist – und zwar zum Zeitpunkt der Merger Agreements mit Monsanto im September 2016 und zum Abschluss im Juni 2018. Der Münchener Rechtsprofessor Mathias Habersack kommt zu dem Ergebnis: Der Bayer-Vorstand habe zu beiden Zeitpunkten seine Sorgfaltspflichten nicht verletzt und „vernünftigerweise annehmen dürfen, auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“ – also der Bayer AG.

Auch die Kanzlei Linklaters bestätigt in ihrem Gutachten, dass der Vorstand seine Pflichten gemäß deutschem Aktienrecht „vollumfänglich eingehalten hat“. Der Vorstand sei „zu dem in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Ergebnis gekommen“, dass der Vollzug der Übernahme im Interesse von Bayer liegt. Dies gelte auch für den Zeitpunkt des Abschlusses im Juni 2018 – also als die Zahl der Glyphosatklagen bereits kräftig gestiegen war.

„Der Vorstand hätte sich mit einer Kündigung des Merger Agreement sämtlicher Chancen aus der Übernahme begeben – gleichwohl hätte Bayer aber die bisherigen Transaktionskosten sowie die Reverse-Break-Fee an Monsanto in Höhe von zwei Milliarden Dollar tragen müssen.“